Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

So mancher Cthulhu-Spieler hat sich wahrscheinlich schon oft gefragt, was geschieht, wenn einer der Großen Alten erwacht, oder sich ein Äußerer Gott unserer Welt zuwendet. Der Weltuntergang scheint dann unausweichlich – oder? Der Band Apokalypsen konfrontiert die Spieler mit dem Weltende. Können sie es abwenden?

Der Weltuntergang ist ein bekanntes aber eher seltenes Motiv in mitreißenden Rollenspielrunden. Zwar gilt gerne das Klischee des weltenrettenden Helden, aber die meisten Abenteuer, die man für Geld erwerben kann, lassen einen dann meistens doch nur – wenn überhaupt – eine einzelne Region oder eine bestimmte Gruppe von Personen retten. 

Streng genommen ist natürlich jede gute Tat ein Beitrag zur Rettung der Welt. Gerade dann, wenn man einem finsteren Schwarzmagier, skrupellosen Waffenhändler oder blutrünstigen Weltraum-Piraten das Handwerk gelegt hat, hat man wahrscheinlich einen Beitrag zum Erhalt der bekannten Welt geleistet. 

Selbst im Horror-Rollenspiel Cthulhu kann es bisweilen zu solchen lichten Momenten kommen, auch wenn es für die Spieler meistens in erster Linie darum geht, eine spannende Geschichte zu erleben, deren Ausgang nicht zwingend ein Happy End sein muss. Doch wenn ein undurchsichtiger Kult an einer Beschwörung gehindert werden kann, ist dies wahrscheinlich nur gut für den Rest der Welt und die glücklichen Unwissenden, die davon nichts mitbekommen haben. Der Kampagnen-Band Apokalypsen widmet sich dem rollenspielerischen Umgang mit dem Weltuntergang mit einer allgemeinen Spielhilfe zum Thema und fünf Abenteuerszenarien.

Apokalypsen – Rollenspiel im Weltuntergang 

Apokalypsen beginnt mit einem allgemeinen Teil, der darstellt, wie der Weltuntergang am Spieltisch ausgestaltet werden kann. Natürlich beziehen sich die Beschreibungen auf Cthulhu und gehen dabei teilweise auch sehr in Details der Spielwelt. Dennoch können viele der Punkte auch als Impulse für andere Systeme genommen werden, wenn man Endzeit, Apokalypse oder Post-Apokalypse an den Spieltisch bringen möchte. 

Interessant sind sicherlich die Beschreibungen, welche Ausmaße und Ausprägungen die Apokalypse erreicht, je nachdem welcher Große Alte die Erde ins Visier nimmt. Diese mächtigen Wesen lauern in der Spielwelt von Cthulhu entweder in entlegenen Winkeln der Erde oder in den Tiefen des Alls. Viele von ihnen verfügen über Kräfte, mit denen die meisten von ihnen mühelos die Menschheit unterwerfen oder ausrotten können. 

Dies kann jedoch auf höchst unterschiedliche Weise geschehen, wie dieser Teil der Spielhilfe zeigt. Wenn zum Beispiel der Große Alte Cthulhu, der prominente Namensgeber des Rollenspiels, sich aus dem Pazifik erhebt, verliert ein Großteil der Menschheit den Verstand, während eingeweihte Kultisten jubelnd die ersten Gewaltexzesse starten. Der intrigante Nyarlathotep hingegen, verwandelt sich in einen Menschen und versucht als Politiker die Macht über einen Großteil der Welt an sich zu reißen. Die Alleinherrschaft wäre ihm jedoch zu langweilig, weshalb er Gegenspieler weiter existieren lässt. Andere Große Alte wie Chaugnar Faugn oder Eihort treten Umwälzungen los, die nur einen Kontinent betreffen.

Insgesamt sind die verschiedenen Weltuntergänge in Apokalypsen gut beschrieben. Es wird darauf eingegangen, was der jeweilige Große Alte plant, was in den ersten 100 Tagen nach seinem Erscheinen geschieht und wie die Welt nach einer Menschengeneration aussieht. Ohne tieferes Wissen über die Spielwelt sind einige Details jedoch nur schwer zu verstehen. Hier wären ein Verweis mit Seitenangabe auf andere Spielhilfen oder ergänzende Informationen hilfreich gewesen. 

Eine neue Eiszeit?

Blick ins Buch
Blick ins Buch

Das erste der fünf enthaltenen Szenarien ist Kaltes Licht. Es führt die Investigatoren ins stets verschneite Alaska, wo sie einem Vermisstenfall nachgehen sollen. Am Zielort angekommen, stellen sie fest, dass dieser von einer Bedrohung heimgesucht wird, die bald zu einer Gefahr für andere Regionen werden kann. Sie haben aber immer noch die Möglichkeit, mit Verstand und Waffengewalt weitere Katastrophen abzuwenden.

Das Szenario führt die Investigatoren an einen übersichtlichen, aber frei erkundbaren Ort. Autor Marcel Durer hat eine kleine Sandbox am Ende der Welt geschaffen, in der sich die Spielercharaktere frei bewegen und nach einem Ausweg aus ihrem Schlamassel suchen können. Eine entschlussfreudige und mental belastbare Gruppe kann hier zwar den Tag retten, doch auch der Fall ihres Scheiterns wurde vom Autor bedacht und kann unterhaltsam ausgespielt werden. 

Jahrhundertwinter von Kaid Ramdani konfrontiert die Investigatoren mit einer ähnlich frostigen Bedrohung, ist jedoch ein etwas lineareres Szenario. Dafür gibt es aber auch mehrere Schauplätze zu bereise und Geheimnisse zu entdecken. Scheitern die Charaktere am Ende dieser Reise durch Tschechien im Jahrhundertwinter 1928/29, droht der Welt ein ewig eisiger Griff. Falls sie scheitern, sind sie vermutlich nicht mehr spielbar, den weiteren Verlauf des Weltuntergangs beschreibt der Autor entsprechend nur grob. Detailliert kann man ihn aber im allgemeinen Teil von Apokalypsen nachschlagen.

Anzeige – Das Gamemaster-Magnetbrett

Eine Welt retten, die bereits untergegangen ist? 

Das Moebius-Band von Andreas Osterroth schleudert die Spielercharaktere mitten in einen bereits geschehenden Weltuntergang. Ein Großer Alter hat sich erhoben und binnen weniger Wochen den Großteil der Menschheit ausgelöscht. Die Investigatoren gehören zu den wenigen Überlebenden dieser Katastrophe und müssen sich zunächst in einem beklemmenden Szenario mit ihrem Schicksal anfreunden, bis ihnen auf einmal doch eine Lösung über den Weg läuft.

Spoiler

Cthulhu herrscht über die Welt, was eine ehemalige Kultistin und eifrige Erfinderin jedoch nicht zulassen möchte. Sie hat eine Zeitmaschine gebaut, mit deren Hilfe sie Cthulhus Erwachen verhindern möchte. Daraus ergibt sich ein spannendes, aber auch hochkomplexes Szenario, in dem die Spielercharaktere einzelne Szenen mehrfach in Form von Zeitschleifen durchlaufen müssen, um weitere Hinweise zu sammeln. 

[Einklappen]

Die komplexen Abläufe dieses Szenarios machen es zu einer großen, aber machbaren Herausforderung für den Spielleiter. Dennoch ist zu befürchten, dass Das Moebius-Band, das aufgrund seiner dichten und komplexen Handlung einige Abende Spielzeit benötigt, leicht zur Unübersichtlichkeit zerfasern kann. Hier fehlt dem Autor dieser Zeilen zwar der Praxistest, die hohen Anforderungen an Spielleiter und Spieler sind jedoch bereits erkennbar. Dank der außergewöhnlichen Handlung sollte sich der Aufwand allerdings lohnen. 

Blick ins Buch
Blick ins Buch

Auswege aus den Apokalypsen? 

Bei Oneironauten von Julia Knobloch handelt es sich ebenfalls um ein sehr komplexes Szenario, dass jedoch darauf angelegt ist, eine größere Reise darzustellen, bei der es natürlich um die Rettung der Welt geht. Zwar können auch die Investigatoren nicht verhindern, dass die Welt ihr Gesicht verändert, diese Entwicklung aber noch in einigermaßen glimpfliche Bahnen lenken. Wahrscheinlich ist dies das fantasievollste Abenteuer in Apokalypsen, bedarf aber auch einer gründlichen Vorbereitung. 

Spoiler

Traumlande und reale Welt vermischen sich in diesem Abenteuer, ausgelöst durch die Taten des Großen Alten Atlach-Nacha. Ziel der Spielercharaktere ist es, die Pläne des Großen Alten zu vereiteln, auch wenn sie die Verflechtung der beiden Welten nicht ohne Weiteres verhindern können. Die spektakulären Ausflüge in die Traumlande geben diesem Szenario ein abenteuerliches Flair und eine Leichtigkeit, die dem Rest des Bandes abgeht. 

[Einklappen]

Den Band Apokalypsen schließt Die Brut, ebenfalls geschrieben von Andreas Osterroth. Das Szenario ist für einen Spielabend gedacht und schleudert die Charaktere in einen Weltuntergang, der durch seine schlichte Endgültigkeit besonders grausam erscheint. Hier steht das individuelle Überleben der Investigatoren im Vordergrund, nicht die Rettung der Welt. Während um sie herum immer mehr Menschen einer seltsamen Infektion anheimfallen, wollen sie einfach nur überleben. Ein spannendes, aber auch düsteres Szenario, das schnell für Paranoia unter den Spielern sorgen dürfte. 

Erscheinungsbild

Der Band ist im schlichten Schwarzweiß gehalten und verfügt über ein übersichtliches Layout. Die Handouts sind gut gestaltet, die Karten der ersten beiden Szenarien besonders gut gelungen. Auch sprachlich bewegt sich der Band auf einem hohen, beinahe fehlerfreien Niveau. 

Wie auch in anderen Cthulhu-Publikationen, werden in Apokalypsen zudem Schwarzweiß-Fotografien eingesetzt, um das Geschehen zu untermalen. Da in diesem Band jedoch ausnahmsweise das Grauen mehr als nur sichtbar wird und die Investigatoren in den meisten Szenarien ihren Gegenspielern, auch manch Großem Alten, Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, wären aussagekräftige Darstellungen der Gegenspieler sinnvoll gewesen. 

So taucht zum Beispiel im ersten Szenario an einem Nebenschauplatz ein Mythos-Wesen auf, das nur sehr bruchstückhaft beschrieben wird. Kenner des Spielhintergrunds werden wahrscheinlich dennoch eine Vorstellung des Gegners haben. Anders verhält es sich beim Gegenspieler, der sich im Finale zeigt, der – zumindest soweit der Autor dieser Zeilen es überblickt – bisher noch nie beschrieben wurde. In diesem und auch anderen Fällen wäre zumindest eine skizzenhafte Darstellung angebracht gewesen. Dies ist aber auch das einzige Haar in der Suppe eines ansonsten sehr stimmig gestalteten Bandes. 

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autoren: Marcel Durer, Kaid Ramdani, Andreas Osterroth, Julia Knobloch
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover / PDF
  • Seitenanzahl: 202
  • ISBN: 978-3-95789-221-8
  • Preis: 19,95 Euro
  • BezugsquelleAmazonPegasus DigitalSphärenmeister

 

Fazit 

Apokalypsen ist eine sehr gute Anthologie geworden, die verschiedene Spielstile in sich vereint. Kaltes Licht und Jahrhundertwinter sind gradlinige sowie übersichtliche Szenarien für Spieler, die es gerne auch einmal etwas handfester mögen und einen Kampf nicht störend finden. Große Finalkämpfe können auch, je nach den Entscheidungen der Spieler, Das Moebius-Band und Oneironauten bieten. Beide Szenarien können allerdings schnell zu längeren Kampagnen anwachsen, eine gute sowie sorgfältige Vorbereitung des Spielleiters ist jedoch in jedem Fall vonnöten. Die Brut schließlich ist ein knackiger One-Shot, der mit vorgefertigten Charakteren gespielt werden kann und vor allem jene Spieler begeistern dürfte, die Gefallen an Survival- und Paranoia-Szenarien haben. 

Die allgemeine Spielhilfe zu Weltuntergängen in der Welt von Cthulhu rundet Apokalypsen sinnvoll ab. Der einzige Kritikpunkt hierbei ist, dass die Hintergrundinformationen in diesem Teil nicht immer selbsterklärend sind. Für Einsteiger ist dieser Band deswegen nicht zu empfehlen, nicht zuletzt wegen der hohen Komplexität der beiden längeren Szenarien. Nichtsdestotrotz bietet Apokalypsen mehrere Stunden Spielzeit für Liebhaber des Cthulhu-Rollenspiels. 

Da die Szenarien verschiedene Spielertypen ansprechen, mag allerdings nicht jeder voll und ganz mit dem Band zufrieden sein. Wer längere Szenarien in diesem System eher abschreckend findet, wird eher keinen Spaß an Das Moebius-Band oder Oneironauten finden. Nicht zuletzt dank des allgemeinen Kapitels zum Thema Weltuntergang ist Apokalypsen aber ein Band, der jedem Cthulhu-Spieler mit Interesse an diesem Thema etwas bieten sollte. Wer die Großen Alten aber niemals auf die Welt loslassen möchte, braucht ihn nicht unbedingt. 

Artikelbild: Pegasus Spiele, Bearbeitet von Jennifer Stramm 
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt

2 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein