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Nach Artefakten suchen, Monsterjagden oder kleine Aufgaben erledigen – in vielen Pen-and-Paper-Spielrunden übernehmen Gruppen gerne Sidequests. Manchmal sogar so viele, dass sie gar nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Wie eine gute Balance für den Spielfluss gelingt und Questlogs trotzdem übersichtlich bleiben, erfahrt ihr hier.

Eine Geschichte besteht aus einem Anfang, einer Mitte und einem Schluss. Diese stark vereinfachte Struktur wird Menschen bereits im Kleinkindalter vermittelt. Später lernen sie, dass diese Regel aber nicht immer gilt. Die Erzählungen in Büchern, Serien, Filmen und Videospielen werden nach und nach komplexer und präsentieren am Rande andere kleine Schauplätze, die von der eigentlichen Handlung abweichen. Statt zu stören, werten sie oftmals sogar das Erlebnis auf, in dem sie die Welt größer und lebendiger wirken lassen.

Das gleiche Prinzip findet sich auch in Pen-and-Paper-Rollenspielen wieder. Auch hier folgt die Gruppe am Spieltisch einer großen Erzählung, die die Spielleitung für sie vorbereitet hat. Daneben gibt es jedoch zahlreiche Umwege und kleine Geschichten, die parallel dazu erkundet werden können. Was eine gute Nebenmission ausmacht und ab wann es sich eher um eine Ablenkung handelt, wird im Weiteren erläutert.

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Was ist eine Sidequest? Eine Annäherung

Um tiefer in das Thema einzusteigen, wird zunächst eine genauere Definition benötigt. Hierzu sei auf das Lexikon der USK verwiesen, welche den Begriff Quest für PC- und Konsolenspiele einordnet. So stehe das Wort „für eine Aufgabe im Sinne einer größer angelegten Suche oder Aufgabe, die Suchende vor große Herausforderungen stellt. Dabei kann die Quest sowohl eine große, spielübergreifende Aufgabe sein, die die Spielfigur über eine sehr lange Zeit beschäftigt.“

Davon zu unterscheiden sei die Sidequest als eine „Seitenmission“, welche optional sei: „Das heißt: Man muss sie nicht erfüllen, um zum Spielende zu gelangen, sondern sie sind rein freiwillig.“ Der Zweck bestehe darin, Spielende vor zusätzliche Herausforderungen zu stellen, für die es im Gegenzug besondere Gegenstände, Erfahrungspunkte oder andere Boni gibt. Außerdem werde damit die Hintergrundgeschichte der Spielwelt erweitert. Diese Erläuterung lässt sich sehr gut auf Pen-and-Paper-Rollenspiele übertragen.

Gute und schlechte Sidequests

Größe und Komplexität können sich von Sidequest zu Sidequest, ähnlich wie bei Videorollenspielen, stark unterscheiden. Will ein NSC zum Beispiel auf Level 1 eine kleine Aufgabe im Dorf erledigt wissen, können später deutlich anspruchsvollere Aufgabenstellungen auftreten. Dazu zählt etwa in Verkleidung einen bekannten Unterschlupf einer gegnerischen Fraktion zu durchsuchen, ohne erwischt zu werden. Oder Teile eines alten Artefaktes sammeln, welche jeweils von Bestien bewacht werden. Grenzen sind lediglich durch die Kreativität der Spielleitung gesetzt.

Wichtig dabei ist, dass die Spielenden ein klares Interesse an der Erfüllung haben. Sollte die Belohnung womöglich als zu gering bewertet werden, könnte es zur Nachverhandlung um weiteres Gold kommen. Hinzu kommt die nötige Varianz. Wer zehn Mal in den gleichen Wald geschickt wird, um Zutaten für Tränke oder Materialien für Rüstungen zu sammeln, wird beim elften Auftrag vermutlich abwinken. Monotone Arbeiten sind keine Held*innen-Aufgabe. Schließlich haben sich die Spielenden eingefunden, um gemeinsam Rollenspiel zu betreiben und nicht eine Einkaufsliste eines NSC abzuarbeiten.

Ich zeig dir die Welt

Der übergeordnete Reiz einer guten Sidequest besteht in der freien Auswahl durch die Gruppe. Es wird gemeinsam bestimmt, ob die Charaktere womöglich die dunkle Höhle auf Spuren von Bandit*innen untersuchen oder lieber den Tag in Ruhe mit einer Tasse Tee verbringen wollen. Vermutlich werden sich die meisten für die Erkundung entscheiden, um die Handlung voranzutreiben. Dazu verpflichtet sind sie aber nicht.

Mit Nebenmissionen können Charaktere ganz andere Umgebungen erkunden.
Mit Nebenmissionen können Charaktere ganz andere Umgebungen erkunden. © iakovenko123

In zusätzlichen Nebenmissionen kann daher der Hintergrund und die Geschichte der Welt deutlich erweitert werden. Beispielsweise kann in der Kampagne selbst nur am Rande ein alter Magiezirkel erwähnt werden, der sonst keine weitere Bewandtnis zu haben scheint. Sollte die Spielleitung das Interesse der Spielenden an einem Besuch des Zirkels spüren, lässt sich dies über eine Sidequest einbinden. Die Charaktere lernen so mehr über ihre Umgebung und finden im besten Fall weitere Gründe, an der Lösung der Haupterzählung zu arbeiten.

Mehr Fokus für Charaktere

Kleinere Missionen können in einer Kampagne ebenfalls dafür genutzt werden, speziell auf die Hintergrundgeschichte einzelner Charaktere einzugehen. Das kann vielleicht ein alter Kontakt aus einer Gilde sein, der die Erfüllung eines alten Versprechens einfordert oder eine nahestehende Person, die Hilfe benötigt. Wenn die Gruppe den Auftrag annimmt, können sie mehr über die Vergangenheit des jeweiligen SC erfahren. Der*Die Spielende hingegen kann den Fokus nutzen, um neue Aspekte im Spiel zu erkunden. Ändert sich beispielsweise das Verhalten nach Außen durch die zusätzliche Motivation? Oder kann mit der erfüllten Aufgabe ein früherer Fehler behoben werden? Diese Situationen helfen, noch mehr über die eigenen Motivationen der dargestellten Person zu erfahren.

Romantische Dates können tolle Nebenmissionen sein.
Romantische Dates können tolle Nebenmissionen sein. © Leonid_Eremeychuk

Wenn es zu viel wird

Sidequests sind, wie oben bereits formuliert, im besten Falle ein interessanter Bonus zur übergeordneten Handlung. Sie sollen weitere Anreize schaffen, nicht aber von der eigentlichen Aufgabe ablenken. Deshalb sollten Spielleitungen ihre Gruppe nicht mit zu vielen Missionen überfordern. Die Situation ähnelt der vor einem Supermarkt-Regal, wo mehrere Sorten Marmelade präsentiert werden. Bei unzähligen Auswahlmöglichkeiten besteht die Gefahr, dass sich die Personen am Tisch überfordert fühlen.

Besonders dramatisch wird die Unentschlossenheit, wenn nicht alle Aufgaben an einem Ort zu erledigen sind. Teilt sich die Gruppe auf, weil nicht alle mit zur Erkundung der Ruine nach Norden ziehen wollen? Was spricht gegen die Kopfgeldjagd im Süden? Solche und ähnliche Fragen werden dann ausgiebig am Tisch diskutiert. Im schlechtesten Falle so lange, dass der für die Sitzung geplante Kampf oder die coole Szene wegen Zeitmangel auf das nächste Mal verschoben werden muss.

Zu viele Sidequests fühlen sich wie ein überquellender Aktenschrank an …
Zu viele Sidequests fühlen sich wie ein überquellender Aktenschrank an … © Zulfiska

Sehr hilfreich für die Übersicht ist hier ein klassisches Questlog, welches von der Spielleitung oder den Spielenden selbst befüllt wird. Dort werden alle aktuellen Stränge und möglichen Aufträge geordnet festgehalten, zusammen mit möglichen Belohnungen oder Zeitangaben. Übergeordnet steht hier die Hauptquest, die nicht allzu sehr auf die lange Bank geschoben werden sollte. Andernfalls könnten Konsequenzen drohen.

Zu langes Aufschieben von Sidequests

Manchmal sind die gestellten Aufgaben an die Charaktere mit einer zeitlichen Frist versehen. Beispielsweise müssen für einen Kochwettbewerb am morgigen Tag noch einige Zutaten gesammelt oder ein Paket noch vor dem kommenden Vollmond abgegeben werden. In solchen Fällen kann die Gruppe mit der Erfüllung nicht allzu lange warten, wenn sie auf die versprochene Entlohnung hofft. Sollte es dennoch zu lange gedauert haben, kann die Spielleitung ebenso die nicht erfüllte Aufgabe mit interessanten Konsequenzen verarbeiten. Dazu folgen einige Beispiele:

Das wurde bereits erledigt

In einer Welt voller Gefahren gibt es zahlreiche Abenteurer*innen, die genauso gut aushelfen können. Und wer sagt, dass der*die Händler*in nur die Charaktere um Hilfe gebeten hat? Getreu dem Motto „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ können Aufgaben zwischenzeitlich bereits erledigt worden sein. Perfide Spielleitungen könnten darauf aufbauend beispielsweise eine konkurrierende Partei an Abenteurer*innen in der Erzählung auftreten lassen. Diese kann wiederkehrend übersehene Aufgaben erfüllen und anstatt der Gruppe selbst die Belohnung einstreichen. So entwickelt sich fast von allein ein interessanter Konkurrenzkampf, der die Spielenden zusätzlich für Nebenmissionen motivieren kann.

Jede Hilfe kommt zu spät

Etwas tragischer wird es, wenn die angedeutete Bedrohung bereits die Überhand gewonnen hat. Unter anderem könnten Charaktere etwa feststellen, dass sie mit ihrem geplanten Heilritual nicht rechtzeitig erscheinen und nur das Ableben einer Person feststellen können. Oder sie finden Hinweise auf eine Entführung, weil die genannte Geldsumme nicht rechtzeitig überwiesen werden konnte. Nun darf keine Zeit mehr verloren werden, denn die neue Sidequest zur Rettung des geschätzten NSC ruft!

Ich habe euch vertraut!

Mit großem Vertrauensvorschuss in die Gruppe hatte sich der*die Auftraggeber*in auf die Charaktere verlassen. Das hat sich bitter gerächt, denn diese blieben monatelang fern. Egal, ob die Gründe gerechtfertigt sein mögen, hat sich bei dem NSC vielleicht Wut und Frust aufgebaut. Ab jetzt sollte die Gruppe ein besonderes Auge auf ihre Umgebung haben, denn der angeheuerte Prügelmob bereitet bereits die angeforderte Vergeltung vor …

Sidequests – Eine gute Ergänzung für die Runde

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine gut platzierte Sidequest definitiv die eigene Pen-and-Paper-Runde aufwerten kann. Spielende haben die Möglichkeit, sich anderen Herausforderungen zu stellen. Als Belohnung winken zudem besondere Gegenstände, Erfahrungspunkte oder andere Boni, welche in der weiteren Hauptquest eine große Hilfe sein können.

Worauf wartet ihr? Geht los und erlebt eine (Side-)Quest!
Worauf wartet ihr? Geht los und erlebt eine (Side-)Quest! © ChristianChan

Spielleitungen können mit Nebenmissionen die eigentliche Erzählung auflockern und neue Impulse setzen. Sie sollten jedoch versuchen, die Auswahl der Nebenmissionen nicht zu überstrapazieren. Andernfalls kann es passieren, dass die Auswahl des nächsten Ziels zu lange dauert. Zudem sollten die Charaktere nicht ihre eigentliche Aufgabe aus dem Blick verlieren, wenn sie die Kampagne noch beenden wollen. Um eine gute Übersicht zu allen laufenden Optionen zu behalten, lohnt es sich sehr einen ordentlichen Questlog zu führen.

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Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote

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