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Cyberpunk kennt spätestens seit dem Spiel, das den Namen trägt, wohl jeder. Auch Steampunk ist allgemein bekannt. Doch in den letzten Jahren drängt sich ein weiteres Punk-Genre immer mehr in den Vordergrund: Solarpunk. Doch was hat es damit auf sich?

Wer sich ein wenig tiefergehend mit der Phantastik beschäftigt, hört immer wieder etwas von „Punk“, denn Genres, die den Punk-Titel tragen gibt es viele. Eine neue Entwicklung, die mehr und mehr Aufmerksamkeit bekommt, vor allem in Sachen Kurzgeschichten, ist Solarpunk. Diese lässt uns einen Blick in eine bessere Zukunft werfen. Doch zwischen Cyberpunk und Steampunk stellt sich häufig die Frage, ob in den Punk-Medien überhaupt ein Platz für utopische Vorstellungen ist.

Punk, Punk, Punk

Fast jeder kennt die beiden grundlegendsten der: Cyberpunk und Steampunk. Kein Wunder, waren es doch auch die beiden ersten Genres, die das Punk in ihrem Namen trugen. Dass sie ausgerechnet diesen Titel trugen, ist dabei kein Zufall, denn speziell Cyberpunk entstand zu einer Zeit, in der die Punk-Kultur immer bekannter wurde. Dabei ist es gar nicht so leicht, Punk zu definieren – was auch daran liegt, dass sich so viele unterschiedliche Strömungen unter dem Begriff versammelt haben. Generell lässt sich jedoch feststellen, dass Punk in den meisten Fällen „Counter Culture“ beschreibt, also Strömungen, die sich entgegen der Mehrheitskultur entwickeln. So ist eine zentrale Eigenschaft der Punk-Strömung der Anti-Kapitalismus, der sich an vielen Stellen durch das Genre zieht.

Der Supertree Grove in Singapur ist ein Beispiel für Solarpunk-Architektur. Foto © AlexGukBO | depositphotos.com

So richtig groß wurde Punk in den 70er Jahren als Gegenbewegung sowohl zur Konsum-Kultur, als auch zur, vielen zu positiv gewichteten, Hippie-Bewegung. Parallel dazu entwickelte sich jedoch auch eine neue Bewegung in der SciFi-Literatur. Denn während SciFi zur damaligen Zeit vor allem durch positive Weltdarstellungen geprägt war, so entwickelte sich ein neues Genre, das sich dem entgegen eine kapitalistische Dystopie vorstellte. In diesen Welten waren die meisten Menschen nichts weiter als die Zahnrädchen in einer großen kapitalistischen Maschine. Welten, in denen Körperteile durch kybernetische Ersatzteile ersetzt wurden, um besser im System zu funktionieren. Ein Name für dieses Genre entwickelte sich 1977: Cyberpunk.

Damit war die Grundlage gelegt für Genres, die den Status der aktuellen Science-Fiction – und der Phantastik allgemein – hinterfragen sollten. Das nächste Beispiel, das sich bildete, war visuell genauso einprägsam, wie Cyberpunk: Steampunk. Dampfmaschinen, viktorianische Kleider und eine Menge Zahnräder prägten die visuelle Landschaft, ein Kampf zwischen verschiedenen Klassen und Gruppen, die Inhalte von Steampunk.

Doch damit sollte es nicht aufhören. Über die Jahre hinweg haben sich viele Vertreter entwickelt, die das „Punk“ mit im Namen tragen: Nanopunk, Biopunk, Dieselpunk, Atompunk, Arcanepunk, Silkpunk, Hopepunk und viele, viele mehr. Eine der neusten Additionen zu diesen Genres ist Solarpunk, das seinen Namen erst vor wenigen Jahren definierte. Dabei sind die Ideen vielleicht gar nicht so neu.

Solarpunk vereint grüne Elemente mit dem modernen, wie in diesem Schmetterlingsgarten im Flughafen Singapurs.  Foto © teamtime | depositphotos.com

Die Fantasie einer besseren Welt

Die zentrale Fantasie von Solarpunk lässt sich schon im Namen ablesen: Solarpunk – Solarenergie, erneuerbare Energien, im Einklang mit der Natur. Dabei ist diese Idee nicht so neu, wie das Genre selbst – wie man auch an den einflussreichen Vorreiter*innen des Genres sehen kann. Denn es gab ein paar Autor*innen, die bereits vor vielen Jahren Welten vorstellten, die utopische Aspekte beinhalten.

Eine dieser Vorreiter*innen ist fraglos Ursula K. Le Guin, die mit ihrem utopischen Roman „The Dispossessed“ (im Deutschen Planet der Habenichtse) eine solche Welt schuf. In diesem Roman hat sich eine anarchische Gesellschaft von einer klassisch hierarchischen Gesellschaft abgespalten. Die anarchistische Gesellschaft lebt auf ihrem Planeten in einer Öko-Utopie, was allerdings nicht bedeutet, dass sie ohne Probleme auskommt. Dennoch stellt sich dieser Roman eine Gesellschaft im Einklang mit Umwelt und ohne Kapitalismus vor.

Ebenfalls ein Roman, der versucht, sich eine solche Welt vorzustellen, ist Ökotopia von Ernest Callenbach. In diesem Roman hat sich ein Teil der USA 1980 vom Rest der Nation abgespalten und sich in Ökotopia umbenannt. In dieser neuen Nation wurde nicht nur ein komplett auf erneuerbaren Energien aufbauendes Stromnetz geschaffen, es leben auch die Menschen frei ihre Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten aus. Es sei fairerweise dazu gesagt, dass der Roman allerdings auch ökofaschistische Ideologien beinhaltet.

Und dann sind da natürlich die Filme aus dem japanischen Anime-Studio Ghibli. Während diese selten geradeheraus utopische Gesellschaften darstellen, so haben sie doch häufig Enden, die eine solche Gesellschaft als Möglichkeit darstellen. Beispiele dafür gibt es bei dem Studio viele, allen voran Nausicaä im Tal der Winde und Prinzessin Mononoke.

Geschichte eines Genres

Doch wie hat sich Solarpunk, von diesen Vorläufern des Genres abgesehen, entwickelt? Wieso hat es sich erst so spät entwickelt, wenn die Idee doch schon so lange existiert?

Nun, zweitere Frage lässt sich wohl damit beantworten, dass ab den 1980er Jahren klassische Utopien aus der Mode kamen. Es wurden ab dieser Zeit kaum utopische Romane geschrieben und Utopien häufig als unrealistisch und kindlich verschrien, während man dystopische Romane und dystopische Geschichten feierte.

So kam es, dass erst in den frühen 2000ern wieder der Wunsch nach Utopien laut wurde – im speziellen nach solchen, die eine bessere Zukunft in Bezug auf die Umwelt darstellten. Immerhin wurde Ende der 1990er Jahre mehr Aufmerksamkeit auf den Klimawandel gelenkt, zum Beispiel durch die Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls. Das Genre war allerdings sehr klein und hatte keinen konsistenten Titel oder konsistente Ideen. Teilweise benutzte Namen waren Ecopunk und Greenpunk.

Der Name Solarpunk stammt aus einem Artikel des englischsprachigen Weblogs The Republic of Bees mit dem Titel From Steampunk to Solarpunk. Dieser Artikel, der 2008 erschien, brachte viele der grundlegenden Ideen auf, die später Solarpunk als Genre definieren sollten.

Vier Jahre später kam in Brasilien eine Anthologie mit dem Titel Solarpunk: Histórias ecológicas e fantásticas em um mundo sustentável (Solarpunk: Ökologische und Fantastische Geschichten aus einer nachhaltigen Welt) heraus. Diese Anthologie half, den Genrenamen zu festigen, war jedoch nicht der Grund, warum sich dieser Titel durchsetzte.

Nein, der Grund dafür war tumblr. Denn auf dieser Blogging-Seite begann Solarpunk Aesthetics im Jahr 2014, gesammelte Bilder und Illustrationen zu posten, die zu Solarpunk passten. Da viele dieser Bilder unglaublich hübsch waren, begeisterten sich immer mehr tumblr-Nutzer*innen für das Konzept. Das sorgte dafür, dass auch mehr Autor*innen und Verlage begannen, sich dafür zu interessieren.

So kamen in den kommenden Jahren auch vermehrt Anthologien im Genre heraus und mehr und mehr Leute begannen sich dafür einzusetzen, das Genre zu stärken. Außerdem gab es Versuche, den Begriff vernünftig zu definieren.

Dies geschah dann auch im Jahr 2019, als erneut eine brasilianische Gruppe das Solarpunk Manifest festschrieb. Dieses wurde seither auch in viele verschiedene Sprachen übersetzt – so auch ins Deutsche.

In Solarpunk-Ästhetiken sind auch große Städte immer wieder von großen grünen Flächen unterbrochen. Foto © AlexGukBO | depositphotos.com

Das ist Solarpunk

Solarpunk hat also noch keine lange Geschichte – was uns aber zu der zentralen Frage bringt: Was ist Solarpunk eigentlich? Ein paar Dinge wurden in diesem Artikel schon angedeutet: Utopisch, Öko, erneuerbare Energien, aber was heißt das genau für das Genre?

Kurzgefasst: Solarpunk ist ein Genre, dass in einer utopischen oder nah-utopischen futuristischen Welt spielt. Diese Welten haben ihre Energieversorgung komplett auf irgendeiner Form von erneuerbaren Energien aufgebaut. Auch sind sie in der Regel post-kapitalistisch, anti-hierarchisch und dekolonial.

Dabei ist es noch unklar, ob Solarpunk immer in einer Form Science-Fiction sein muss oder ob es auch Fantasy-Solarpunk geben kann. Denn es gibt dahingehend widersprüchliche Anforderungen. Manche sind der Meinung, dass Solarpunk nur dann Solarpunk sein kann, wenn es eine mehr oder minder realistische Vorstellung der Zukunft darstellt, in der unsere klima- und umweltpolitischen Probleme mit tatsächlich möglichen Technologien gelöst wurden. Andere sehen kein Problem darin, wenn fantastische Technologien dazu erfunden werden und wieder andere sehen auch fantastische Welten, die jedoch dieselbe ethische Grundlage (anti-hierarchisch und anti-kapitalistisch) haben, ebenfalls als Teil des Genres an.

Kurzum: Auch wenn sich bereits einige Kernideen entwickelt haben, ist das Genre noch dabei, sich zu finden. Da es bisher wenige geschriebene Vertreter des Solarpunk gibt, werden wir letzten Endes sehen müssen, wohin er sich auf lange Sicht entwickelt.

Die Solarpunk-Leseliste

Doch sprechen wir kurz auch über die Medien, die bereits in diesem Genre erschienen sind. Dabei sollen die Vertreter in den Vordergrund gerückt werden, die tatsächlich als Teil des Solarpunk gedacht sind. Dazu gibt es natürlich noch eine Vielzahl anderer Filme, Bücher, Comics und Videospiele, die man dem Genre zuordnen kann.

Da das Genre noch jung ist, finden sich vor allem eine Reihe von englischsprachigen und ins Englische übersetzte Anthologien in dieser Sammlung. Hier seien vor allem genannt:

Solarpunk: Ecological and Fantastical Stories in a Sustainable World

Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es auch eine bis zum 31. März 2022 laufende Ausschreibung für eine deutsche Solarpunk-Anthologie gibt. Diese wird von den Münchener Schreiberlingen ausgerichtet.

Romane gibt es bisher nur wenige, die aktiv als Teil des Genres geschrieben wurden – was an seinem jungen Alter liegen mag, aber auch daran, dass viele Verlage vielleicht noch zurückhaltend sind, Utopien zu veröffentlichen. Dennoch seien als Vertreter genannt:

The Biodome Chronicles

Unter den Comics gibt es nur einen Eintrag, den man nennen kann: No One’s Rose von Emily Horn und Zac Thompson.

Filme oder Serien gibt es leider gar nicht zu diesem Genre, selbst wenn sich durchaus behaupten lässt, dass Black Panther viele Solarpunk-Ideen beinhaltet. Außerdem soll in den nächsten Jahren das bereits erwähnte The Dispossessed von Ursula K. Le Guin, das von vielen als Vorreiter des Genres angesehen wird, verfilmt werden.

Ihr seht also: Die Liste von expliziten Solarpunk-Werken ist noch klein, doch auch Cyberpunk hat einmal klein angefangen. Es gibt zumindest online eine Bewegung, das Genre größer zu machen und da ab nächstem Jahr im englischen Sprachraum auch das Solarpunk Magazine erscheinen wird und es bereits einige, mit hohen Preisgeldern dotierte Wettbewerbe gibt, werden auch die Romane nicht lang auf sich warten lassen.

Der Supertree Grove in Singapur sieht auch bei Nacht majestätisch aus. Foto © fazon1 | depositphotos.com

Lunarpunk – Solarpunks kleiner Bruder

Was an dieser Stelle noch genannt sein soll, ist, dass in dem ohnehin jungen Genre sich ein noch jüngerer Ableger entwickelt: Lunarpunk. Wie Solarpunk selbst hat sich dieser vor allem über seine Ästhetik bekannt gemacht. Während Solarpunk-Bilder von Städten und Häusern, in denen Pflanzen auf Dächern und Balkonen wachsen, geprägt sind, so zeichnet sich Lunarpunk durch ähnliche Städte, jedoch an dunkleren Orten – wie in Höhlen, unter Wasser oder im Weltall – aus. Dabei ersetzen oftmals Pilze die grünen Pflanzen des älteren Bruders.

Da Lunarpunk kaum mehr als ein Jahr alt ist, ist sich niemand ganz sicher, was es mit Lunarpunk als erzählerischem Genre genau auf sich hat. Ist es bereits Lunarpunk, wenn es in einer Welt, wie wir sie in den Lunarpunk-Ästhetiken sehen, spielt oder gehört mehr dazu?

Der am weitesten verbreitetste Ansatz scheint zu sein: Lunarpunk als Genre beinhaltet viele Grundlagen (erneuerbare Energien, post-kapitalistisch, anti-hierarchisch, dekolonial) des Solarpunk, jedoch auch eine magische oder spirituelle Komponente. Wie diese zum Ausdruck kommt, das wird die Zukunft zeigen. Denn bisher ist noch nichts in diesem Subgenre des Solarpunk erschienen. Die erste Anthologie ist jedoch für 2022 geplant.

Für eine grüne Zukunft

Die Frage, die an dieser Stelle bleibt, ist jedoch: Warum Solarpunk? Warum sollten wir Solarpunk schreiben oder lesen? Warum sollten wir Solarpunk-Rollenspiele erschaffen und spielen?

Nun, die Antwort ist gar nicht so schwer. Sehen wir es, wie es ist: Cyberpunk ist lang schon keine Dystopie mehr, sondern die Realität, nur mit einer cooleren Ästhetik. Denn den dystopischen Aspekt der Cyberpunk-Welten in Form eines Kapitalismus im Endstadium, in der wichtige politische Entscheidungen letzten Endes von Mega-Firmen getroffen werden, haben wir bereits erreicht – was uns fehlt sind die schicken Cyberimplantate und auch alles andere, was Cyberpunk stylisch macht. Diese Ausprägung des Kapitalismus ist bereits so zum Alltag geworden, dass viele dagegen abgestumpft sind. Es wird hingenommen, dass jedes Jahr mehrere Millionen Menschen an Hunger sterben und dass die Welt wahrscheinlich den Hitzetod sterben wird, weil ein Stopp der Treibhausgase den kapitalistischen Interessen einiger weniger Firmen, die jedoch großen Einfluss auf die Politik ausüben, entgegensteht.

Solarpunk fragt: Muss das so sein? Müssen wir uns damit abfinden? Es versucht eine Welt zu erschaffen, in der es eben nicht so ist, in der das Leben besser ist, die Ressourcen fairer verteilt sind und die Umwelt respektiert wird. Die ersten zwei Punkte des Solarpunk-Manifests bringen dies zum Ausdruck: „Wir sind Solarpunks, weil uns der Optimismus genommen wurde und wir versuchen, ihn wieder zu erlangen.“ Und: „Wir sind Solarpunks, weil die einzigen anderen Optionen Verleugnung oder Verzweiflung wären.“

Viele Menschen tun sich schwer, sich eine Welt vorzustellen, in der die Umwelt respektiert wird, der Kapitalismus überwunden wurde und Menschen faire Chancen in ihrem Leben haben. Genau das will Solarpunk ändern. Es will eine Vision schaffen, in der eben diese Dinge erreicht wurden, um Menschen zumindest die Vorstellung möglich zu machen.

Vor vielen, vielen Jahren brachte Ursula K. Le Guin diese Einstellung bereits bestens zum Ausdruck: „Wir leben unter Kapitalismus. Seine Macht wirkt unausweichbar. Doch so war es auch mit dem gottgegebenen Recht der Könige. Jeder menschlichen Macht kann widerstanden werden, jede menschliche Macht kann von Menschen geändert werden. Widerstand und Veränderung beginnen häufig in der Kunst, und sehr häufig in unserer Kunst, der Kunst der Worte.“

Deswegen soll an dieser Stelle die Moral sein: Wagt es zu hoffen. Wagt es, euch eine bessere Welt vorzustellen.

 

Artikelbilder: © AlexGukBO, © teamtime, © fazon1 | depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Giovanna Pirillo

 

1 Kommentar

  1. Hi Alex, danke für den erhellenden Artikel über das neue Solarpunk-Genre. Eine Frage, die mich gerade beschäftigt: 🧐 Steckt im Film Atavar ein Körnchen Solarpunk?

    Liebe Grüße
    Manuela

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