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Ein neues Abenteuer mit frischen Charakteren steht an und alle Spielenden entscheiden sich, dieselbe Klasse zu spielen. Was nun? Sollte man dieser Idee von vornherein eine Absage erteilen oder dem Ganzen eine Chance geben? Kann es überhaupt funktionieren und wenn ja, wie?

Bei Systemen mit einer großen Anzahl an Klassen oder Berufen ist es unwahrscheinlicher, dass alle das Gleiche spielen wollen. Aber was, wenn doch? Wenn man in einem System unterwegs ist, das nur eine Handvoll verschiedener Klassen bietet und wenn alle Spielenden sich dieselbe aussuchen? Als SL hat man grundsätzlich drei Möglichkeiten: Es erlauben, es nicht erlauben oder einen Kompromiss finden.

Gründe, es nicht zu erlauben

Jede Klasse eines Rollenspielsystems ist auf bestimmte Aspekte spezialisiert. So etwa der Fokus auf Gesellschaftliches und Soziales, Kampf oder Überleben in der Natur. Wenn nun alle SC dieselbe Klasse haben, ist also davon auszugehen, dass sie auch dieselben Schwerpunkte in ihrem Können besitzen. Das macht es für die SL schwierig, das Spotlight während des Spielens zu verteilen, da alle für eine bestimmte Situation gleich gut oder schlecht geeignet sind. Gerade dominantere Spieler*innen können sich schnell in den Vordergrund drängen, was irgendwann zu Unmut beim Rest der Gruppe führt. Davon abgesehen wird es früher oder später für die Spielenden langweilig werden, wenn sie sich durch ihre Fähigkeiten nicht von den anderen abgrenzen und abheben können.

Spieler*innen sollten es respektieren, wenn die SL eine Idee nicht umsetzen kann oder möchte. depositphotos ©ArturVerkhovetskiy

Ebenso wird die Gruppe, sofern die gewählte Klasse nicht breit aufgestellt ist, Lücken in ihren Fähigkeiten aufweisen, unter Umständen auch in Kompetenzbereichen, die nötig wären, um das Abenteuer zu bestehen.

In jedem Fall erfordert es von der SL Fingerspitzengefühl, alle Charaktere genügend einzubinden und ein geeignetes Abenteuer zu finden oder so umzuschreiben, dass die Gruppe es lösen kann. Deshalb ist es das gute Recht der SL, eine Gruppe mit Charakteren derselben Klasse nicht zuzulassen. 

Gründe, es zu erlauben

Mit einer Gruppe, die nur aus einer Klasse besteht, zu arbeiten, kann eine spannende Herausforderung sein – sowohl für die SL als auch die Spielenden selbst. Da alle ähnliche Fähigkeiten besitzen, muss man lernen, auf die anderen Rücksicht zu nehmen und nicht jede Probe an sich zu reißen.

Mit ähnlichen Startvoraussetzungen lassen sich leicht bereits zu Anfang des Spiels bestehende Verbindungen zwischen den SC schaffen, was das Charakterspiel zu Beginn, gerade für Neulinge, erleichtert. So ist es möglich, dass die SC gemeinsam ihre Ausbildung absolviert haben oder im selben Betrieb arbeiten.

Für SL, die sich gerne eigene Abenteuer ausdenken, kann es interessant sein, sich ein passendes einfallen zu lassen. Dabei kommt es natürlich stark auf die gewählte Klasse an. Eine Gruppe aus klassischen Magier*innen wird wenig Freude an einer Reise durch die Wildnis haben. Oder vielleicht ist es gerade diese Herausforderung, die Charaktere mit etwas zu konfrontieren, in dem sie nicht bewandert sind, die es spannend macht? In diesem Fall sollten jedoch auch Situationen eingebaut werden, in denen die SC brillieren können, um den Frust über die x-te misslungene Probe bei den Spielenden nicht zu groß werden zu lassen.

Der SL bieten sich neue Möglichkeiten der Abenteuergestaltung. depositphotos ©alphaspirit

Auf der anderen Seite bietet sich für SL die Möglichkeit, eine Art „Spezialist*innenabenteuer“ zu kreieren, das sich für eine bunt gemischte Gruppe nicht eignen würde und in dem Charaktere einen Platz finden, die in „normalen“ Gruppen ungeeignet sind. Etwa ein gefährlicher Auftrag für eine hochspezialisierte Einheit von Elite-Krieger*innen oder eine Schulklasse Nekromant*innen, die ihre Abschlussprüfung am Ort einer längst vergangenen Schlacht absolvieren.

Falls die SL Zweifel an der Idee einer „einklassigen“ Gruppe hat, die Spielenden aber darauf beharren, es einmal auszuprobieren, bietet sich eine radikale, wenn auch etwas riskante Möglichkeit: Einfach ein Abenteuer mit den gewünschten SC der Gruppe spielen. Danach wird sich herausstellen, ob es gut oder schlecht funktioniert hat und ob man, nach eventuellen Anpassungen, einen weiteren Versuch wagen möchte.

Einen Kompromiss eingehen

Ein Kompromiss ist immer eine gute Lösung, wenn niemand so richtig mit der einen oder anderen Möglichkeit zufrieden ist. Hierbei ist der offensichtlichste Kompromiss, dass nicht alle aus der Gruppe dieselbe Klasse spielen. Möglicherweise lässt sich jemand für eine andere Klasse begeistern, weil sie doch besser zu den eigenen Vorstellungen passt. Zur Not kann auch ausgelost werden, wer die begehrte Klasse spielen kann oder man einigt sich darauf, dass sie nur von zwei Personen gespielt wird.

Einen Kompromiss eingehen zu können ist auch im Rollenspiel wichtig. depositphotos ©DesignPicsInc

Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Charaktere unterschiedlich viel Erfahrung in ihrer Klasse haben. Darauf basierend könnte man eine Art Lehrenden-Lernenden-Verhältnis aufbauen. Ein oder mehrere SC sind hierbei schon etwas erfahrener und leiten den Rest der Gruppe an. Sie bringen  den Unerfahreneren bei, was sie wissen und gehen mit ihnen auf Abenteuer, sodass sie ihre Fähigkeiten trainieren und verbessern können. Auf diese Weise entsteht eine interessante Dynamik in der Gruppe, die jedoch nicht von den Spieler*innen der erfahrenen SC ausgenutzt werden sollte.

Wie so oft ist auch hier Kommunikation das A und O. Fühlen sich alle wohl mit dem ausgearbeiteten Kompromiss? Möchte jemand vielleicht doch eine andere Klasse spielen? Ist trotzdem niemand so richtig zufrieden und man lässt die Idee „alle spielen dieselbe Klasse“ lieber doch sein? Oder sind alle gespannt darauf, es einmal auszuprobieren? 

Weitere Möglichkeiten

Wenn das bespielte System neben den Klassenfertigkeiten noch weitere wählbare Talente bereitstellt, lässt sich hierüber eine gewisse Diversität in der Gruppe erreichen. So könnte sich ein Charakter als Hobby für die Holzschnitzerei interessieren und ein anderer sich aufgrund des Familienbetriebes mit Backen und Kochen auskennen.

Manche Systeme wie D&D und DSA ermöglichen es, sich im späteren Verlauf innerhalb der Klasse oder der Fertigkeiten zu spezialisieren, wodurch sich die Charaktere noch weiter ausdifferenzieren lassen. Wieder andere Systeme wie Shadowrun bieten die Möglichkeit, eine Grundklasse mit verschiedenen Variationen zu spielen, wodurch man sich schon direkt zu Beginn absprechen kann, um mehr Abwechslung zu haben.

Ebenso bietet das Kombinieren der Klasse mit verschiedenen Völkern, sofern das System dies ermöglicht, einen entscheidenden Unterschied zwischen den Charakteren. Ein Gnom-Druide aus D&D kann ganz andere Möglichkeiten und Ideen zur Ausgestaltung liefern als ein Tiefling-Druide.

Was zu einem weiteren Punkt führt: Die SC mögen zwar dieselbe Klasse haben, aber die Werte auf dem Dokument sind nicht alles. Es ist dennoch möglich sie mit stark unterschiedlichem Charakter zu spielen und auf diese Weise Variation in die Gruppe zu bringen. Nicht jede*r Barbar*in muss die harte Haudrauf-Maschine sein und nicht jede*r Dieb*in die zwielichtige Person, der man besser nicht über den Weg traut. 

Ein Beispiel aus eigener Erfahrung

In einer Call of Cthulhu-Runde spielen wir eine Gruppe deutscher Soldat*innen im Ersten Weltkrieg. Der Grundberuf von allen lautet Soldat. Da das Regelwerk es ermöglicht, Punkte relativ frei auf die verschiedenen Fertigkeiten zu verteilen, haben sich alle auf etwas anderes spezialisiert. So bekleidet eine Soldatin einen höheren Rang, führt die Gruppe an und hat bessere Werte in sozialen Fertigkeiten. Eine weitere Soldatin ist ihre Stellvertreterin und gleichzeitig die Ärztin der kleinen Einheit. Ein Soldat kann besonders gut mit dem Scharfschützengewehr umgehen und ein anderer kennt sich mit Sprengstoffen aus, während ein fünfter die Aufgabe des Spähers übernimmt.

Da sie denselben Beruf haben, ähneln sich manche ihrer Fähigkeiten. So können alle mit Schusswaffen umgehen und reiten, da sie einer Kavallerieeinheit angehören. Aber durch das Verteilen der restlichen Punkte auf unterschiedliche Fertigkeiten, ist jeder Charakter sehr individuell und alle haben die Möglichkeit durch ihr besonderes Können im Spotlight zu stehen.

Nur weil alle dieselbe Klasse spielen, müssen sie nicht gleich sein. depositphotos ©mynoemy

Fazit

Es ist zwar recht unwahrscheinlich, dass alle Spielenden sich dieselbe Klasse aussuchen und das auch umsetzen wollen. Dennoch besteht die Möglichkeit, gerade in Systemen mit wenigen verschiedenen Klassen. Dann muss man sich Gedanken darum machen, ob man das zulassen möchte und wenn ja, wie.

Eine Frage, die man sich dabei immer stellen sollte, ist: Können die Charaktere trotz derselben Klasse durch Verteilung von Fertigkeiten und der Ausarbeitung von Hintergrund sowie Hobbys unterschiedlich genug gestaltet werden, um ein interessantes Spiel zu ermöglichen? Die Klasse eines Charakters ist nicht alles und sollte ihn nicht allein definieren. Erst durch alle Komponenten zusammengenommen wird er zu dem, was er ist.

Deshalb ist es durchaus möglich, eine Gruppe zu spielen, die nur eine Klasse nutzt. Ob es allerdings auf Dauer sinnvoll ist, muss jede Rollenspielrunde für sich selbst herausfinden. Aber es ist den Versuch wert. Und sei es nur, um die Erfahrung zu machen, dass man so etwas in Zukunft nicht mehr versucht. Jedes solche Erlebnis trägt am Ende dazu bei, dass die Gruppe ihre bevorzugte Spielweise findet. 

Titelbild: depositphotos ©estebande
Artikelbilder: wie gekennzeichnet
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Maximilian Düngen

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