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Einst ein geeintes Königreich, ist Mertalia seit 200 Jahren ein lockerer Städtebund, in dem sich ganz unterschiedliche Orte zusammenfinden, die oft untereinander streiten, sich in Krisen aber zusammenraufen. Der Mertalische Städtebund bietet viele Facetten, die ihn für  Splittermond-SpielerInnen interessant machen. Die Teilzeithelden haben einen Ausflug auf die lebhafte Halbinsel gewagt

Mit jeder Regionalbeschreibung wird die vergleichsweise junge Spielwelt von Splittermond um einige Farbtupfer reicher. Mit Der Mertalische Städtebund ist nun eine Spielhilfe erschienen, welche die SpielerInnen in eine Region führt, die von mächtigen Städten geprägt wird und in Kultur und Klischees an das Italien der Frühen Neuzeit erinnert.

Eine Region für Freunde und Kenner

Einst war Mertalia ein geeintes Königreich, das aber vor etwa 200 Jahren in einen lockeren Städtebund zerfiel. Die Historie der Region wird übersichtlich dargestellt, lässt sich aber nur mit Kenntnis des Bandes Splittermond – Die Welt in den Gesamtkontext der Spielwelt einordnen. Erklärungen zu allgemeinen Begriffen fehlen nämlich, weswegen sich Einsteiger besser nicht ohne Vorkenntnisse auf Der Mertalische Städtebund stürzen sollten.

Kenner der Spielwelt finden hingegen eine reichhaltige Beschreibung der Region. Auf zehn Seiten werden Kultur und Gesellschaft im Städtebund beschrieben, wobei auch auf Einzelaspekte wie Magie und Religion eingegangen wird. Gut gelungen ist die Einarbeitung der fantastischen Elemente. So gibt es Zaubereiagenturen, über die wohlhabende BürgerInnen standesgemäß und diskret einen magischen Dienstleister beauftragen können. Ebenso finden sich mechanische Meisterwerke aus gnomischer Fertigung in Mertalia, vor allem in der Stadt Talaberis.

Neun Städte, neun Aspekte

Fast die Hälfte der Spielhilfe nimmt die Beschreibung der neun größten und wichtigsten Städte der Region ein. Dabei zeigt sich sehr gut die Vielfalt im Städtebund, die ganz unterschiedliche Anspielmöglichkeiten mit sich bringt. In Eisenbrann haben Söldner und Schmiede das Sagen, Talaberis ist die Stadt der mechanischen Wunder. Nuum wird von einem Magierorden dominiert, Taupio von Gelehrten und Weisen. Aylantha ist eine aufstrebende freie Handelsmetropole, während Aurigion von einem Bankenkonsortium beherrscht wird und Drevilna ein unübersichtlicher Moloch ist. Glücksspiel sorgt für Zerstreuung im korrupten Gondalis, wohingegen die ehemalige Königsstadt Fulnia von ihrer alten Pracht zehrt.

Die Städte sind allesamt übersichtlich und fantasievoll dargestellt. Diese Detailfülle kann bisweilen erschlagend wirken. Wie auch in Spielhilfen aus anderen Rollenspielsystemen, in denen städtisch geprägte Regionen beschrieben werden, ist es der Anspruch, jede Stadt zum potenziellen Mittelpunkt einer Kampagne zu machen, der für viele anspielbare Konflikte oder Organisationen sorgt. Das sorgt zum einen für ein reichhaltiges Angebot an die Spielleitung und viele mögliche Spielstunden, zum anderen aber auch für eine stellenweise unübersichtliche Fülle an Informationen.

Dass die wichtigsten Besonderheiten einer Stadt in eigenen Infokästen dargestellt werden, hilft allerdings bei der Übersicht. Spezielle Geheimnisse, die von der Spielleitung verwendet werden können, finden sich gesondert am Ende des Bandes. Dabei sind nicht nur die Intrigen von Geheimbünden und verborgene magische Wesen. Auch das Mertalische Rätsel, eine gigantische und so gut wie unlösbare Schnitzeljagd, die an den Wettbewerb aus Ready Player One erinnert, bietet der Spielleitung genügend Ansätze, um eigene Szenarien auszuarbeiten.

Der Mertalische Städtebund – geeint durch einen Traum

Was die so unterschiedlichen Schichten der mertalischen Gesellschaft eint, ist der sogenannte Mertalische Traum. Angelehnt an den irdischen American Dream verspricht dieser Traum jeder Person in Mertalia die Möglichkeit, vom Straßenbettler zum Magnaten, von der unterbezahlten Schreiberin zur gefeierten Dichterin aufzusteigen, oder als einfache Söldnerin zur Stadtherrin zu werden. Die Freiheit ist in Mertalia grenzenlos, doch im Falle eines Scheiterns auch gnadenlos. Gleichzeitig wuchern am Rand der Gesellschaft durch diese Freiheit populistische und kriminelle Vereinigungen, die im Zweifelsfall unbehelligt bleiben.

Folgerichtig werden in Der Mertalische Städtebund auch mehrere Organisationen vorgestellt, die in der Region aktiv sind. Von der Kaufherrenvereinigung über konservative Royalisten bis hin zu religiösen Fanatikern finden sich ganz verschiedene Gruppierungen, die sich gut am Spieltisch einsetzen lassen. Was allerdings fehlt, sind kurze Erklärungen zum Wesen der Organisationen. So gibt es in den jeweiligen einleitenden Infokästen Angaben zu Größe, Einfluss und Führung, aber nicht dazu, was diese Organisationen ausmacht. Bei der Kaufherrenvereinigung oder der Königsgarde von Fulnia mag man direkt eine Ahnung davon haben, was die Organisation antreibt, bei der Faust des Lichts muss man sich erst einmal in den Text einlesen. Wenn man sich bei der Erstlektüre also einen Überblick verschaffen möchte oder später noch einmal nach einer passenden Gruppierung für ein Abenteuer schauen möchte, dauert dies unnötig lange.

Ergänzende Informationen für die SpielerInnen und die Spielleitung runden den Band ab. Vorschläge für kurze Abenteuer und große Kampagnen in Mertalia bieten kurz und knapp genug Impulse, um viele Spielstunden in der Region verbringen zu können. Ein Städte-Baukasten sorgt zudem für weiße Flecken, in denen sich die Spielercharaktere nach Herzenslust austoben können. Dies beinhaltet auch Ideen für eine Kampagne, in der sich eine mittelgroße Stadt durch den Einfluss der Spielercharaktere zu einem vollwertigen Mitglied des Städtebunds entwickeln kann. Hinzu kommen wenige aber nützliche Zusatzregeln, wie zum Beispiel zu Begegnungen in Großstädten oder archetypische NSC-Werte.

Eine solide Grundfeste – Das Erscheinungsbild

Die Illustrationen in Der Mertalische Städtebund sind solide und vermitteln ein gutes Bild der Region. Leider sind die meisten von ihnen etwas zu klein geraten. Gerade dann, wenn es darum geht, das Flair exotischer Städte zu transportieren, hätten sie gerne größer sein können. Hinzu kommt der Blaustich der Seiten, der zwar zur Splittermond-Optik gehört, auf die Dauer aber etwas zu aufdringlich in dem Sinne ist, dass er eine kühle Stimmung erzeugt, die im Kontrast zum farbenfrohen Mertalia steht. Andererseits passt der helle Hintergrund gut zum klaren Schriftbild.

Gut gelungen sind auch die Karten zu sechs der neun vorgestellten Städte (Nuum, Fulnia, Gondalis, Eisenbrann, Talaberis, Aylantha), von denen fünf als Handout beiliegen. Lediglich die Karte zu Aylantha findet sich nur im Buch, fällt optisch aber auch aus dem Rahmen, da sie in einem anderen Stil für das Abenteuer Die Narren von Aylantha angefertigt wurde. Auf den anderen Karten werden die Städte wenig lebendig und sehr statisch dargestellt, was sie aber auch sehr übersichtlich macht.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Uhrwerk Verlag
  • Autoren: Aşkın-Hayat Doğan, Franz Janson et al.
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 128
  • ISBN: 978-3-95867-200-0
  • Preis: 29,95 Euro
  • Bezugsquelle: Amazon, Sphärenmeister

 

Fazit

Der Mertalische Städtebund ist eine gute Spielhilfe geworden, die ein umfassendes Bild der dargestellten Region zeichnet und dabei viele Impulse für eigene Abenteuer und Kampagnen in Mertalia gibt. Besonderheiten wie die Darstellung der Gesellschaft, mitsamt dem Mertalischen Traum und machtbewussten Magierorden, verleihen der Region eine ganz eigene Note, die über eine fantasievolle Aufbereitung des frühneuzeitlichen Italiens hinausgehen. In wenigen Momenten schadet diese Detailfülle der Übersicht, was letztlich aber durch den nützlichen Index am Ende des Bands abgemildert wird.

Optisch ist der Band solide aufgemacht und verfügt über hilfreiches Kartenmaterial. Insgesamt macht Der Mertalische Städtebund einen hochwertigen Eindruck. Gemessen daran, was alles in dieser Regionalspielhilfe steckt, wie viele einzigartige Städte darin beschrieben und in Hinblick auf die Verwendung am Spieltisch vorgestellt werden, stimmt auch das Preis-Leistungs-Verhältnis.

Wer die Mertalia bereits aus dem allgemeinen Spielwelt-Band von Splittermond kennt und auf eine eigene Regionalspielhilfe gewartet hat, wird nicht enttäuscht sein. Wer allerdings eine Vorliebe für Fantasy-Settings hat, die von der italienischen Renaissance inspiriert sind, sollte nicht zugreifen, ohne sich vorher generell mit Splittermond befasst zu haben. Dafür sind die Eigenheiten der Spielwelt zu speziell, und die Einordnung ins Gesamtwerk kommt zu kurz. Existiert diese Hürde aber nicht mehr, steht einem Ausflug nach Mertalia nichts mehr im Wege.

 

 

Artikelbild: © Uhrwerk, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

1 Kommentar

  1. Generell ein schönes Review. Die Kritik an dem Blaustich kann ich nicht nachvollziehen. Das ist doch einfach nur die selbe Farbe wie in jedem anderen Buch auch, oder nicht?

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