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Dungeon World verbindet seit 2012 die klassischen Fantasy-Themen des Old-School Rollenspiels mit innovativen Narrativregeln. Zusammen mit dem Grundregelwerk hat System Matters zur Spiel 2017 mit Diener der Aschenkönigin auch ein erstes Abenteuer übersetzt. Um den ungewöhnlichen Aufbau des Abenteuers angemessen bewerten zu können, haben wir gleich drei Spieltests durchgeführt.

Zur Spiel 2017 veröffentlichte System Matters die deutsche Übersetzung von Dungeon World. Früher als erwartet hielten Vorbesteller schon auf der Messe ein sehr ansprechend gestaltetes Grundregelwerk in Händen. Und, falls im Vorfeld ebenfalls bestellt oder als Spontankauf, auch ein kleines Heftchen im Comic-Look. Unter dem Titel Diener der Aschenkönigin konnte mit einem ersten Abenteuer direkt gespielt werden.

Um dem Produkt auf den Zahn zu fühlen hätten wir nach normaler Vorgehensweise eine Spielgruppe versammelt, Charaktere erschaffen, das Abenteuer gemeinsam erlebt und im Nachgang bewertet. Diener der Aschenkönigin bietet aber bewusst nur die Versatzstücke einer Abenteuerhandlung an. Beim Leiten der Geschichte ist der Spielleiter angehalten, einem der obersten Credos von Dungeon World zu folgen: Spiele, um zu sehen, was passiert.

Da Zeit und Muße es zuließen, habe ich mich also entschlossen, nicht nur einen, sondern gleich drei Spieltests durchzuführen. Jeweils als One-Shot konzipiert, habe ich mit insgesamt zwölf Spielern in drei Gruppen Charaktere erstellt und sie auf dem Vulkan tanzen lassen.

Drei Mal haben wir Diener der Aschenkönigin gespielt. Drei Mal haben wir gesehen, was passiert.

Die Spielwelt & Regeln und Charaktererschaffung

Dungeon World verfolgt seit seinem Erscheinen 2012 ein ungewöhnliches Ziel. Die Macher des Spiels bedienen sich der klassischen Hintergrundelemente von Verliesen und Drachen, lassen Paladine und Barbaren Schätze finden und verzichten nur deshalb auf fliegende Augenbälle, weil geltendes Copyright den Riegel vorschiebt.

Die Regeln des Spiels weichen aber völlig vom Gygax’schen Vorbild ab und lehnen sich stattdessen an Vincent Baker an. Mit den Mechaniken seiner Apocalypse World wird aus der W20-Fantasy eine 2W6-Fiktion. Diese zwei W6 werden zur Ausführung aller Aktionen der Charaktere geworfen und mit einem Modifikator je nach Attribut versehen.

Am Ende gilt stets: Alle Ergebnisse von 10 oder mehr stellen einen vollen Erfolg dar. Liegt der Wurf zwischen 7 und 9, ist ein Teilerfolg errungen, der durch Komplikationen getrübt wird. Bei 6 oder weniger übernimmt der Spielleiter und darf beschreiben, wie und warum gerade alles schiefgeht.

Neben unseren Artikeln zur englischsprachigen Ausgabe empfehle ich allen Interessierten die System Matters-Podcasts zum Spiel. In bisher neun Folgen werden die Regeln und Spielphilosophien verständlich und unterhaltsam präsentiert.

Das Abenteuer

Anders als viele Kaufabenteuer bietet Diener der Aschenkönigin keinen durchgehenden Plot. Es gibt einen Aufhänger für die Handlung in Form eines Kultes der Gildarthe, ihres Zeichens Halbgöttin des Feuers und namensgebende Aschenkönigin. Unter der Führung eines Magiers, der unsterblich in Gildarthe verliebt ist, versucht der Kult, seine Göttin aus der Gefangenschaft zu befreien.

Gefangen ist sie wegen eines Versuchs, die Welt zu verbrennen, der von Hvitr, dem Götterkönig und Herrn der Gerechtigkeit, vereitelt wurde. Er schloss die Widersacherin in einem Vulkan unter seinem Kloster ein, das Opfer der Lavamassen wurde. Wenn die Charaktere nicht eingreifen, wird Gildarthe befreit werden und Zerstörung droht.

Die Grundidee wirkt sehr generisch und wenig innovativ. Der genaue Ablauf des Abenteuers hängt aber völlig von den Entscheidungen der Spieler und des Spielleiters ab. Das Heft bietet lediglich Versatzstücke in Form von Orten, Gegnern und Gegenständen, die genutzt werden können. Ob und wie diese Elemente genutzt werden, ist bewusst offen gehalten.

Für einen kreativen Spielleiter finden sich aber auf jeden Fall genug Werkzeuge und Inhalte, um eine individuelle Geschichte zu erschaffen. Alle Testrunden fanden innerhalb einer Sitzung statt, der Inhalt des Abenteuers kann aber je nach Spielweise sicherlich zwei bis drei Spielabende füllen.

Spielbericht 1: Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben

Im ersten Test des Abenteuers stellte sich schnell heraus, dass das Klischee der Grundhandlung leicht auszuhebeln ist, indem die Spieler keine strahlenden Helden verkörpern.

Der Barbar der Gruppe suchte in den Katakomben des zerstörten Klosters lediglich nach Herausforderungen, der Dieb war bereit, die heiligen Relikte des Hvitr meistbietend zu verschachern. Die Magierin ließ nichts unversucht, um den Kultanführer zu beseitigen, allerdings nur mit dem Ziel, das Siegel zur Feuerebene selbst zu brechen, und so unglaubliche Zerstörungsmacht zu erlangen. Lediglich die Druidin zeigte altruistische Züge und befreite entführte Dorfbewohner.

Das Ende des Abenteuers war dann auch nicht der Kampf gegen den verrückten Magier, sondern gegen die eigene Gefährtin, die bereit war, die Welt brennen zu sehen. Im Sterben liegend bot ihr der Tod eine zweite Chance, wenn sie bereit wäre, von ihrem schändlichen Ziel abzulassen. Sie lehnte ab und erlag ihren Verletzungen.

Spielbericht 2: Das Geheimnis des Feuers

Auch im zweiten Test zeigte sich der Reiz des Verbotenen, den das Ritual des Siegelbrechens auf manche Spieler auszuüben scheint. Hier erlag ihm die Barbarin, auf der Suche nach dem Geheimnis des kalten Feuers. Die Spielerin hatte sich diese Queste als Teil der Kultur ihres Charakters ausgedacht und dadurch eine interessante Motivation erschaffen.

Begleitet von Dieb, Kämpferin, Druidin und Magier, stieg die Barbarin also in den Vulkan hinab. Nach einem finalen Kampf auf dem göttlichen Siegel und dem Tod des obersten Kultisten bildete sich eine Art Mexican standoff zwischen den Charakteren.

Der besonnene Magier schaffte es allerdings, eine göttliche Intervention zu erwirken, bevor Blut fließen musste. Er rief die oberste Heilige des Hvitr an, deren Geist herabstieg und der Barbarin vor Augen führte, welche Konsequenzen ihr Handeln hätte.

Nach einer Vision der absoluten Zerstörung erwachte die Geläuterte und wurde von kaltem Elmsfeuer umspielt. Auf diese Weise am Ende ihrer Queste angelangt, sah sie davon ab, das Siegel brechen zu wollen.

Spielbericht 3: Die Geburt eines Ordens

Der dritte Spieltest bereicherte den Gratis-Rollenspiel-Tag 2018. Anders als bei den Vorgängerrunden war hier niemand an einer Welt in Flammen interessiert. Der Paladin tat alles, um das Siegel intakt zu halten, der Waldläufer wollte die Schönheit der Natur nicht dem Feuer anheim fallen lassen. Der Dieb der Truppe hatte es eher auf materiellen Gewinn abgesehen, war aber ebenfalls der Meinung, dass seine Geschäfte nicht durch einen Weltenbrand gefördert werden.

Mit Cleverness und den Waffen einer Heiligen schaffte es die Gruppe überraschend schnell, den wahnsinnigen Magier ins Jenseits zu befördern. Um aber sicherzugehen, dass niemand seinem Beispiel folgen würde, musste noch der Aschenstab zerstört werden, ein Artefakt der Gildarthe, das der Magier geführt hatte.

Um die Zerstörung durchführen zu können, mussten die Helden eines von drei Relikten des Hvitr wählen und verdienen. Die Wahl fiel auf Jafnir, den Donnerhammer, mit dem der Stab zerschmettert wurde.

Die freigesetzte Feuerenergie manifestierte sich in Kriegern der Sengenden Heerschar. Im folgenden finalen Kampf drohte der Paladin das Zeitliche zu segnen, stand aber mit dem Auftrag seiner Göttin, einen Ritterorden in ihrem Namen zu gründen, wieder auf. Mit einem göttlichen Befehl verwandelte er die verbliebenen Feuerkrieger in Kreaturen der Erde und machte aus ihnen die ersten Gefolgsleute seiner Ritterschaft.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Dungeon World verlangt vom Spielleiter das Talent zur Improvisation. Diener der Aschenkönigin macht da keine Ausnahme. Wer als Spielleiter auf volle Kontrolle durch minutiöse Vorbereitung setzt, lässt besser die Finger von Abenteuer und System.

Wer aber bereit ist, spontan zu reagieren, und nicht zu sehr an im Vorfeld gemachten Plänen hängt, wird positiv überrascht werden, wohin sich die Geschichte entwickelt. Die Vorbereitungsarbeit ist minimal, auch im laufenden Spiel muss wenig nachgelesen werden. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Drei Spielrunden und drei tolle Geschichten zeigen, dass Abenteuer und System funktionieren.

Lediglich die Einbettung des Szenarios in eine laufende Kampagne dürfte Schwierigkeiten verursachen. Das Abenteuer etabliert mystische Figuren wie den König der Götter. Dungeon World sieht aber eigentlich vor, die Spielwelt und ihre Mythologie gemeinsam mit den Spielern zu erschaffen. Um Hvitr und Gildarthe also in eine bereits generierte Götterwelt einzuarbeiten, wird einiges an Aufwand nötig sein, damit sich die Elemente nicht wie Fremdkörper anfühlen.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Keiner der zwölf Spieler, die das Abenteuer getestet haben, hatte im Vorfeld Erfahrungen mit Dungeon World, die über einen One-Shot hinausgingen. Trotzdem haben sich kaum nennenswerte Schwierigkeiten mit dem Regelsystem ergeben.

Einzelaspekte wie das Fehlen einer festen Initiativeregelung irritieren gerade alte Hasen am Anfang, aber es stellt sich schnell Gewöhnung ein. Dabei helfen die Übersichtsblätter und Spielbücher, die alle Fertigkeiten und Möglichkeiten der Charaktere gebündelt zusammenfassen.

Dass die Charaktere relativ archetypisch ausfallen, hat niemanden gestört. Die vorhandenen Möglichkeiten zur Individualisierung sind genutzt worden, und dadurch hatte jeder Spieler das Gefühl, nicht einen, sondern seinen Charakter zu verkörpern.

Besondere Begeisterung hervorgerufen hat die Regelung, dass jeder Misserfolg bei einem Würfelwurf zusätzliche Erfahrung für den Charakter bedeutet. Aus Fehlern lernt man, und mit dieser kleinen Belohnung hat sich kein Spieler über Würfelpech geärgert.

Selbst wenn das Würfelpech einen Helden an die Schwelle des Todes gebracht hat, hat das dem Spielspaß keinen Abbruch getan. Dungeon World bietet für solche Fälle die Chance, vielleicht noch einen Handel mit dem Tod abzuschließen. Diese Option hat allen Spielern sehr gefallen.

Die Bande, vorgefertigte Beziehungen, denen man die anderen Charaktere zuordnet, haben ebenfalls großen Anklang gefunden. Obwohl gerade erst erschaffen, gab es unter den Mitgliedern der Abenteurergruppe direkt ein soziales Geflecht, das das Spiel bereichert hat.

Allen Spielern der drei Spieltests sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Es war ein riesiger Spaß, mit euch das Abenteuer immer wieder aufs Neue zu erleben!

Die harten Fakten:

  • Verlag: System Matters
  • Autor(en): Jason Lutes
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: A5 Softcover, PDF
  • Seitenanzahl: 28
  • ISBN: –
  • Preis: 9,95 EUR, 4,95 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Sphärenmeister, PDF über die Verlagshomepage

 

Bonus/Downloadcontent

Die vorgefertigten Spielbücher der einzelnen Klassen, die auf der Verlagshomepage angeboten werden, sind sehr zu empfehlen. Gerade neue Spieler finden sich hier sehr schnell zurecht und müssen sich nur sehr wenig notieren. Auch die Charaktererschaffung wird durch die Nutzung sehr beschleunigt.

Mit den Referenzbogen für Grund- und Sonderspielzüge haben die Spieler dann alle relevanten Regeln an der Hand, Nachschlagen im Regelwerk entfällt größtenteils.

Fazit

Ein Abenteuerband, der mit minimaler Vorbereitung gleich drei Spielgruppen erfreuen kann, kann nicht wirklich enttäuschen. Alle Kritik an Diener der Aschenkönigin findet auf hohem Niveau statt.

Das Abenteuer bietet in seiner Grundidee Althergebrachtes. Ein Kult um einen bösen Zauberer, ein Ritual, das ultimative Zerstörung ermöglicht und eine Gruppe Abenteurer, die sich unter Zeitdruck durch einen Dungeon arbeitet, um dem Schurken das Handwerk zu legen.

Was klischeebehaftet wirkt, entfaltet mit Hilfe der Regeln von Dungeon World eine grandiose Eigendynamik. Der rudimentäre Plot, der angeboten wird, erweitert sich im laufenden Spiel auf mitunter völlig unerwartete Weise. Wer als Spielleiter ein wenig improvisiert, wird vom Abenteuer und vom Regelsystem gestützt und erlebt jeden Durchlauf der Geschichte ganz anders.

Improvisation und Versatzstücke von Plotvorschlägen führen zum Ziel.

Wer hingegen einen festgefügten Ablauf aller Ereignisse erwartet, wird enttäuscht werden. Jason Lutes hat bewusst darauf verzichtet, Dinge in Stein zu meißeln. Damit bedient er klar die Philosophie von Dungeon World, Lücken zu lassen, die erst im Spiel gefüllt werden.

Diese Lücken müssen leider im Vorfeld sehr groß bemessen sein, wenn das Abenteuer Teil einer laufenden Kampagne werden soll. Das Abenteuer etabliert mehrere mythologische Aspekte, die nicht mit jeder Kampagnenwelt vereinbar sein dürften. Diese Schwierigkeit der Integration in bestehende Spielrunden kostet das Produkt die Höchstwertung.

Als One-Shot oder Kampagnenstarter leistet Diener der Aschenkönigin aber ganze Arbeit. Die angebotenen Versatzstücke funktionieren durch die Bank weg und fügen sich mit den Ideen und Aktionen der Spielgruppe formschön zusammen.

Am Ende stellen Spieler und vor allem Spielleiter fest, dass die Reise schon das eigentliche Ziel gewesen ist. Vielleicht ist man nicht dort angekommen, wo man ursprünglich hinwollte, aber manchmal ist dieses neue Ziel sogar noch schöner. Und unterwegs hatten alle eine Menge Spaß.

Bei solchen Voraussetzungen kann jede Gruppe gedankenlos die Reise zum Vulkan wagen und der Aschenkönigin einen Besuch abstatten.

Artikelbilder: System Matters, bearbeitet von Roger Lewin
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

1 Kommentar

  1. Moin Felix,
    schöne Rezension. Du bringst ziemlich gut auf den Punkt was ein vorgefertigtes Abenteuer in der Dungeon World ausmacht.
    Deine Kritik, andererseits kann ich nicht wircklich nachvollziehen. Es wird weniger drauf gedrängt ganz bestimmte mythologische Aspekte in die Welt mit aufzunehmen, als dass grobe Schablonen verwendet werden, wie sie in fast jedem Fantasy Pantheon vorhanden sind. Die Namen und ähnliches habe ich eher als beiwerk für oneshoots wahrgenommen

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