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71 Jahre nach dem Ausbruch der Seuche in Season 1: Ein paar mutige Helden kümmern sich um die Versorgung der letzten Städte. Pandemic Legacy Season 2 stellt das Spielprinzip von Pandemie einmal komplett auf den Kopf. Dabei gibt es natürlich vieles zu entdecken, bekleben, bemalen und benennen. Ein spoilerfreier Eindruck des Tutorials.

Die lang erwartete Fortsetzung des mittlerweile „nur“ noch zweitbeliebtesten Spiels (nach BoardGameGeek-Ranking – seit Ende 2017 angeführt von Gloomhaven) beginnt in bester postapokalyptischer Manier: Über drei schwimmende Inseln in Atlantik und Mittelmeer werden die letzten neun Städte versorgt, die nicht untergegangen und vom Versorgungs-Netzwerk verschwunden sind. Doch die Hilfsgüter sind knapp und dort wo sie ausgehen, droht noch immer die Seuche, gegen die man vor drei Generationen im ersten Teil gearbeitet hat. Und was noch schlimmer ist: Die Anführer sind spurlos verschwunden. Jetzt müssen die Spieler ran …

Weil das Spielprinzip der bekannten Pandemie-Reihe ordentlich umgekrempelt wurde, so dass vieles genau andersherum funktioniert, als in anderen Pandemic-Versionen, empfiehlt es sich, das folgenlose Tutorial zu spielen, bevor man sich ein Jahr lang in 12-24 Monats-Partien daran macht, die Welt neu zu erkunden, ohne dabei die verbleibende Menschheit aussterben zu lassen.

Spielablauf

Ein erster Blick auf den Spielplan verrät bereits: Hier ist einiges anders. Nur neun von ehemals 48 Städten entlang des Atlantiks sind über den Seeweg und die drei Zufluchten (die man als erstes benennen darf) verbunden. Zusätzlich gibt es jede Menge unentdecktes Territorium. Nach dem Prolog hat man allerdings die Möglichkeit, mit der Aktion Aufklärung drei bis fünf Karten gleicher Farbe an einem bestimmten Ort abzugeben, um neue Bereiche freizuspielen.

Die aktuell bekannte und vernetzte Welt ist nicht sehr groß. Werden es die vier Helden schaffen, die neun Städte zu versorgen und Forschungszentren zu bauen, damit es nicht zu Seuchenausbrüchen kommt? Und was für Gefahren und Chancen lauern da draußen?
Die aktuell bekannte und vernetzte Welt ist nicht sehr groß. Werden es die vier Helden schaffen, die neun Städte zu versorgen und Forschungszentren zu bauen, damit es nicht zu Seuchenausbrüchen kommt? Und was für Gefahren und Chancen lauern da draußen?

Wie gewohnt gibt es kleine Würfel: Die acht grünen repräsentieren den Ausbruch einer Seuche, während die 36 grauen Versorgungswürfel darstellen, die man zu Beginn einer Runde auf die Orte verteilt. Doch eine Tabelle auf dem Spielbrett verrät bereits: Jeden Monat wird man weniger verteilen dürfen – die Rationen gehen zur Neige.

Zunächst gilt es, unabhängig von der Spieleranzahl, gemeinschaftlich fünf Helden zu entwerfen – wobei sich jedes Mal bis zu vier von ihnen auf Mission begeben werden. Da die Anforderungen und auch die jeweiligen Startkarten von Spiel zu Spiel verschieden sind, empfiehlt es sich, die Verteilung jedes mal neu zu überlegen, statt jedem Spieler dauerhaft einen persönlichen Job zuzuteilen. Die Charakterbögen muten dabei wie Ausweise an, auf die man seinen Portraitsticker klebt und sich eine Ausbildung (also Spezialfähigkeit) aussucht. Natürlich darf auf so einem Identifikationsdokument der Flavour nicht fehlen und so gilt es neben dem Namen auch das Alter einzutragen sowie die Heimat, also die Zuflucht, in welcher der Charakter in jedem Spiel starten wird. Direkt darunter befindet sich ein Feld namens Sterbeort nebst sieben unheilschwangeren Rubbelfeldern mit der Bezeichnung Gefährdung. Jedes Mal, wenn man an einem Ort mit Seuchenmarkern seinen Spielzug beginnt, muss man von links beginnend ein Feld freirubbeln und erhält so ggf. Narben – Einschränkungssticker, mit denen man eins der Felder überklebt, auf denen man gern weitere positive Fähigkeiten platzieren würde. Hinter einem der Rubbelfelder lauert sogar der Tod des Charakters, der dann das Spiel für immer verlassen muss. Dann „darf“ man den Sterbeort eintragen.

Nach dem Spielaufbau und dem aufmerksamen Lesen der jeweiligen Karten des Legacy-Stapels, darf man seine eigene Startkonfiguration vornehmen – die erste vieler schwieriger Entscheidungen. Die besagten 36 Versorgungsmarker für das Tutorial und den Januar müssen verteilt werden. So kann man z. B. alle Marker in die neun Städte legen oder aber auch welche in die Zufluchten, damit man sie von dort direkt auf- und in die Krisenstädte mitnehmen kann. Direkt im Anschluss kommen die ersten neun der gefürchteten Infektions-Karten, die jeweils eine Versorgung abziehen. Jede Stadt ist dabei drei Mal im Stapel – folglich werden bis zu drei Marker von einer Stadt entfernt, in den meisten Fällen jedoch nur ein bis zwei. Wenn keiner mehr liegt und die Stadt jetzt oder im weiteren Spielverlauf gezogen wird, kommt einer der acht grünen Seuchenmarker ins Spiel. Wenn alle acht davon auf dem Spielplan sind, hat man verloren – ebenso, wenn es nicht mehr möglich ist, zwei Karten vom Spielerkartenstapel nachzuziehen. Natürlich gibt es auch wieder Epidemien: Wenn drei Seuchen- und kein Versorgungsmarker in einer Stadt liegen, die infiziert wird, werden alle verbundenen Städten infiziert. Das heißt sie verlieren eine Versorgung und wenn das nicht mehr möglich ist, geht die Verseuchung weiter.

Die vier Helden sind in ihren Start-Zufluchten. Wir haben uns entschieden, die Anfangsressourcen gleichmäßig auf alle Städte zu verteilen – schnell verfügbare Versorgungsmarker auf den Zufluchten brächten auch Vorteile mit sich.
Die vier Helden sind in ihren Start-Zufluchten. Wir haben uns entschieden, die Anfangsressourcen gleichmäßig auf alle Städte zu verteilen – schnell verfügbare Versorgungsmarker auf den Zufluchten brächten auch Vorteile mit sich.

Ab dem Ende der Januar-Partie gibt es den Zusatzeffekt, dass überall wo sich Seuchenmarker befinden, die Bevölkerung (anfänglich drei) um eins reduziert wird. Durch Forschungszentren und am Ende eines jeden Spiels kann man die Bevölkerung in den Orten erhöhen. Aber die dafür benötigten Punkte könnte man auch für Charakterfertigkeiten und Karten-Upgrades ausgeben, die einem das Weiterspielen einfacher machen würden …

Im Spielerkarten-Stapel befinden sich vor allem die gewohnten Städtekarten, von denen man gleichfarbige Sets sammeln muss, für das Errichten von Forschungszentren und Erkundungsmissionen. Daneben gibt es Ereigniskarten, deren mächtige Einmal-Effekte man jederzeit spielen kann. Wie im ersten Teil startet man mit vieren davon und bekommt bei verlorener Partie je zwei dazu, bei gewonnener zwei abgezogen, – weil die Subventionen gekürzt wurden – ein einfacher Balancing-Mechanismus, mit dem sich jede Gruppe individuell einpegeln kann. Bei vier aufeinander folgend verlorenen Partien gibt es ein Notfall-Care-Paket, das hoffentlich nicht zum Einsatz kommen muss. Neu hinzu kommen Vorräte-Produzieren-Karten, durch die man mit einer Aktion in einer Zuflucht oder einem Forschungszentrum nicht nur, wie sonst, einen Versorgungsmarker produziert, sondern so viele, wie die Bevölkerungsanzahl des aktuellen Ortes, abzüglich bereits vorhandener Marker. Alternativ kann man diese Aktion auch nutzen, um gleichzeitig an allen Zufluchten und Forschungszentren Versorgungsmarker zu produzieren – das kann man je nach Karte jedoch nur ein bis drei Mal machen, bevor man die Karte für immer aus dem Spiel entfernten muss.

Die ersten Ereigniskarten, die einem den Allerwertesten retten können - aber bei jedem Sieg gibt es zwei weniger, bei jeder verlorenen Partie zwei mehr.
Die ersten Ereigniskarten, die einem den Allerwertesten retten können – aber bei jedem Sieg gibt es zwei weniger, bei jeder verlorenen Partie zwei mehr.

Zwei Karten aus dem Spielerkartenstapel erhält jeder als Starthand, danach kommen die fünf Epidemie-Karten gleichmäßig verteilt ins Spielerdeck, die Charaktere für dieses Spiel werden gewählt, der Startspieler bestimmt und los geht’s: Reihum hat jeder Spieler vier Aktionen pro Zug, zieht danach zwei Spielerkarten und infiziert anschließend Städte entsprechend der Epidemie-Leiste (zu Beginn zwei, später bis zu fünf). Für je eine Aktion kann man sich zum nächsten angrenzenden Feld oder durch Abwurf der Start- oder Zielkarte auch direkt per Schiffsroute zu einem beliebigen verbunden Hafen bewegen. Weitere Aktionen sind: das Teilen von Wissen, also das Abgeben der Karte des aktuellen Ortes an einen Mitspieler, der sich ebenfalls dort befindet; das Herstellen oder Liefern von Versorgungsgütern (also Marker aus dem Vorrat auf die Spielerkarte oder von der Karte auf die Stadt legen – das Aufsammeln bereits auf Städten liegender Marker ist eine freie Aktion); das Bauen eines Versorgungszentrums durch Abgabe von fünf Karten gleicher Farbe und (nicht im Tutorial) das Entdecken weiterer Landkartenbereiche an bestimmten Orten, ebenfalls durch das Abgeben von Kartensets. Natürlich werden diese Aktionen wieder stark von den Ausbildungen, Fähigkeiten und, hoffentlich wenigen, Narben der Spieler beeinflusst.

Das bewährte Grundspielprinzip, was ja mittlerweile schon mannigfaltig von Autor Matt Leacock bei Pandemie-Ablegern und anderen Spielen Anwendung findet, wird hier vielleicht noch mehr als sonst kreativ variiert. Der Schwierigkeitsgrad hat im Verhältnis zum Grundspiel und Vorgänger angezogen. Die Skalierung auf unterschiedliche Spielerzahlen scheint sehr gelungen, wobei mehr Spieler natürlich mehr sehen und dadurch eine bessere Fehlerkorrektur betreiben können. Alpha-gaming (also ein besonders dominanter Spieler in einer Gruppe) kann bei jedem kooperativen Spiel natürlich zu einem Problem werden, hier aber vielleicht noch ein wenig mehr, weil unüberlegte Handlungen schneller und direkter Konsequenzen haben können. Schließlich hat nicht nur der Verlust einer Partie Folgen. Bereits beim Legen des ersten Seuchenmarkers ist klar, dass hier Bevölkerung verloren wird. Man kann diese zwar jederzeit später wieder steigern, aber eben nur auf Kosten anderer Fortschritte, die man dann nicht erstehen kann.

Ausstattung

Schon mit dem verwaschenen Design des Regelhefts: Handbuch – Anweisungen für ein besseres Leben in den Zufluchten kommen retro-futuristische Nostalgiegefühle hoch mit Erinnerungsflashs an Fallout oder BioShock. Dann hat man die ganzen Sticker in der Hand, der Blick schweift über die vielen unentdeckten Gebiete auf der Weltkarte und in der Box verbleiben die vielen Türchen zu weiterem Spielmaterial. So sollten Adventskalender sein: Die Vorfreude auf das Unbekannte, statt der immer wieder gleichen billigen Schokolade in neue Form gepresst. Bis Ende Dezember ist es jedoch ein weiter Weg, den man möglichst schnell beginnen, aber gar nicht so schnell wieder beenden will.

Schon das Regelbuch erinnert, nicht von ungefähr, an Rapture oder die Welt von Fallout.
Schon das Regelbuch erinnert, nicht von ungefähr, an Rapture oder die Welt von Fallout.

Das Spielmaterial, bei Pandemie gewohnt gut, aber oft ein wenig abstrakt, wird hier angereichert mit Bildern und vor allem Geschichte. Während man im ersten Teil gerade mit Charakterbeziehungen und monatlichen Entwicklungen erstmals seine eigene(n) Geschichte(n) geschrieben hat, gilt es hier vor allem welche zu entdecken: Was zur Hölle ist passiert in der ferneren und jüngeren Vergangenheit? Aber man muss vor allem nach vorne schauen, um die Menschheit zu retten, und dabei auch zu allen Seiten, vor allem in den Westen und Osten, wo das Unbekannte lauert. Kurzum ist es hier gelungen vom Spielbrett, über die Karten, Sticker und Token, bis zum anschaulich mit Bildern, Icons und Flavour durchsetzten Regelheft eine Welt zu erschaffen, die entdeckt werden will.

Das Spiel gibt es mit zwei verschiedenen Box-Gestaltungen: mit schwarzem und gelbem Cover, deren Inhalte komplett identisch sind. Wer aber gerne eine zweite Partie starten möchte oder sich einfach die Spiele zusammen mit der roten und blauen Edition des ersten Teils ins Regal stellen will, erhält ein besonderes Gimmick: Die vier Cover ergeben gemeinsam das Bild einer Uhr.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Z-MAN Games, Asmodee
  • Autor(en): Matt Leacock, Rob Daviau
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: 37 x 26.8 x 7.4 cm
  • ISBN/EAN: 4015566600058 (black)
  • Preis: 60-65 Euro
  • Bezugsquelle: Amazon (yellow), Amazon (black)

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der deutschen Seite von Asmodee finden sich hier natürlich die Regeln sowie eine FAQ, die vor allem eine kleine Errata des Regelhefts darstellen.

Außerdem kann es, bei anfänglich neun Städten und somit Brandherden, hilfreich sein ein wenig mehr zu monitoren, um den Überblick zu behalten; hierzu gibt es fürs Startsetup ein spoilerfreies Excel-Sheet auf BoardGameGeek – für diejenigen, die so etwas mögen.

Fazit

Die gängigste Kritik an Legacy-Spielen besteht darin, dass man das Spiel ja irgendwann durchgespielt und somit ein teures Wegwerf-Produkt gekauft hat. Demgegenüber muss man sich natürlich auch fragen, welches Spiel man wirklich 12-24 Mal gespielt hat. Über die sich ständig verändernden Regeln hinaus, bekommt man eine sich entwickelnde Story mitgeliefert in der die eigenen Handlungen Konsequenzen haben, bis zum Charaktertod. Diese Rollenspiel-Elemente, die einem Brettspiel zugefügt werden, machen für mich den Reiz von Legacy Games aus.

Ich mochte das Grundspiel Pandemie nicht einmal sonderlich, auch wenn es sicherlich ein solides kooperatives Spiel ist. Seine wahre Stärke zeigte es für mich als Skelett von Pandemic Legacy Season 1. (Und auch wenn es nicht notwendig ist, würde ich doch sehr nahelegen, erst den ersten Teil zu spielen.) Nach 17 Spielen voller Spannung, Verzweiflung, glücklicher Wendungen und grandios bösartigen Überraschungen war es vorbei … und hat ein Gefühl hinterlassen, wie ein gerade ausgelesenes phantastisches Buch. Wohlig angefüllt von freudiger Befriedigung, gelangt man bald zur tragisch süßen Melancholie des Scheidens. Und das einzige, was diese ganz bestimmte hinterbliebene Leere letztlich zu füllen vermag, ist der nächste Band. (Wann denn endlich, Mr. Martin?) Hier ist es den Autoren gelungen, einen mehr als würdigen Nachfolger zu schaffen, der nicht bloß weitere Kapitel hinzufügt, sondern durch die Variation des Spielprinzips völlig neue Strategien und Welten eröffnet. Das Neuentdecken der postapokalyptischen Welt, die vielen Kombinationen von der Charakterentwicklung bis hin zum Bevölkerungsmanagement geben dem guten Grundspiel Tiefe und werden damit zu einer Geschichte – der Geschichte, wie du mit deinen Freunden die Welt gerettet hast. Denn einer muss es ja tun.

 

Artikelbilder: ©Z-MAN Games, Fotografien: Daniel Hoffmann
Das Produkt wurde privat finanziert.

 

3 Kommentare

  1. Großartiges Spiel. Die deutsche Übersetzung ist aber arg holperig. „Hohle Männer“ waren bei uns schnell mit Schoko-Nikoläusen assoziiert. „Hollow Men“ sind nun einmal nicht tatsächlich hohl und auch nicht dumm, sondern ausgebrannt oder stumpfsinnig. Ein paar Regeleinträge waren im Englischen auch klarer formuliert als im Deutschen.

    • Glaube, zum nächsten Abend bringe ich Schokohasen mit. ;)
      Ja, immer besser das Original ranzuziehen, wenn etwas unklar ist.
      Aber generell finde ich (der Englisch eigentlich auch immer bevorzugt) die Übersetzung schon gelungen – im Verhältnis. ^^

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