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Die leuchtenden Geister der Verstorbenen erhellen in Phantasmen den Großteil der Welt. Inmitten dieser seltsamen Lage sind die Schwestern Rain und Emma unterwegs, um die Geister ihrer bei einem Absturz verstorbenen Eltern zu sehen. Beide können nicht ahnen, dass diese Reise das Schicksal der ganzen Welt entscheiden wird.

Graphic Novel-Adaptionen der Werke des deutschen Autors Kai Meyer finden sich inzwischen vielfach im Angebot des Splitter Verlags wieder. Das stetig wachsende Portfolio dieser Umsetzungen umfasst dabei sowohl Romanreihen (Das Wolkenvolk, Frostfeuer oder Die Krone der Sterne) als auch Einzelwerke wie die hervorragende Schauergeschichte Der Speichermann. Mit Phantasmen gesellt sich eine weitere in sich abgeschlossene Erzählung hinzu, in welcher der Autor dem Thema des Weltuntergangs auf die Spur rückt. Doch da Zombies, Viren, nukleare Apokalypse und Meteoriteneinschläge inzwischen tausendfach abgehandelt wurden, bedient sich Kai Meyer einer ungewöhnlicheren Bedrohung: Geistern.

Handlung & Charaktere

Bereits zu Beginn der Erzählung erfahren die Lesenden, dass eines Tages die leuchtenden Geister der Verstorbenen ihren Weg zurück in unsere Welt fanden. Beinahe regungslos dastehend erhöht sich ihre Anzahl täglich und unaufhaltsam weiter, bis es zum Zeitpunkt der Geschehnisse kaum mehr geisterlose Orte auf der Welt gibt. Selbst die Wüste von Tabernas in Spanien, in welcher die beiden Protagonistinnen Rain und Emma unterwegs sind, bleibt von den Erscheinungen nicht verschont. Denn die beiden Schwestern sind auf dem Weg zur Absturzstelle eines Fluges, bei dem ihre Eltern von einiger Zeit umkamen und deren Geister deswegen bald erscheinen sollten.

© Splitter Verlag

Im Laufe dieser Reise müssen die jungen Frauen jedoch innerhalb kürzester Zeit feststellen, dass die Geistererscheinungen plötzlich nicht mehr so harmlos sind, wie man nach einer anfänglichen Panik in Folge des ersten Auftauchens angenommen hatte. Gemeinsam mit dem mysteriösen Tyler, den sie an der Absturzstelle treffen, schlittern die Schwestern in lebensbedrohliche Situationen und eine verzweifelte Suche nach Antworten zum Ursprung der Katastrophe.

Phantasmen liefert eine Weltunterganggeschichte, die zu Beginn Interesse durch die unverbrauchte Geisterbedrohung weckt und im weiteren Verlauf der Handlung eine emotionale Bindung zum Überlebenskampf der drei Protagonist*innen ermöglicht. Der Erzählfluss findet eine gesunde Mischung aus Action, Horror und Ruhephasen, in denen besonders der Hintergrund von Rain näher beleuchtet wird.

© Splitter Verlag

Die Dynamik der Hauptfiguren untereinander spielt nach der Einleitung eine große Rolle für den Charme der Handlung, wenngleich Rain als Erzählerin definitiv in den Vordergrund gerückt wird. Dennoch stiehlt sie Tyler und Emma nicht die Show, selbst wenn sie über mehr Tiefgang als ihre Begleiter*innen verfügt.

Dasselbe lässt sich leider nicht von den Antagonisten der Geschichte sagen, welche neben der weltumspannenden Geisterbedrohung natürlich nicht fehlen dürfen. Leider fallen diese in altbekannte Klischees oder verfügen über sehr limitierte Auftritte, wodurch ihre Wirkungskraft eingeschränkt ist. Im Gegenzug bleiben dafür einige Nebencharaktere prominent in Erinnerung.

Zeichenstil

Bei der Kolorierung von Comics ist das sogenannte Flattening ein wichtiger Schritt. Darunter versteht man, dass nach Fertigstellung der Zeichnungen die verschiedenen Bestandteile jedes Panels (z.B. das Gesicht eines Charakters, dessen Kleidungsstücke oder Objekte im Hintergrund) mit einer ausgewählten Farbe gefüllt und dadurch leichter voneinander abgrenzbar werden. Dieser Schritt macht es für Kolorist*innen anschließend einfacher, bei der finalen Ausgestaltung gewünschte Bereiche auszuwählen und auszugestalten.

Warum ist diese Info relevant? Weil die visuelle Gestaltung von Phantasmen den Eindruck hinterlässt, als hätte man die Zeichnungen in den finalen Farben geflattet und anschließend die Linien der Vorlage entfernt. Der verantwortliche Künstler Jurek Malottke, welcher bereits die Graphic Novel-Adaption von Kai Meyers Das Fleisch der Vielen gezeichnet hat, setzt sichtlich auf einen äußerst expressionistischen Stil.

Zu Beginn ist dieser gewöhnungsbedürftig, insbesondere, da man aufgrund der Simplifizierung einer Großzahl von Szenenelementen gewisse Dinge nicht sofort erkennt. Manchmal wirken sogar Personen nur wie Farbkleckse im Bild. Doch gewinnt man im Laufe der Lektüre ein Gefühl für die künstlerische Darstellung und kommt am Ende nicht umhin, die Ausgestaltung zu bewundern. Solche Werke rufen abermals in Erinnerung, dass all die komplexen Bilder und Objekte in unserer Welt auch nur aus einer Vielzahl simpler Formen bestehen und durch diese abstrahiert werden können.

Cover © Splitter Verlag

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor*in: Kai Meyer
  • Zeichner*in: Jurek Malottke
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 240
  • Preis: 35,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Phantasmen hat mich über die üppige Gesamtzahl von 240 Seiten stets gut unterhalten. Das Szenario der Geisterscheinungen ist erfrischend unverbraucht im Hinblick auf Weltuntergangsszenarien und sorgt damit für eine interessante Ausgangslage. Das Fesselnde ist jedoch die um die drei Protagonist*innen entstehende Überlebensgeschichte, welche gleichzeitig dem Mysterium der Geister auf den Grund geht.

Erfreulicherweise weisen die Hauptcharaktere eine gute Dynamik zueinander auf, sodass man als Leser*in schnell eine Bindung aufbaut und mit den jungen Menschen mitfiebert. Etwas schade ist die oberflächliche und klischeebehaftete Ausgestaltung der Antagonisten, welche dadurch etwas langweilig und vorhersehbar geraten sind. Da die Wirkungskraft der Geschichte jedoch nicht auf diesen Figuren beruht, ist das ein zweitrangiger Makel.

Die visuelle Gestaltung von Jurek Malottke ist ungewöhnlich und wird manchen zu Beginn der Lektüre vielleicht sogar negativ auffallen. Zeichnung und Kolorierung sind sehr expressionistisch und simplifiziert gehalten, wodurch viele Details und Szenenelemente lediglich angedeutet werden. Mit der Zeit lernt man diese Art der Darstellung jedoch zu schätzen und beginnt sogar, das Talent des Künstlers zur Simplifizierung und atmosphärischen Gestaltung mit einfachen Mitteln zu schätzen.

Insgesamt zählt Phantasmen für mich, der jedoch zugegebenermaßen die Romanvorlage nicht kennt, zu einer der positivsten Überraschungen des bisherigen Jahres. Fans des Buchs von Kai Meyer werden selbstverständlich das Risiko eingehen müssen, ob die Adaption der Qualität der Vorlage gerecht werden kann.

  • Frisches Weltuntergangsszenario mit toller Dynamik der Hauptcharaktere
  • Spannender Überlebenskampf mit dezentem Horror- und Mystery-Flair
  • Ungewöhnlicher, doch atmosphärischer Zeichenstil
 

  • Antagonisten sind leider unoriginell

 

Artikelbilder: © Splitter Verlag
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Jessica Albert
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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