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25 Jahre nach der Freisetzung eines Kampfstoffs, der große Teile Europas unbewohnbar machte, treffen sich eine Frau mit einem Motorrad, ein Mann mit einem Baby und eine Gang mit einem Schaufelradbagger in einer postapokalyptischen Welt. Ihr Ziel: Überleben. Doch wie weit darf man gehen?

In Wasteland zeichnen Judith und Christian Vogt das Bild einer Welt, in der die Menschheit versagt hat. Kriege führten zum Abwurf eines Kampfstoffs, der unsere heutigen Städte in unbewohnbare Todeszonen verwandelte; ohne Schutzausrüstung ist man dem sicheren Tod geweiht und selbst mit Atemmaske bleibt ein Risiko. Als wäre das noch nicht genug, gibt es auch Gangs (Toxxer), die Reisenden und Händlern (Hoper) das Leben schwer machen und ihren Teil vom Kuchen abhaben wollen.

Story

Nach einem Jahr kehren Laylay und ihr Vater Azmi zum Handgebunden-Markt zurück, um Vorräte aufzustocken. Zeeto, mit dem Laylay sich bei ihrem letzten Besuch gut verstanden hat, ist im Wasteland verschwunden. Da Laylay als Einzige immun gegen die Gifte zu sein scheint, macht sie sich auf den Weg, Zeeto zu suchen. Als sie ihn findet, hat er ein Baby bei sich, dass er nahe einem geheimen Bunker fand – mitten in der Todeszone. Damit fangen die Probleme erst an. Sowohl die Brokes, eine Gang, die das Land um den Handgebunden-Markt kontrolliert, als auch die Kingdom-Kome-Sekte haben großes Interesse an diesem Baby. Und dann ist da noch Zeeto, der im Wasteland eine tödliche Dosis Kampfstoff abbekommen hat.

Die Geschichte ist spannend und sehr gut zu verfolgen. Durch die Aufteilung in fünf größere, thematische Abschnitte – Hope, Toxx, Love, Feral und Beyond – bekommt der Leser eine Idee, um wen oder was es sich im jeweiligen Abschnitt handelt. Am Anfang eines jeden Kapitels finden sich zudem Informationen zum Ort des Geschehens, zum Datum und zum Erzähler, der übrigens nach jedem Kapitel wechselt. Damit bleibt es spannend und es stellt sich ein schnelles Lesetempo ein.

Laylay und Zeeto, die beiden Hauptfiguren, sind sympathisch genug, dass man mit ihnen mitfiebert, aber nicht so perfekt, dass man nach 50 Seiten genug von ihnen hätte. Sie sind dreidimensionale, lebende, atmende Figuren mit Wünschen, Träumen und Problemen. Auch den Nebencharakteren wird genug Zeit gewidmet, um mehr aus ihnen zu machen als den lustigen Sidekick, den grummeligen Vater oder die fürsorgliche Großmutter. Sie haben ebenfalls Motive und warten nicht nur darauf, dass sie von den Hauptfiguren gebraucht werden.

Die Brokes dagegen sind bis auf ihre Anführerin Queen Loke und ihren WiFi-Wizard (oder auf Deutsch „W-LAN-Priester“) Root, der scheinbar mit Internet, dem Gott der Altvorderen, in Verbindung steht, sprichwörtlich gesichtslos. Bis auf Boomba tritt niemand hervor, sie alle sind drogenabhängige, schießwütige Irre, die mit ihren Motorrädern durch die Gegend heizen und kostbares Benzin vergeuden. Die Menschen, die im Bunker leben, sind ähnlich unsympathisch, was aber vor allem daran liegt, dass der Leser sie aus Laylays und Zeetos Sicht kennenlernt. Im Gegensatz zu den Marktbewohnern wirken sowohl die Brokes als auch die Bunkermenschen wie die typischen NPCs, die man braucht, um den Protagonisten jemandem zum Interagieren zu geben.

Schreibstil

Jeder der Erzähler hat seine eigene Stimme, sodass der Leser problemlos erkennen kann, wer gerade erzählt, selbst wenn er nicht die Information zu Beginn des Kapitels gelesen hat. So berichtet Laylay ihren Teil der Geschichte aus der Egoperspektive und in der Vergangenheit; ganz so, als würde sie die Geschichte jemandem erzählen. Zeeto berichtet zwar auch aus der Ich-Perspektive, allerdings in der Gegenwart. Das korreliert damit, dass er eine Art Tagebuch führt und so seinen Teil der Geschichte scheinbar direkt aufschreibt, wenn auch nur im Geiste. Ein kleinerer Teil der Kapitel wird aus Roots Sicht erzählt, hier allerdings aus der dritten Person und in der Vergangenheit. Zudem bestehen die Informationen zu Beginn seiner Kapitel lediglich aus den Worten „NO WIFI“.

Die Beschreibung der Welt erfolgt dann, wenn sie für das Geschehen notwendig ist, anstatt sie dem Leser zusammenhanglos in einem riesigen Absatz zu präsentieren. Man bekommt einen Eindruck davon, wie die Menschen leben, nachdem die Welt, wie wir sie heute kennen, nicht mehr existiert.

Der Schreibstil selbst ist angenehm zu verfolgen und gut lesbar. Dadurch, dass ein Großteil des Romans aus der ersten Person erzählt wird, wirkt er sehr persönlich und nah. Da ist zum Beispiel der Humor, der sich durch die Geschichte zieht: Roots drei Drohnen sind nach K.I.s und Androiden benannt und es finden sich immer wieder Verweise auf andere Romane oder Rollenspiele. Auch Zeetos Schilderungen und Erklärungen seiner bipolaren Neurodivergenz tragen zu dieser Nähe bei. Sie sind immer wieder dann präsent, wenn er glaubt, dem implizierten Leser genauer erklären zu müssen, warum er sich so verhält oder so denkt, wie er es tut.

Was ebenfalls herauszustellen ist, ist die gendergerechte Sprache. Sowohl Hoper als auch Toxxer stellen sich mit Namen und präferierten Pronomen vor und obwohl das nicht-binäre Pronomen „ser“ sich zunächst ungewöhnlich liest, fällt es schon bald nicht mehr auf. Übrigens sind die Bunkermenschen die einzigen, die an der binären Einteilung der Geschlechter festhalten.

Der Text ist durchzogen mit türkischen Begriffen und Vokabeln. Dass man diese nicht unbedingt versteht, tut dem allgemeinen Verständnis und Mitfiebern keinen Abbruch; es verstärkt vielmehr den Eindruck eines Landes, in dem sich die Sprache an die Bewohner angepasst hat. Allerdings fragt man sich, warum „Hoper“ und „Toxxer“ als Begriffe gewählt wurden, wenn Englisch abgesehen von Charakternamen und Titeln der Abschnitte sonst so wenig präsent ist.

Die Autoren

Judth C. Vogt absolvierte nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zur Buchhändlerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Christian Vogt hingegen ist studierter Physiker und widmet sich abgesehen von den gemeinsamen Romanen vor allem Kurzgeschichtenanthologien. Gemeinsam veröffentlichte das Autorenpaar bereits sechs Romane – Wasteland ist der siebte Roman, der in Zusammenarbeit entstand. Für den ersten gemeinsamen Roman, Die zerbrochene Puppe, erhielt das Autorenpaar den Deutschen Phantastik Preis in der Kategorie „Bester deutschsprachiger Roman“.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Knaur
  • Autoren: Judith C. Vogt und Christian Vogt
  • Erscheinungsdatum: 01. Oktober 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 400 Seiten
  • ISBN: 978-3-426-52391-9
  • Preis: 14,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonuscontent

Am Ende des Buches findet sich die Danksagung, die mit einer kurzen Erklärung beginnt, wie die Geschichte im Wasteland zustande kam. Auf der letzten Seite befindet sich die Inhaltswarnung, auf die zu Beginn noch vor der Widmung hingewiesen wird und die Themen aufzählt, mit denen manche Leser Probleme haben können.

Fazit

Wasteland erzählt von einer Zukunft, die gar nicht so weit entfernt ist, wenn wir unseren derzeitigen Kurs beibehalten. Das Setting erinnert an Videospiele wie Fallout oder Rollenspiele wie Shadowrun und schafft es dennoch, eine ganz eigene Postapokalypse zu sein. Die Hauptcharaktere sind sympathisch und nah. Gemeinsam mit den anderen Bewohnern der Todeszone, insbesondere den Marktbewohnern, erwecken sie diese zum Leben.

Als jemand, der im Freundes- und Bekanntenkreis nur wenig Kontakt zu Menschen mit Neurodiversität hat, bin ich dankbar für die Schilderungen aus Zeetos Sicht, da sie einen Anstoß bieten, sich tiefer mit dem Thema auseinander zu setzen. Selbes gilt für die gendergerechte Sprache.

Mein einziges Manko wäre tatsächlich die Motivation der Bunkerbewohner, die für mich nicht sehr viel Sinn ergibt und ein wenig drastisch wirkt.

Obwohl das Ende offen ist und der fünfte Abschnitt des Buches, Beyond, an eine Post-Credit-Scene erinnert, hoffe ich sehr, dass es bei einem Einzelband bleibt; denn wo ergibt Hoffen einen Sinn, wenn man das Ende kennt?

 

Artikelbild: © Knaur, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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