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Mehr Immersion geht nicht: „Schleichfahrt – ein U-Boot Larp“ war nicht nur ein Antikriegs-Nordic-Rollenspiel, angesiedelt in einem alternativ historischen Weltkriegs-Szenario, sondern auch ein Herzblutprojekt in einer der beeindruckendsten Filmkulissen, die je in Deutschland produziert wurden. Wir sind für euch auf Schleichfahrt gegangen.

Für wen das jetzt zu viele Schlagworte auf einmal waren – fangen wir doch erst einmal mit einer Definition und Erklärung des Konzeptes an.

U-Boot Larp: Szenario und Handlung orientierten sich stark an der Buch- und Filmvorlage „Das Boot“. Dies ging so weit, dass der Großteil des Spiels innerhalb der Kulisse von Wolfgang Petersens legendärem Film in den Bavaria Film Studios (München) stattfand. Die Teilnehmer stellten die Besatzung dar. Die 35 Figuren pro Run wurden dabei vom 8-köpfigen Veranstalter-Team über ein Casting-System vorab vergeben.

Antikriegs: Ähnlich wie der Film stand nicht das Militär-Spiel oder die Feindbekämpfung im Vordergrund, sondern die Menschen, die den Krieg führen, wie er sie verändert und an welche Abgründe er sie führt.

Nordic: Dieser Larp-Stil legt besonders viel Wert auf gemeinschaftliches und unterstützendes Spiel. Der Fokus liegt dabei häufig auf zwischenmenschlichen Beziehungen und Entwicklungen und weniger auf dem „Durchspielen“ einer Geschichte. Das gemeinsame Erlebnis soll und wird von allen Beteiligten (Veranstaltern wie Teilnehmern) zusammen erschaffen.

Alternativ-Historisch: In der fiktiven Welt von Schleichfahrt übernahm Auguste Viktoria 1917 nach einem Jagdunfall ihres Gemahls (Kaiser Wilhelm II.) die Regierungsgeschicke. Der erste Weltkrieg ging nicht verloren und das Deutschland der 30er Jahre wurde zu einer Nazi-freien Monarchie, in der vollständige Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern existierte. Durch diesen geschickten Kunstgriff wurde die Veranstaltung von jeglicher NS-Ideologie und -Symbolik befreit und das Geschlecht eines Besatzungsmitglieds war im Spiel weitgehend irrelevant.

Die Umsetzung

Das Spiel war in zwei Runs mit identischem Ablauf aufgeteilt; dennoch konnten nur ein Bruchteil derjenigen, die sich um einen Platz beworben hatten, auch teilnehmen (und die Hoffnung auf weitere Runs ist groß).

Zugelassen wurde nach 2G+-Regelung. Wer beim Test nach der Anreise Pech hatte, musste zum Flughafen und einen PCR-Schnelltest machen (leider bei beiden Runs passiert, entpuppte sich beide Male aber als falsch-positiv). Bei allen Workshops und Vorbereitungen galt zusätzlich Maskenpflicht, nur während des Spiels selbst, in der Kulisse, galt diese nicht. Die Orga hat zudem durchgängig Masken getragen (da sie Kontakt mit Personen aus beiden Runs hatte) und sehr nachdrücklich auf die Einhaltung des Hygienekonzeptes geachtet. Danke für dieses Vorgehen – das führte allgemein zu einem Gefühl der Sicherheit und Verantwortung.

Um die Unterbringung musste man sich selbst kümmern (was in München schon abenteuerlich, teuer oder beides sein kann); Catering wurde vollständig (und lecker) von der Orga gestellt. Die Veranstaltung erstreckte sich über zwei Tage. Am ersten Tag ging es mit Workshops los, bei denen alle möglichen Spielkonzepte und deren Adaption vor Ort besprochen wurden. Ein paar Beispiele:

  • Einsatz von Codewörtern: „Matrose Lehmann meinte, der Diesel läuft geschmeidig!“ war zum Beispiel eine elegante Art die SL-Anweisung ins Spiel zu bringen, dass mit den Maschinen alles in Ordnung ist.
  • Bestimmte Gesten (Augen halb abdecken, übers Kinn schnipsen, etc.) signalisierten im Spiel, dass jemand in Szenen sich mehr Eskalation wünschte oder gerade eine Pause benötigte.
  • Handgreiflichkeiten wurden durch (abgesprochenes!) Armdrücken geregelt; schon allein, weil die Kulisse viel zu gefährlich für abenteuerliche Schubsereien war.

 

Danach folgten Workshops zum historischen Szenario, wie ein U-Boot funktioniert, wie man sich die Darstellung militärischer Figuren (Hierarchie, Befehle, etc.) vorstellte und so weiter und so fort. Nach langen Stunden ging es nachmittags endlich zu einer Besichtigung in die Kulisse. Die 40 Jahre und zahllosen Touristengruppen haben ihr sicher nicht gutgetan; aber zum einen ist das meiste Stahl (und damit fast unkaputtbar) und zum anderen hat die Orga so einiges (teils gefühlt Unmögliches) in Bewegung gesetzt, um Instrumente, Hebel, Pedale und andere Interaktionsmöglichkeiten ins Spiel einzubinden. Und das sogar mit echter Rückmeldung (zum Beispiel änderte sich die Kursanzeige korrekt, wenn man am Ruder drehte) – doch dazu später mehr.

Der erste Abend schließlich gehörte voll und ganz einem Blackbox-Spiel (ein Spiel ohne Kostüme, bei dem alle Beteiligten (vorzugsweise) identische, schwarze und schlichte Kleidung tragen. Charaktere werden häufig durch ein kennzeichnendes Merkmal identifiziert (zum Beispiel ein Tablett für den Kellner, Kochmütze für die Köchin und eine Krawatte für den Gast).), welches sowohl der Spielwelt mehr Tiefe und Glaubwürdigkeit verleihen sollte wie auch der Handlung am folgenden Tag zusätzliche Bedeutung und Konsequenz. Mehr möchte ich eigentlich weder über den Inhalt der Blackbox noch des Hauptspiels erzählen, da dieser Bericht frei von Spoilern für die Teilnehmer zukünftiger Runs bleiben soll.

Am zweiten Tag ging es dann endlich ins Boot und das Hauptspiel startete. Neben fünf Sonderrollen (Frau Kaleun, Erster Wachoffizier, Leitender Ingenieur, Smutje & Kriegsberichterstatter) waren wir in sechs Wachten unterteilt – jeweils zwei für die Bereiche Bug/Torpedos, Mitte/Gefechtszentrale und Heck/Maschine. Davon hatte immer die Hälfte frei und die andere tat Dienst. Um zu gewährleisten, dass jeder alles einmal erlebte, wurde bei jedem Wachwechsel durchgetauscht. Zusätzlich wechselte man sich innerhalb einer Wacht an den Positionen ab. Ich fing zum Beispiel in der Mitte als Überwacher der Kursinstrumente an und wechselte dann erst zum Periskop und schließlich zur Druckluft. Danach Freiwache. Dann im Maschinenraum zuerst die Verantwortung für Batterie und E-Maschine, dann Steuer, dann Reparatur-Crew. Dann wieder Freiwache. Dann im Bug erst Hydrophon, dann Funk und schließlich Torpedo-Wartung und zum Ende war ich noch einmal in der Gefechtszentrale am Navigations-Tisch.

Das Spiel

Kurz gesagt: es war ein wahrgewordener Traum. Die Kulisse bot unendliche Möglichkeiten zur realen Interaktion (etwa Sicherungen austauschen, Schaltkreise neu ziehen, Ventile öffnen und schließen und sogar Zündkerzen aus- und wieder einbauen). Und als wäre das nicht genug, hatte die Orga mehrere Kilometer Kabel und sogar Rohre und Schläuche verlegt und Dutzende von Arduinos in der Kulisse versteckt, so dass Tiefenruder, Steuer, Funk, Periskop und vieles mehr nicht nur Anscheinsspiel sondern echte Interaktion und Rückmeldung boten. Auch hier möchte ich nicht mehr verraten. Nur so viel: die bisherige Beschreibung kratzt gerade mal an der Oberfläche dessen, was hier erleb- und bespielbar gemacht wurde. So etwas hatte ich in 25 Jahren Larp noch nicht erlebt.

Die Figuren waren geschickt (auf die Antworten eines Fragebogens hin) ausgewählt und zugeteilt. Ich hätte mir noch eine „Auswahl-Option“ ähnlich dem der Legion gewünscht, aber im Grunde funktionierte es und mir kam dazu auch nur wenig Kritik von anderen Teilnehmenden zu Ohren. Hier hat die Orga auch ein geschicktes Händchen für ihre Spieler*innen bewiesen. Viele der Rollen waren weit von bekannten Schubladen der Leute entfernt und reizten selbst Rollenspiel-Veteran*innen noch dazu, etwas Neues auszuprobieren. Ich selbst habe zum Beispiel schon immer einen enormen Bogen um die Darstellung von realen Glaubensaspekten gemacht und durfte nun den Boots-Pfaffen spielen.

Doch auch hier zeigte sich die gute Vorbereitung durch die Orga, deren Nordic-Konzepte aufgingen. Nachdem ich im Vorfeld bei meinen Mitspielenden meine Bedenken geäußert hatte, erfuhr ich ermutigenden Rückhalt und ein derart grandioses unterstützendes Spiel, dass ich tatsächlich, ohne auch nur einmal ein schlechtes Gefühl zu haben, einen gläubigen und häufig betenden Charakter darstellten konnte. Ähnliches beobachtete ich bei so gut wie allen anderen Teilnehmenden und auch danach hörte ich hierzu viel Lob aus den Reihen der Spielenden.

Insgesamt kann ich auch nur in den höchsten Tönen meine Mitspieler*innen loben. Ich bin inzwischen schon etwas wählerisch geworden, was meine Kompatibilität mit anderen Larp-Philosophien und Spielstilen betrifft; aber hier bin ich auf keine einzige Situation oder Darstellung getroffen, die mich nicht zu jeder Sekunde vollauf überzeugt hätte und Lust darauf machte, auf das Spielangebot einzusteigen. Auch das wurde begünstigt durch die Vorarbeit der Orga und die Workshops.

Die Kritik

Wie man vielleicht zwischen den Zeilen lesen kann, war und bin ich von der Veranstaltung nicht ganz unbegeistert. Dennoch möchte ich auch drei Punkte ansprechen, die nicht rund liefen, sowie etwas über die Hintergründe spekulieren:

Die Con war zu günstig

Fast jeder aus der Orga hatte schon Veranstaltungs-Erfahrung; in der Form haben sie aber meines Wissens noch nicht zusammengewirkt. Auch bin ich mir sicher, dass dies ihre bis dato mit Abstand größte Veranstaltung war – und ich befürchte sie haben sich finanziell schwer verkalkuliert. Selbst mit Zuschüssen und extrem günstigen Konditionen durch die Filmstudios kann ich mir nicht vorstellen, wie sie dieses Event mit 70×200 EUR umsetzen hätten wollen.

Allein die Wärme-Logistik (die Kulisse an sich ist nicht beheizt), das Catering und die verbaute Technik gehen ins hohe Vierstellige. Und dann haben wir noch nicht die Seminarräume der Workshops, Orga-Ausstattung und Verpflegung, Fahrtkosten und vieles mehr bedacht. Hier hätte man ruhig etwas gewagter ansetzen und sich an vergleichbaren Events (z.B. dem Tales:Inside oder der Demeter) orientieren und 300-500 EUR nehmen können.

Viel zu wenig Spielzeit im Boot

Wir waren gekommen, um mit dem Boot zu spielen. Keine Frage, die Workshops waren großartig und nützlich und die Blackbox hat das Setting gut etabliert und rund gemacht. Nichtsdestotrotz waren knapp 12 Stunden echtes Spiel im Boot zu wenig. Ich würde fast so weit gehen zu sagen, dass wir erst nach 6-12 Stunden Spiel im Boot in der Lage waren, unsere Rollen in der Mannschaft inkl. aller Aufgaben an Bord darzustellen.

Aber daneben hatten wir noch intensive Charaktergeschichten (aufbauend aus jeweils 3 Vernetzungen mit anderen Figuren), die Auseinandersetzung mit dem, was mit dem Boot passiert sowie das Bespielen des (Anti-)Kriegsszenarios. Und wie es so oft ist, wenn ein Konzept mit zu vielen gleichwertig guten Ideen vollgestopft ist: es bleibt alles weit hinter dem möglichen Potential zurück. Schade!

Ich hätte mir gewünscht, die Workshops auf einen halben Tag zu begrenzen, die Blackbox am 1. Tag nachmittags zu spielen, um dann abends noch sechs Stunden im Boot in Rolle, aber ohne Charakterplots zu spielen. Dann wäre am 2. Tag mehr Raum für alles andere geblieben.

Zu viel gewollte Inklusion

Zur Einordnung: ich gehörte selbst eher zu den Leuten, die schon Vorwissen über die Vorgänge an Bord des Bootes hatten. Zwar war ich stets bemüht Mitspieler*innen mitzunehmen und etwa auf Kartentisch oder Hydrophon einzuweisen, aber empfand auf Grund der kurzen Wach-Zeiten hier die Möglichkeiten als sehr eingeschränkt.

Ich lehne mich mal etwas aus dem Fenster und unterstelle der Orga, dass sie von den Schwächen vorheriger Events (wie z.B. dem Exodus) zwar gelernt, aber in Folge auch überkompensiert haben. Es wurde fast zwanghaft versucht, U-Boot Cracks und völlige Laien auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Auch sollte niemand von einem Spielangebot auf irgendeine Art und Weise ausgeschlossen sein. Das führte zu zwei Zwickmühlen:

Erstens hatte man durch den häufigen Positionswechsel zwar am Ende die ganze Kulisse einmal gesehen (und die Möglichkeit gehabt, nicht nur alle Hebel und Räder einmal zu drehen, sondern auch in denselben Betten wie Prochnow, Grönemeyer und Semmelrogge zu pennen), aber viele hatten am Ende auch das Gefühl keine einzige Aufgabe/Position wirklich gut dargestellt und erlebt zu haben.

Und zweitens wurden komplexe (teils technische) Zusammenhänge stark simplifiziert. Was beim Tiefenruder („rauf oder runter, vergesst das Trimmen!“) noch funktionierte, sorgte am Funktisch (der in Echtzeit morste) oder Navigationstisch (mit händischer Dreieckspeilung und Positionsberechnung aus Kurs, Knoten und selbst gestoppter Zeit) für einige Fragzeichen. Zwar konnte man immer „Matrose Lehmann“ um Hilfe bitten, aber häufig führte auch das dann zu mehr Frust als Spaß.

Man hatte sich z.B. als Funker*in endlich etwas hineingehört und fing an Funksprüche langsam zu entziffern, nur um herauszufinden, dass die Orga der Frau Kaleun den Funkspruch schon eingeflüstert hatte, da das ganze restliche Boot nicht weiter kam, solange die Information aus dem Funkspruch nicht im Spiel war. Ein nachvollziehbares Vorgehen, das aber an einer nicht zu Ende gedachten Aufgabenkonzeption litt.

Wer an dieser Stelle einen Verbesserungsvorschlag sucht, den muss ich leider enttäuschen. Trotz stundelanger Diskussionen im Nachgang habe ich bis heute noch keine bessere Idee. Außer vielleicht die Rotation zu reduzieren. Wenn man „nur“ zwischen drei Positionen im Boot rotiert, sieht man dennoch alle Bereiche, kann sich aber etwas besser in die Aufgaben (und deren spielerische Darstellung) einarbeiten.

Fazit

Auch wenn die Kritikpunkte recht viel Raum in diesem Bericht einnahmen, muss man doch zum Schluss anerkennen, dass keiner davon ernsthaft zu einem in irgendeiner Form geminderten Erlebnis führte. Jammern auf hohem Niveau, wie man so schön sagt. Und für einen ersten Versuch einer derartigen Veranstaltung waren die „Probleme“ wirklich Randerscheinungen (sprich: da hätte viel mehr richtig schief gehen können). Außerdem habe ich vermutlich noch nie 4-5 Seiten für einen Conbericht benötigt bei dem ich jeglichen Inhalt/Plot völlig weggelassen habe. Allein das sagt schon alles darüber, wie intensiv und vielseitig diese Veranstaltung war.

Was am Schluss bleibt? Ein Projekt dessen enorme Vision fast genauso groß ist wie das Herzblut der Leute, die an sie glaubten und sie Wirklichkeit werden ließen. Selten haben ich so viel geballte Kompetenz und Leidensfähigkeit bei einer Orga erlebt und bin dankbar, von ihnen auf diesen Trip mitgenommen worden zu sein.

Ich wäre bei einer weiteren Feindfahrt sofort wieder mit am Start. Wahrschau[1]!

[1] U-Boot Slang für „lasst mich durch!“ (aus dem Niederländischen)

Titelbild: © Schleichfahrt – Ein U-Boot Larp
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Giovanna Pirillo

Über den Autor

Fabian Geuß war von 2004 bis 2019 Veranstaltungsleiter und kreativer Chef des ConQuest. Abseits davon besucht er privat aber lieber deutlich kleinere Veranstaltungen und stürzt sich immer wieder mit Begeisterung auf neue Larp Konzepte und Ideen.

 

 

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