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Von der Cosplay-Szene nehmen viele nur die Kostümfotos wahr, welche, besonders nach Conventions oder Szenetreffen, die sozialen Medien fluten. Blickt man hinter die Kulissen, findet man eine auch abseits der Bühnen lebendige Szene vor. Doch wo viel Licht ist, ist auch manchmal Schatten: Neid, Missgunst … und Mobbing.

Das Logo der Kampagne, Reproduktion mit Genehmigung
Das Logo der Kampagne, Reproduktion mit Genehmigung

Ralf Dyckers beschäftigt sich schon seit Jahren intensiv mit Cosplay. Der gelernte Metallbauer ist selbst Teil der Szene. In den letzten Jahren hat er eine Veränderung wahrgenommen: Es kommt immer häufiger zu Mobbing-Fällen unter Cosplayer*innen – und das obwohl ihr gemeinsames Hobby die Cosplayer*innen doch eigentlich eher vereinen sollte.

Er hat entschieden, sich gegen Mobbing im Cosplay einzusetzen, und zu diesem Zweck eine Facebook-Seite ins Leben gerufen: Ich bin gegen Cosplay-Mobbing. Wir haben mit Ralf über die Hintergründe der Kampagne gesprochen.

Betrachte man die Szene nur oberflächlich, so Ralf, kriege man diese Fälle wahrscheinlich gar nicht mit. Vieles spiele sich in nicht-öffentlichen Gruppen auf sozialen Medien ab, nur wenige Fälle seien offen zugänglich.

In der Öffentlichkeit sei jeder um ein gutes Bild bemüht. Abseits der Öffentlichkeit werde der Umgangston rauer.

Mobbing im Cosplay: Wie kommt es dazu?

Die Cosplayszene sei gespalten. Die meisten Cosplayer*innen betrieben Cosplay als reines Hobby. Sie hätten Spaß daran, Kostüme umzusetzen und Charaktere auf Conventions darzustellen, führt Ralf an. Auf der anderen Seite ermöglichten Soziale Medien, durch Cosplay als Influencer*in Bekanntheit zu erlangen und damit Geld zu verdienen. Diese professionellen Cosplayer*innen finanzierten teilweise ihren Lebensunterhalt über Werbung, Merchandise, Gagen für Auftritte oder Fanservice-Bildreihen.

Diese Entwicklung bringe einen ständigen Kampf um Likes und Shares mit sich, der durchaus zu einem Konkurrenzkampf ausarten könne. Plattformen wie Patreon oder Ko-Fi erlaubten es Fans, den Cosplayer*innen monatliche Geldbeträge als Unterstützung zukommen zu lassen. Aufgrund der begrenzten Ressource Geld sei der Konkurrenzkampf hier sogar noch ausgeprägter als bei den kostenlosen Likes.

Der so entstehende Konkurrenzkampf und der Neidfaktor, so Ralf, würden ständig angeheizt, denn der Kampf um Klicks, Likes und Anerkennung würde auf allen Kanälen geführt. Dadurch blieben laut Ralf viele leider nicht bei konstruktiver Kritik gegenüber anderen Cosplayer*innen. Stattdessen werde mit scharfem Ton bewertet und jedes Detail auseinandergenommen. Der Umgangston sei grade in Facebookgruppen sehr extrem.

Mobbing im Cosplay: Was ist eigentlich Cosplay?

Ralf erklärt, die Diskussionen und scharfen Bewertungen innerhalb der Szene würden dadurch begünstigt, dass es keine einheitliche Definition von Cosplay gebe. Für viele Cosplayer*innen sei Cosplay beschränkt auf den japanischen Ursprung des Hobbys: die Darstellung von Charakteren aus Manga und Anime. Doch gerade in der europäischen Cosplay-Szene würden auch oft Charaktere aus westlichen Comics und Filmen dargestellt. Gerade Fantasy-Filmreihen wie der Herr Der Ringe oder Serien wie Game of Thrones inspirierten viele Cosplayer*innen zum originalgetreuen Nachbau von Charakteren.

Die zweite Diskussion ranke sich darum, ob ein Cosplay zwingend selbstgemacht sein müsse. Bei Wettbewerben legten die Juroren oft Wert darauf, die eigene Arbeit der Cosplayer*innen zu bewerten. Hier würde möglichst viel selbst modelliert, um keinen Punktabzug zu riskieren. Wenn es, abseits der Bühne, nur darum gehe, einen Charakter darzustellen, griffen viele Cosplayer*innen auch gerne auf gekaufte Props oder Kleidung zurück, wenn diese dem darzustellenden Charakter ausreichend nahe kämen.

An dieser Stelle, führt Ralf aus, tue sich gleich noch eine dritte Diskussion auf: Ist es noch „echtes“ Cosplay, wenn man das gesamte Cosplay von anderen Personen herstellen lässt oder anderen Personen ihre Cosplays abkauft? Beispielsweise, weil man nur Spaß an der Darstellung hat, handwerklich aber absolut unbegabt ist?

Mobbing im Cosplay: Wie nahe muss man der Vorlage kommen?

Eine wichtige Frage, die unter Cosplayer*innen oft diskutiert würde, sei, wie nahe die Darstellung der Vorlage kommen muss, um noch als Cosplay zu gelten. Die Antworten auf diese Frage entwickelten sich in zwei Richtungen, und beide führten leider des Öfteren zu Mobbing-Aktionen. Zum einen, so Ralf, gebe es gerade unter den professionellen Cosplayer*innen, die damit ihr Geld verdienen, viele Fanservice-Versionen der Cosplays, die den entsprechenden Charakter deutlich nackter darstellten, als dieser ursprünglich angelegt war. Ralf wirft an dieser Stelle die Frage auf, ob eine bewusst auf überwiegend nackte Darstellung veränderte Vorlage überhaupt noch Cosplay sei.

Das Hauptproblem dieser Cosplays sei, dass hier bewusst der eigene Körper genutzt würde, um Anerkennung zu generieren. Diese Bilder machten die Runde und seien für die meisten Außenstehenden das, was Cosplay ausmacht. Andere Cosplayer*innen, die vielleicht den gleichen Charakter darstellten, aber den eigenen Körper dabei weniger zur Schau stellen wollten, werden dadurch ins Abseits gedrängt.

Dieses Vorgehen führe zu indirektem Mobbing durch Außenstehende: Natürlich bekämen übergewichtige Cosplayer*innen mit geschlosseneren Kostümen weniger Likes als durchtrainierte Cosplayer*innen im „Pool-Party-Outfit“. Doch meistens hätten sich erstere wesentlich mehr Arbeit mit ihren Cosplays gemacht, während letztere Anerkennung, Bekanntheit, Likes und Geld einsammeln. Dies führt nahezu unweigerlich zu Spannungen.

Harte Kritik an der Darstellung ist nicht nur in Deutschland ein Problem. Statement von Misa On Wheels. Reproduktion mit Genehmigung.
Harte Kritik an der Darstellung ist nicht nur in Deutschland ein Problem.
Statement von Misa On Wheels. Reproduktion mit Genehmigung.

Weitere Diskussionen bei der Charakterwahl träten zutage, wenn die Darstellung des gewählten Charakters eine Veränderung des Geschlechts nötig mache. Hier gebe es zwei Varianten: Wahlweise würden die Charaktere im richtigen Geschlecht dargestellt, was eine Transformation seitens der Cosplayer*innen erfordere, oder aber es werde das Geschlecht der Cosplayer*innen benutzt und damit eine Genderbend-Version des Charakters erzeugt. Beide Fälle sind laut Ralf offene Einfallstore für Kritik.

Ein weiterer Grund für die Veränderung von Charakteren können auch körperliche Einschränkungen sein. Auch unter Cosplayer*innen gebe es Personen, die beispielsweise im Rollstuhl säßen oder andere Einschränkungen hätten. Diese Personen aus der Cosplayszene auszuschließen, indem man ihnen vorwerfe, einen Charakter nicht korrekt darstellen zu können, überschreite schnell Grenzen.

Da die Charakterwahl oft danach erfolge, wie gut die Cosplayer*innen diesen Charakter fänden, und nicht danach, wie gut „sie ihn tragen könnten“, käme es immer zu Diskrepanzen zwischen dem eigenen Aussehen und dem Charakter. Hier sollte gelten: Leben und leben lassen. Ein Cosplay könne man konstruktiv kritisieren. Die Person im Cosplay als unpassend anzugreifen, sei nicht förderlich.

Mobbing im Cosplay: Die Auswirkungen

Ralf sagt, wer als Anfänger*in erste Berührung mit der Cosplay-Szene habe, würde mitunter schnell mit diesen Diskussionen konfrontiert. Dies könne sehr abschreckend wirken, gerade wenn der Eindruck entstehe, dies sei der normale Umgangston innerhalb der Szene.

Im schlimmsten Fall könne ein einfacher, eigener Kommentar zugunsten der falschen Person bewirken, dass man selbst in den Strudel gezogen und Opfer von Mobbing würde. Dies wirke auf Anfänger*innen abschreckend, so dass viele mit dem Hobby resigniert wieder aufhören würden, ehe sie überhaupt richtig angefangen hätten. Doch nicht nur Anfänger*innen stünden in der Schusslinie, auch vielen erfahrenen und langjährigen Szenemitglieder*innen werde so der Spaß am Cosplay genommen.

Die Kampagne gegen Mobbing im Cosplay

Gegen Mobbing in der Cosplay-Szene hat Ralf eine Kampagne ins Leben gerufen. Mit dem Start seiner Facebookseite Ich bin gegen Cosplay-Mobbing möchte er wieder für Kommunikation sensibilisieren und auf die wachsenden Probleme in der Szene aufmerksam machen. Dazu wurde ein Logo entworfen, mit dem ein öffentliches Zeichen gesetzt werden soll.

Die Gruppe um Ralf möchte auch versuchen, zu vermitteln. Wenn Mobbing-Situationen entstehen, soll eingegriffen werden. Generell durch Zeigen von Zivilcourage, aber auch durch Gespräche mit Geschädigten und Verursachern. In den Sozialen Medien ist die Gruppe ebenfalls aktiv und macht auf diese Probleme aufmerksam.

Was kann jeder/r Einzelne tun?

Ralf fordert: Wenn man Fälle von Mobbing bemerke, solle man eingreifen und dieses, wenn möglich, unterbinden. Wenn ein Unterbinden nicht möglich sei, helfe es schon sehr, den Opfern beizustehen. Auf keinen Fall solle man sich in Mobbing mit einbeziehen lassen. Mobbing kann eine Art Gruppenzwang auslösen, und diesem gelte es zu widerstehen.

Um die Kampagne selbst zu unterstützen, helfe es natürlich, die Seite zu liken und zu teilen. Ebenfalls hilfreich sei, die Seite mit Kommentaren zu unterstützen. Sich offen positiv zur Anti-Mobbing-Kampagne zu stellen sei viel wert.

Ein Wort zum Schluss

Ralf weist darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Cosplayer*innen sich nicht an Mobbing-Aktionen beteiligten. Die meisten hielten tatsächlich die Werte dieser offenen und vielfältigen Community hoch. Sie helfen einander und freuen sich an einem gemeinsamen Hobby.

Ralf hegt den Wunsch, dass sich die gesamte Szene wieder auf ihre Werte besinne und Mobbing auf Dauer keinen Platz in diesem schönen Hobby finde.

Titelbild: Titelbild der Facebookseite der Kampagne, Reproduktion mit Genehmigung

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