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Bereits 2007 versuchte sich Games Workshop, genauer Forge World, an einem Luftkampf-Tabletop. Im Windschatten zahlreicher Veröffentlichungen erscheint 12 Jahre später das komplett überarbeitete Aeronautica Imperialis. Wir haben uns in den Thunderbolt gesetzt und schauen, ob Warhammer 40.000 auch spannende Luftkämpfe kann.

Ob Kill Team, Necromunda, Underworlds, Warcry oder Adeptus Titanicus, Games Workshop lässt seine Hauptlinien von reichlich Begleitsystemen flankieren. Besonders Kill Team hat als schneller Skirmisher eine treue Spielerschaft gefunden und erhält regelmäßig Erweiterungen. Aber auch Underworlds erfreut sich einer lebendigen Turnierszene. Mit Warcry wurde zudem jüngst ein weiteres System für schnelle, harte Bodenkämpfe in der Welt von Age of Sigmar veröffentlicht (lest mehr in unserer Rezension). Nachdem auf dem Boden so ziemlich alles abgegrast ist, wagt sich Games Workshop in den Himmel umkämpfter Planeten vor.

Aeronautica Imperialis soll Fans spannender und schneller Luftkämpfe abholen. Dazu wurden zu Beginn reichlich Material und die fast schon üblichen zwei Startfraktionen in den Handel gebracht. Mit der Imperial Navy darf eine naheliegende Fraktion die Luftschlachten eröffnen. Als erster Widersacher, und das dürfte Freunde des gepflegten Dakkas-Dakkas ein bisschen jubeln lassen, werfen sich die Orks in den Air Waaagh.

Spielablauf und Regeln

Was sofort auffällt: Das Regelwerk ist sehr schlank gehalten. Übersichtliche 37 Seiten widmen sich Regeln, Schwadron-Listen, einem Szenario und ein bisschen Fluff. Games Workshop hat sich, wie bei anderen Veröffentlichung davor, zunächst auf einen leichten Einstieg konzentriert, um neue Spieler*innen zu gewinnen. Doch mit den bereits erhältlichen Ergänzungen, wie dem Kampagnenband und Datenkarten, wird das Grundspiel um weitere Regeln und taktische Möglichkeiten ergänzt.

Mit der vorliegenden Startbox Wings of Vengeance beschränken sich die Regeln zunächst nur auf den Luftkampf und drei Einheitentypen der Imperial Navy (Thunderbolt, Thunderbolt Fury und Marauder Bomber) sowie zwei Einheiten der Orks (Dakkajet und Fighta Bommers). Separat erhältlich sind außerdem Marauder Destroyer mit entsprechenden Regeln. Luft-Bodenkampf wird im Kampagnenband ergänzt. Weitere Einheiten und Völker sind aktuell geplant, auf der Liste stehen wohl Tau und Aeldari. Außerdem ist das Spiel aktuell nur auf zwei Spieler*innen ausgelegt, doch die Regeln lassen sich problemlos auf weitere Mitspieler*innen anpassen.

Die Regeln – Top Gun für Einsteiger

Ein Zug besteht aus sechs Phasen, die teilweise noch in Stufen unterteilt sind. Dank einer Kurzanleitung sind diese im Spiel schnell griffbereit und sparen in den meisten Situationen das Blättern im Regelwerk. Distanzen werden mit Hexfeldern auf den Spielkarten dargestellt und ersparen das diskussionsreiche Abmessen.

Die Anzahl der gespielten Punkte legen dabei die Spielenden fest, oder sie richtet sich nach dem Szenario.

  1. Phase: Wahl der Manöver

    Im Spiel
    Im Spiel

    Jedes Modell auf dem Spielplan muss pro Zug ein Manöver machen. Davon gibt es zwei Ausnahmen: Das Modell kann Schweben (das kann kein Modell der Startbox) oder es befindet sich im Trudeln. Letzteres kann passieren, wenn das Flugzeug seine maximale Flughöhe überschreitet und seine Maschinen dabei abwürgt. Aeronautica Imperialis erlaubt Spieler*innen aktuell 8 verschiedene Manöver, um ihren Feinden beizukommen. Die Wahl der Manöver erfolgt verdeckt mittels Marker und kann bis zum ersten Würfelwurf jederzeit geändert werden.
  1. Phase: Initiative würfeln
    Die beteiligten Spieler, die Regeln gehen aktuell nur von zwei aus, würfeln je einen W6. Die höchste Zahl beginnt, bei Gleichstand wird gewürfelt, bis es eine Differenz gibt. Ab jetzt heißt es: rien ne va plus – nichts geht mehr. Gemeint ist natürlich, dass die Manöver jetzt nicht mehr geändert werden dürfen.
  1. Phase: Heckangriff
    Ist es einem Flieger gelungen, sich hinter einem Feind zu platzieren, und dieser ist in Reichweite, Feuerradius, und gleicher Flughöhe, darf nun gefeuert werden. Radius und Flughöhe kann man den Modellständern entnehmen. Nun wird abwechselnd gefeuert, beginnend bei der Spielerin oder dem Spieler mit der höchsten Initiative. Befinden sich mehrere Feinde vor dem Modell, wird zunächst das Ziel gewählt. Abhängig von der Feuerkraft und Waffenreichweite werden W6 gewürfelt. Ein Treffer im Luftkampf wird in der Regel mit einer 5+ gelandet. Bei einigen Waffen ist zudem die Munition begrenzt und wird pro Schuss um 1 reduziert. Dann wird mit den Trefferwürfeln noch der Schaden ermittelt. Je nach Waffe ist für einen tatsächlich erzielten Schaden ein entsprechender Wurf nötig.
    Manche Flugzeuge haben eine besondere Fähigkeit, die es ihnen erlaubt, mit einer Heckwaffe das Feuer einmal pro Runde sofort zu erwidern. Angriff und Gegenangriff werden hier zeitgleich und nach denselben Regeln abgehandelt. Verliert eines der beiden Flugzeuge dabei seine ganzen Strukturpunkte, stürzt es ab und wird aus dem Spiel entfernt.
Ork-Luftwaffe
Ork-Luftwaffe
  1. Phase: Bewegungsphase
    Der Spieler oder die Spielerin mit der höchsten Initiative entscheidet nun, wer mit seinen Bewegungen beginnen darf. Abwechselnd werden dann die Flugzeuge, nach freier Auswahl, bewegt. Dabei wird zuerst die Geschwindigkeit festgelegt. Diese entscheidet, wie viele Hexfelder sich das Modell im nächsten Schritt bewegen muss. Allerdings muss diese mindestens so hoch sein, wie das Manöver Hexfelder benötigt. Dann wird der Manövermarker aufgedeckt und das Manöver ausgeführt. Sind zu diesem Zeitpunkt noch Bewegungspunkte übrig, fliegt das Modell einfach in die gewählte Manöverrichtung weiter. Abschließend entscheidet man noch über die Flughöhe, die während des Manövers erreicht wurde. Diese kann auch gleichbleiben.
    Die Schritte wiederholt man nun abwechselnd mit jedem Flieger. Wenn dabei übrigens ein Flieger das Spielfeld verlässt, ob absichtlich oder aus Versehen, ist er für dieses Spiel raus.
  1. Phase: Kampf-Phase
    Nun dürfen endlich die Bolter geleert werden. Im Prinzip erfolgt die eigentliche Kampf-Phase nach demselben Schema wie oben. Allerdings dürfen nun alle Waffen eingesetzt werden, unabhängig davon, ob man sich hinter einen Feind gesetzt hat. Entscheidend sind natürlich wieder Feuerradius und Reichweite. Sinken die Strukturpunkte auf 0 oder darunter, gilt das Flugzeug als zerstört. Gibt es Bodenziele, können diese ebenfalls angegriffen werden. In der Startbox ist dies aber nicht vorgesehen.
  1. Phase: Ende
    In der letzten Phase der Runde wird nun alles Übrige abgehandelt. Modelle, die zu hoch fliegen, prüfen auf ihren Handhabungswert, ob der Motor abstirbt. Flugzeuge, die bereits trudeln, dürfen auf dieselbe Weise versuchen, sich wieder zu fangen, ehe sie den Boden erreichen und zerschellen (dabei stürzen sie einen Höhenpunkt pro Runde ab). Es wird bestimmt, ob Flugzeuge sich durch Manöver an das Heck eines Feindes gehängt haben; diese werden für den Heckangriff markiert. Abschließend wird geprüft, ob die Kriterien für ein Spielende erfüllt sind.

Spielende

Imperial Navy
Imperial Navy

Das Spiel endet spätestens nach Runde 12, dann gilt der Treibstoffvorrat als erschöpft und alle verbleibenden Flugzeuge ziehen sich zurück. Alternativ endet das Spiel sofort, wenn nur noch eine Partei Modelle auf dem Feld hat.

Sollte eine Fraktion am Rundenende 25 % oder weniger seiner Starteinheiten auf dem Feld haben, ist der nächste Zug automatisch der letzte. Abhängig von abgeschossenen und beschädigten Feinden sowie Punkten für erfüllte Missionsziele, ergibt sich ein Anzahl Siegespunkte. Die höchste Punktzahl gewinnt.

Taktische Einschätzung

Trotz überschaubarer Regeln zum Einstieg bietet das System bereits spannende taktische Aspekte. Neben den Manövern und verschiedenen Waffen, besteht zum Beispiel die Möglichkeit, Reserven später ins Spiel zu bringen oder Modelle frühzeitig aus dem Gefecht abzuziehen, um dem Gegner eventuelle weitere Siegpunkte zu verwehren. Tiefe bekommt das System zudem durch die Option, mit eingeschränkter Sicht oder in der Nacht zu kämpfen, was die Kämpfe nochmals deutlich verschärft, da Fernkampf teilweise oder ganz ausgeschlossen wird und Erfolge nur bei Nahkämpfen zu erwarten sind. Richtig spannend dürfte es aber erst mit dem Kampagnenband werden, in dem nicht nur neue Flugzeuge eingeführt werden, sondern die Regeln erweitert und Missionsziele eingeführt werden.

Ausstattung

Wings of Vengeance enthält vier Flieger der Imperial Navy, fünf Flieger der Orks, ein Regelwerk (inkl. Kurzregeln), zwei (!) extra Kurzregeln, acht W6, eine doppelseitige Kampfzone, Transferfolien für Imperium und Orks sowie 70 Spielplättchen als Marker. Die Modelle können mit unterschiedlichen Waffenoptionen ausgestattet werden, die, je nach Szenario, entscheidend für einen Sieg seien dürften. Für detailverliebte Spieler*innen bietet sich also eine Magnetisierung an. Das Regelwerk selbst besteht explizit nicht darauf und rät dazu, durchaus Spielspaß über Regeldiskussionen zu stellen. Die Thunderbolts lassen sich zudem in zwei Konfigurationen bauen: einmal als Standardjäger mit hoher Feuerrate und einmal als Fury mit mehr Schaden.

Das Regelwerk ist kurz und knackig, bietet aber nur ein Szenario. Das ist zu wenig für regelmäßige Spiele. Kill Team hat dies viel besser gelöst und schon im Grundregelwerk diverse Szenarien zur Auswahl.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Games Workshop
  • Autor(en): –
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Englisch
  • Spieldauer: 1–2 Stunden
  • Spieleranzahl: 2
  • Alter: 12+
  • Preis: 70,00 EUR
  • Bezugsquelle: Games Workshop

 

Fazit

Bereits bei anderen Produkten hat sich Games Workshop für einfache Regeln zum Einstieg entscheiden. Bei Aeronautica Imperialis wird dieser Weg konsequent weiterverfolgt. Das dürfte die Einstiegshürde deutlich senken. Für einen ersten Eindruck, ob das generelle System Spaß bringt, ist die Box vollkommen ausreichend bestückt und hat mit 70 EUR einen durchaus attraktiven Preis. Taktiker werden aber nicht umhinkommen, sich zumindest den Kampagnenband und vielleicht auch die Datenkarten zu holen, um dem Spiel mehr taktische Varianz zu geben. Damit können zum Beispiel Piloten und Besatzungen hinzugefügt werden. Innerhalb einer Kampagne können diese sogar an Fähigkeiten dazugewinnen und Flugzeuge aufgerüstet werden. Diese rollenspielerische Komponente ist zum Beispiel auch aus Necromunda bekannt und gibt nochmals spürbar mehr Tiefe.

Auch Freunde von Fluff werden hier leider etwas enttäuscht, sind die Informationen zu Imperial Navy und Ork-Luftwaffe doch eher spärlich. Auch hier wird man auf den Kampagnenband oder die Romane zum Spiel zurückgreifen müssen.

Aus Adeptus Titanicus hat man gelernt und veröffentlicht das System zunächst nur auf Englisch. Immerhin wird hier eher eine Nische bedient. Ob es eine deutsche Übersetzung geben wird, hängt wohl auch von den Verkaufszahlen ab. Zumindest offiziell ist bisher keine Übersetzung geplant.

Wer generell in Tabletop und Luftkampf-Systeme im Speziellen reinschnuppern will, macht mit der Starterbox nichts falsch. Der Preis ist fair, denn allein die Miniaturen und Marker würden im Einzelkauf schon über 90 EUR kosten. Die Regeln sind eingängig, die Spiele schnell und spannend. Reine Dogfights ohne Missionsziele werden jedoch bald öde, so dass man um selbstgeschriebene Szenarien oder Kampagnen nicht herumkommen wird.

Wer voll durchstarten will, kann auch mit Rynn’s World Air War Collection einsteigen, die noch mehr Flieger, den Kampagnenband, Datenkarten, schickere Würfel und reichlich Bodenziele enthält.

Artikelbild: Games Workshop, Fotografien: Michael Engelhardt, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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