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Die Tweets einer gewissen Fantasy-Autorin Anfang Juni haben wieder gezeigt, dass wir in Sachen Akzeptanz von queeren Menschen noch nicht so weit sind, wie wir sein sollten. Passend dazu erscheint während des Pride Month die erste Ausgabe des queerfeministischen Magazins Queer*Welten. Wir haben uns die erste Ausgabe angeschaut.

Die Herausgeberinnen Lena Richter, Judith C. Vogt und Kathrin Dodenhoeft beschreiben ihren queerfeministischen Ansatz als „Geschichten, die Patriarchat, Heteronormativität und White Supremacy entlarven und zerschlagen oder gleich ganz ohne auskommen!“ Konkret zeigt sich das (zumindest in der ersten Ausgabe) in vier phantastischen Erzählungen und eines nicht-fiktionalen Textes. Dabei bestehen die Herausgeberinnen auf Own Voices Autor*innen, das bedeutet Autor*innen, die selbst queer, BIPoC oder Menschen mit Behinderung sind. Damit schaffen sie die Möglichkeit, dass diesen Minderheiten eine Stimme gegeben wird und sie sich selbst repräsentieren können. Eine Veröffentlichung bedeutet allerdings nicht gleichzeitig ein Outing, da auch das Nutzen eines Pseudonyms möglich ist.

Abgerundet wird der Inhalt zu Beginn durch eine kurze Beschreibung des Magazins und des Teams dahinter, inklusive der Aufforderung, Texte, die den Anforderungen entsprechen, einzureichen. Geplant war, Queer*Welten jeweils mit einem „Queertalsbericht“ zu beenden und auf Veranstaltungen, Lesungen oder Konzerte der queeren Szene hinzuweisen. Stattdessen gibt es in Ausgabe 1 zwei deutschsprachige und einen englischsprachigen Romantipp der Herausgeberinnen, um Nachschub für das Bücherregal zu liefern.

Stories

Wie bereits erwähnt, beinhaltet die erste Ausgabe des Magazins vier erzählerische Texte aus dem Bereich der Phantastik und Science-Fiction. All diesen Texten ist zudem gemein, dass ihnen Inhaltswarnungen vorangestellt sind, die zum Beispiel auf Gewalt, Blut, Frauenfeindlichkeit oder Cissexismus hinweisen. Damit ist die Chance gegeben, solche Texte zu überblättern, wenn man die Themen problematisch findet.

Den Anfang der kreativen Texte in Queer*Welten macht Annette Juretzki mit „Nebelfloor“. Oberflächlich wird die Geschichte der Geisterjägerin Korja erzählt, die in ein Dorf kommt, um den Geist der verstorbenen Finna zu erlösen. Sehr subtil wird auf die heutige Lebenswelt der Frauen hingewiesen, denen nicht geglaubt wird und die als Opfer männlicher Lust enden. Gerade die Einsicht in Korjas Gedankenwelt fördert das ein oder andere Juwel zutage.

Der zweite Text stammt aus der Feder von Jasper Nicolaisen und verbindet auf unnachahmliche Art und Weise die Form der Ballade mit einer Gutenachtgeschichte. „Die fortgesetzten Abenteuer des Spaceschiffs Plastilon“, das aus Knete besteht, erzählt von einem Abenteuer der Crew bestehend aus Jamestier Wurm, Flash Bärguin, Ax Alopex und der Drachenente Schnuffeline. Gemeinsam versuchen sie, die Heirat zwischen der Nachtschnexe und Prinz Wirrtakel den Vielten zu verhindern. Die Gutenacht-Ballade ist übrigens der einzige Text ohne Inhaltswarnungen.

„Feuer“ von Lena Richter ist der dritte Text und erzählt von Tarnik, der eine Wut in sich trägt, die von den Amazonen Inneres Feuer genannt wird. Erst, als Tarnik einer Amazone begegnet und herausfindet, dass diese nichts mit den Amazonen aus den Geschichten, die er als Kind geliebt hat, gemein hat, lernt er den Unterschied zwischen Geschichte und Geschichten. Zudem lernt er, dass es mehr Menschen gibt, die das Feuer in sich tragen, und nicht alle lernen, es zu beherrschen.

Der Teil der kreativen Texte in Queer*Welten wird beendet durch Anna Zabinis „Die Heldenfresserin oder Mythos, destruiert“. Aus Sicht von Penthesilea erzählt sie zunächst deren Femizid durch Achilles, bevor sie die Geschichte herumdreht und den kannibalischen Mord an Achilles durch Penthesilea erzählt. Dies geschieht dem Thema angemessen schonungslos und lässt die Leser*innen nach dem letzten Satz überwältigt zurück. Ich jedenfalls musste erst einmal durchatmen.

Bei dem Essay dieser Ausgabe handelt es sich um den ersten Teil von James Mendez Hodes‘ „Von Orks, Briten und dem Mythos der ‚Kriegerrassen‘“, der von Kathrin Dodenhoeft für Queer*Welten übersetzt wurde. Auch hier gibt es eine Auflistung von Inhaltswarnungen vor dem eigentlichen Text. Hodes beschreibt, wie rassistische Ängste und Ideologien auf Tolkien während dessen Zeit an der Universität und beim Militär wirkten und zur Erschaffung der Orks führten, wie wir sie heute kennen.

Schreibstil

Der Schreibstil in Queer*Welten ist so divers wie die Texte selbst.

Annette Juretzkis „Nebelfloor“ ist in der zweiten Person geschrieben, was einen ungewöhnlichen Blick auf die Protagonistin ermöglicht und eine merkwürdige Spannung aus Nähe und Distanz kreiert. Der kurze Einblick in die Welt ist interessant gestaltet. Geister sind nicht ungewöhnlich, aber treten doch so selten auf, dass es Menschen gibt, die nicht an ihre Existenz glauben. Der Stil ist sehr gut lesbar und trägt dazu bei, dass man die Geschichte gut verfolgen kann.

„Die fortgesetzten Abenteuer des Spaceschiffs Plastilon“ von Jasper Nicolaisen sind allein durch die Balladenform interessant zu lesen. Die Entscheidung, diese Form für das Erzählen einer Gutenachtgeschichte zu verwenden, lässt die Abenteuer der Crew noch epischer erscheinen. Allerdings sei hier anzumerken, dass die Mischung aus englischen, teils phonetischen, Einsprengseln und physikalischen Begriffen den Leser geradezu dazu zwingt, langsam und genau zu lesen. Das muss nichts Schlechtes sein; ich musste allerdings mehr als einmal eine Zeile doppelt lesen, um sie zu verstehen. Davon abgesehen sind es Wortspiele wie „Nachtschnexe“ (Nachthexe und Nacktschnecke), die den Zauber des Textes für mich ausmachen.

Tarniks Jugendlichkeit in Lena Richters „Feuer“ ist erfrischend. Er ist genau im richtigen Alter, um die Geschichten, die er als Kind hörte, für wahr zu halten und dennoch Reife zu zeigen. Das Erzählen aus seiner Perspektive in der ersten Person lässt die Leser*innen jeden seiner Gedanken miterleben und das eigene Innere Feuer entdecken, dass die Welt verändern soll.

Anna Zabinis Text ist anklagend und unerträglich und sollte nicht anders sein. Durch das direkte Ansprechen und Siezen der Leser*innen durch die Protagonistin, fühlt man sich in eines dieser Gespräche versetzt, die unangenehm zu führen sind und dennoch geführt werden müssen, weil sich sonst nichts ändern kann.

In Bezug auf James Mendez Hodes‘ Essay liegt nur die Übersetzung vor, diese ist aber großartig zu lesen. Sachlich, leicht verständlich und immer wieder mit kurzen Einwürfen zu seiner eigenen Lebensrealität erklärt er, warum Orks ein Produkt britischen Imperialismus und Rassismus sind. Dabei ist er jedoch nie mit erhobenem Zeigefinger belehrend, und ich bin sehr gespannt auf den zweiten Teil des Essays, der beschreiben soll, wie Orks im Laufe der Zeit und heute noch genutzt werden, um schädliche Stereotype auszudrücken. Fantasy ist leider nicht einfach nur Fantasy.

Die Herausgeberinnen

Lena Richter ist nebenberuflich Autorin, Lektorin und Übersetzerin im Bereich Pen&Paper-Rollenspiele. Kathrin Dodenhoeft leitete vormals den Feder & Schwert Verlag und etablierte dort das feministische Label Wicked Queen Editions. Judith C. Vogt ist durch ihre veröffentlichten Romane wahrscheinlich die Bekannteste. Zuletzt haben wir ihren Roman Wasteland besprochen, den sie gemeinsam mit Christian Vogt geschrieben hat. Ihnen allen ist die Liebe zu Phantastik und Science-Fiction gemein.

Wer mehr über die drei wissen möchte, schaut am besten auf der Website von Queer*Welten vorbei.

Erscheinungsbild

Das Cover wurde verlagsintern gestaltet und passt wie die Faust aufs Auge. Es ist bunt, wie es sich für ein diverses Magazin gehört. Die Pride-Flagge ist dezent als Rahmen um den Titel Queer*Welten eingebunden und ein großes, buntes Herz prangt unübersehbar in der Mitte, gefüllt mit einer Wortwolke aus Begriffen, die den Texten im Inneren entnommen sind.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ach Je Verlag
  • Herausgeberinnen: Lena Richter, Judith C. Vogt, Kathrin Dodenhoeft
  • Erscheinungsdatum: Juni 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Broschüre
  • Seitenanzahl: 56 Seiten
  • ISBN: 978-3-947720-51-4
  • Preis: 7,99 EUR (Print) bzw. 5,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Den Anspruch, ein queerfeministisches Magazin auf einen Markt zu bringen, der von weißen Männern dominiert wird, ist nobel. Gleichzeitig einzuräumen, dass man nicht perfekt ist und Diversität nicht vollständig abbilden kann, sammelt bei mir Pluspunkte. Obwohl (oder gerade weil) die Textauswahl auf Einsendungen basiert, ist Queer*Welten meiner Meinung nach dem Anspruch der intersektionalen Diversität gerecht geworden.

Die Texte behandeln die unterschiedlichsten Themen auf unterschiedliche Weisen und sprechen alle einen anderen Part in den Leser*innen an. Insbesondere Anna Zabinis Text hat mich emotional mitgenommen und ich rechne es hoch an, dass vor Themen wie Femizid nicht zurückgeschreckt wird. Dass der Inhalt nicht auf rein kreative Texte reduziert wird, sondern immer auch ein Essay im Magazin zu finden ist, spricht mich sehr an. Man merkt deutlich, dass die Herausgeberinnen mit Liebe an das Projekt herangehen.

Das einzige, dass ich negativ anmerken würde, sind die Inhaltswarnungen. Nicht, weil es sie gibt; ich finde es eine gute Idee, diese zu integrieren. Allerdings würde ich mir wünschen, dass man diese nicht zwischen Titel und Text mit wenig Luft platziert, sondern entweder einen größeren Abstand zum folgenden Text lässt oder die Inhaltswarnungen auf die Seite vor der Geschichte packt. Mir passiert es oft, dass ich von einer Zeile ohne Pause zur nächsten springe. Um denen, die Texte mit bestimmten Inhalten wirklich nicht lesen möchten, eine Chance zu geben, diese Texte zu vermeiden, ist ein größerer Abstand von Warnung und Inhalt vielleicht nicht die schlechteste Idee.

mit Tendenz nach oben

 

Artikelbilder: © Ach Je Verlag
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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