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In einer dystopischen Zukunft kämpft ihr bei Radlands um Leben und Tod beziehungsweise Wasser und Camps. In dem Duell-Kartenspiel geht es kompetitiv zur Sache. Euch erwartet ein schnelles, ein knallhartes und ein farbenprächtiges Endzeitszenario zu zweit mit einem tollen Artwork.

Müsste man Fans von Filmen wie Mad Max oder Mortal Engines ein Spiel empfehlen, gäbe es jetzt eins. Der kanadische Spieleverlag Roxley Games hat mit Radlands ein neues Spiel publiziert. Der Verlag dürfte einigen sicherlich durch Brass: Birmingham bekannt sein. Brass: Birmingham bietet neben einer genialen Spielmechanik hochwertige Artworks, haptisch aufwendige Spielsteine und insgesamt eine tolle Produktqualität. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an das neue Spiel. Diesmal verschlägt uns das Setting in die Zukunft. Zwei Spieler*innen müssen ihre Camps verteidigen. Die Wasservorräte sind knapp. Daher will jeder Zug gut überlegt sein.

Spielablauf

Wasser, ich brauche Wasser

Ziel des Spiels ist es, schneller als das Gegenüber die drei gegnerischen Camps zu vernichten. Dazu steht ein gemeinsam genutzter Nachziehstapel zur Verfügung. Es gibt drei Arten von Karten: Camps, Personen und Events. Die drei Camps werden zu Beginn aus sechs gezogenen Karten ausgewählt. Sie sind das primäre Angriffsziel und geben zu Spielbeginn die Handkarten vor. Die Camps lassen sich mit Personen-Karten schützen. Dazu können die Spieler*innen in zwei Reihen vor einem Camp je eine Personen-Karte ablegen.

Camps lassen sich durch vor sich liegende Personen-Karten schützen.

Dann gibt es noch die Event-Karten, die oft aggressive Aktionen auslösen. Dieser Kartentyp wird nach dem Ausspielen erst in späteren Runden verzögert ausgelöst und stellt eine Art tickende Zeitbombe dar. Die Spieler*innen können die drohenden Aktionen also bereits sehen und sind gut damit beraten, sich auf dieses kommende Ereignis vorzubereiten.

Damit Personen oder Events ausgespielt werden können, müssen diese mit Wasser-Ressourcen bezahlt werden. Ihr dürft zu Beginn jeder Runde nur drei Wasser aufnehmen, und das ist wirklich wenig. Mächtige Karten kosten gerne mehr. Außerdem haben die meisten Karten noch zu aktivierende Fähigkeiten. Diese wollen ebenfalls mit Wasser bezahlt werden. So gibt es zum Beispiel die Fähigkeit, für zwei Wasser eine Karte zu heilen oder für ein Wasser einen Angriff auf Personen-Karten zu starten. Daher gilt es, viele Züge im Voraus zu planen, den Wasservorrat mühsam aufzubauen und schließlich ein kleines Feuerwerk an Angriffen zu entfachen.

Weiter zum Thema Angriff: Jede Attacke oder jeder Angriff macht in der Regel nur einen Schadenspunkt. Das heißt, ihr müsst eine Person oder ein Camp mindestens zweimal attackieren und hoffen, dass das Gegenüber dies in der Zwischenzeit nicht wieder heilen kann. Heilen ist zum Glück eher selten.

Frust oder Lust?

Der Einstieg und die Lernkurve sind niedrig angesetzt. Das Spiel ist einfach erklärt und die meisten Dinge ergeben sich nach wenigen Runden. Für die erste Runde werden vorausgewählte Camps je Seite vorgeschlagen. Damit startet das Spiel noch schneller und bleibt zu Beginn ausbalanciert.

Die Wartezeit zwischen den Zügen fällt sehr gering aus. So viele Aktionen und Grübeleien stehen aufgrund des knappen Wasservorrates in der eigenen Runde nicht zur Verfügung. Das verstärkt das Gefühl, weiter gehetzt zu werden. Mit etwas Taktik und Glück lassen sich mit mehreren Karten tolle Combos durchziehen. Eins steht fest: Eine lauernde Taktik führt bei diesem Spiel nur zu einer Verzögerung. Wer nicht nach vorne prescht und Angriffe plant, wird sehr wahrscheinlich eine Revanche brauchen. Mit anderen Worten: Die Interaktion untereinander ist extrem hoch. 

Radlands ist ein Kartenspiel oder genauer ein Duell-Kartenspiel. Eine gewisse Portion Glück gehört beim Nachziehen natürlich dazu. Bereits bei der Camp-Auswahl oder beim regelmäßigen Kartenziehen aus dem gemeinsamen Nachziehstapel können die Spielenden mal Pech oder eben Glück haben. In den Testrunden wirkte der Glücksfaktor nie störend. Letztendlich war viel öfter die getroffene Camp-Auswahl oder ein „Fehler“ in der Ausspielstrategie der Grund für drei zerstörte Camps auf der eigenen Seite. Eine Partie dauert laut Beschreibung 20 bis 40 Minuten. In der Realität liegt die Dauer eher bei 20 Minuten. Daher lassen sich mehrere Partien hintereinander weg spielen, um doch nochmal eine andere Taktik auszuprobieren. Den Beteiligten der Testrunde fiel es schwer, sich dem Suchtfaktor zu entziehen. Daher gab es die ein oder andere Revanche.

Am Ende wird Radlands allein schon wegen des offensichtlich kampflastigen Themas und den expliziten Beschreibungen auf den Karten eher bei Vielspieler*innen mit fortgeschrittener Expertise zu finden sein.

Alle wesentlichen Teile im Überblick.

Ausstattung

Bei einer möglichen Bestellung fällt erst einmal die ungewöhnliche Benennung der Versionen auf. Es gibt eine „Deluxe-Version“ und eine „Super-Deluxe-Version“. Ob eine Standard-Version erscheinen wird, konnte auch durch Nachfrage beim Verlag nicht in Erfahrung gebracht werden. 

Die Super-Deluxe-Box glänzt mit einem schönen Artwork im Stile von The Outer Worlds oder Borderlands auf der Schachtel. Selbst im Inneren befindet sich statt tristes Papp-grau eine thematische Zeichnung. 

In die herausnehmbare, kompakte Schachtel passen sowohl das Regelheftchen, alle Karten und die Wasser-Ressourcen. Diese ist mit einem magnetischen Verschluss ausgestattet. Die kleine Box entspricht der „normalen“ Deluxe-Version. Die Wasser-Ressourcen sind schwere und haptisch ansprechende Steine. Sie sind mit einem eingeprägten Wassertropfen versehen.

Die kleine Deluxe-Box in der großen Super-Deluxe-Box.

Das sehr kleine, dünne und farbige Regelheftchen liegt in einem eher ungewöhnlichen Format bei. Auch wenn die Anleitung schnell durchgelesen ist, wird sie noch einige Male bei den ersten Partien zu Rate gezogen werden müssen. So sind Begriffe wie „people“, „punks“ und „enemies“ sowohl im Regelheft als auch auf den Karten zu Beginn nicht klar abgegrenzt. Im kleingedruckten Text wird das Wort „people“ an zwei unterschiedlichen Stellen etwas versteckt sowohl für „punks“ als auch für „enemies“ verwendet. Etwas verwirrend zum Beginn. Wie bei vielen Vertretern des Genres üblich, folgt in der Anleitung noch eine kurze Übersicht spezieller Sonderregeln ausgewählter Karten. Die wirklich strittigen Fälle fehlten uns allerdings.

Das Regelheftchen ist hübsch gestaltet.

Auf der Verlagsseite lässt sich sinngemäß entnehmen, dass die Karten nahezu unzerstörbar sind. Sie sind aus einer Art Plastik gefertigt, die deutlich stabiler wirkt als das Gros der Konkurrenz. Ich schütze Karten eigentlich ganz gerne mit entsprechenden Kartenhüllen (Sleeves). Bei Radlands würde ich die Haptik nicht missen wollen. Eine Anfrage beim Verlag zum Kartenmaterial bestätigte den Eindruck:

„The cards in deluxe and super deluxe versions of Radlands are printed on Synth™ card stock. Synth™ is a custom manufactured PVC based stock which can be bent end to end. It is also water and spill proof, eliminating the need for sleeves!“

„Die Karten in den Deluxe- und Super-Deluxe-Versionen von Radlands werden auf Synth™-Kartenmaterial gedruckt. Synth™ ist ein speziell hergestelltes PVC-basiertes Material, dass durchgebogen werden kann. Es ist außerdem wasserabweisend und macht Kartenhüllen überflüssig.“

In der Super-Deluxe-Box sind zwei Spielmatten enthalten. Sie erleichtern den Einstieg in das Spiel, machen den Aufbau und Spielverlauf deutlich übersichtlicher und flüssiger. Zum Beispiel wird der Countdown-Mechanismus für die Event-Karten dadurch besser verständlich. Das macht die Spielmatten zu einem „Must-Have“. Schade, dass sie nicht zur Grundausstattung gehören. 

Aufgeräumter Tisch dank der Spielmatten.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Roxley Games
  • Autor*in(nen): Daniel Piechnick
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Englisch
  • Spieldauer: 20-40 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 2
  • Alter: ab 14 Jahren
  • Preis: Deluxe-Version ca. 35 EUR
    Super-Deluxe-Version ca. 54 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel

 

Fazit

Die Wasser-Ressourcen sind schwere und haptisch ansprechende Steine.

Dieses postapokalyptische Spiel ist thematisch toll umgesetzt. Die Visualisierungen, das Design und die Materialien sind erstklassig und haptisch echte Handschmeichler. Die Spielenden in den Testrunden konnten und wollten die Karten und Ressourcensteine gar nicht mehr loslassen.

Das Spiel ist hochgradig auf den gegenseitigen Konflikt ausgelegt. Das macht es zu einem schnellen und unerbittlichen Spiel. Das muss man mögen, da zurückhaltende Strategien eher zu Frust führen werden.

Die ineinandergreifenden Mechaniken und möglichen Aktionsketten runden das Spielprinzip ab. Der Glücksfaktor sitzt bei einem Spiel mit Karten automatisch mit am Tisch. Das gut überlegte und taktische Ausspielen dominiert dabei das Glück.

Die Anleitung hat deutliche Schwächen, bedarf des mehrmaligen Lesens und leider auch der Foren-Recherche. Die Spielmatte hätte für mich bereits in der „normalen“ Deluxe-Version dabei sein müssen. Der Mehrpreis für die Super-Deluxe-Version bringt also keinen Spiel-Mehrwert, ist aber für den Spielablauf deutlich zu empfehlen.

  • Schnelle und direkte Spielmechanik
  • Schönes Artwork und Haptik
  • Hoher Suchtfaktor
 

  • Schwache Anleitung
  • Fehlende Spielmatte in der Deluxe-Version
  • Sehr konfrontativ

 

Artikelbilder: © Roxley Games
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Saskia Harendt
Fotografien: Horst Brückner
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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