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Überlebt Talia alle zehn Vergiftungen, kann sie Orness werden – Oberhaupt von Enthait. Ein gefährliches Vorhaben, doch Talia hat keine Wahl: Zum einen will sie nicht für immer auf der Flucht sein, zum anderen soll niemand erleiden, was sie erlitt. Doch wie viele Lügen kann sie erzählen?

Numenera ist ein Pen-and-Paper-Rollenspiel von Monte Cook Games und dem Science-Fiction-Genre zuzuordnen, enthält aber auch klassische Fantasy-Elemente. Schauplatz ist die sogenannte Neunte Welt, deren Bevölkerung auf einem mittelalterlichen Entwicklungsstand ist, aber stets mit seltsamen Technologien früherer, gefallener Zivilisationen konfrontiert wird. Hierzulande erscheint Numenera beim Uhrwerk Verlag.

Die Giftesserin (Originaltitel: The Poison Eater) ist der erste offizielle Numenera-Roman.

Story

Im Zentrum des Romans steht Talia, eine willensstarke Frau, die versucht, sich in der Stadt Enthait ein neues Leben aufzubauen. Wie ihrem Begleiter, der Kriegsbestie Khee, fällt es ihr nicht immer leicht, sich diesem noch immer fremden Ort anzupassen. Doch es gibt Vorhaben, die kein Zögern gestatten …

Wenn Talia nach einer Vergiftung aufwacht, ist der Maler traurig. Denn wenn das Ritual sie getötet hätte, hätte er aus ihrem Mark, ihrem Fett und ihrem Blut Farben kreiert und ihr Abbild auf die Mauer der Toten, das Mekalan, gebracht – zu all jenen, die vor Talia starben. Der Maler geht und die Greyes kommen, die ranghöchsten Beschützer*innen der Stadt. Ihnen erzählt Talia, was sie im Gifttraum sah, denn dies ist die Aufgabe einer sogenannten Giftesserin.

DER MOND HAT UNS GEHEILT UND WIR HABEN GELEUCHTET.

Aufschrift auf dem Mekalan

Doch Talias Giftträume sind anders. Sie zeigen nicht, welche Gefahren auf die Stadt zukommen, wie es üblich ist. Stattdessen zeigen sie der Giftesserin ihre Vergangenheit. Sie erinnern sie an die Zeit, als sie sich in Gefangenschaft der furchtbaren Vordcha befand. Als sie zusammen mit ihren Schwestern als Sklavin im Schwarzgeflecht lebte – und wie sie sich unter Verlust und Schmerzen aus dieser Lage befreite. Eigentlich sollte Enthait nur ein Halt auf einer Flucht sein, von der Talia annahm, dass sie nie enden würde. Doch sie blieb in der Stadt und nahm die Position der Giftesserin ein. Als solche verzehrt sie zu jedem Mondwechsel ein Gift. Überlebt sie zehn Vergiftungen, wird sie Orness – Stadtoberhaupt – und kann eine Attacke gegen die Vordcha führen.

Doch ihr Plan wird dadurch erschwert, dass sie ständig Lügen erzählen muss – ebenso wie durch ihre Begegnungen in Enthait und nicht zuletzt durch die Frau mit den verschiedenfarbigen Augen.

Die Giftesserin ist interessant erzählt. Leser*innen werden ins Geschehen geworfen, ohne davon überrollt zu werden. Mögliche offene Fragen werden rasch beantwortet und es ist spannend, den Erlebnissen der Protagonistin zu folgen. Talia ist von ihren Erlebnissen gezeichnet, körperlich und seelisch. Sie ist eine Kämpfernatur, aber nicht unnahbar. Ihr Bedürfnis nach emotionaler wie auch körperlicher Nähe sorgen dafür, dass ihre Pläne und Lügen trotz sorgfältiger Ausarbeitung zu Problemen führen. Das macht Talia menschlich und gestattet ein Einfühlen in den Charakter.

Schreibstil

Die Giftesserin wird aus der dritten Person erzählt. Dabei wird die Protagonistin Talia begleitet. Der Schreibstil ist nicht immer leicht zu lesen; er ist verspielt und arbeitet mit der Vielfältigkeit des geschriebenen Worts. Das macht den Text ästhetisch ansprechend, sorgt allerdings auch dafür, dass beispielsweise müde Augen oder ungeübte Leser*innen einen Satz manchmal nicht nur ein-, sondern zweimal lesen müssen.

Dank der umfangreichen Beschreibungen, die die Welt innerhalb der Erzählung lebendig machen, sind Vorkenntnisse des Numenera-Settings nicht erforderlich. Auch Personen, die das Pen-and-Paper-Rollenspiel nicht kennen, können problemlos in die Handlung einsteigen.

Besonders schön sind die Beschreibungen der Charaktere. Diese wirken hinsichtlich Mimik, Gestik und Körpersprache authentisch; es ist einfach, sich ein Bild von ihnen zu machen. Die Autorin weiß darüber hinaus, zwischenmenschliche Beziehungen jeglicher Art in Szene zu setzen, und schreckt weder vor komplexen emotionalen Strukturen noch vor sexuellen Begegnungen zurück. Die deutsche Übersetzung von Daniel Mayer ist angenehm zu lesen und vermittelt den Eindruck, sich nah am englischen Original zu bewegen.

Die Autorin

Shanna Germain wurde 1972 in den USA geboren und ist Mitgründerin und Creative Director von Monte Cook Games. Neben ihrer Arbeit für Numenera und das Cypher System war sie Lead Designerin für No Thank You, Evil, das hierzulande unter dem Namen So nicht, Schurke! erschien. Darüber hinaus schreibt Germain Erotikgeschichten. Die Autorin ist auf Twitter und Facebook aktiv und verfügt über eine eigene Website.

Erscheinungsbild

Das Cover zeigt eine weibliche Person, bei der es sich offensichtlich um die Protagonistin von Die Giftesserin handelt. Dieser fehlt eine Hand, und dort, wo ihre Kopfhaut Narben trägt, hat sie rote Haarsträhnen. Beides ist an der abgebildeten Frau erkennbar. Im Hintergrund sind weitere Personen, eine seltsame Kreatur – vielleicht Talias Kriegsbestie Khee – sowie eine Stadt, bei der es sich um Enthait handeln könnte, zu erkennen. Die Umschlagsillustration des neuseeländischen Künstlers Ben Wootten spiegelt die innerhalb des Romans erzeugte Stimmung wider und vermittelt eine Idee von der Neunten Welt.

Auf der Rückseite des Romans ist ein Klappentext zu finden, der die Handlung umreißt und Leser*innen adäquat auf das vorbereitet, was sie zwischen den Buchdeckeln erwarten dürfen. Definitiv macht er neugierig.

Während das englische Original des Romans sowohl gedruckt als auch als E-Book erhältlich ist, existiert die deutsche Übersetzung lediglich als Taschenbuch.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Feder & Schwert
  • Autor*in: Shanna Germain
  • Erscheinungsdatum: 2017 (englisches Original), 2019 (deutsche Übersetzung)
  • Sprache: Deutsch (aus dem Englischen übersetzt von Daniel Mayer)
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 320 Seiten
  • ISBN: 978-3867623704
  • Preis: 12,95 EUR
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon (Deutsch und Englisch), idealo

 

Fazit

Die Giftesserin ist der erste offizielle Numenera-Roman. Er stammt aus der Feder von Shanna Germain, der Mitgründerin von Monte Cook Games, und erzählt die Geschichte von Talia. Diese entkam ihrer Vergangenheit als Sklavin, um sich nunmehr ein neues Leben in Enthait aufzubauen. Als sogenannte Giftesserin nimmt sie eine wichtige Rolle in der Stadt ein – aber auch eine gefährliche. Hinzu kommt, dass Talias altes Leben sie immer wieder einzuholen droht. Interessante Charaktere und geschickte Lügen begleiten die Protagonistin, in die man sich bei der Lektüre leicht einfühlen kann.

Der Roman ist anspruchsvoll geschrieben und die Handlung spannend gestaltet. Die Lektüre ist unterhaltsam und nicht nur für diejenigen interessant, die mit Numenera vertraut sind. Der Blick zwischen die Buchdeckel lohnt sich für Fantasy- und Science-Fiction-Fans gleichermaßen – und für diejenigen, die sich für lebendige Charaktere und emotional aufgeladene Handlungsstränge begeistern können.

  • Interessante Protagonistin, in die man sich einfühlen kann
  • Lebendige Charaktere
  • Nicht nur für Numenera-Fans eine fesselnde Lektüre
 

  • Der verspielte Schreibstil könnte ungeübte Leser*innen stellenweise stolpern lassen.

 

Artikelbilder: © Feder & Schwert, © Monte Cook
Layout und Satz: Roger Lewin
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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