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Bereits vor vierzehn Jahren wurde versucht, die Serie Aphrodite IX, an den Mann zu bringen. Leider weckte die Geschichte rund um die sexy Attentäterin wenig Interesse beim Kunden und so wurde sie bereits nach vier Ausgaben wieder vorzeitig beendet. Dabei ist der führende Zeichner Stjepan Sejic ein echtes Ausnahmetalent. Der Verlag Top Cow lässt es auf einen neuen Versuch ankommen und belebt die Serie wieder. Dabei wird die Handlung in die ferne Zukunft verlegt und ermöglicht so einen Neustart.

Handlung

Einst wurde die Menschheit im Rahmen einer globalen Katastrophe nahezu ausgelöscht. Und doch fand die Natur einen Weg, die Spezies weiter bestehen zu lassen. Auch wenn die Atmosphäre unwiderruflich beschädigt ist, überlebten zwei Gruppierungen. Auf der einen Seite stehen jene, die ihr Heil im Glauben gefunden haben und von einer Monarchie regiert werden – die Gens. Sie beherrschen es auch, mittels Gentechnologie ihre und die Körper anderer zu verbessern. Dabei züchten sie sogar Mensch-Tier-Mischwesen und reiten auf drachenähnlichen Kreaturen. Auf der anderen Seite stehen die Cybernetiker, bis aufs Blut mit den Gens verfeindet. Sie werden von einem Rat gelenkt, dessen Funktionsweisen stark an eine Einheitspartei erinnern und stärken ihre Körper mit kybernetischen Implantaten. Bezeichnenderweise kommen erstere aus dem Osten, zweitere aus dem Westen.

Bereits der komplett verschiedene Ansatz der Kulturbildung zeigt, in welch tiefem Schisma die Reste der Menschheit existieren. Wie zu erwarten war, dreht sich der Kampf um Ressourcen. Bei der Erkundung von Ruinen weckt Marcus, Sohn des Königs der Gens, den Cyborg Aphrodite IX. Sie ist das Ergebnis einer langen Serie von Experimenten, um die perfekte Tötungsmaschine zu erzeugen. Gejagt von den Drohnen der Kybernetiker flieht er mit ihr in seine Heimstadt, unwissend, dass der Feind ebenfalls eine Reliquie der Vergangenheit gefunden hat. Hierbei handelt es sich um Robert Burch, den Entwickler und wissenschaftlichen Betreuer von Aphrodite. Dieser schlägt sich sofort auf die Seite der Kybernetiker und bietet seine Dienste an. Sie bestehen unter anderem daraus, dass er Aphrodite fernsteuert und ihr so Tötungsbefehle für die königliche Familie der religiösen Gens einpflanzen kann.

Ein blutiger Rausch beginnt, in dem sich aber immer wieder zeigt, dass die Cyborg-Dame mehr ist als eine Maschine. Immer, wenn sie ferngesteuert wird, verliert sie ihr Gedächtnis für diese wenigen Minuten und findet sich mit blutigen Händen und voller Schuldgefühle wieder. Doch je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr gewinnt sie Kontrolle über sich, bis alles in einem brachial inszenierten Gefecht zwischen den verfeindeten Fraktionen endet.

Die Folgen des Ausgangs dieser Schlacht für Aphrodite selbst überraschen den Leser mit einem Cliffhanger, der deutlich zum Weiterlesen animiert.

Charaktere

Wie zu erwarten ist, liegt der Fokus natürlich auf der Cyborg-Dame. Sie ist weit mehr als eine programmierte Attentäterin. Sie erinnert sich hier und da an ihr vorheriges Leben, sucht nach dem Sinn des eigenen Daseins und gleitet ab in tiefe Selbstvorwürfe, als sie erkennt, dass sie ausgenutzt wird. Somit ist ihre Geschichte sehr nah an einem klassischen Science-Fiction-Aufhänger. Der Fokuspunkt der Menschmaschine, die auf der einen Seite die Macht der Technik, aber auf der anderen Seite die Zerbrechlichkeit der menschlichen Seele thematisiert, ist nicht neu. Dass dabei sogar eine vorsichtige Romanze angegangen wird, ist unerwartet, doch wird der Fokus der Geschichte schnell wieder weg von dieser Eskapade gezogen.

Betrachten wir die Fraktionen, stehen sich Marcus, Sohn des Königs der Gens, Held, Vorbild und liebender Partner und sein Kontrahent, der Anführer der Kybernetiker gegenüber. Beide spielen darstellerisch ihre Trümpfe aus und dienen so als Leitbild des tiefen Schismas, das die beiden menschlichen Fraktionen spaltet. Immer wieder wechselt hierbei die Perspektive der Erzählung, um diesen Eindruck noch zu verstärken.

Marcus wirkt hierbei zeitweilig etwas farblos, was aber eher daran liegt, dass sein Handeln von dem inneren Zwist von Aphrodite überschattet wird.

Zeichenstil

Stjepan Sejic ist wirklich ein Ausnahmetalent. Zeitweise erreichen seine Panels Fotorealismus, er arbeitet aber in schnellen Actionszenen mit verwischender Tiefenunschärfe. Umso beeindruckender wirken dann auch die Darstellungen der Städte, Drachen und der Technologie. Auch vermag er es, den Emotionen im Gesicht der Akteure besonderen Nachdruck zu verleihen. Das, gemeinsam mit den (nur selten gestelzt wirkenden) Dialogen, schafft ein tiefes immersives Leseerlebnis, bei welchem man sich schnell mehr wünscht.

Gut gefallen haben mir auch die Erzähler-Sprechblasen, die teils über den Panels schweben und den Leser mit Hintergrund zur Welt versorgen. Nur hätten diese nicht unbedingt mit schwarzem Text auf mittelgrünem Hintergrund dargestellt werden müssen. Generell ist jedoch die Schriftart zu klein gewählt und verlangt dem spätabendlichen Leser einiges an Konzentration ab.

Ein weiterer Bonus: Aphrodite IX verkommt nicht zu einer reinen Pin-up-Assassine. Auch wenn ihre Darstellung durchaus hohen Sexappeal hat, kommen die Zeichnungen fast ganz ohne sehr tiefe Einblicke ins Dekolleté und unendlich hoch ausgeschnittene Beinteile aus. Ihre Attraktivität wird stärker durch Bewegungsstudien erzeugt und nur einmal gibt es ein Panel mit ihr nackt unter einem Wasserstrom – und selbst hier verdecken ihre grünen Haare sämtliche Geschlechtsmerkmale.

Preis-/Leistungsverhältnis

Dafür, dass die Geschichte einigermaßen lang ist, ist der Preis von 14,99 EUR für die Druckausgabe mehr als angemessen. Zusätzlich spricht noch die sehr hohe zeichnerische Qualität für einen Exkurs in die vielleicht zuvor unbekannten Gefilde. Die Lesezeit liegt bei circa eineinhalb Stunden, länger, wenn man die vielen Details der Panels in aller Tiefe erfassen will.

Als digitaler Comic bezahlt man nur noch 9,99 EUR, dafür braucht es jedoch eine Internetverbindung, denn Panini Digital streamt Comics und lässt keinen Download zu.

Erscheinungsbild

APHRODITEIX1_Softcover_571Wie üblich bei Panini, ist der Sammelband von einem verstärkten Softcover ummantelt. Die Papierqualität besticht durch eine gute Festigkeit und Haptik der Seiten. Der Druck ist farblich intensiv, aber nicht grell.

Das Frontcover zeigt Aphrodite IX selbst in knapperer Kleidung als im gesamten Comic, bewaffnet mit einer Energiewaffe.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Panini Comics
  • Autor(en): Matt Hawkins
  • Zeichner(in): Stjepan Sejic
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover
  • Seitenanzahl: 124
  • Preis: 14,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Panini Digital

 

Bonus/Downloadcontent

Außer einigen Covern der einzelnen Ausgaben im Inneren, finden sich keine weiteren Boni.

Fazit

Dramatische Ereignisse haben nicht unbedingt eine neue Messlatte, aber was Matt Hawkins hier vorlegt, ist schon intensiv. Die Geschichte der perfekten Killermaschine, deren menschliche Erinnerung erwacht und die als Spielball zwischen zwei konkurrierenden Fraktionen eingesetzt wird, ist gefühlvoll und zugleich drastisch inszeniert.

Ob nun die wunderbaren Panels von Farb- und Stiftkünstler Stjepan Sejic oder die oft unerwarteten Wendungen – das Zusammenspiel erschafft zwar nicht die perfekte Geschichte, aber eine, bei der man immer wieder weiterblättert. Oder den Band sinken lässt, um das Erlebte zu verarbeiten.

Wer sich vorher mit Aphrodite IX beschäftigt hat, und sei es nur dem Namen nach, den erwartet eine Mischung aus Pin-up und Splatter. Beides findet der Leser jedoch nicht in diesem Band, da die Geschichte komplett neu ersonnen wurde. Dabei ist man sich den Wurzeln im Groben treu geblieben, hat aber die Erzählkunst auf eine höhere – lies: bessere – Ebene gebracht.

Genetische Züchtungen, dem Wahnsinn nahe kaltblütige Kybernetiker, Reitdrachen, heftig inszenierte Kampfszenen, emotionale Zwistigkeiten der Protagonisten selbst, die Folgen einer weltweiten Katastrophe – all das macht Aphrodite IX zu einem wertvollen Comic, der gelesen werden will. Dabei fallen kleinere Sprünge in der Handlung, in denen man sich fragt, was nun wieder passiert ist, wenig ins Gewicht.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Panini Comics

 

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