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Im LARP heißt es oft, dass „früher alles besser“ war. Im Endzeit-LARP bezieht sich das oft auf den Härtegrad. Früher, da war Endzeit-LARP viel härter, denn da seien mehr Charaktere gestorben. Heute dagegen sei alles viel zu weich. Aber stimmt das überhaupt?

Ist die Endzeit weicher geworden? © Tamara Steeg
Ist die Endzeit weicher geworden? © Tamara Steeg

Eigentlich sollte euch an dieser Stelle ein Conbericht über das Firestorm I – Tote werfen keine Schatten erwarten. Leider musste auch diese Veranstaltung, wie so viele in diesem Jahr, auf Grund des neuartigen Coronavirus verschoben werden. Das Firestorm setzt seinen Fokus auf den „Kampf um die letzten verbliebenen Rohstoffe und Versorgungsgüter.“ Dabei stünde der Mangel an überlebenswichtigen Versorgungsgütern im Mittelpunkt.

In einem Interview mit dem Podcast Die OT-Blase fasste eine der Organisatorinnen das Konzept als „hartes Schlachtencon“ zusammen, denn man wolle wieder zurück zu einer härteren Endzeit. Das geht Hand in Hand mit Aussagen, die man in der Endzeit-LARP-Szene des Öfteren zu hören bekommt: Endzeit-LARP sei zu weich geworden.

Aber waren Endzeit-LARPs früher wirklich härter? Mit dieser Frage möchte ich mich auseinandersetzen.

Wie war das eigentlich damals?

Endzeit-LARP sah vor zehn Jahren noch ganz anders aus, als wir es heute kennen. Es lohnt sich, hierbei einen Blick auf das F.A.T.E. beziehungsweise ab 2019 Fallen – Bad Land zu werfen. Diese Conreihen sind wohl die bekanntesten und in Deutschland größten Endzeit-LARP-Veranstaltungen, die es zurzeit gibt. An ihrer Entwicklung lässt sich auch gut die Entwicklung der gesamten Szene beobachten.

Im Jahr 2006 entstand Lost Ideas, die Orga hinter der bekannten Endzeit-Conreihe. Sie organisierte 2007 das F.A.T.E. Communitytreffen I „Treck to Lost Hope“, die erste Veranstaltung der F.A.T.E.-Reihe. Seitdem fand jedes Jahr ein weiterer Teil der Conreihe statt. 2018 kam es dann zu Umstrukturierungen bei Lost Ideas und in Folge dessen zum Ende des F.A.T.E. An Stelle der alten Conreihe trat schließlich 2019 das erste Fallen – Bad Land, in welchem die meisten Charaktere des F.A.T.E. ein neues Zuhause fanden.

Auf den ersten F.A.T.E.s war vieles anders. Die Endzeit-Community war weitaus kleiner und entsprechend waren auch die Teilnehmerzahlen der Veranstaltung geringer. Auch gab es zunächst keine Alternativen zum F.A.T.E.: Wer auf Endzeit-LARP wollte, ging hier hin. Mit den Jahren kamen schließlich weitere Veranstaltungen dazu, wie beispielsweise die Endzeit-Taverne Gran Paradiso Roadhouse Club oder Bunker Springs. Heute gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Endzeit-Tavernen über ganz Deutschland verteilt, sowie mehrere kleinere und größere Endzeit-Conventions. Wer zu Beginn seinen Charakter nur einmal im Jahr spielen konnte, kann dies mittlerweile (theoretisch) mindestens einmal im Monat tun. Natürlich ist die Endzeit-Szene noch immer nicht so groß wie beispielweise das Fantasy-LARP, aber sie wächst immer mehr.

Eine andere Mentalität

Doch nicht nur die Größe und Vielfalt der damaligen Endzeit-Cons unterscheidet sich von der heutigen: Auch die Mentalität war eine andere. So war es beispielsweise recht normal, dass viele Charaktere zu Tode kamen, denn es wurde schneller und häufiger geschossen. Auch waren die Gründe, um einen anderen Charakter zu töten, oft recht banal. Lief man zur falschen Zeit über die falsche Straße, wurde man überfallen und endete mit einer Kugel im Kopf. Passte einem das Gesicht des Nachbarn nicht? Auch dann wurde schnell geschossen. Auch Massenschießereien größerer, verfeindeter Gruppen waren nicht selten. Insgesamt gab es mehr Überfälle und Diebstahl, sowie Gefechte.

© Tamara Steeg
© Tamara Steeg

Wichtig hierbei: Die vielen Charaktertode wurden nicht negativ bewertet. Es gehörte dazu, machte einen Großteil der Action aus. Insgesamt war das Gewandungsniveau zu dieser Zeit viel niedriger. Es steckte weniger Aufwand in den eigenen Charakteren und man spielte sie weit weniger. Durch eine geringere Bindung an den Charakter und den einfacheren (und unkomplizierteren) Wiedereinstieg mit einem neuen Charakter fiel es leichter, den alten Charakter sterben zu lassen. Zusätzlich war man daran gewöhnt, dass viele Charaktere starben, und entsprechend darauf vorbereitet, dass es einen selbst ebenfalls treffen könnte.

Das erhöhte die allgemeine Akzeptanz des Vorgangs. Ein weiterer Aspekt ist sicher, dass nicht nur die eigene Bindung an den Charakter schwächer war, sondern auch die Bindung an andere Charaktere. Je länger sich Charaktere kennen, je mehr sie gemeinsam durchgestanden haben, desto enger sind die Bindungen. Durch den höheren Durchfluss an verschiedenen Charakteren und die geringere Condichte war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass diese Bindungen entstehen und somit auch die Tode der anderen Charaktere weniger intensiv.

Die Mentalität der Teilnehmer und die daraus folgende größere Akzeptanz gegenüber Charaktertoden ergaben ebenfalls, dass die Hemmschwelle, einen anderen Charakter zu töten, deutlich niedriger war.

Andere Umstände

Die Umstände der früheren Endzeit-Cons waren ebenfalls anders, als sie es heute sind. Ein Punkt geht wohl fließend mit der Mentalität einher, bezieht sich aber mehr auf die LARP-Szene insgesamt: Das NSC-Dasein ist heute weniger beliebt als es „damals“ noch war. Viele Cons haben mittlerweile Probleme, NSCs zu finden. Woran das liegen mag, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden; Fakt ist jedoch, dass in den letzten Jahren ein vermehrter NSC-Mangel zu bemerken ist. Auch auf dem F.A.T.E. ist das zu bemerken. Gab es früher noch ganze NSC-Fraktionen, wurde dies vor einigen Jahren weiter heruntergefahren. Auf dem Fallen – Bad Land 2019 wurde sogar gänzlich auf ein PVP-System, also Spieler gegen Spieler, gesetzt.

Anders sah es außerdem mit den LARP-Waffen aus. Auf den meisten Endzeit-LARPs werden Schusswaffen mit Nerfguns dargestellt. Diese Spielzeugwaffen waren vor gut zehn Jahren noch deutlich anders als sie es heute sind. Zum einen war die Auswahl auf sehr wenige Modelle begrenzt, und diese wenigen Modelle wiederum waren – ganz plump gesagt – ziemlich schlecht. Um einen Gegner zu treffen, musste man sich auf wenige Meter an diesen heranwagen, um schießen zu können. Stand dann der Wind schlecht, wurde man im schlimmsten Fall von der eigenen Kugel getroffen und selbst auf die kurze Distanz waren die Waffen alles andere als präzise. Ein LARP-Bogen war den Nerfguns trotz niedriger Kadenz also deutlich überlegen. Auch ein beherzter Griff zur Nahkampfwaffe konnte erfolgversprechender sein.

© Moritz Jendral
© Moritz Jendral

Und wie ist das heute?

Im heutigen Endzeit-LARP sind Charaktertode deutlich seltener. Die Gewandungsniveau ist im Endzeit-LARP merklich gestiegen, die Charaktere sind aufwendiger gestaltet und regelmäßiger gespielt. Die Bindung an den eigenen Charakter – entstehend durch die Häufigkeit des Spiels und den Aufwand bei dessen Erstellen – ist deutlich gestiegen. Auch die Bindung unter den verschiedenen Charakteren hat sich verdichtet. Auch die Mentalität hat sich geändert: Heute werden Charaktertode, die „keinen guten Grund“ haben, weniger akzeptiert. Im Gegenteil: wird ein Charakter vermeintlich sinnlos getötet, kann dies zu OT-Zerwürfnissen führen. Die wenigen Charaktertode hingegen haben meist einen viel intensiveren Einfluss auf deren Umfeld. Was früher als „normal“ empfunden wurde, ist jetzt ein Einschnitt. Durch die engeren Bindungen werden die wenigen Tode intensiver erlebt.

Wir bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt, hat der Einsatz von NSCs auf größeren Veranstaltungen abgenommen. Es wird auf Systeme gesetzt, in denen Spieler gegen andere Spieler vorgehen und sich so gegenseitig bedrohen sollen. Leider führt dies, auch auf Grund der Hemmschwelle, Charaktere zu töten oder unspielbar zu machen, oft zu Patt-Situationen. Man greift sich gegenseitig nicht an, schließt zu viele Bündnisse oder begibt sich in Kalter-Krieg-Szenarien. Auf der einen Seite will man sich gegenseitig die Charaktere oder das Spiel nicht kaputt machen, auf der anderen Seite ist die Angst da, dass es zu OT-Streitigkeiten kommt.

Im Fokus der jetzigen Endzeit-LARPs steht meist weniger der Kampf an sich als vielmehr der Konflikt. Es geht um die persönlichen Konflikte mit sich selbst, dem eigenen Leben und der (oft feindlichen) Umwelt. Die Zauberworte sind wohl „play to struggle“, also „spielen um zu kämpfen/ringen“. Die Action entsteht dabei nicht in wilden Nerfkämpfen mit einer anderen Fraktion – natürlich macht auch das Spaß – aber es steht nicht im Fokus. Vielmehr sind es schwierige moralische Entscheidungen, das bewusste Bespielen von schlechten Charaktereigenschaften, um sich an anderen zu reiben und Streitigkeiten, die nicht einfach gelöst werden können und sollen.

Auch die Waffenlage hat sich verändert © Moritz Jendral
Auch die Waffenlage hat sich verändert © Moritz Jendral

Die Waffenlage hat sich ebenfalls verändert. Das Sortiment an Nerfwaffen hat sich stark erweitert. Außerdem sind die Waffen an sich weit besser geworden: Sie schießen weiter und präziser. Dazu gekommen sind außerdem batteriebetriebene Nerfwaffen, die für eine höhere Kadenz und höhere kinetische Energie sorgen. Abgesehen davon gibt es die Möglichkeit, seine Waffe zusätzlich zu modifizieren. Anleitungen und Bauteile dafür sind außerdem über LARP-Shops zu bekommen. Man muss also nicht mehr so nah aneinander heran, und LARP-Bögen oder Nahkampfwaffen sind deutlich im Nachteil. Durch diese Verbesserungen der Waffen gibt es mittlerweile sogar Gegenbewegungen von Gruppierungen, die Absichtlich schlechtere oder nicht batteriebetriebene Waffen nutzen. Auch werden von einigen Orgas die Munitionsvorräte deutlich beschränkt, um die Kämpfe anders zu gestalten.

Erinnerungskultur und subjektive Härte

Erinnerungen sind etwas sehr Subjektives. War man auf einer Veranstaltung und hatte dort Spaß, dann speichert sich das im Gedächtnis ab. Die negativen Kleinigkeiten verblassen mit der Zeit. Je öfter man dann davon erzählt, desto leichter ist es, die „gute alte Zeit“ weiter zu glorifizieren. Vergleichbar ist dieses Phänomen beispielsweise mit dem Besteigen eines Berges. Während dem Weg nach oben ist es anstrengend, man wird eventuell von ein paar Insekten gebissen und ist am Ende erschöpft und durchgeschwitzt.

Trotzdem wird man sich vor allem an die schöne Aussicht, die positive Erfahrung und die tolle Natur erinnern. Zusätzlich ist es immer ein Unterschied, ob man etwas zum ersten Mal macht. Spieler, die zum ersten Mal beim Endzeit-LARP sind und dort ein Gefecht erleben, werden es als einprägender und spannender empfinden als die „alten Hasen“. Mittlerweile gibt es einige Spieler, die schon seit vielen Jahren dabei sind. Ihre einprägsamen Gefechte hatten sie vermutlich vor einigen Jahren und entsprechend wird die Zeit, in der sie stattgefunden haben, als intensiver erinnert.

Es lässt sich jedoch nicht abstreiten, dass es vor einigen Jahren noch mehr Gefechte und mehr Tode im Endzeit-LARP gab. Auch waren diese vermutlich actionreicher, da Kämpfe nicht auf weite Distanzen geführt werden konnten. Auch das vermehrte Sterben von Charakteren erzeugt zunächst den Eindruck einer brutaleren und auch härteren Welt. Allerdings geht es bei Härte im LARP nicht um eine objektive Härte, sondern vielmehr um das subjektive Empfinden der Spieler von Härte.

Es ist also, wie so vieles, Ansichtssache. Sterben viele Charaktere, aber es juckt kaum jemanden, ist die Welt hart, was die überlebenden Charaktere aber kaum trifft. Stirbt nur ein Charakter, aber es ist ein guter Freund, mit dem man seit Jahren Abenteuer erlebt, ist die Welt vielleicht nicht hart, der Verlust für die Überlebenden aber umso schlimmer.

© Tamara Steeg

Früher war alles besser?

Auch hat sich die Mentalität vieler LARPer verändert. Der Spaß und die Spannung werden weniger in Kämpfen gesucht als viel mehr in tiefem Charakterspiel und der Auseinandersetzung mit menschlichen Abgründen. Natürlich schließt das eine das andere nicht aus, allerdings genügen wilde Schießereien nicht mehr. Im besten Fall ist es wohl eine Mischung; Bedrohung durch eine feindliche Welt und die unmittelbare Gefahr sowie schwere Entscheidungen und tiefes Charakterspiel. Das jedoch erfordert entweder beispielsweise den Einsatz von NSC, um eine solche Bedrohung zu erzeugen, oder aber den Konsens, sich gegenseitig ganz bewusst in Konflikte und Kämpfe zu bringen, ohne aber wahllos Charaktere und deren Geschichten zu töten.

Ein Bedrohungsgefühl zu erzeugen, ohne permanent Charaktere zu töten, ist eine Kunst. Man kann die Entstehung dieses Gefühls unterstützen, indem man Spielern mehr Entscheidungsgewalt überlässt und ihnen Möglichkeiten gibt, sich mitzuteilen, wie genau sie ihre Charaktergeschichte erzählen wollen. Damit das jedoch funktioniert, benötigt es ein Bewusstsein dafür, dass nicht jeder der Held sein und dass auch in einer Niederlage, im Sieg eines anderen Mitspielers, schönes Spiel liegen kann.

Auf solche Techniken setzen beispielsweise LARPs nach dem Nordic Style. Auch OT-Mechanismen, wie beispielsweise der Respawn nach Charaktertod, wären eine Möglichkeit. Solche Mechanismen können funktionieren, wie man beispielsweise am Epic Empires oder am 42k LARP sieht. Hier tauchen gestorbene Charaktere im Heiligtum ihres Lagers oder ihrer Basis wieder auf und müssen sich zunächst geistig von der Todeserfahrung erholen. Möchte der Spieler seinen Charakter endgültig sterben lassen, so steht ihm das aber auch frei.

© Tamara Steeg
© Tamara Steeg

Ein weiteres Beispiel sind fast-back-to-game-Strategien. Hier werden beispielsweise starke Heilmittel ins Spiel implementiert: Das bedeutet, dass man in der Regel die Wahl hat, ob man durch einen Treffer direkt stirbt, oder aber schwer verwundet spielt und dann die Möglichkeit hat, durch einen Stim oder etwas Ähnliches relativ schnell wieder ins Spiel einzusteigen. Auch diese Methode kann funktionieren, wie es beispielsweise das P.R.I.M. zeigt. Auch das Firestorm setzt auf diese Mechanik.

Mein Fazit ist also: Früher war es nicht besser, es war anders. LARP ist ein Hobby, dass sich im Fluss befindet. Es verändert sich stetig und passt sich so an die Wünsche und Mentalität der Spielenden an. Wichtig ist vor allem, dass man sich selbst bewusst macht, was man erleben möchte und in welcher Weise. Geht es vor allem um spielerische Action und taktische Kämpfe? Dann ist eine Schlachtencon genau das richtige. Möchte man Grenzerfahrungen und tatsächliche Härte erleben, sollte man sich eine Con aussuchen, die Mangelspiel in den Fokus rückt.

Geht es einem um tiefes Charakterspiel und das Erfahren menschlicher Abgründe, dann ist vielleicht ein LARP im Nordic Style das richtige. Natürlich gibt es auch immer Mischformen, aber die Wahl wird einfacher, je deutlicher man sich die eigenen Wünsche bewusst macht. Das gilt auch für die Wahl der eigenen Gruppe, denn jede LARP-Gruppe hat Spiel-Philosophien, die sie mehr, und Spiel-Philosophien die sie weniger umsetzen. LARP ist ein Hobby. LARP soll Spaß machen – und wie dieser Spaß aussieht, das ist eben so individuell, wie es die Spieler sind.

Artikelbilder: © Wie gekennzeichnet

2 Kommentare

  1. Guter Artikel, der einige Hintergründe zur „fehlenden“ Härte auf Endzeitcons mMn. richtig erfasst und bewertet.
    Witziger weise lässt die Autorin allerdings komplett außer acht, das die ersten FATE-Cons mit Softair-Markierern gespielt wurden. Dies führte zu deutlich mehr Schusswechseln, da man hiermit alleine auf relativ große Entfernungen selbst ganze Gruppe niedermähen konnte. Mit dem Umstieg auf Dartblaster mit FATE 3 ging auch die Todesrate schlagartig zurück, weil man sich selbst in deutlich größere Gefahr begeben musste um jemanden aus der Welt zu schaffen.

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