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Ein Museumsgang kann eine tiefgreifende und bewegende Erfahrung sein, eine unmittelbare Begegnung mit Kunst und Künstler*innen. Seit Jahrzehnten ist der renommierte Kölner TASCHEN-Verlag dafür bekannt, diese Erfahrung in liebevoll ausgewählten und gestalteten Bildbänden einzufangen. Mit Masterpieces of Fantasy Art entführt uns der Verlag in eine atemberaubende Ausstellung eindringlicher Werke des Fantasy-Genres.

Überdimensional groß ist der mächtige Karton, in welchem Masterpieces of Fantasy Art ausgeliefert wird. Über sieben Kilogramm wiegt das wuchtige Paket. Löst man die erste Verpackungsschicht vom eigentlichen Inhalt, stößt man auf einen weiteren Umkarton.

Fast ergreift einen die Ehrfurcht, zieht man die Laschen des Kartons aus den Öffnungen. Dann liegt es vor einem: großformatig, gewichtig und eindrucksvoll. Das eigene Fantasy-Museum für das heimische Bücherregal.

Aufmachung und Format

Ganze 7,5 Kilogramm bringt der mächtige Band auf die Waage, in dem Dian Hanson Meisterwerke der Fantasy-Kunst versammelt hat. Die 532 Seiten, die er umfasst, sind nur ein Teil der Erklärung. Hinzu kommt das monumentale Format in einer Größe von 29 x 39,5 Zentimetern. Das ist schon eine Herausforderung für manches Bücherregal, aber eine sehr angenehme Größe, wenn man die Bilder in ihrer Wirkung nicht beschneiden und ihnen ausreichend Raum bieten möchte. Das Buch ist in nachtblaues geprägtes Leinen gebunden und wird von einem schwarzen Schutzumschlag ummantelt, den der Titel des Werkes in Goldschrift sowie Frank Frazettas berühmtes Ölbild Princess of Mars ziert.

Es gibt zu jedem*jeder Künstler*in ein ausgewähltes Werk, das sich leicht heraustrennen und aufhängen ließe.

Dies hat Frazetta 1970 für Edgar Rice Burroughs John Carter-Roman geschaffen. Schon die Auswahl dieser Titelillustration macht es deutlich, dass man es mit der Ansammlung von Fantasy-Meisterwerken sehr ernst meint. Schlägt man das schwere Cover auf, entdeckt man sofort den wertigen Einkleber, der auf die Limitierung des Bandes auf 7500 Stück sowie auf den Druck in Italien hinweist. Das Papier im Inneren ist sehr schwer und hochglanzbeschichtet, was den Bildern zu einer strahlenden Wirkung verhilft. Die einzelnen Kapitel zu den Künstler*innen sind mit karton-artigen Seiten abgetrennt. Auf diesen Seiten gibt es zu jedem*jeder Künstler*in ein ausgewähltes Werk, das sich leicht heraustrennen und aufhängen ließe. Ästhet*innen sehen jedoch davon ab. Zu wertig, zu eindrucksvoll und ehrfurchtsgebietend wirkt die Gesamtkomposition, als dass man sie durch Entnahme von Elementen zerstören möchte.

Der Inhalt

Zunächst fällt beim ersten Blättern auf, dass der gesamte Text in drei Sprachen dargeboten wird. Alle Artikel und Texte finden sich in Englisch, Französisch und Deutsch. Nach einem sehr persönlichen Vorwort von Boris Vallejo erfolgt eine Einführung in die Welt der Fantasy-Kunst und ihre Entstehungsgeschichte angefangen bei mittelalterlichen Illustrationen über Bruegel und Bosch zur modernen Kunst mit fantastischen Elementen.

Julie Bell

Nach einigen weiteren sehr interessanten und tiefschürfenden Betrachtungen zu Fantasy und Science Fiction erfolgt der Übergang zu den einzelnen Künstler*innen des Buches. Es ist eine großartige Auswahl, angeführt von der virtuosen Julie Bell, deren vom Körperkult der Body-Building-Ära geprägte Ästhetik eindringlich und verstörend zugleich wirkt, aber auch eine starke erotische Komponente enthält. Bells Werke sind vielen Leser*innen der Zeitschrift Heavy Metal von den Umschlagillustrationen bekannt. Auch Cover für Alben des Künstlers Meat Loaf hat sie entworfen. Sie verbindet realistische, stark körperbetonte Elemente mit Szenarien der Science Fiction und der Fantasy, muskulösen Monstren und chromglänzenden Robotern.

Philippe Druillet

Philippe Druillet bildet mit seinen comichaft abstrakten Illustrationen einen starken Gegenpol zu Julie Bell. Seine Kompositionen wirken außerweltlich und befremdlich, aber auch verspielt und anziehend. Sie lassen der Fantasie des Betrachters viel Raum zur Entfaltung und laden zum Verweilen und Nachdenken ein. Die archaisch-groben Elemente seiner Kunst haben gelegentlich einen cthulhuesken Einschlag.

Frank Frazetta ist aus der Fantasy-Kunst-Szene nicht mehr wegzudenken. Der Künstler hinter Death Dealer hat schon manches Metal-Cover gestaltet und seine Werke sind auf den ersten Blick erkennbar. Das machen die düstere Erotik, der Hang zum brachial-barbarischen und die gefährliche Abgründigkeit seiner Kunst. Frazetta ist ein Künstler, den man in diesem Buch-Museum sicherlich oft besuchen wird.

Ihm folgt wieder ein starker Gegenpol. Dem Brachial-Archaiker Frazetta steht der Technokrat H. R. Giger gegenüber. Seine Kunst versteht es, mit einem sehr reduzierten Farbschema durch die Verbindung aus Technologie und organischen Elementen Landschaften eines düsteren Geistes sicht- und greifbar zu machen. Seine Kunst ist in Filmen wie Alien, Species oder Dune – Der Wüstenplanet zu bewundern, doch sind es seine Gemälde, die Leser*innen über Jahrzehnte beschäftigen können, weil sie das Unterbewusste ansprechen.

Große Bewunderung gebührt den Brüdern Hildebrandt. Ihre Star Wars-Kinoplakate haben viele Leser*innen bereits in der Kindheit in ihren Bann gezogen. Ihre Werke rund um den Herrn der Ringe und den Hobbit werden weltweit gefeiert und ihr Zeichentrickfilm Ms. Brisby und das Geheimnis von Nimh gehört zu den zeitlosen Klassikern, denen nicht einmal Disney das Wasser reichen kann. Sie sind Meister des Spiels mit dem Licht und ihre Darstellung von Peter Pan und Wendy fesselt mich immer wieder.

Jeffrey Catherine Jones

Jeffrey Catherine Jones gehört zu den wohl verstörendsten Künstler*innen des Bandes. Seine Werke zeigen eine tiefe innere Zerrissenheit, führen in seelische Abgründe und folgen den Betrachter*innen wie Heimsuchungen. Seine Bilder verlangen, dass man sich beim Betrachten Zeit nimmt und sich von den Farbeffekten und Lichtspielen in die dunklen Korridore einer gequälten Seele führen lässt.

Rodney Matthews Kunst ist purer Rock and Roll mit allem, was dazu gehört. Seine Werke sind wie Darstellungen irrer Drogentrips, anderweltlich, verstörend und unruhig. Nicht umsonst zieren sie die Cover unzähliger Metal- und Rock-Alben von den Scorpions bis zu den Rolling Stones.

Ähnlich abgefahren, aber durch die comichaften Elemente sehr viel psychedelischer, präsentiert sich die Kunst von Moebius. Es scheint bisweilen schwer, einen Zugang zu seiner Kunst zu finden. Auch seine Werke wirken irgendwie wie ein Drogentrip, jedoch immer mit einem Augenzwinkern, bei dem man nicht sicher ist, ob es spöttisch-freundlich oder böse-zynisch wirken will.

Rowena Morrill verkörpert das Zeitgefühl der 1980er Jahre, einen Geist des Aufbruchs und es Spiels mit neuen Möglichkeiten. Philip K. Dick und Bob Shaw lassen grüßen. Ihre Werke sind vielfältig, das Fremde der Fantasy-Kunst wohnt ihnen inne. Und dennoch wirken sie lebensbejahend und strömen eine positive Energie aus.

Sanjulian entführt die Betrachter*innen in eine klassisch angehauchte Vergangenheit. Einflüsse griechischer oder römischer Kunst sind zu spüren. Gerne beschäftigt er sich mit Köperlichkeit und einem muskelbetonten Schönheitsideal. Er erweckt in seinen Bildern aber ein Gefühl des Erstarrens, wie man es von klassischen Heldenposen kennt.

Boris Vallejo

Mit Boris Vallejo schließt sich ein Kreis. Denn Vallejos Werke wirken wie die männliche Antwort auf Julie Bells Schaffen. Auch er zelebriert die Schönheit des muskulösen Körpers, verbindet Befremdliches und Erotisches und stilisiert seine Hero*innen zu fast göttergleichen Geschöpfen der Ästhetik.

Den Abschluss bildet Michael Whelan, dem in seinen Bildern ein kleines Wunder gelingt. So fremdartig und unnatürlich die Szenerien und Figuren, die er darstellt, auch sein mögen: Durch die natürliche Selbstverständlichkeit von Gesten und Ausdrücken zieht er sie in die unmittelbare Nähe der Betrachter*innen. Das Gefühl der echten Begegnung mit fremden Welten ist bei ihm besonders stark.

Natürlich fragt man sich nach diesem finalen Einzelkünstler-Kapitel, warum es bestimmte Künstler*innen nicht in das Buch geschafft haben. Aber ganz vergessen wurden die meisten von ihnen nicht, denn am Ende findet sich ein sehr schönes Nachschlagewerk, das Kreative wie Luis Royo oder auch den von mir sehr verehrten Larry Elmore enthält. Aber ein Verlag muss eine Auswahl treffen. Und die ist insgesamt sehr gelungen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: TASCHEN
  • Autor(en): Dian Hanson
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch/Englisch/Französisch
  • Format: gebunden
  • Seitenanzahl: 532
  • Preis: 150 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Ein Museum für zu Hause: nicht mehr und nicht weniger ist der wunderschöne Kunstband Masterpieces of Fantasy Art von Dian Hanson geworden. Wer sich auf diesen massiven Wälzer, der schon allein durch seine Ausmaße Ehrfurcht entfachen kann, einlässt, entdeckt Welten voll von prickelnder Erotik, fremdartigen und lebensfeindlichen Geschöpfen, traum- und albtraumhaften Landschaften und eindringlichen Charakterstudien. Unterlegt mit wunderbar stimulierenden und tiefführenden Erklärungstexten, lädt dieses Museum in Buchform zum Verweilen und zum Wiederkehren ein.

Schlägt man das schwere Cover auf, entdeckt man sofort den wertigen Einkleber, der auf die Limitierung des Bandes hinweist.

Nicht alle Künstler*innen werden umgehend zugänglich sein, und manches bleibt vielleicht sperrig und rätselhaft. Aber wer Ästhetik zu schätzen weiß und sich der Fantasy von der Seite der Kunst aus nähern möchte, wird hier fündig werden. Große Namen wie Frazetta, Hildebrandt, Giger oder Vallejo haben über Jahrzehnte das Bild der Fantasy geprägt und sind maßgeblich für die Wahrnehmung des Genres in der Öffentlichkeit mit verantwortlich. Egal, ob man sich intellektuelle Stimulation erhofft oder einfach in Fantasywelten versinken und verweilen möchte – dieser extrem hochwertige Luxusband macht dies möglich. Die strenge Limitierung ist ein Kaufargument für Sammler*innen und Spekulant*innen. Die TASCHEN-Bände sind bekannt für ihre hohe Wertsteigerungschance. Einige Giger-Bände werden zu astronomischen Preisen gehandelt. Dieses Buch verspricht nicht zu viel. Ich für meinen Teil wurde nicht enttäuscht: Ich erwartete Meisterwerke und bekam ein Meisterwerk.

 

Artikelbilder: © TASCHEN
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Saskia Harendt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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