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Das Szenario Kontext Sensitiv für das Horror-Rollenspiel FHTAGN führt in die nahe Zukunft und die Fernen des Alls. Eine Gruppe, in der jedes Mitglied dank wissenschaftlicher Errungenschaften weit mehr als ein Mensch ist, gerät in eine Situation voller Risiken. Die Teilzeithelden sind im Kälteschlaf gefolgt.

Das Jahr 2095 ist voller Wunder. Zumindest in der Zukunft, die Kontext Sensitiv erschafft. Der Fund eines verlassenen Alien-Raumschiffs hat die technologische Entwicklung auf ungeahnte Weise beschleunigt. Nicht nur kann das Weltall in Überlichtgeschwindigkeit erforscht werden, auch andere Erfindungen wie autonome künstliche Intelligenzen, kybernetische Verbesserungen und der Transfer des Bewusstseins von Sterbenden in andere Körper haben das Leben der Menschen verändert.

Um die Stimmung dieses Abenteuers einzufangen, empfiehlt Autor Tobias Deißler, der bereits ein Abenteuer für FHTAGN verfasst hat, die Lektüre des Buchs Blindflug von Peter Watts oder Filme wie Blade Runner. Kontext Sensitiv ist kein Horror-Abenteuer im klassischen Sinne. Viel eher ist es ein beklemmendes Science-Fiction-Szenario, das an die intensiven Momente zu Beginn von Filmen wie Alien: Oblivion und Planet der Affen erinnert, wenn die Raumreisenden mit Anspannung, aber auch Neugier einen fremden Planeten erkunden. Die Spielfiguren werden zudem in eine zunehmend instabile Situation versetzt. Dass die Rollen, in die die SpielerInnen schlüpfen können, bereits vom Transhumanismus des Settings gezeichnet sind, sorgt für zunehmende Spannungen.

Unternehmen Taube

Die SpielerInnen übernehmen in Kontext Sensitiv die Rolle der Besatzung des Raumschiffs Taube. In Überlichtgeschwindigkeit reisen sie zum Planeten Ender-2473, der zwar erdähnlich ist, aber nur an einer Stelle über nennenswerte Fauna verfügt. In diesem großen Dschungelgebiet befinden sich zwei Forschungsstationen. Eine wird vom Konzern Bayer betrieben, die andere von einer kirchlichen Stiftung und ist entsprechend von Mönchen bewohnt.

Die Besatzung der Taube soll für eine halbseidene Organisation namens „Die Firma“ ein bisher unspezifiziertes Artefakt bergen und zu einem vereinbarten Treffpunkt bringen. Dabei sollen sie der Vereinigten Weltregierung zuvorkommen, die sich zu diesem Zweck wahrscheinlich ebenfalls schon auf dem Weg nach Ender-2473 befindet.

Ein bisschen mehr Arbeit beim Layout hätte der Publikation gutgetan.

Angeführt wird die Besatzung von einem Teamleiter namens Chef. Bei ihm handelt es sich um eine K.I., die eine flugfähige Kiste als Körper besitzt. Ebenfalls mit an Bord sind der Cyborg-Soldat Jochen Hell, die Ärztin Anahita Rahimi, die inzwischen die Persönlichkeiten mehrerer Todgeweihter in ihrem Körper aufbewahrt, das geschlechtslose Retortenwesen Atimur, das als Pilot fungiert und die vercyberten Zwillinge Lynne und Lynda Abbe.

Diese Rollen tragen verschiedene Geheimnisse mit sich, auf die an dieser Stelle aber nicht näher eingegangen werden soll. Auch die Komplikationen auf Ender-2473, die zu ernsten Bedrohungen für die Besatzung der Taube werden können, sollen in diesem Artikel nicht enthüllt werden. Es sei aber so viel gesagt, dass es sich bei diesen nicht immer um originelle Ideen handelt, sie sich in ihrem Zusammenspiel aber auf unvorhergesehene Weise entwickeln können. Da die SpielerInnen durch manche Informationen vor tiefgründige ethische Herausforderungen gestellt werden können, ist Kontext Sensitiv eher für erfahrene RollenspielerInnen zu empfehlen.

„Kontext Sensitiv“ – eine Sandbox mit Potential

Die Lesbarkeit der schwarzen Schrift vor völlig weißem Hintergrund ist nicht angenehm.

Insofern ist es nachzuvollziehen, dass der Autor Kontext Sensitiv im Stil einer Sandbox kreiert hat. Die Spielleitung bekommt eine Menge Informationen an die Hand, auf denen aufbauend sich eine äußerst spannende Handlung zu entwickeln vermag. Manche Details sind sogar etwas zu viel des Guten, wie zum Beispiel die Namen aller BewohnerInnen der Forschungsstationen. An anderen Stellen wären etwas mehr Informationen wünschenswert gewesen.

Gerade bei den auf zwei Seiten knapp beschriebenen Komplikationen, bleibt es größtenteils bei gerade einmal grundlegenden Beschreibungen, sowie vagen Andeutungen, was passieren könnte. Wenn die Spielleitung gut improvisieren kann oder sich auf viele Möglichkeiten vorbereitet, sollte dies jedoch kein Problem darstellen. Allerdings fehlen auch mögliche Enden oder zumindest ein Ausblick komplett. Dies ergibt angesichts des sehr offenen Aufbaus des Szenarios Sinn, lässt die Spielleitung aber mit viel Arbeit zurück.

Erscheinungsbild

Dem Szenario ist anzumerken, dass der Autor alles selbst erledigt hat. Die Handouts und Illustrationen sind keine Augenweiden, erfüllen aber ihren grundlegenden Zweck. Ein bisschen mehr Arbeit beim Layout hätte der Publikation allerdings gutgetan. Die Lesbarkeit der schwarzen Schrift vor völlig weißem Hintergrund ist zwar gegeben, aber nicht angenehm. Größere Zeilenabstände oder leichte Schattierungen des Hintergrundes hätten in diesem Punkt Abhilfe schaffen können.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Eigenverlag
  • Autor: Tobias Deißler
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: PDF / Softcover
  • Seitenanzahl: 49
  • ISBN: –
  • Preis: 9,89 Euro (PDF) / 14,89 Euro (Softcover)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG

 

Fazit

Kontext Sensitiv ist ein interessantes Abenteuer für FHTAGN, das aber auch für andere Systeme angepasst werden kann. Die außergewöhnlichen Rollen allein können bereits zu spannenden Diskussionen am Spieltisch und auch zu packenden Rollenspielsituationen führen. Dass diese Spielfiguren außerdem in eine fordernde Situation auf einem fremden Planeten geraten, sorgt für zusätzlichen Zündstoff und letztlich für einen spannenden Spielabend.

Weite Teile des Szenarios sind allerdings nur grob ausgearbeitet, was eine besondere Herausforderung für die Spielleitung darstellt. Auch die optische und sprachliche Gestaltung weist einige Mängel auf, auch wenn in diesem Punkt zu berücksichtigen ist, dass es sich bei Kontext Sensitiv um eine komplette Eigenproduktion handelt.

Kontext Sensitiv ist nicht nur wegen seiner rollenspielerischen Herausforderungen wenig zugänglich, sondern auch aufgrund der Gestaltung und des Aufbaus. Einige Teile des Szenarios sind nur rudimentär ausgebaut. Wer aber die Vorarbeit nicht schreckt und Spaß am Improvisieren im Zusammenhang mit ungewohnten erzählerischen Themen hat, dürfte ein bis zwei unvergessliche Spielabende erleben.

 

Artikelbilder: © Pyromancer Publishing, Layout und Satz: Melanie Maria Mazur, Lektorat: Katrin Holst
Dieses Produkt wurde kostenlos als PDF zur Verfügung gestellt.

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