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Was hindert Feenwesen aus den neun Gefilden daran, sich unsere Welt zu eigen zu machen? In Tinte & Siegel, Verträge und Siegelagenten. Fünf Agenten reichen aber oftmals nicht aus, um über alles den Überblick zu behalten. Nicht einmal über die eigenen Schüler, die plötzlich das große Geld im Feenhandel machen.

Das ist zumindest die Erfahrung, die Aloysius MacBharrais – Al, für Freunde – nach dem Tod seines siebten Schülers machen muss. Es stellt sich heraus, dass der arme Gordie traurigerweise an einem Rosinenscone erstickt ist, allerdings weint ihm der gefangene Hobgoblin in seinem Büro keine Träne nach. Al betrauert seinen Schüler, setzt jedoch alles in Gang, um den Verdacht des Feenhandels aufzuklären. Die anderen Siegelagenten würden ihm das andernfalls nie vergessen lassen.

Aber wer hätte ahnen können, dass das so gefährlich wird? Und Al ist wirklich nicht mehr der Jüngste.

Story

Die Geschichte um Al beginnt damit, dass er von dem Tod seines Schülers erfährt; dem Siebten, um genau zu sein. Also macht er sich auf, zu tun, was alle Siegelmeister an seiner Stelle tun würden: alle Tinten und Siegel einzusammeln, die er in Gordies Wohnung finden kann, bevor sie den weltlichen Behörden in die Hände fallen. Doch abgesehen von den erwarteten Tinten findet er weit mehr: Ingredienzen, die Gordie noch gar nicht kennen dürfte. Niedergeschriebene Tintenrezepte, die Gordie niemals in dieser Form hätte erhalten sollen. Und einen gefangenen Hobgoblin, der sich selbst den Namen Buck Foi gibt.

Es gibt keinen Zeitpunkt, an dem die Story sich zieht oder nicht mehr nachvollziehbar ist. Das liegt auch daran, dass es neben dem Handlungsstrang, den Feenschmugglerring auffliegen zu lassen, kaum Nebenhandlung gibt. Sicher, Als Fluch wird hin und wieder thematisiert – immerhin ist dieser der Grund dafür, dass er die meiste Zeit eine Sprachapp anstatt seiner Stimme benutzt, weil der Fluch die Abneigung anderer Menschen auf ihn schürt, wenn sie seine Stimme hören. Aber es gibt nur eine Szene, in der das Aufheben des Fluchs wirklich eine Rolle spielt. Es wird schon deutlich mehr Tinte darauf verwendet, die unterschiedlichen Gin zu beschreiben, die im Gin 71 angeboten werden.

Allerdings sind es genau diese Orte, die die Welt lebendig erscheinen lassen. Kevin Hearne hat viel Mühe darauf verwendet, Orte in Tinte & Siegel zu verwenden, die man bei einer Reise nach Glasgow wirklich besuchen kann. Dies gibt dem Setting eine gewisse Greifbarkeit, was gerade in Urban Fantasy hilft, die Romanwelt in der unsrigen zu verankern.

Neben Al gibt es zwei weitere Figuren, die man schnell ins Herz schließt. Zum einen ist da Nadia, die glaubt, die Nachkommin eines indischen Halbgottes zu sein. Anders kann sie sich ihre Fähigkeit des Schlachtensehens, das sie befähigt, die Aktion ihres Gegners vorauszuahnen, nicht erklären. Nadia ist eine Goth und Als Managerin, sowohl in Angelegenheiten, die Siegel betreffen, als auch in seiner Druckerei, die er als Tagesgeschäft betreibt.

Zum anderen ist da Buck, der gefangene Hobgoblin, den Al in seine Dienste nimmt, um ihm so den Aufenthalt in den menschlichen Gefilden zu ermöglichen und ihn vor dem Feenhandel zu bewahren. Sein Humor, der größtenteils aus „Deine Mutter“-Witzen besteht, ist nicht jedermanns Sache. Dass er nach der Entdeckung von Netflix zu einem Fan von Avatar: Der Herr der Elemente wird, hat ihn mich direkt ins Herz schließen lassen.

Weitere Nebenfiguren, die Al entweder helfen (wie die beiden Feenwesen Coriander und Harrowbean), ihn behindern (Detective Inspector Munro) oder beides (die anderen vier Siegelagenten, die über die Welt verstreut sind) runden das Bild ab. Teilweise bietet sie auch Anlass zu Spekulationen, was ihre Motivationen und Verbindungen angeht (looking at you, Hacker Saxon Codpiece).

Die Geschichte wird durchweg aus Als Sicht erzählt, nur wenige Male unterbrochen durch sogenannte Zwischenspiele, die sich mit besonderen Tinteningredienzen auseinandersetzen und kleine Einblicke in Als Vergangenheit ermöglichen. Auch die Geschichte, wie er Nadia kennenlernte, bekommen wir aus einem gegenüber Buck erzählten Rückblick zu lesen.

Schreibstil

Ich möchte nicht lange herumreden: an die Ausdrucksweise musste ich mich erst gewöhnen. Ein „Das können Sie sich in den Furzer rammen“ von einem Protagonisten jenseits der sechzig ist nicht zwingend mein Humor und ich war kurz versucht, Tinte & Siegel direkt wieder zur Seite zu legen. Um es direkt klarzustellen: der Humor bleibt, ist aber nicht omnipräsent, sodass ich über die „Deine Mutter“-Witze einfach hinweglesen konnte.

Hearne bemüht sich, jeder Figur eine Stimme zu geben. Insbesondere bei Buck ist ihm das gut gelungen, der sich besonders umgangssprachlich ausdrückt und direkt zu erkennen ist. Dass Al sich allerdings nicht ein einziges Mal vertippt hat und die Autokorrektor seines Handys nur einmal zugeschlagen hat, mag ich nicht ganz glauben, insbesondere in Situationen, in denen er schnell tippen würde. Sicher, das Geschriebene ist nicht, was Al schreibt, sondern was die App ausgibt. Dennoch klingen die Dialoge hier oft gestelzt. Auch die Passagen, die den äußerst realen Menschenhandel thematisieren, wirken wie in den Text hineinkopiert. Es ist absolut nichts dagegen zu sagen, Aufklärungsarbeit in dieser Hinsicht zu leisten, aber leider machten diese Abschnitte eher den Eindruck, nachträglich hinzugefügt worden zu sein. Ob das jeweils Probleme der Übersetzung oder des Originaltextes sind, kann ich leider nicht sagen. Allerdings ist es zu keinem Zeitpunkt schwierig, der Handlung oder der Motivation der Figuren zu folgen und den Großteil des Romans habe ich an einem Tag weggelesen.

Inwieweit es hilfreich ist, dass der Autor mit Schrift und Satz spielt, muss jeder für sich selbst entscheiden. So wird Als Nutzung der Sprachapp beispielsweise mit eckigen Klammern gekennzeichnet, was das Identifizieren dieses Sprechens sehr einfach gemacht hat. Lediglich die Namen der Gottheiten in Caps stechen unangenehm aus dem Text hervor. Dass es Namen von Gottheiten sind ist für diejenigen, die nicht mit dem irischen Pantheon bekannt sind, allerdings nicht auf den ersten Blick ersichtlich.

Ich hätte mir ein paar Zeichnungen der verwendeten Siegel gewünscht; allerdings ist es in der Logik des Romans sinnvoll, diese nicht auszuschreiben, da das Wissen über Siegel und dazugehörige Tinten lediglich mündlich weitergegeben wird, um Missbrauch zu verhindern.

Die Welt ist in sich kohärent und macht Lust auf mehr. Tinte & Siegel beinhaltet nur einen Bruchteil der möglichen Feenwesen und ich bin gespannt darauf, ob Hearne sich auf die irischen Fabelwesen beschränkt oder nicht. Mit der Nennung von Loki und Luzifer wurden auch andere Pantheons angedeutet und ich frage mich, inwieweit sich diese sinnvoll kombinieren lassen.

Der Autor

Kevin Hearne wurde 1970 geboren und unterrichtet Englisch an einer High School. International wurde er insbesondere mit der Romanreihe Die Chronik des Eisernen Druiden bekannt, die auf neun Bände ausgelegt ist. Außerdem veröffentlichte er den Star Wars-Roman Der Erbe der Jedi-Ritter. Tinte & Siegel spielt zwar in der Welt des Eisernen Druiden, kann aber problemlos losgelöst davon gelesen werden. Es ist der erste Band in der Chronik des Siegelmagiers um den Siegelagenten Al.

Erscheinungsbild

Das Cover wurde von Birgit Gitschier gestaltet und erinnert an die vielen Bücher zum Handlettering, das sich damit befasst, Schriftzüge möglichst kunstvoll aussehen zu lassen. An den Rändern befindet sich ein paar der namensgebenden Siegel sowie eingearbeitet in die Buchstaben und in das am unteren Rand platzierte Rasiermesser, das im Lauf der Geschichte noch eine wichtige Rolle erfüllen wird. Auch die titelgebenden Tinten finden sich in Form von Tintenklecksen und Schreibfedern wieder.

In seiner Art erinnert das Cover sehr an andere Urban Fantasy-Reihen wie beispielsweise Das Labyrinth von London. Damit wird den Lesenden direkt verdeutlicht, zu welchem Genre Tinte & Siegel gehört, aber inzwischen habe ich mich daran ein wenig satt gesehen. Das Cover passt zum Inhalt, keine Frage, und entspricht genau dem englischen Cover.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Klett-Cotta
  • Autor*in: Kevin Hearne
  • Erscheinungsdatum: Februar 2021
  • Sprache: Deutsch (aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Mader)
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 384 Seiten
  • ISBN: 978-3-608-98203-9 (Print) + 978-3-608-12080-6 (E-Book)
  • Preis: 15,00 EUR (Print) + 11,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon (Deutsch und Englisch), idealo

 

Bonuscontent

Ein Glossar führt die wichtigsten gälischen und schottischen Begriffe und Namen auf und erklärt sie kurz. Leider fehlt hier bis auf den Nachnamen des Protagonisten MacBharrais jeglicher Hinweis auf die Aussprache. Gerade hier hätte ich mir kleine Aussprachehilfen gewünscht. Oder wüsstest du auf Anhieb, wie du Bean Sídhe aussprechen solltest?

Fazit

Al ist mit seinem Fluch und seinen nun sieben toten Schülern eine tragische Figur, die sich trotz der erlebten Verluste um ein Leben bemüht. Auch wenn er etwas mürrisch ist und einen merkwürdigen Sinn für Humor hat, konnte ich nicht anders, als ihn in mein Herz zu schließen. Sehr viel schneller gelang mir das bei Nadia, die einfach cool ist, und Buck; ebenfalls fragwürdiger Humor, aber er ist Fan von Onkel Iroh.

Der Roman liest sich teilweise wie Werbung für verschiedene Füllfederhersteller, aber gerade der Gedanke, dass die Magie aus der Kombination spezieller Tinten und der damit gezeichneten Siegel besteht, reizt mich sehr. Kugelschreibern wohnt einfach nicht diese Faszination inne.

Die Welt macht Lust auf mehr. Kann Als Fluch aufgehoben werden, sodass er doch noch einen Schüler fertig ausbilden und sich in den verdienten Ruhestand verabschieden kann? Und was genau hat es mit Saxon Codpiece auf sich?

Der Text wirkt nicht immer geschliffen und ich frage mich, ob sich das Original auch so liest. Insbesondere bei Als Appnutzung und den Passagen über Menschenhandel hätte mir etwas Überarbeitung gewünscht, um das eine weniger gestelzt und das andere weniger fremd klingen zu lassen. Wer darüber hinwegsehen kann und Spaß an Urban Fantasy mit ernsteren Themen hat, sollte dennoch Spaß an Tinte & Siegel haben. Sláinte!

  • Interessante Charaktere
  • Tinten & Gin
  • Irische Fabelwesen
 

  • Wirkt teilweise unfertig
  • Humor für Grundschüler

 

Artikelbilder: © poupik | depositphotos.com, © Klett-Cotta
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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