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Wie entsteht eigentlich ein Roman über Amazonen? Wie viel Recherche ist notwendig und müssen antike Gottheiten immer so dargestellt werden, wie wir es kennen? Teilzeithelden hat Autorin Nora Bendzko interviewt und mit ihr über ihr neuestes Buch – Die Götter müssen sterben –, Musik, Recherche und die Bedeutung der Phantastik gesprochen.

Mit dem Roman Die Götter müssen sterben begeisterte die Wahlwienerin Nora Bendzko  Teilzeithelden-Redakteurin Vanessa. Ich kannte Nora vor allem aus Talkrunden und vom Stand des Nornennetzes auf der Leipziger Buchmesse.

Bisher veröffentlichte die Autorin und Sängerin ihre Bücher im Selfpublishing, doch ihre Amazonen schickte sie im Verlag Droemer Knaur in den Krieg gegen die Götter. Wir haben mit ihr über die Darstellung antiker Gottheiten, Recherche und ihren Arbeitsprozess gesprochen.

Interview

Teilzeithelden: Hallo Nora, erst einmal ganz herzlichen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, uns bei Teilzeithelden einige Fragen zu beantworten. Viele unserer Leser*innen kommen aus dem Rollenspielbereich, weswegen deine Bezüge zu diesem Hobby sie sicher auch interessieren dürften. Spielst du Rollenspiele? Wenn ja, welches System und bist du lieber Spielleitung oder Spielerin?

Unsere Gesprächspartnerin: Autorin und Sängerin Nora Bendzko

Nora: Ich habe erst vor kurzem mit dem Rollenspielen angefangen, mit Dungeons & Dragons. Viel kann ich also nicht zum Thema sagen, außer, dass das Ausprobieren auf jeden Fall Spaß macht. Ich mag es, als Spielerin kreativ zu sein, kann mir aber auch die Spielleitung vorstellen. Vielleicht komme ich ja mal in den Genuss und werde dann mehr berichten können.

Teilzeithelden: Wir wünschen dir auf jeden Fall viel Spaß dabei! Wenden wir uns deinem neuesten Buch zu, Die Götter müssen sterben. Woher kam die Idee dazu?

Nora: Das kann ich gar nicht mehr genau sagen. Irgendwie schlummerte die Idee, über Amazonen zu schreiben, schon jahrelang in meinem Kopf. Als ich Droemer Knaur Pitches für mögliche Fantasy-Projekte geschickt habe, redeten wir eigentlich über Märchenadaptionen, in Richtung meiner Galgenmärchen. Da fiel mir ein: Moment, das passt zwar nicht 100% zum Gesuch, aber schick mal den Pitch mit den Amazonen und der griechischen Mythologie ein. Und davon war der Verlag sofort begeistert.

Teilzeithelden: Vollkommen zu Recht. Stell deine Amazonen doch bitte einmal vor.

Nora: Die Amazonen in meinem Roman leben in drei zentralen Gebieten. Es gibt die Schwestern der Sonne in Nordafrika, mit Hauptsitz in Libyen; die Töchter des Mondes, die am Schwarzen Meer in Anatolien leben; und die Mütter der Sterne im nördlichen Kaukasus. Sie leben in einer matriarchalischen, von Königinnen und Kriegerinnen beherrschten Gesellschaft. Seit Generationen befinden sie sich im Konflikt mit griechischen Helden, die einige ihrer Waffenschwestern feige ermordeten. In Die Götter müssen sterben verfolgen wir vor allem die Geschichte von Königin Penthesilea, die auf einem Rachefeldzug unterwegs ist und am Trojanischen Krieg teilnimmt.

Teilzeithelden: Womit wir bei der antiken Dichtung und dem Thema Recherche wären. Die Recherche für den Roman war sicher aufwändig. Wie bist du da herangegangen? Hast du eher Fachquellen gelesen oder eher literarische Texte wie Homer oder beides?

Nora: Beides! Als der Verlag den Pitch angenommen hat, habe ich erst einmal mehrere Bücher gekauft, wie die Ilias, aber auch allerlei Sachbücher, die griechische Mythologie, den Trojanischen Krieg und Amazonen-Mythen besprochen haben. Ich glaube, ich hätte den Roman ohne diesen ersten Schritt gar nicht planen können. Es war essenziell, mir einen Überblick über die wichtigsten Figuren in den Mythen zu verschaffen. Wer mehr über diesen Prozess wissen will, dem möchte ich das Nachwort im Buch ans Herz legen. Dort nenne ich einige meiner Quellen und was ich aus diesen mitgenommen habe.

Teilzeithelden: Das klingt nach einer Menge Arbeit. Was hat dich bei der Recherche am meisten überrascht oder begeistert?

Die berühmte Königin Penthesilea ist eine der Töchter des Mondes

Nora: Ich war überrascht, wie wütend ich beim Recherchieren wurde, haha. Wut ist generell ein wichtiges Thema in dem Roman, und das liegt daran, dass in der griechischen Mythologie so viel Ungerechtigkeit steckt, vor allem gegenüber Frauen – menschlich wie göttlich. Man wird da ein wenig radikal und selbst zur Amazone. Hier hat mich etwa überrascht, wie sich mein Blick auf die Göttin Hera verändert hat. In vielen Medien ist sie oft nicht mehr als das eifersüchtige Eheweib, dabei ist sie eigentlich eine extrem tragische Figur. Sie ist definitiv ungerecht und hassgetrieben in dem, was sie tut, aber es kommt aus einem Ort des Schmerzes, wo sie nicht freiwillig mit Zeus verheiratet ist. Ihre Ehe mit ihm, der sie beschämt und missachtet mit seinem ständigen Fremdgehen, ist nicht freiwillig, und es wird noch mal viel trauriger, wenn man bedenkt, dass die beiden Geschwister sind. Inzest als Kontroll- und Machtinstrument ist generell etwas, das verstörend oft in der Mythologie vorkommt. Aber es gab auch positiv Überraschendes. Etwa bin ich darauf gestoßen, dass die Liebesgöttin Aphrodite nicht immer weiblich dargestellt wird, sondern dass es auch männliche und intergeschlechtliche Darstellungen, teils unter dem Namen „Aphroditus“, gibt. Ich konnte nicht anders, als das aufzugreifen. Und es war auch eine große Freude, all die Queerness und People of Color und Schwarzen Figuren (zum Beispiel den äthiopischen König Memnon) in der Mythologie zu entdecken.

Teilzeithelden: In Die Götter müssen sterben treten entsprechend auch etliche queere Figuren und People of Color auf. Warum sind dir solche Figuren besonders wichtig?

Nora: Weil sie irgendwo ich sind. Ich komme aus einer multikulturellen, deutsch-marokkanischen Familie und lebe meine eigene Queerness immer mehr in Texten aus. Aber ich hoffe, ich würde, selbst wenn dem nicht so wäre, jene Figuren schreiben. Auch sonst bemühe ich mich um diverse Figuren in meinen Texten, denn die Welt ist nun mal divers. Es ergibt keinen Sinn für mich, bunte Fantasy-Welten zu schreiben, aber die Buntheit nur phantastischen Wesen und nicht Menschen zu lassen.

Musik und Teamwork

Teilzeithelden: Da hast du recht, das ergibt überhaupt keinen Sinn. Bleiben wir noch einen Moment bei Die Götter müssen sterben. Statt in Kapitel oder Abschnitte hast du den Roman in Gesänge unterteilt, wie es in der antiken Dichtung üblich war. Wie kam es dazu?

Nora: Ich mag es gerne, meine Geschichten in Parts zu splitten. Das dürften einige schon von den Galgenmärchen kennen. Die „Gesänge“ haben sich angeboten, weil auch die Ilias in Gesänge unterteilt ist. Es soll eine Hommage an die griechischen Epen sein.

Teilzeithelden: Das ist gelungen. An anderen Stellen bist du dagegen vom verbreiteten Antikenbild abgewichen. Ich denke da an deine Darstellung der Gottheiten, die ich sehr mag und die von der üblichen Darstellung aus Mythologiebüchern abweicht. Wie bist du beispielsweise darauf gekommen, einen Gott wie Dionysos nicht als harmlosen, feierwütigen Weinliebhaber darzustellen, sondern seine brutalere Seite – die der Mythos absolut hergibt – zu zeigen?

Nora: Ich glaube, das ist ganz von allein beim Recherchieren gekommen. Ich war die ganze Zeit auf der Suche nach Seiten bei den Gottheiten, die man noch nicht so kennt aus geläufigen Darstellungen. Dionysos als harmloser Partygott geht oft unter. Ich fand es auch deshalb reizvoll, ihn als Bösewicht darzustellen, weil ich damit ein modernes Thema verbinden konnte, das mich sehr beschäftigt. Sein Hof des Gelächters ist ja ein Ort, an dem persönliches Vergnügen ohne Rücksicht auf Verluste an oberster Stelle steht. Das ist eine Geisteshaltung, die ich oft in unserer Gesellschaft sehe und kritisch beleuchten wollte. Lachen kann etwas sehr Grausames sein, gerade, wenn man über den Schmerz anderer lacht.

Teilzeithelden: Allerdings. Du bist ja nicht nur Autorin, sondern auch Sängerin in einer Metal-Band. Gehen Musik und Schreiben Synergien ein? Und was meinst du, hören oder machen deine Amazonen Metal?

Nora: Ich bin mir ziemlich sicher, dass Amazonen heute ihren eigenen Metal machen würden. Der Begriff Amazon Metal wurde witzigerweise schon bei einer meiner Lesungen ins Spiel gebracht. Bei einer Live-Lesung auf Instagram habe ich einen Kriegsgesang aus dem Buch improvisiert, Leute haben das dann als Amazon Metal bezeichnet. Bei mir ist es auf jeden Fall so, dass Musik und Schreiben sich ergänzen. Ich schöpfe auf der Bühne eine ganz eigene positive Energie und kann von einem tollen Song zu einem ganzen Buch inspiriert werden.

Die Töchter der Sonne würden wie alle Amazonen heute sicher Metal machen.

Teilzeithelden: Amazon Metal? Ich will es hören. Du hast ja bisher mit deinen Galgenmärchen eher kürzere Texte veröffentlicht. Die Galgenmärchen sind auch im Selfpublishing erschienen, während Die Götter müssen sterben jetzt ein Verlagstitel ist. Gab es dabei für dich einen Unterschied im Arbeitsprozess, außer in der Zeit?

Nora: Ich bin natürlich nicht mehr so flexibel wie im Selfpublishing, woran ich mich gewöhnen muss. Über Aktionen und Verkäufe hat nun das Verlagsteam den Überblick. Phasen wie das Lektorat haben sich tatsächlich nicht viel anders angefühlt. Es war der gleiche wertschätzende Austausch, wie ich ihn auch aus dem Selfpublishing kannte, ohne ein Verbiegen gegen meinen Willen. Überhaupt hatte ich viel Glück mit meinem Team, hatte nie das Gefühl, nur eine von vielen zu sein, und es wurde viel Rücksprache mit mir gehalten. Darüber bin ich froh.

Teilzeithelden: Ein gutes Team ist wichtig. Zu Die Götter müssen sterben gibt es Artwork von Ristolicious. War das deine Idee oder die des Verlags? Und wie war die Zusammenarbeit mit Risto?

Nora: Das war meine Idee. Ich wollte schon lange Charakterillustrationen zu einem meiner Bücher haben und dachte, das Verlagsdebüt wäre eine gute Gelegenheit. Ursprünglich wollte ich mit der unglaublich talentierten Dark-Fantasy-Künstlerin Janna Sophia zusammenarbeiten, sie hatte leider keine Zeit. So bin ich durch ein öffentliches Gesuch auf Ristolicious gestoßen, und they war ein grandioser Ersatz. Die Zusammenarbeit war absolut schön und unkompliziert. Risto war von Anfang an begeistert dabei, hat mich zwischendrin auch Skizzen checken lassen. Ich kann die Arbeit mit them nur empfehlen, nicht nur, wenn ihr Fantasy-Illustrationen möchtet.

Das Potenzial der Phantastik

Teilzeithelden: Beeinflussen dich gesellschaftliche Themen beim Schreiben?

Nora: Wie wohl aus diesem Interview hervorgeht: Ja. Ich packe so einiges, was unsere Gesellschaft beschäftigt, in meine Texte. Im Detail möchte ich da gar nicht drüber sprechen. Ich glaube, es ist am besten, wenn man das unvoreingenommen beim Lesen entdeckt.

Teilzeithelden: Du bist sehr aktiv auf Social Media. Ich erinnere mich auch an deinen Auftritt in einem Nornennetz-Talk auf der Leipziger Buchmesse und in Die Götter müssen sterben geht es aus meiner Sicht auch um gesellschaftliche Veränderungen. Welche Chancen siehst du in der Phantastik für die Verbesserung der Welt?

Nora: Ich denke, dass es kein anderes Genre gibt, in dem Visionen so gut möglich sind, denn Phantastik ist per definitionem grenzenlos. Wir können uns bessere Gesellschaften ganz einfach vorstellen, oder den Triumph gegen Ungerechtigkeit – sofern wir dafür nur in unseren eigenen Köpfen bereit sind.

Teilzeithelden: Da kann ich nur zustimmen. Gibt es ein Buch der Phantastik, dass du allen ans Herz legen möchtest? Außer deinen eigenen.

Die Mütter der Sterne ziehen auch gegen die Götter in den Krieg.

Nora: Puh, nur ein einziges Buch ist schwer. Ich glaube, ich würde Wasteland von Judith C. Vogt empfehlen, als Beispiel für eine progressive Zukunftswelt. Der Roman ist ein postapokalyptisches Werk à la Mad Max: Fury Road, mit einer natürlich diversen Gesellschaft, in der vor allem Geschlechtervielfalt normalisiert ist, was sich auch in der Sprache widerspiegelt. So ist das Buch komplett genderneutral geschrieben, allerdings ohne Genderstern oder dergleichen. Vogt findet anderweitig genderneutrale Formen. Der Roman hat mich sprachlich sehr für Die Götter müssen sterben inspiriert, und ich denke, dass er viel Interessantes an Ideen und Handwerk versammelt.

Teilzeithelden: Wasteland hat uns auch begeistert. Gibt es etwas, dass du Nachwuchsautor*innen mit auf den Weg geben möchtest?

Nora: Nehmt euch alle Zeit, die ihr braucht, und bleibt dran. Ich weiß noch, wie sehr ich mich bei meinen Anfängen gefordert habe, ich gebe mir manchmal immer noch zu wenig Pausen. Aber das Tolle an Texten ist: Nichts ist umsonst. Jeder noch so kleine Erfolg, jede Überarbeitung bringt euch weiter, und irgendwann, wenn ihr so weit seid, kommen die Chancen ganz von allein. Habt keine Angst davor, euch selbst treu zu bleiben.

Teilzeithelden: Da sind deine Amazonen ein Vorbild. Gibt es etwas, dass du uns allen für die Lektüre mitgeben möchtest? Müssen die Götter sterben?

Nora: Um meine Aphrodite zu zitieren: „Das kann ich dir nun wirklich nicht verraten. Es nährt meine Kraft, wenn die Menschen Klatsch betreiben.“ Wer die alten Mythen kennt, weiß, dass in Troja auf jeden Fall Tod und Tragödie warten – aber nicht ausschließlich. Ich habe auch versucht, das Buch auf einer hoffnungsvollen Note zu beenden, die wir alle in diesen Zeiten brauchen.

Teilzeithelden: Ich finde, das ist dir gelungen. Ich bedanke mich im Namen von Teilzeithelden für das Interview und hoffe, dass wir noch viel von dir zu lesen bekommen.

Artikelbilder: © Radka Klein (Nachtfrost Photography), Ristolicious
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Maximilian Düngen
Fotografien: Radka Klein (Nachtfrost Photography)

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