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Das Lektorat – die Meisten, die im Verlag arbeiten möchten, wollen genau dorthin. Doch was macht eine Lektorin eigentlich den ganzen Tag? Und nimmt ein Lektor klassischerweise seine Arbeit mit nach Hause? Woran erkennt man ein gutes Manuskript? Diese und andere Fragen beantwortet Verlagslektorin Sandra.

Mit dem Lektorat steht und fällt ein jedes Buch. Doch sind LektorInnen nicht nur für die Qualitätssicherung zuständig. Sie sind die Projektleiter ihres aktuellen Manuskripts und zudem seine stärksten Fürsprecher. Im Interview erzählt uns Sandra, Lektorin bei Thienemann-Esslinger, was zur täglichen Arbeit einer Lektorin gehört, und gibt allen, die gerne selbst LektorIn werden wollen, einen Tipp zum Einstieg in den Beruf. Sandra ist 36 Jahre alt und arbeitet bereits seit ihrem Volontariat im Stuttgarter Verlag als Lektorin.

Interview

Teilzeithelden: Liebe Sandra, du bist Lektorin beim Thienemann-Esslinger Verlag. Was genau sind deine Aufgaben als Lektorin? Wie sieht dein normaler Arbeitstag aus?

Sandra: Als Lektorin betreue ich Autoren und die Entstehung deren Bücher. Außerdem betreibe ich Akquise – suche neue Autoren für den Verlag und kaufe Titel aus dem Ausland für unser Programm ein. Hauptaufgaben sind die Textarbeit und ganz viel Organisation rund um die Entstehung des Buches (wir kümmern uns um Cover, um Innenillustrationen …). Auch die Präsentation der Titel auf der Außendienstkonferenz gehört zu meinen Aufgaben.

Sandra, Lektorin bei Thienemann-Esslinger
Sandra, Lektorin bei Thienemann-Esslinger

Bei deutschen Autoren bin ich zum Beispiel schon beim Exposé involviert, gebe Hinweise, wie der Plot vielleicht noch etwas Tempo oder Ähnliches bekommen könnte. Beim Manuskript ist die Rechtschreibprüfung der letzte Schritt, davor geht es beim Lektorat um Plot, Figuren, Logik … Da wird auch schon mal ein anderes Ende vorgeschlagen oder das Streichen einer Figur. Beim Feinschliff achte ich auf den Satzbau, Wortwiederholungen …

Zu Beginn eines Arbeitstages werfe ich einen Blick in die Mails und beantworte diese. Dann steht vielleicht ein Telefonat mit einem Autor an oder die Lektoratsrunde, in der wir zum Beispiel über Cover sprechen. Es gibt Tage, an denen die Korrektur von Druckfahnen ansteht, dann lese ich viel, oder Tage, an denen ich viel texte, wenn zum Beispiel die Rückseiten- oder Vorschautexte fällig sind.

Vor der Coverkonferenz wird hauptsächlich mit den Illustratoren und Grafikern an den Covern gearbeitet. Oft hat man eine klare To-do-Liste für den Tag, muss dann aber auf Unvorhergesehenes reagieren. So ist jeder Tag überraschend und anders als der vorherige.

Teilzeithelden: Du bist also wirklich für die gesamte Vorarbeit zu einem Roman bis zu seinem Weg in den Druck verantwortlich. Endet denn dein Arbeitstag, wenn du heimkommst, oder liest du zu Hause für die Arbeit weiter?

Sandra: Abends und am Wochenende wird geprüft – ich lese Unmengen an Manuskripten und entscheide, ob sie für unser Programm infrage kommen oder nicht. Und ich lese immer wieder Werke der Konkurrenz, man muss ja auf dem Laufenden bleiben und wissen, was die anderen so machen.

Teilzeithelden: Ja, wie heißt es so schön: Sei deinen Freunden stets nahe und deinen Feinden …  Du liest also auch in deiner Freizeit beruflich. Liest du dann zu Hause überhaupt noch Bücher, die du dir selbst ausgesucht hast? Willst du in deiner Freizeit überhaupt noch lesen?

Sandra: Tatsächlich lese ich privat wenig, da dominiert die geschäftliche Lektüre. Im Urlaub lese ich aber viel und da lautet dann die Devise: Hauptsache für Erwachsene! Thienemann-Esslinger ist ja ein Kinder- und Jugendbuchverlag.

Teilzeithelden: Kannst du beim Lesen in der Freizeit noch abschalten oder korrigierst du in Gedanken die Fehler und markierst Stilschwächen?

Sandra: Natürlich fällt mir manches automatisch auf, aber ich versuche das beim privaten Lesen auszublenden. Ich achte zum Beispiel auch nicht auf Fehlerchen in WhatsApp-Nachrichten oder so, was einige meiner Freunde immer befürchten.

Woran erkennt man ein gutes Manuskript?

Teilzeithelden: Ja, das ist natürlich das typische Klischee für eine Lektorin. Tatsächlich gibt es ja aber genug Nicht-Lektoren, die das Korrigieren von Whats-App-Nachrichten übernehmen. Du sagtest ja, dass du viele Manuskripte bewertest. Doch woran erkennt man ein gutes Manuskript?

High Fantasy aus dem Hause Thienemann-Esslinger von Stephan M. Rother

Sandra: Eine gute Schreibe, ein durchdachter Plot und eine stimmige Figurenzeichnung sind das A und O. Die Handlung braucht einen durchgehenden roten Faden, sollte schon von Beginn an fesseln. Die Idee sollte überraschend sein.

Teilzeithelden: Und wie viele Manuskripte bekommt ihr im Schnitt im Monat oder im Jahr?

Sandra: Schwer zu sagen. Literatur-Agenturen und ausländische Verlage schicken ja schon jede Menge Manuskripte, und dann gibt es ja noch die unverlangt eingesandten. Insgesamt sind es also rund zweitausend im Jahr.

Teilzeithelden: Zweitausend Manuskripte im Jahr?! Das ist wirklich eine Menge! Erzähl bitte einmal: Was passiert, wenn ein Manuskript angenommen wird (also wie geht es dann weiter) und wie geht ihr vor, wenn ihr ein Manuskript ablehnt?

Sandra: Wenn mir ein Manuskript gefällt, gebe ich es an die Programmleitung weiter, wenn sie auch begeistert ist, wird das Projekt kalkuliert und ich stelle es in der Programmkonferenz vor. Die Teilnehmer sind dabei, die Geschäftsleitung und die Abteilungsleiter. Im besten Fall nimmt die Programmkonferenz die Projektidee auch begeistert auf und gibt sie so frei. Durch die Konferenz ist das Projekt dann dem ganzen Haus bekannt und alle stehen hinter dem Buch. Dann mache ich mich an die Vertragsverhandlungen und das Buch wird eingekauft.

Bei Absagen gibt es kein besonderes Vorgehen, an Verlage und Agenturen schicke ich eine Mail mit einer kurzen Begründung. Bei den „Unverlangten“ können wir das leider nicht leisten, hier hören die Autoren nur im positiven Fall von uns.

Teilzeithelden: Aktuell ist in den sozialen Netzwerken der Schrei nach queeren Figuren in Romanen sehr laut. Würdest du aus deiner Erfahrung sagen, dass Lektoren in der Regel stereotype Figuren fordern oder ist das lediglich ein Gerücht?

Sandra: Das scheint mir ein Gerücht zu sein. Wenn die Figuren zu stereotyp sind, würde ich das Manuskript sogar ablehnen. Wir haben einige Titel mit wirklich außergewöhnlichen Figuren im Programm, so zum Beispiel einen meiner Lieblinge: Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums.

Einen klassischen Weg ins Lektorat gibt es nicht …

Teilzeithelden: Was würdest du jemandem empfehlen, der Lektor werden möchte? Was sollte die Person auf jeden Fall mitbringen? Was ist kontraproduktiv für den Beruf?

Ein ganz und gar nicht stereotyper Roman

Sandra: Man muss das Lesen lieben und muss bereit sein, Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Man braucht viel Einfühlungsvermögen, da man mit ganz unterschiedlichen Autoren zusammenarbeitet. Ein gutes Organisationstalent ist wichtig – ich bin umgeben von allen möglichen Abgabeterminen, die ich immer einhalten muss.

Teilzeithelden: Gibt es einen klassischen Weg, um Lektor bzw. Lektorin zu werden?

Sandra: Einen fest vorgegebenen Weg gibt es sicherlich nicht, ein Germanistikstudium ist wohl die ganz klassische Variante. Und dann natürlich das Volontariat bei einem Verlag.

Teilzeithelden: Wie bist du Lektorin geworden und wie lange bist du es schon?

Sandra: Ich habe klassisch Germanistik und Anglistik studiert und dann das Volo bei Thienemann-Esslinger absolviert. Nächstes Jahr, also 2019, bin ich 10 Jahre dabei.

Teilzeithelden: Bist du gerne Lektorin? Würdest du dich noch einmal für diesen Beruf entscheiden, wenn du die Wahl hättest?

Sandra: Oh ja! Ich liebe die Arbeit an den unterschiedlichen Texten und die Zusammenarbeit mit den Autoren. Das sind teilweise auch sehr herzliche Beziehungen, die ich nicht missen möchte.

Ich habe meinen Traumjob und würde das immer wieder genauso machen.

Ein Herz für die Phantastik

Teilzeithelden: Wir haben uns 2018 auf dem PAN-Branchentreffen (Phantastik-Autoren-Netzwerk-Branchentreffen) kennengelernt. Interessierst du dich auch privat für die Phantastik oder war es eher eine Art Pflichtbesuch für dich, weil der Thienemann-Esslinger Verlag Phantastik-Titel betreut?

Sandra: Ich bin ein Phantastikfan und sozusagen die Thienemann-Expertin bei dem Thema, daher war ich auch sehr, sehr gerne beim PAN-Treffen und hoffe, dass ich im nächsten Jahr wieder teilnehmen kann.

Teilzeithelden: Würdest du sagen, die Phantastik ist dein Lieblingsgenre? Hast du Lieblingsautoren?

Sandra: Ich lese alles Mögliche. Phantastik mag ich besonders gern. Gut abschalten kann ich aber auch bei Krimis und Thrillern. Mein absoluter Lieblingsautor ist Michael Ende, ich habe sogar meine Magisterarbeit über Die unendliche Geschichte geschrieben.

Teilzeithelden: Vielen Dank für das Interview, Sandra!

Artikelbild: deposiphotos @lamaipThienemann-Esslinger Verlag

1 Kommentar

  1. Schöner Einblick, der aber auch einiges unter den Teppich kehrt. Zum Beispielwird man beim Berufseinstieg gerne erstmal als kostenlose oder billige Arbeitskraft. Nach dem Studium erstmal ein unbezahltes Proktikum, dann noch eins, dann ein schlecht bezahltes Volontariat. Viele hängen in befristeten Verträgen fest. Wenn man isch irgendwo bewirbt, wird manchmal erwartet, dass man bereits einen Autorenstamm hat und die mitbringt. Dazu ist die erwartete Arbeitsleistung immens – Fristeneinhalten ist oft einfach nicht möglich. Trotzdem ein schöner Job, ganz klar, aber die Bedingungensind nicht ideal.

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