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Bitte nicht noch ein Buch über Vampire und Werwölfe. Doch! Aber eben anders. Denn zusätzlich dazu bietet Nachschatten 1 auch Feenwesen, Magie und Schutzengel. Nicht kitschig, sondern spannend ist das Motto des Romans. Dabei thematisiert er nebenbei noch starke Frauenrollen und die Normalität von gleichgeschlechtlicher Liebe.

Vampire, Werwölfe, Engel und Magie – Beim Blick auf den Klappentext wird der ein oder andere wohl die Augen verdrehen. War das nicht alles schon einmal da? Klar. Ebenso wie es schon dutzende Romane über mittelalterliche Helden und mordaufdeckende Polizisten gab. Und dennoch ist Nachtschatten keineswegs ein billiger Abklatsch der Biss-Reihe. Denn in diesem Roman steht nicht die Liebe im Fokus, sondern Loyalität, Freundschaft und die Gefahr von Geheimnissen. Dabei gehört Nachtschatten klar zu den New-Adult-Romanen und bricht an vielen Stellen mit dem klischeehaften Hilfloses-Mädchen-Bild. Selbst wenn man Biss nicht mochte, kann man Gefallen an Nachtschatten finden, man muss sich nur darauf einlassen.

Story

Einen Tag vor ihrem 18. Geburtstag darf Lily ihre Prüfung zur Jägerin ablegen; als jüngste Anwärterin aller Zeiten. Sie und ihr Schutzengel Adrian müssen dafür nur den mordenden Vampir Logan unschädlich machen. Auch wenn sich das „nur“ als gar nicht mal so einfach herausstellt, bestehen sie die Prüfung. Dennoch verrät Lilys Patentante Alina ihr immer noch nichts über ihre Vergangenheit. Warum kann Lily sich nicht an ihre Familie erinnern? Auch Adrian hüllt sich in Schweigen, dabei sollten Schutzengel keine Geheimnisse vor ihren Schützlingen haben können. Lilys erste Begegnung mit dem Rat der Jäger läuft auch nicht so ab, wie sie es sich vorgestellt hatte. Wer ist der mysteriöse Mann? Alle sagten ihr, der Rat würde nur aus vier Personen bestehen.

Als Alinas Jäger-Truppe zusammen mit Lily bei einem Auftrag schließlich in einen Hinterhalt gerät, läuft alles außer Kontrolle. Alles deutet darauf hin, dass Lily das Ziel verschiedener Interessensgruppen ist. Doch warum? Hat es etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun? Der mysteriöse Mann aus dem Rat scheint Lilys beste Möglichkeit auf Antworten zu sein.

Die anfängliche Skepsis schwand zunehmend.

Ich muss zugeben, als ich das erste Kapitel las, war ich nicht sofort überzeugt. Lily war gerade in der Disco, um sich dem Vampir Logan als leichte Beute zu präsentieren. Zu diesem Zweck trägt sie einen kurzen Rock, Stilettos und ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ej äm Stjupit“. Natürlich alles, weil ihr männlicher, perfekt aussehender Schutzengel es ihr aufgeschwatzt hat. Doch meine anfängliche Skepsis schwand zunehmend, je weiter ich las. Lily entpuppt sich schnell als eigenständig denkendes junges Mädchen, das so gar nicht dem Bella-Klischee aus den Biss-Reihen entspricht. Zwar verliebt sich auch Lily, doch behält sie in brenzligen Situationen ihren Verstand und hört auf den Rat anderer. Diese Liebesgeschichte ist in meinen Augen auch die einzige Schwäche des Romans. Sie entwickelt sich zu schnell. Natürlich kann man sich auf den ersten Blick in jemanden verknallen und seinen Körper begehren. Aber so schnell von Liebe zu sprechen finde ich persönlich unpassend.

Davon abgesehen macht die Autorin Juliane Seidel vieles richtig. Als Leser wird man ab der ersten Seite ins Geschehen hineingezogen und nicht wieder losgelassen. Wenn nicht gerade spannende Verfolgungsjagden stattfinden, dann versprechen die Dialoge endlich mehr über Lilys Vergangenheit zu offenbaren. Die Spannung nimmt demnach niemals ab, sie verlagert lediglich ihre Ausgangspunkte. Die lebhaften Dialoge sind es auch, die den Leser in seinem Erzähltraum belassen.

Statt ausschweifenden Beschreibungen über die verschiedenen Wesen und die Geschichte des Rats, erfährt der Leser durch Gespräche der Charaktere wirklich nur das Wesentliche über die Welt. Dabei ist es durchaus von Vorteil, dass der Roman im heutigen Wiesbaden spielt. Die Welt ist also allen bekannt, lediglich die Tatsache, dass es Werwölfe, Vampire, Magier, Schutzengel und Feenwesen gibt ist neu.

Was mir besonders gut gefallen hat, ist die Diversität des Romans. In den meisten New-Adult-Romanen gibt es ausschließlich heterosexuelle Liebesgeschichten. Manchmal kommt es vor, dass der Autor oder die Autorin selbst homosexuell sind, weswegen es in solchen Fällen oftmals nur homosexuelle Liebesgeschichten gibt. Doch bei Nachtschatten gibt es beides. Während die Protagonistin sich einer heterosexuellen Liebe hingibt, begehrt ihr Schutzengel Adrian einen anderen Mann. Diese Liebesinteressen wirken dabei in keiner Weise künstlich hineingeschrieben. Die Charaktere sind immer glaubwürdig und wirken vollkommen natürlich.

Schreibstil

Juliane Seidels Schreibstil ist eingängig und bildlich. Dabei nutzt sie viele Dialoge, was komplizierte und lange Sätze verhindert. Normalerweise fällt es mir persönlich schwer, Bilder in meinem Kopf entstehen zu lassen, wenn ich ein eBook lese. Doch bei Nachtschatten hatte ich keinerlei Probleme damit. Die Kombination aus Story, Schreibstil und wirklich gutem Lektorat haben mich vollkommen in den Erzähltraum eintauchen lassen. Ich habe die Geschichte nicht nur gelesen, ich konnte sie erleben. Und das ist es, was ein gutes Buch wirklich ausmacht.

Nachtschatten wird aus der Sicht eines personalen Erzählers geschildert, der sich in der Regel auf Lily fokussiert. Lediglich im Epilog wird der Blickwinkel verlagert.

Die Autorin

Der Handlungsort des Romans lässt es bereits vermuten und so ist es auch wirklich: Juliane Seidel wurde 1983 geboren und lebt in Wiesbaden. Seit nun mehr zehn Jahren schreibt die gebürtige Thüringerin phantastische Kinder- und Jugendbücher. Im Mai 2008 veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichte (Wahn)Sinn der Sprache – XIMAG, ihr Romandebüt folgte 2013 mit der Kinderbuchreihe Assjah. Seitdem hat sie viele weitere Kurzgeschichten und Kurzromane veröffentlicht. Auch ist sie Herausgeberin von zwei Anthologien.

Das Nachtschatten-Universum scheint es ihr jedoch wirklich angetan zu haben. So wurde die Trilogie 2018 nicht nur zusätzlich als Gesamtausgabe veröffentlicht, Juliane Seidel schrieb auch ein SpinOff als Kurzroman und eine ihrer Anthologien trägt den Namen Nachtschatten.

Außerdem engagiert sich die Autorin in der Queer-Bewegung. So betreibt sie selbst einen queeren Rezensionsblog und organisiert verschiedene Messen und Veranstaltungen, wie zum Beispiel das queere Lesefestival QUEER gelesen.

Wer noch mehr über die Autorin erfahren möchte, kann dies auf ihrer Homepage tun.

Erscheinungsbild

Das Cover von Nachtschatten ist liebevoll gestaltet. In seinem blaustichigen Hintergrund sieht man Wiesbaden, davor ist der Flügel eines Engels abgebildet. Auf dem Flügel steht in roten Buchstaben, die an Blut erinnern, der Name des Romans. Im Laden hätte ich wohl nicht nach diesem Buch gegriffen, was aber mehr an meiner persönlichen Aversion gegen Engelsflügel liegt, als an der Qualität des Covers. Über die Qualität des Drucks kann ich leider keine Aussage treffen, da mir nur die eBook-Version vorliegt.

Viel zu oft habe ich Romane von Selfpublishern gelesen, deren nicht vorhandenes Lektorat bzw. Korrektorat das Leseerlebnis zerstört haben. Umso mehr freue ich mich, über die wirklich gute Arbeit des Lektorats von Nachtschatten. Trotz intensivem Lesen sind mir lediglich drei kleinere Fehler aufgefallen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Selfpublisher
  • Autorin: Juliane Seidel
  • Erscheinungsdatum: 31. März 2015
  • Sprache: Deutsch
  • Format: eBook
  • Seitenanzahl: 265
  • ASIN: B00UETCB4K
  • Preis: 0,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

In der Danksagung erfährt man noch einige persönliche Details über die Autorin. Außerdem gibt es auf Amazon den nahezu obligatorischen Blick ins Buch.

Fazit

Mit dem ersten Teil ihrer Urban Fantasy Trilogie Nachtschatten – Unantastbar macht Juliane Seidel alles richtig. Dabei ist die Kombination von Vampiren und Werwölfen seit der Biss-Reihe mehr als bloß vorbelastet. Doch anstelle einer Liebesgeschichte mit einer vom Mann abhängigen Protagonistin, erschafft Juliane Seidel eine spannende Geschichte über Loyalität und Freundschaft, und das mit einer Protagonistin, die keineswegs dem Hilfloses-Mädchen-Klischee entspricht. Die vielen lebhaften Dialoge lassen den Leser komplett in die Welt eintauchen. Der Leser erlebt die Geschichte, anstatt sie nur zu lesen. Das wirklich gute Lektorat, das bei Selfpublishern leider oft fehlt, sorgt dafür, dass der Leser tief in seinem Erzähltraum verweilt.

Doch Nachtschatten hat noch eine weitere positive Besonderheit: Diversität. Anders als in vielen New-Adult-Romanen ist gleichgeschlechtliche Liebe in Nachtschatten kein Tabu-Thema. Dabei wird sie ebenso praktiziert wie Heterosexualität. Eine Mischung, die in viel mehr Romanen eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Gerade bei Young und New Adult.

Alles in allem habe ich trotz intensivem Suchen bloß eine Schwachstelle finden können. In meinen Augen entwickelt sich Lilys Liebesgeschichte zu schnell und wird zu schnell zu intensiv. Dennoch kann ich Nachtschatten jedem empfehlen, der Spaß an Werwölfen, Vampiren und Magie hat, der Spaß an New Adult hat und der einfach eine gute, spannende Geschichte lesen möchte.

mit Tendenz nach oben

Artikelbild: Cover des Romans, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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