Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Mit Outer Worlds bringt Obsidian Entertainment das nächste charmante RPG auf dem Markt. Der Titel schreibt sich als geistigen Vorgänger Fallout: New Vegas auf die Fahnen. Kann das Action-RPG die gigantischen Fußstapfen des legendären Vorbilds ausfüllen? Teilzeithelden hat das Spiel für euch unter die Lupe genommen.

Gerade verlassene Gebiete haben einen gewissen Fallout-Charme.

Fallout: New Vegas, Neverwinter Nights 2, Pillars of Eternity. Ein Portfolio, das das Herz der meisten Rollenspielfans höher schlagen lässt. Für viele Fans gilt: Wenn jemand die seit Jahren anhaltende Flaute um Bioware kitten kann, dann scheint das derzeit Obsidian Entertainment zu sein. Gerade das erstgenannte Spiel stand für die Grundidee von Outer Worlds Pate. Mit Tim Cain und Leonard Boyarski hat das Entwicklerteam gleich zwei der geistigen Köpfe hinter der Fallout-Reihe verpflichten können. So viel sei schonmal verraten: Man erahnt das Erbe jederzeit. Denn an manchen Stellen erinnert Halcyon an die unterschiedlichen Schauplätze aus Fallout, ohne dabei allerdings eine Kopie zu sein.

Im Bann der Megakonzerne

The Outer Worlds schickt uns – der Name legt es nahe – an den Rand des besiedelten Universums. In einer alternativen Realität, in der die Erde von Megakonzernen regiert wird, beginnen diese damit, weit entfernte Sternensysteme zu kolonisieren. Hier sind Reisen quer durchs Universum allerdings keine Frage kürzeren und mittellangen Zeitaufwands, sondern dauern mitunter mehrere Jahre. Dementsprechend unabhängig und vor allem auf sich selbst gestellt sind die Kolonien. Gibt es Probleme, muss man die selbst lösen.

Phineas Welles befreit uns aus dem Cryoschlaf.

Schnelle Hilfslieferungen sind nicht drin. Missmanagement und Abgeschiedenheit sind es, die Halcyon an den Rand des Kollaps gebracht haben. Der aufständische Wissenschaftler Phineas Welles sieht die Rettung im Kolonieschiff Hope. Auf der Hope schlummern 10.000 Wissenschaftler und Ingenieure, die die Machthaber wegen des Kollaps nicht aus ihrem Cryoschlaf wecken wollen. Welles bricht ein und erweckt einen von ihnen, nämlich den Spielercharakter. 

Verdammte Kapitalisten!

Die Konzerne indes haben die Welten des Halcyonsystems trotz der katastrophalen Lage fest in ihren sprichwörtlichen Klauen. Überall dort, wo der Vorstand – das konzernübergreifende Führungsorgan des Systems – noch die Macht hat, sind Menschen wenig mehr als Konzernbesitz. Verbirgt sich hier etwas Kapitalismuskritik?

Die Konzerne haben Halcyon fest im Griff

Für uns ist das wahrscheinlich halbwegs fremd, aber dem US-amerikanischen Publikum wird das Lachen vermutlich im Halse stecken bleiben, wenn dir ein Arbeiter freudenstrahlend erzählt, dass er so viele Überstunden gemacht hat, dass er jetzt „medizinische Privilegien“ (sprich: grundlegende Behandlung) erhalten hat. 

Aber es regt sich Widerstand. Da wäre zum Beispiel die philosophisch-anarchistische Bewegung der Ikonoklasten oder der unabhängige Konzern Monarch Stellar Industries, der seinen Arbeitern deutlich mehr Freiheiten einräumt und daher mit einer Blockade belegt und aus dem Vorstand geschmissen wurde. Auf der anderen Seite stehen aber auch reihenweise Gesetzlose, die allen Kolonisten – ob freiheitsliebend oder konzerntreu – gleichermaßen das Leben zur Hölle machen. In mitten dieser Umwälzungen müssen wir uns als Neukolonist einen Weg bahnen.

Inszenierung beispielhaft

Halcyon ist großartig. Klar, das Grundlegende haut einen auf den ersten Blick nicht vom Hocker. Randwelten, Großkonzerne, Kolonisierung, alles irgendwie schonmal da gewesen. Aber es fühlt sich an keiner Stelle schal an. Es hat ein wenig vom Fallout-Charme, gerade die Notwendigkeit des Improvisierens. Hier und da blitzt ein wenig Shadowrun durch.

Halcyon ist zwar von Menschen besiedelt, aber dennoch exotisch.

An manchen Ecken und Enden fühlen wir uns als Spacecowboy á la StarCraft oder Firefly. Aber nie wirkt es abgekupfert, sondern stets ist die Mischung gelungen und frisch. Gerade vom absurden Humor, den wir aus Fallout: New Vegas kennen, findet sich in Outer Worlds viel wieder. 

Die Charaktere, die wir kennenlernen, haben Profil. Was bei Open-World-Titeln immer die Gefahr ist, nämlich austauschbare Beliebigkeit, trifft hier zum Glück nicht zu. Zu nennen sind auf jeden Fall der manische Wissenschaftler Phineas Welles, der uns von Anfang an durch die Geschichte führt, oder unsere sechs Gefährten, die wir nach und nach aufsammeln und die wir über Aufträge dann besser kennenlernen. Davon begleiten uns– wenn wir das wollen – zwei Stück. Mir ist es öfter passiert, dass ich bei Unterhaltungen zwischen den beiden Begleitern angehalten und gespannt der Diskussion gelauscht habe. Sehr gut gemacht.

Mitreißende Geschichten

Hierbei helfen auch die vielen kleinen und großen Quests. Der Hauptplot weiß zu gefallen. Man weiß zwar von Anfang an, wo die Reise hingeht, aber die eine oder andere Enthüllung lässt sich das Spiel nicht nehmen. An manchen Stellen hätte man sich vielleicht eine packende Zwischensequenz gewünscht, aber auch so reißt die Story mit.

Gut geschriebene Dialoge führen uns durch die Story.

Sie wirkt vor allem plastisch und glaubwürdig. Die Nöte der Bewohner sind greifbar, und die Maßnahmen, die man zusammen mit Welles in die Wege leitet, ergeben Sinn. Kritikpunkt: Das Ende – wenngleich storytechnisch tatsächlich schön – ist etwas lieblos inszeniert.

Auch die Nebenquests sind durchgehend charmant. An keiner Stelle wirkte eine der zahlreichen Aufgaben überflüssig oder nervig. Am Ende unseres Durchspielens hatten wir alle –sofern wir sie gefunden hatten – erledigt, und das mit großer Freude. Hier ist Vielfalt die Stärke. Mal bestimmen wir das Schicksal einer ganzen Kolonie, mal helfen wir einer Wache, endlich ihr langersehntes, signiertes Tossball-Fanposter zu bekommen, an anderer Stelle decken wir das Schicksal eines verschwundenen Arztes auf. Auch hier ein kleinerer Kritikpunkt: Es hätte von allem ein wenig mehr sein dürfen. Das Spiel flacht nicht gegen Ende hin ab und klingt dann aus, sondern endet fast schon abrupt nach knapp 20-25 Spielstunden.

Gelungenes Zahlenjonglieren

Aber wie spielt sich The Outer Worlds? Unter dem Strich: Outer Worlds erfindet das Rad auch hier nicht neu, ist aber handwerklich absolut solide. Die Charaktererstellung ist gelungen. Wir verteilen Attributspunkte auf Werte wie „Geisteshaltung“ oder „Charisma“, die uns grundlegende Boni oder Mali auf alles geben, was wir tun.

Die Attribute begleiten uns durch den Rest des Spiels. Vorsicht beim Punkte verteilen!

Hier sollte man gut nachdenken, denn diese fassen wir nach der Charaktererstellung nie wieder an. Was wir hier auswählen, begleitet uns den Rest des Spiels. Anschließend suchen wir uns zwei der acht Fertigkeitsgruppen aus, auf die wir ordentliche Boni erhalten.

Jede dieser Fertigkeitsgruppen unterteilt sich in zwei bis drei Spezialisierungen. Bis Stufe 50 (von 100 möglichen) steigern wir alle Fertigkeiten in der Gruppe zugleich. Danach müssen wir jede Spezialisierung einzeln steigern. So umfasst etwa die Dialog-Gruppe die Überzeugen, Lügen und Einschüchtern. Ab 50 müssen wir uns entscheiden, in welche dieser Fertigkeiten wir Punkte stecken, davor erhöht ein Skillpunkt alle drei Werte.

Die Fertigkeiten sind in Gruppen unterteilt.

Alle 20 Punkte erhalten wir einen speziellen Bonus, der uns das Leben einfacher macht. Jedes Level erhalten wir zehn Punkte zum Verteilen. Da wir gegen Spielende in etwa Level 30 erreicht haben werden, wird schnell klar: An manchen Ecken und Enden muss man einsparen, die eierlegende Wollmilchsau ist nicht drin. 

Kein technischer Meilenstein

Klingt zu komplex? Keine Sorge, auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad ist es kaum relevant, was man mitnimmt. Man kommt auf jeden Fall zurecht. Hat man höhere Ansprüche an die Schwierigkeit des Spiels, kann man diesen aber ohne Weiteres hochschrauben und ist gezwungen, genau zu tweaken, wo die Punkte am meisten Sinn ergeben.

Die Zeitlupenfunktion macht die Kämpfe deutlich entspannter.

Es muss sich auch niemand vom Shooter-Charakter des Rollenspiels abschrecken lassen. Zwar spielen wir aus der Egoperspektive, können aber die Zeit verlangsamen, um in aller Ruhe Treffer setzen zu können. Die Fähigkeit ist zwar nicht beliebig einsetzbar, reicht aber aus, um die meisten, kniffligen Situationen zu entschärfen. 

Technisch setzt das Spiel keine Meilensteine. Die Grafik ist durchaus etwas in die Jahre gekommen, aber keineswegs katastrophal. Outer Worlds hat in seiner Aufmachung einen charmanten Schrottstil, ist dabei aber etwas bunter.

Die Konzernjingles haben Ohrwurmpotential.

Fallout meets Borderlands. Dass es zwischendurch trotz der eher anspruchsarmen Grafik zu Rucklern kommt, ist etwas ärgerlich, dafür läuft das Spiel ansonsten aber ziemlich bugfrei und stabil. Der Klang ist satt, der Soundtrack gelungen.

Die eingängigen Jingles der verschiedenen Konzerne kann man schon kurz nach Spielstart mitsummen: „It’s not the best choice! It’s Spacer’s Choice!“ Dass die Soundausgabe nur englisch ist, mag manchen abschrecken, können wir aber aufgrund der guten Sprecher und gelungen Dialoge verzeihen.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Obsidian Entertainment
  • Publisher: Private Division
  • Plattform: PC, PlayStation 4, Xbox One, Nintendo Switch folgt 2020
  • Mindestanforderungen: Windows 7 64bit, Intel Core i3-3225 oder AMD Phenom II X6 1100T, 4 GB RAM, Nvidia GTX 650 Ti oder AMD HD 7850, 40 GB Festplattenspeicher
  • Genre: Action-RPG
  • Releasedatum: 25. Oktober 2019
  • Spielstunden: Etwa 25
  • Spieleranzahl: Einzelspieler
  • Altersfreigabe: USK 16
  • Preis: 59,99 EUR
  • Bezugsquelle: Für Konsolen Amazon, ansonsten exklusiv über den Epic Games Store, idealo

 

Fazit

The Outer Worlds erfindet keines der Räder neu, auf denen es gesponnen ist. Es wurden aber mittlerweile derartig viele Räder entwickelt, das es das auch gar nicht muss. Es schneidert derartig viele Konzepte und Ideen geschickt zu einem meisterhaften Gesamtwerk, das einfach Spaß macht und liebevoll inszeniert ist. Kleinere Schnitzer und die vielleicht nicht ganz zeitgemäße Grafik nimmt man da gerne in Kauf. Eine tolle Geschichte mit interessanten Figuren und mehr als solidem Spieldesign machen Hoffnung auf mehr. Bitte mehr davon. Genau das wäre auch unser einzig wirklich großer Kritikpunkt: Nach etwa 20–25 Spielstunden ist unsere Reise nach Halcyon auch schon vorbei. Für ein Vollpreis-Rollenspiel ohne Multiplayer ist das doch eher dürftig. Wir hoffen auf umfangreiche Story-DLCs!

mit Tendenz nach unten

 

Artikelbild: © Obsidian Entertainment, Screenshots: © Stephan Köhli, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein