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Memento Mori: Bedenke, du musst sterben – der Tod von Monstern und Feind*innen gehört in vielen Rollenspielen fest zur Geschichte. Anders sieht es dagegen bei den eigenen Charakteren aus, die häufig einem vorläufigen Ende entkommen. Aber ist das gerechtfertigt? Einige Überlegungen, wann ein Charakter sterben kann oder sogar muss.

Der Tod, ein ständiger Begleiter im Rollenspiel © fergregory
Grim reaper on a dark background

Benjamin Franklin soll in einem Brief gesagt haben: „But in this world nothing can be said to be certain, except death and taxes.“ („Nichts in dieser Welt ist sicher, außer der Tod und Steuern.“). Steuern werden im Rollenspiel eher selten thematisiert, der Tod hingegen ist eine feste Konstante in diversen Regelwerken. Auf ganzen Seiten wird beschrieben, wann und welche Vorgaben im Kampf gegen einen Charakter, eine Kreatur oder generell lebendig agierende Wesen, wie etwa Geister, gelten. Ziel der einzelnen Konflikte ist der Sieg einer Seite, was meist mit dem Ableben der anderen endet. Nüchtern betrachtet, wird folglich in einem Großteil der Systeme ständig gestorben. Das Ende eines Gruppenmitglieds ist etwas, das nur in seltenen Fällen passiert. Aber wieso? Wann kann ein Charakter sterben? Und muss das passieren?

Sterblichkeit in verschiedenen Systemen

Ob und wie häufig (oder selten) ein Charakter versterben kann, hängt stark vom jeweiligen System ab. Einige Systeme, etwa Tales from the Loop, schließen aus erzählerischer Sicht den Tod der minderjährigen SC komplett aus. Anders sieht es bei Regelwerken wie Im Schatten des Dämonenfürsten aus, in welchem ein Charakter schon bei der Erstellung ins Gras beißen kann. Bei Indie-Spielen, wie Mietling auf Abwegen, ist es ebenfalls sehr wahrscheinlich, dass bei der Flucht aus dem Dungeon ein oder mehrere Mietlinge den Ausgang nicht mehr erreichen. Wie die Held*innen am Anfang der Geschichte, werden auch sie Opfer der spontan erdachten, übriggelassenen Kreaturen und Fallen.

Keine Chance auf Überleben gibt es in Ten Candles, dessen Prämisse der Tod aller Charaktere am Ende der Geschichte ist. Das kann in der richtigen dramatisch-traurigen Stimmung ein schönes Gegenbild erzeugen: Weil das Ende der Erzählung bereits von Anfang an unumgänglich ist, können sich die Personen am Tisch mehr auf den Weg, die letzte Reise der Figuren, konzentrieren. Was sich, morbide betrachtet, mehr als im Hobby üblich, an der sicheren Sterblichkeit der Menschen orientiert.

In Ten Candles brennt die Lebenszeit der Charaktere im wahrsten Sinne des Wortes langsam herunter. © almir1968
In Ten Candles brennt die Lebenszeit der Charaktere im wahrsten Sinne des Wortes langsam herunter. © almir1968

Aber in Tischrollenspielen geht es nicht immer darum, eine möglichst reale Geschichte zu erzählen. Wie schon in den Märchen und Sagen der Kindheit sollen die SC, oftmals entgegen allen Chancen, etwas Unglaubliches schaffen und ihre Mission erfüllen. Folglich ist es in den meisten Abenteuern das Ziel, die Gruppe in eher gefährliche Situationen zu bringen, ohne sie zu töten. Eine schwierige Balance, die es zu halten gilt.

Den Tod im Rollenspiel gekonnt einsetzen

Unabhängig vom System gibt es viele Möglichkeiten, wie der Tod eines Charakters zum Teil der Geschichte werden kann. Die Bandbreite kann dabei von ungewollt peinlich bis epochal und heroisch reichen. Spielleitungen sollten folglich nicht einfach Gruppenmitglieder plötzlich sterben lassen, sondern der Situation angemessen reagieren. Als Denkanstoß folgen einige Überlegungen, wie, wann und warum Charaktere sterben können oder müssen.

Fehlende Motivation durch fehlende Gefahr

Das Gleichgewicht der Herausforderung ist spielmechanisch eine wichtige Einheit. Auch wenn es zunächst angenehm klingt, ein automatischer Erfolg in jeder Handlung lässt schnell Langeweile aufkommen. Zumindest bei Menschen, die sich nicht Mary Sue als SC ausgedacht haben. Sollten andersherum alle Aktionen wegen zu hoher Anforderungen scheitern, ist Frust am Spieltisch vorprogrammiert. Entsprechend muss die Spielleitung stets versuchen, im Einklang mit der Gruppe den richtigen Grad an Herausforderung ausarbeiten. Dazu gehört in einigen Systemen auch, negative Konsequenzen beim Misserfolg klar zu vermitteln.

Sterben wegen des Realismus

Wer ohne Absicherung jede Klippe herunterspringt, muss mit den Konsequenzen eines Misserfolgs leben. © MattiaATH
Wer ohne Absicherung jede Klippe herunterspringt, muss mit den Konsequenzen eines Misserfolgs leben. © MattiaATH

Manchmal sind es die äußeren Umstände und die innere Logik der Welt, weswegen ein Charakter sterben muss. Beispielsweise beim Sturz aus einer extremen Höhe, dem Fall in heiße Lava oder dem leeren Sauerstofftank im Weltall. Mit der Physik lässt sich schlecht verhandeln, selbst in eher magischen Settings. Bevor die Gruppe eine möglicherweise unbewusst tödliche Aktion startet, sollte die Spielleitung allen die Gefahren verdeutlichen. Die Spielenden haben die Chance, ihre Tat noch einmal zu überdenken und wissen, womit sie beim Würfelwurf rechnen können.

Welche Konsequenz letztendlich bevorzugt wird, hängt vom Spielstil der Spielleitung ab. Einige wollen ihre Handlung vorantreiben und deshalb nur ungern Charaktere über die Planke springen lassen. Das führt hin und wieder zu Rettungen nach dem Motto „Deus ex Machina“, um das finale Ausscheiden aus der Handlung zu stoppen. Andere hingegen verlassen sich völlig auf das Würfelergebnis. Wer stirbt, stirbt – alle anderen freuen sich über ihre geschaffte Probe.

Tod als Geschichte

Wer kennt sie nicht, die Scharen an Charakteren, die in jungen Jahren ihre Familie auf tragische Art und Weise verloren haben? Oder eine wichtige Bezugsperson, die von feindlichen Kräften niedergestreckt wurde? Wenn es um Hintergrundgeschichten im Rollenspiel geht, wird der Tod gerne als Motivation und Antrieb einer Person verwendet. Sehr viele Erzählungen in anderen Medien zeigen, dass Schmerz und Verlust Figuren emotional greifbar machen. Und sie bieten einen Grund, sich aus den vertrauten Lebensumständen aufzumachen, um nach etwas zu suchen – beispielsweise die schuldtragenden NSC. Dadurch wird von einer Handlungsperspektive zudem der eigene Charakter aufgewertet. Antagonist*innen, die für tragische Ereignisse verantwortlich sind, können endlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Manche Spielende hingegen werden in lang andauernden Kampagnen schnell vorsichtig und sentimental, wenn es um lieb gewonnene SC geht. Was verständlich ist, wenn sie sich regelmäßig mit ihrer eigens geschaffenen Figur beschäftigen und sich in sie hineinfühlen. Teilweise über mehrere zehn bis hundert Stunden hinweg haben sie die Reise ihres Charakters begleitet, schwere Entscheidungen treffen müssen oder die schönen Momente genossen. Da kann es schwerfallen, sich davon zu trennen. Vielmehr noch, wenn die Situation nicht von langer Hand geplant, sondern spontan passiert.

Entsprechend sollten Spielleitungen nicht zwingend mit Brachialkonsequenz darauf reagieren, wenn ein Charakter sterben muss. In der Regel lohnt es sich, das passende Verhalten im Ernstfall mit den Spielenden abzusprechen. Sind alle für die Konsequenzen? Kann anstatt des Todes auch ein anderes schlimmes Ergebnis in der Situation eintreten, beispielsweise ein bleibender Nachteil, wie eine fehlende Gliedmaße? Oder gibt es Möglichkeiten in der Welt, um SC wieder zurückzuholen? Wichtig wäre dabei, dass die Regelung idealerweise einheitlich für alle Gruppenmitglieder gestaltet werden muss. Sonst kann es unter anderem passieren, dass ein Charakter sich schneller in Todesgefahr stürzt, weil die Person dahinter sich weniger um das Ableben des eigenen SC sorgt.

Der richtige Zeitpunkt

Unabhängig der äußeren Umstände sollte kein Charaktertod ohne Mitspracherecht oder Beteiligung der einzelnen Person geschehen. Gerade in langen Kampagnen und Geschichten kann es sich ungerecht anfühlen, wenn ein Charakter unvermittelt stirbt. Die Spielleitung sollte daher im Vorfeld mögliche Auswege klar machen. In einigen Systemen, wie etwa Call of Cthulhu, wird dazu geraten, bei gefährlichen Entscheidungen mehrfach auf das Risiko hinzuweisen. Da in Rollenspielen meist versucht wird, gemeinsam spannende Geschichten zu erzählen, sollten die Tode außerdem die dramatischen Höhepunkte sein. Schließlich wollen die meisten Held*innen eher im Kampf gegen große Monster sterben als gegen ein paar wenige Goblins.

Gerade das letzte Aufbäumen ist ein klassischer Weg, den Tod eines Charakters einzuleiten. Selbst in Runden mit wenig Rollenspielerfahrung ist dieses bekannte Konzept eine gute Möglichkeit, der Geschichte einen spannenden Kniff zu geben. Beispielsweise kann ein Gruppenmitglied zurückbleiben und muss über mehrere Runden hinweg versuchen, die feindlichen Kräfte in Schach zu halten, während der Rest flüchtet. Oder die anderen kümmern sich um die Rettung der unschuldigen Zivilbevölkerung innerhalb des Kampfgebiets, damit der SC sich ungehindert dem*der Erzfeind*in allein stellen kann. So oder so ist der Fokus für die (wahrscheinlich) letzten Momente klar auf der Auseinandersetzung und bietet viel Raum für Dramatik.

Manchmal wählen Charaktere den sicheren Tod, um die restliche Gruppe dafür zu retten. © likozor
Manchmal wählen Charaktere den sicheren Tod, um die restliche Gruppe dafür zu retten. © likozor

Manchmal findet sich im Tod auch ein erzählerisch passendes Ende. Sich für die eigenen Ziele und Ideale, für geliebte Personen oder für das Erreichen eines höheren Ziels bis zum letzten Atemzug einzusetzen, zeugt von überaus heroischen Charaktereigenschafen. Die Spielleitung sollte hier gemeinsam mit den Spielenden Lösungen finden, wie ein solches Opfer einen Effekt auf die Welt hat. Ein sinnloser oder unbeachteter Tod führt die Geschichte nicht weiter und kann zudem für Frust am Spieltisch sorgen.

Charakter geht, Person bleibt

Nur weil ein Charakter in der Geschichte am Ende ist, muss trotzdem eine Lösung für die Person dahinter gefunden werden. Gibt es einen mitreisenden NSC, der für das weitere Geschehen übernommen werden kann? Oder steht für die nächste Szene vielleicht schon ein anderer SC als Notfallkonzept bereit? Fiese Spielleitungen könnten sich in Kämpfen auch dazu entschließen, dass Betroffene die Seiten wechseln dürfen. Statt mit der Gruppe darf nun „charakterlos“ gegen die Gruppe mit feindlichen Einheiten gekämpft werden. Es sollte nur aufgepasst werden, dass dadurch kein Lawinen-Effekt bis zum Tod aller Charaktere entsteht.

Wie schon erwähnt sollte für ein würdiges Ende allen Spielenden Zeit gelassen werden, Abschied von einem Charakter zu nehmen. Das kann von einer kleinen Abschiedsszene bis zu einer lang ausgespielten Beerdigung reichen, je nach allgemeiner Länge der Kampagne. Solche Momente können als weiterer motivierender Faktor für Rollenspiel innerhalb der Gruppe genutzt werden. Vielleicht entschließen sich die Hinterbliebenen, gemeinsam Rache im Namen der*des Verstorbenen zu nehmen. Oder sie gedenken ihm*ihr bei Bier, Wein und Met und schwelgen in schönen Erinnerungen.

Zum Abschied stoßen alle Charaktere nochmal einmal auf die verstorbene Person an. © Rawpixel
Zum Abschied stoßen alle Charaktere nochmal einmal auf die verstorbene Person an. © Rawpixel

Fazit

Der Tod ist eine stetige Begleitung im Rollenspiel. Das ist an sich nicht immer negativ. Verstorbene NSC bilden oftmals die Motivation für einen Charakter, überhaupt ins unbekannte Abenteuer aufzubrechen. Getötete Monster werden zu den ruhmreichen Taten der Gruppe gezählt. Und nicht zuletzt bestimmt die Sterblichkeit der SC selbst den Spannungsbogen der Kämpfe erheblich mit. Daher kann es je nach System sinnvoll sein, Charaktertode nicht von vornherein auszuschließen. Sollte es ein Gruppenmitglied endgültig erwischen, sollte offen über die weitere Situation geredet werden. Ob nun kurzes Abenteuer oder lange Mission – die Spielenden sollten die Möglichkeit haben, es als Höhepunkt innerhalb der Geschichte mitzugestalten. Dazu gehört mitunter die Chance, sich würdig zu verabschieden. Und wer weiß, vielleicht findet sich im Tod einer geliebten Spielfigur die Motivation für den Kampf gegen die nächste Bedrohung.

Artikelbilder: depositphotos  © wie gekennzeichnet
Titelbild: depositphotos © alin.s
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote

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