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Gideon Falls gehört zu den besten Horror-Graphic-Novels der letzten Jahre. Die Serie des Autors Jeff Lemire, auch bekannt für Black Hammer, punktet mit interessanten Charakteren und einer spannenden Bedrohung. Im dritten und vierten Band geht sie dabei auf die Zielgerade zu. Können die Bände die Stärken ihrer Vorgänger aufrechterhalten?

Jeff Lemires subtile Horror-Reihe Gideon Falls unterhält aufgrund mehrerer Elemente, weswegen der erste und zweite Band im Test gute bis sehr gute Bewertungen erhalten haben. Lemire lässt sich Zeit, seine Charaktere und Handlung aufzubauen. Das Resultat ist ein Spannungsbogen, der im Laufe der Erzählung immer mehr zum Mitfiebern einlädt. Die subtile Horroratmosphäre wird dabei von Andrea Sorrentinos herausragenden Zeichnungen und der stimmungsvollen Kolorierung von Dave Stewart gestützt.

Im zweiten Band hat man sich als Leser*in bereits nach einigen Antworten gesehnt und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Handlung stellenweise in die Länge gezogen wird. Der dritte Band (Der Kreuzweg) und die vierte Graphic Novel der Reihe (Das Pentoculus) sind somit Auflösungen schuldig. Werden diese geliefert?

Gideon Falls Bd. 3: Der Kreuzweg

In der ersten Hälfte von Der Kreuzweg folgt man ausnahmsweise nicht der Handlung der Protagonisten der beiden Vorgänger, Norton Sinclair und Pater Wilfred. Stattdessen begleiten Leser*innen Pater Burke, der unglücklicherweise als einer der Ersten mit dem Horror der Schwarzen Scheune in Berührung gekommen ist.

Diese auf den ersten Blick seltsame Entscheidung erweist sich als genialer Schachzug für das Storytelling von Gideon Falls. Gleich zu Beginn liefert der dritte Band lang ersehnte Antworten und bestätigt eine Vermutung, die sich seit dem zweiten Band immer deutlicher aufgedrängt hat. Darüber hinaus gelingt es Jeff Lemire bisher unscheinbaren Charakteren eine neue Bedeutung zukommen zu lassen und die Spannung seines Publikums durch neue Andeutungen und Mysterien aufrecht zu erhalten. Dieser Band ist bereits nach der Hälfte ein Highlight.

Nach dem turbulenten Beginn schaltet Der Kreuzweg einen Gang zurück und fokussiert sich wieder auf die ursprünglichen Protagonist*innen. Die Handlung aus Erbsünden wird konsequent fortgesetzt und überzeugt mit starken Charaktermomenten. Diese ruhigere Erzählweise darf keinesfalls mit einem abflachenden Spannungsbogen verwechselt werden. Immer wieder rufen Begegnungen mit dem Lachenden Mann in Erinnerung, dass die Gefahr näher rückt. Gerade am Ende weiß man bereits, dass der vierte Band keine angenehmen Überraschungen für die Charaktere bereithalten wird.

Wie schon in den Vorgängern wird Lemires erzählerisches Geschick durch die Zeichnungen von Andrea Sorrentino und die Kolorierung von Dave Stewart harmonisch ergänzt. Ausdrucksstarke Mimik und Gestik bringen die Emotionen der Charaktere besonders gut zur Geltung. Das liegt auch an der Entscheidung für einen sehr reduzierten Einsatz von Hintergründen. Die Akteur*innen der Handlung sind unübersehbar im Fokus.

Visuell ist Der Kreuzweg der bisher imposanteste Band. Speziell in der ersten Hälfte findet die Handlung an vielen unterschiedlichen Orten mit individueller Atmosphäre statt, sodass grafisch beeindruckende Szenen auf beinahe jeder Seite auftauchen. Besonders dramatische oder wichtige Momente werden auf Doppelseiten präsentiert, wodurch die Boshaftigkeit und Grausamkeit des Schwarzen Mannes an Wirkungskraft gewinnen. Ebenso finden sich Szenen, durch die der mentale Zustand der Protagonist*innen beleuchtet wird und man als Leser*in weitere Charaktereinblicke erhält.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor*in: Jeff Lemire
  • Zeichner*innen: Andrea Sorrentino, Dave Stewart
  • Seitenanzahl: 136
  • Preis: 22,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Gideon Falls Bd. 4: Das Pentoculus

Während der dritte Band im Zeichen von Antworten auf viele Fragen stand, wird Das Pentoculus von Horror dominiert. Der Lachende Mann hat sich in Gideon Falls manifestiert und sorgt für Angst und Schrecken. Die Protagonist*innen suchen nach Mitteln und Wegen, um dem Monstrum Einhalt gebieten zu können. Das ist leichter gesagt als getan, weiß man weder genau um die Herkunft des Wesens, noch um seine Fähigkeiten.

Letztgenanntes bringen die Figuren auf leidvolle Art und Weise in Erfahrung. Zum einen ist der Lachende Mann ein Meister der Tarnung, zum anderen stellt er in einer Konfrontation eine unglaubliche Gefahr dar. Stellenweise fühlte ich mich in diesem Band an den Klassiker Das Ding aus einer anderen Welt erinnert. Wie das außerirdische Wesen in den Filmadaption von 1951 und 1982 ist der Lachende Mann listig und furchteinflößend zugleich. Dadurch ist er gefühlt immer einen Schritt voraus. Selbst wenn er endlich gestellt wird, hinterlässt er ein markantes Gefühl der Bedrohung. Oftmals kommt die Frage auf, ob nicht alles von dem übernatürlichen Wesen geplant ist. Das Pentoculus setzt damit weniger auf subtilen Horror als seine Vorgänger und stellt die direkte Konfrontation mit dem manifestierten Bösen in den Vordergrund.

Das gelingt ausgezeichnet. Der Verlauf dieses vierten Bandes ist nervenaufreibend, wobei Charaktermomente in ruhigen Pausen den Protagonist*innen Tiefgang verleihen. Das Finale des vierten Bandes ist einer der stärksten Moment der gesamten Reihe, wenngleich der gesamte Band etwas weniger Wirkung hinterlässt als Der Kreuzweg. Das ist jedoch Jammern auf sehr hohem Niveau.

In Hinblick auf die visuelle Gestaltung gibt es ebenso ein paar Besonderheiten. Andrea Sorrentino und Dave Stewart erschaffen, passend zur Handlung von Das Pentoculus, einige ihrer blutigsten und grausigsten Szenerien. In Erinnerung geblieben ist beispielsweise eine Szene in der Mall von Gideon Falls. Die hinzugerufenen Polizist*innen nähern sich dem Eingang und das letzte Panel der Seite deutet bereits den Schrecken an, als einer von ihnen nur „Großer Gott!“ äußert. Auf der nächsten Seite offenbart sich in einem großflächigen Panel die grausame Tat des Lachenden Mannes, die selbst den Gesetzeshüter*innen die Panik ins Gesicht treibt. Die dunkle Kolorierung mit ihren wirkungsvollen Kontrasten (ratet mal welche Farbe in dem Blutbad die Akzente setzt) verstärkt die Wirkung des Gesehenen. Solche Beispiele von Spannungsaufbau und effektivem Storytelling finden sich im ganzen Band.

Darüber hinaus spielen die Künstler mit der körperlichen Form des Schreckens. War der Lachende Mann bisher als schwarze Figur mit breitem Grinsen zu sehen, bekommt man nun mehr Eindrücke zu seiner wahren Form. Hierbei mag sich manche*r Leser*in an den dämonischen Clown Pennywise aus Stephen Kings ES erinnert fühlen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor*in: Jeff Lemire
  • Zeichner*innen: Andrea Sorrentino, Dave Stewart
  • Seitenanzahl: 136
  • Preis: 22,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Abschließendes Fazit

Gideon Falls ist und bleibt ein Meisterwerk. Der subtile Horror findet im dritten Band Der Kreuzweg seine Fortsetzung, wobei eine Vielzahl an Fragen geklärt werden und die Gefahr durch den Lachenden Mann abermals deutlicher wird. Der Kreuzweg ist im Moment der beste Band der Reihe, kann er durch Enthüllungen, neue Mysterien und fantastische Charaktermomente glänzen.

Der vierte Band Das Pentoculus hinterlässt etwas weniger Eindruck, wenngleich es sich hier um Kritik auf sehr hohem Niveau handelt. Die starken Charaktermomente lassen dem deutlichen Horror Vortritt, als der Lachende Mann sein Blutbad in Gideon Falls hinterlässt. Das Pentoculus ist wahrscheinlich der actionreichste Teil der Reihe, bleibt aber den Wurzeln der grandiosen Erzählweise treu.

Visuell sind beide Bände wahre Hingucker, speziell aufgrund der Gestik und Mimik der Charaktere. Im dritten Teil schafft das Künstlerteam zudem spannende und interessante Schauplätze, während Das Pentoculus besonders durch seine Brutalität in Erinnerung bleibt.

Die Serie findet mit dem fünften Eintrag (Welten des Bösen) ihr Ende, welcher im März 2021 erscheinen soll. Auf der einen Seite freue ich mich auf den nächsten Band dieser grandiosen Graphic Novel. Auf der anderen Seite fiebert man dem Abschluss einer solch spannenden Geschichte mit einem weinenden Auge entgegen.

Artikelbild: © Splitter
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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