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Die deutsche Phantastik arbeitet sich gegenwärtig am Begriff ‚Hopepunk‘ ab und mit Wasteland ist letztes Jahr auch ein als ‚Hopepunk‘ beworbener Roman erschienen. Aber was ist überhaupt ‚Hopepunk‘? Ist es ein aufstrebendes Genre oder ein kurzlebiger Trend, eine ernstzunehmende Kategorisierung oder reine Spinnerei? Ein Klärungsversuch.

‚Hopepunk‘ begann mit einem Witz. „The opposite of grimdark is hopepunk. Pass it on.“ – „Das Gegenteil von Grimdark ist Hopepunk. Sagt es weiter“, postete die US-amerikanische Autorin Alexandra Rowland im Juli 2017 auf tumblr, ein einprägsamer Oneliner von ungeahnter Konsequenz. Die Zahl der Rückmeldungen war ungewöhnlich hoch, sodass der Begriff, kaum in der Welt, von Foren und Kommentarspalten über Panels und Conventions alles und jeden zu beschäftigen schien – bis schließlich immer mehr Plattformen darüber berichteten.

In Deutschland, das sich spätestens seit den 30er Jahren schwer damit tut, selbst Innovator zu sein oder Entwicklungen der internationalen Szene zeitnah nachzuvollziehen, rückte das Phänomen dann 2019 stärker in den Fokus – einerseits über Alessandra Reß, die ihm einen ausführlichen Artikel bei Tor Online widmete, andererseits durch den Roman Wasteland von Judith C. Vogt und Christian Vogt. All dies sorgte für ein Maß an Aufmerksamkeit, das in Beiträgen im Deutschlandfunk und in der 3sat Kulturzeit gipfelte. Dennoch erscheint der Begriff irgendwie undefiniert und wird daher wahlweise als kurzlebige Mode abgetan oder als neue, ha!, Hoffnung der Phantastik gefeiert. Dabei scheint im ersten Fall so gut wie keine Auseinandersetzung damit stattzufinden, welche Entwicklungen einen Begriff wie ‚Hopepunk‘ überhaupt möglich – oder nötig – gemacht haben, während sich im zweiten Fall wohl darauf verlassen wird, dass Fans bereits ein intuitives Verständnis von ‚Hopepunk‘ mitbringen. Kein Wunder also, dass noch immer Unsicherheit herrscht, was das Ganze jetzt eigentlich darstellt: Eine Strömung? Ein Subgenre? Oder gar eine Bewegung? Und welcher Trendsetter entscheidet das eigentlich?

‚Hopepunk‘? Was heißt hier überhaupt ‚Grimdark‘?

Dass sich ästhetische Strömungen und Subgenres oft in Abgrenzung voneinander entwickeln, ist ebenso normal wie die Tatsache, dass sie von politischen Entwicklungen und allgemeinem Zeitgeschehen nicht trennbar sind. Bei ‚Hopepunk‘ ist beides definitiv der Fall. Man kann das Aufkommen des Begriffs sowie die Begeisterung dafür nur im Kontext der letzten beiden Jahrzehnte verstehen. Dabei hilft Rowlands schmissige Scheindefinition „das Gegenteil von ‚Grimdark‘“ eher wenig und gehört vielmehr zu den Gründen, aus denen die Bestimmungsversuche so schwammig bleiben. Denn was ist überhaupt ‚Grimdark‘?

George R. R. Martins A Song of Ice and Fire als typischer Vertreter des Grimdark?

Auch hier gehen die gängigen Definitionen in verschiedene Richtungen, und wenn Adam Roberts in seinem Schreibratgeber die Formulierung „anti-Tolkien“ verwendet, trifft er damit das Alltagsverständnis des ursprünglich auf einen Warhammer 40K-Slogan zurückgehenden Begriffs am besten. Gerade der populärste Vertreter, George R. R. Martins A Song of Ice and Fire, arbeitet sich an Erzählkonventionen und Motiven der High Fantasy ab. Die Helden sind nicht edel, die Kämpfe und Moral nicht sauber oder eindeutig – dass all das als besonderes Merkmal von ‚Grimdark‘ ins Feld geführt wird, liegt daran, dass der Kontrast zu edlen Helden, sauberen Kämpfen und dem klaren Dualismus von Gut und Böse betont werden soll. Spätestens, wenn dieser Umstand nun auf die Formel „Das Gegenteil von High Fantasy ist Grimdark“ gebracht werden soll, wird deutlich, wie schnell sich Widersprüche ergeben, wenn man Genrebezeichnungen als klar abgrenzbar und ein pointiertes Diktum als Definition missversteht.

Rowlands Ausführungen nach dem unerwarteten Erfolg ihres Tumblr-Posts bringen etwas mehr Licht in die Sache. Denn was sie hier als phantastisches Subgenre mit pessimistischer Sicht auf die menschliche Natur beschreibt, welches Egoismus und Gier als primäre Triebkräfte begreift und allgemein nach dem Motto „Das Glas ist halb leer“ operiert („[Grimdark] sort of assumes that when it comes to human nature, the glass is half empty and that everyone has a core of malice and greed and selfishness“), beschränkt sich ästhetisch nicht auf den Bereich Phantastik und könnte ebenso gut den Film Noir oder revisionistische Western beschreiben. Niemand muss etwas mit dem Begriff ‚Grimdark‘ verbinden können, um zu erkennen, dass die Popkultur eine ganze Weile lang von einer Dreieinigkeit aus Pessimismus, Zynismus und vermeintlichem Realismus dominiert wurde. Nicht umsonst entschieden die Verantwortlichen beim Kulturzeit-Beitrag, ihn mit einer Szene der AMC-Serie Breaking Bad einzuleiten.

Dass ‚Grimdark‘ als Subgenre sich während der 80er Jahre herausbildete, wie sowohl Rowland als auch Stefan Mesch im Kulturzeit-Beitrag konstatieren, mag sein, übersieht aber die 2000er als entscheidenden Wendepunkt in der Mainstream-Ästhetik. Der Optimismus der 90er war dahin, an die Stelle fröhlich-bombastischer Filmspektakel à la Independence Day (1996) traten pessimistischere Visionen wie War of the Worlds (2005) oder The Dark Knight (2008). Die finstere Post-9/11-Stimmung im tonangebenden US-amerikanischen Markt brauchte zwar noch einige Jahre, um sich zu etablieren, machte dann aber vor keinem Medium Halt – schon gar nicht vor dem Format der Serie, die sich im Zuge dieser neuen Doktrin der Ernsthaftigkeit zum „neuen Gesellschaftsroman“ mauserte und von The Wire bis Mad Men fleißig Milieustudien betrieb.

Da nun leider „düster – zynisch – realistisch“ zunehmend mit dem Schlagwort „erwachsen“ verwechselt wurden, war der Moment gekommen, all die alten phantastischen Selbstdekonstruktionen von Moores, Gibbons und Higgins Watchmen (eigentlich 80er) bis Martins ASoIaF (eigentlich 90er) so im Mainstream zu platzieren, als seien sie völlig neu. Das Ergebnis ist eine allgemeine Vorstellung von Phantastik, die mit der tatsächlichen Szene-Entwicklung des letzten Jahrzehnts nur wenig zu tun hat, sowie innerhalb der Szene eine gefühlte Inflation von sogenannter ‚Grimdark‘-Literatur: Wo sich ‚Grimdark‘ gut verkauft, wird ‚Grimdark‘ zum Marketinglabel und die damit verbundenen Aspekte in den Verlagsvorschauen besonders betont. Diese Dominanz hyperrealistischer Nihilistenästhetik ist der Punkt, an dem überhaupt erst der marktimmanente Bedarf nach einem Gegenbegriff aufkommt.

NO YES FUTURE: Weitermachen als radikaler Akt

Rowland selbst widerspricht dieser skizzenhaften Rekonstruktion mit ihrer laienpsychologisch anmutenden Theorie, ‚Grimdark‘ sei in den 80ern und 90ern aufgekommen, da die politische Lage entspannter gewesen sei und dem generellen gesellschaftlichen Optimismus entgegengewirkt werden musste, während ‚Hopepunk‘ in Zeiten gesellschaftlicher Instabilität entstehe. Dennoch versteht man, wo ihr Gedanke herrührt. Zwischen Trump und Brexit, Klimakrise und Massenflucht wünscht man sich von Unterhaltungsmedien Hoffnung, Lösungsansätze und neue Wege.

Freundlichkeit als Leitmotiv am Beispiel von Avatar: The Last Airbender.

Folgerichtig nennt Rowland als zentrales Element von ‚Hopepunk‘ Freundlichkeit – „kindness“ – sowie die Rückbesinnung auf das menschliche Potential zum Guten und den Sinn für Gemeinschaft. Steven Universe oder Avatar: The Last Airbender werden in diesem Zusammenhang häufig als Beispiele herbeizitiert. Historische Persönlichkeiten von Gandhi über John Lennon bis hin zu Robin Hood werden Rowland zu Gewährsmännern der angestrebten Grundhaltung. Wem das bereits zu vage ist, unter dessen Fingern wird das Konzept ‚Hopepunk‘ spätestens bei ihrem Folgepost endgültig in viele kleine Hoffnungskrümel zerbröseln, denn hier beginnt es sich anzufühlen, als wolle sie jede Geschichte, in der jemals trotz übler Ausgangslage weitergekämpft und ein pathetischer Hoffnungsmonolog gehalten wurde, für ihre Idee in Beschlag nehmen. Der Herr der Ringe ist auf einmal genau so ‚Hopepunk‘ wie Margaret Atwoods Der Report der Magd, kein Wunder also, dass Verwirrung herrscht. Natürlich geht es darum, nicht die Hoffnung zu verlieren und irgendwie gegen etwas zu sein – das System, die herrschenden Verhältnisse, Unterdrückung – aber was ist der Punkt? Was sind Problem und Aufgabe?

Klar ist, dass zumindest der Punkbegriff nicht allzu wörtlich genommen werden darf. ‚Hopepunk‘ hat seine Wurzeln weder in der Gegenkultur der 70er Jahre noch im Cyberpunk, welcher Selbstermächtigung im Sinne einer DIY-Grundhaltung als zentrales Motiv von dieser übernahm. Das „-punk“ in ‚Hopepunk‘ steht schlicht für „Widerstand“. Nicht einmal die ohnehin bis zur Unkenntlichkeit kommerzialisierte Punkästhetik der Gegenwart ist Bestandteil der Strömung. In unserer hoffnungslosen Zeit, so der Gedanke, ist Hoffnung so provokant, so subversiv, so skandalös, dass sie zum neuen Punk wird. Jeden Tag aufstehen, weitermachen und dabei vielleicht sogar noch freundlich sein wird zum eigentlichen radikalen Akt – was könnte die Mentalität der Generation Millennial besser auf den Punkt bringen und gleichzeitig dem Grundgedanken des Punks: „NO FUTURE“ so zuwiderlaufen?

Begriffe im Nebel

Aus dieser extrem anschlussfähigen Erkenntnis Grundlagen für ein neues Erzählparadigma zu ziehen, welches ‚Hopepunk‘ tatsächlich als Subgenre etablieren könnte, gelingt Rowland nicht. Im Interview kippt ihr Beispiel schnell in reine Identitätspolitik: Sie kreiert Welten ohne Homophobie, in denen queere Figuren ganz normal agieren können, ohne dass ihre Queerness gleich zum Hauptthema gemacht werden muss. Dass es dringenden Bedarf an derartigen Settings gibt, mag sein, aber wenn die Zielsetzung dahinter ist, marginalisierte Figuren so handeln zu lassen wie alle anderen Figuren auch, mag das zwar der Repräsentation dienen, kann aber schwerlich zu wirklich neuen Erzählweisen führen.

Ursula K. Le Guin hinterfragte das gängige Spannungskonzept. Gorthian [CC BY-SA]

Wie sehr Rowland das Potential ihres eigenen Begriffs unterschätzt, wird deutlich, wenn sie im Interview auf die Frage antwortet, ob utopische Visionen nicht immer auf Kosten der Spannung gehen. Anstatt das gängige Spannungskonzept zu hinterfragen, wie es etwa Ursula K. Le Guin in ihrem Aufsatz The Carrier Bag Theory of Fiction getan hat, führt sie Beispiele von Unfällen, Diebstählen, kaputtem Werkzeug und anderen Möglichkeiten, die „Stakes“, also Einsätze, zu erhöhen, an. Immerhin: Sie nennt Liebesromane als ein Genre, das es seit langem schaffe, ein gutes Ende an die inneren Entwicklungen der Figuren zu koppeln, während es in zeitgenössischen Utopien wohl oft unverdient wirke. Welche Autor*innen sie mit ihrem Vorwurf („the writers who are writing about those [utopian] futures want the softness so badly that they forget that they have to make their characters earn it“) konkret vor Augen hat, bleibt aber unklar.

Der Eindruck bleibt bestehen: Alexandra Rowland hat zurecht bemerkt, dass sich in der Phantastik etwas verändert, und mit ihrem Begriff beinahe versehentlich einen Nerv getroffen – vergleichbar etwa mit dem Kritiker Nathan Rabin, der 2005 die Bezeichnung ‚Manic Pixie Dreamgirl‘ prägte. Alexandra Rowland hat aber zugleich keine Ahnung, wie man dieses Grundgefühl, das sich langsam in der Szene ausbreitet, systematisiert und einordnet – was kein Problem wäre, würden nicht alle Folgeversuche, ‚Hopepunk‘ zu bestimmen, ihr die Deutungshoheit überlassen. So aber treibt ihr vorsichtiges Herantasten an den Begriff die merkwürdigsten Blüten, wie etwa das Worldcon-Panel des letzten Jahres, das selbst nicht im Internet zu finden ist, aber dessen Nacherzählung sich anfühlt, als habe jemand in einem ohnehin verrauchten Raum eine Nebelmaschine angeschmissen. Ada Palmer und N. K. Jemisin müssen plötzlich als ‚Hopepunk‘-Vertreterinnen herhalten; allgemein liest sich die hier vorgestellte Liste eher wie „Hopepunk ist alles, was ich gut finde“.

‚Hopers‘, ‚Toxxers‘ und die Logik der Gewalt

Auch im deutschsprachigen Raum krankt ‚Hopepunk‘ an dieser merkwürdigen Mischung aus Unbestimmtheit und Kategorisierungswahn. Schlimmer noch: Es wirkt, als habe die verfrühte Einordnung als eines unter vielen Subgenres das subversive Potential eher gehemmt als gefördert: so auch im Falle von Wasteland. Dem Roman muss zugestanden werden, dass er in einer Hinsicht viel klarer sieht als die anderen Beteiligten im ‚Hopepunk‘-Diskurs: ‚Hopepunk‘ ist kein Genre, keine Strömung und keine Ästhetik, es ist eine Lebenseinstellung. Das passt zu dem intuitiven Verständnis von ‚Hopepunk‘, das Anhänger*innen haben, aber nicht zufriedenstellend in Worte fassen können. ‚Hoper‘ sein, so wirkt es im Roman, der in einem postapokalyptischen Europa zwischen ‚Hopers‘ und ‚Toxxers‘ differenziert, begründet sich nicht in einer rationalen Entscheidung, Du bist es einfach oder nicht – genauso wie Du glaubst, dass es ‚Hopepunk‘ gibt, oder eben nicht.

Wasteland als literarische Umsetzung des Hopepunk als Lebenseinstellung.

Rowlands Beispiel für eine literarische Umsetzung dieser Lebenseinstellung wird in Wasteland konsequent zu Ende gedacht. Der Roman enthält kein generisches Maskulinum, umgeht selbstverständlich duale Geschlechtsvorstellungen und lässt seine nicht-weißen Protagonist*innen mit überholten Rollenbildern brechen. Das ist aber kein Merkmal von ‚Hopepunk‘, das ist schlicht, was im Jahr 2019 von guter Phantastik jeden Genres zu erwarten ist.

Doch dann geht Wasteland letztlich in die gleiche Falle, in die auch Rowland in ihren Bestimmungsversuchen immer wieder tappt: Der Roman will gefallen, unterhalten und zeigen, dass eine Geschichte mit bewusst diversifizierten Figuren und intersektional informierten Sozialstrukturen genauso spannend sein kann wie jedes andere Endzeitabenteuer auch. Das gelingt durchaus, zwischen nicht totzukriegender deutscher Rassenfantasy und Perry Rhodan machen die Vögte, wie sich das Autor*innenduo nennt, einen großen Schritt in die richtige Richtung. Aber es gelingt ihnen nicht, mit den eingefahrenen Erzählstrukturen zu brechen, die für jeden Konflikt eine gewaltsame und/oder actionreiche Lösung fordern. Entsprechend wandelt Judith Vogt in ihrem eigenen ‚Hopepunk‘-Manifest Rowlands Diktum „Das Glas ist weder halb voll noch halb leer – im Glas ist Wasser und das ist entscheidend“ („I think the glass is neither half empty nor half full. There’s water in the glass and that’s important.“) minimal aber inhaltsstiftend ab. Sie schreibt: „Hopepunk sagt: Im Glas ist Wasser, um das ich kämpfen werde.“

In einer Logik von Gewalt und Gegengewalt gewinnt aber nun einmal stets der Stärkere – oder gelegentlich Klügere, Gewitztere, Schnellere –, aber nie der Nettere, außer vielleicht durch ein eilig von den Plotgöttern herbeigeschriebenes Krokodil, das den vom Helden verschonten Bösewicht hilfsbereit wegknuspert. So kriegen die ‚Hopers‘ in Wasteland auch folgerichtig ordentlich aufs Maul – wenn auch nicht so drastisch, dass daraus wiederum ein politischer Punkt gemacht werden könnte, wie zum Beispiel in Le Guins Klassiker Das Wort für Welt ist Wald. Wie begegnen wir den ‚Toxxers‘, wenn nicht durch schieres Glück eine andere gewaltbereite Gruppe auftaucht und für uns kämpft? Die Frage bleibt offen.

Offene Flanken: Die Hoffnung wirbt zuletzt

‚Hopepunk‘ ist noch jung und all das mag sich noch ändern, aber eine erste Bestandaufnahme bestätigt den Eindruck, dass es hier um eine Grundhaltung oder ein Lebensgefühl geht, nicht aber um ein Subgenre oder eine bestimmte ästhetische Strömung. Zugleich ist es derzeit keine soziale Bewegung. Zum einen ist es dafür schlicht zu klein, wobei eine bewusste Nähe zur Fridays-for-Future-Bewegung wohl denkbar wäre. Zum anderen arbeiten sich alle Bestimmungsversuche an Rowland ab, in deren Umschreibung des Begriffs ein Schlagwort jedoch so offensichtlich fehlt, dass es beinahe verdächtig wirkt. Die Rede ist von ‚Grimdark‘, Pessimismus, Dystopie, aber nie von Kapitalismus. Ihr ‚Hopepunk‘ hat keinen politischen Gegner, möglicherweise, um so anschlussfähig wie möglich zu bleiben, und das ist ein Problem. Bezeichnend hierfür ist, dass ‚Hopepunk‘ gerade von katholischer Seite begeistert aufgenommen wurde. Willkommen in der Mitte der Gesellschaft.

Ansätze, Veränderung auf neuen Wegen nach Le Guin zu bewirken, finden sich zum Beispiel in The Long Way to a Small, Angry Planet.

Wenn „Hopepunk“ wirklich etwas verändern will, muss das anders werden. Gebraucht werden Lösungsansätze, Protestvorschläge. Insbesondere weiße und generell privilegierte Menschen – und ‚Hopepunk‘ ist bislang ein ziemlich weißes Phänomen – werden sich mit einem schlichten „nicht aufgeben“ nicht bescheiden können. Entsprechend täte die Bewegung, die noch keine ist, gut daran, sich, statt zwanghaft herumzukategorisieren und weiterhin alte Erzählmuster zu bedienen, Le Guins Rede bei den National Book Awards 2014 auf die Fahnen zu schreiben: „We live in capitalism, its power seems inescapable – but then, so did the divine right of kings. Any human power can be resisted and changed by human beings. Resistance and change often begin in art. Very often in our art, the art of words“. Le Guin findet im ‚Hopepunk‘-Diskurs keine Erwähnung, ebenso wenig wie Cory Doctorow und Kim Stanley Robinson, die in den letzten Jahren Romane mit sehr konkreten Lösungsansätzen vorlegten. Selbst wenn der Name Becky Chambers fällt, beginnt man zu argwöhnen, dass eher der kecke Episodenroman The Long Way to a Small, Angry Planet gemeint ist als Record of a Spaceborn Few, ihr eigentlicher großer Wurf.

Was außerdem fehlt – und hier lässt sich vielleicht doch eine Nähe zum namensgebenden Punk herstellen – ist ein Bewusstsein für die Gefahr der eigenen Kommerzialisierung. Die Frage „Kann eine Disney-Produktion ‚Hopepunk‘ sein?“ muss etwa in Anbetracht der wachsenden Monopolstellung des zunehmend unangenehmen Konzerns von allem Vertreter*innen kategorisch verneint werden. Mit jedem großen Franchise, das als ‚Hopepunk‘ bezeichnet wird, wird die Glaubwürdigkeit als soziale Bewegung schwinden – möglicherweise zugunsten eines lukrativen Subgenres. Was jetzt gerade noch als Sammelbegriff fungiert, kann zu Zeiten des neoliberalen Turbokapitalismus schnell zu einer Waffe gegen die eigene Bewegung werden. Sie würde dann den Weg des Punks gehen und als kompromissfreudiger Punkrock mit kunstvoll zerfetzter Markenjeans eben jenem System eingespeist, dem sie doch eigentlich Widerstand leisten sollte.

 

Artikelbilder: © Risia | depositphotos.com, © Gorthian [CC BY-SA], © Hodder Paperbacks, © Dark Horse Books, © Verlag Bantam, © Knaur TB, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

3 Kommentare

  1. „Grimdark ist ja so 2000er, ja?
    Glücklicherweise im Text slebst mit einigen Beispielen widerlegt.
    Ich möchte noch um solche Grimdark-Klasssiker ergänzen wie etwa Herberts Wüstenplanet (ab 1966), „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ (1968) (den meisten eher als „Blade Runner“ bekannt) von Dick.
    Die eher dystopische Sicht auf die Zukunft ist etwas durchaus gewöhnliches.

    „HopePunk“ möchte man zuallererst in Kontext mit „CyberPunk“ setzen; das ergäbe von der Begrifflichkeit und dem Genre durchaus Sinn.

    • Tatsächlich sagt der Artikel lediglich, dass die 2000er den Zeitraum markieren, in dem der düstere Hyperrealismus, der eben nicht ausschließlich Merkmal von Grimdark ist, zur prägenden Ästhetik im popkulturellen Mainstream wurde, oft durch erfolgreiche Adaptionen älterer Vorlagen. :)

      Grimdark im engen (vor allem zu Marketingzwecken dienendem) Sinne bezeichnet wie gesagt ein Fantasy-Subgenre und hat mit einer dystopischen – oder sonstwie gearteten – Sicht auf die Zukunft nichts zu tun. Ich verstehe, woher die Assoziation zu Philip K. Dick kommt, denn in gewisser Weise distanzierte sich die New Wave von der sogenannten Golden Age SF ähnlich wie Grimdark von High Fantasy. Nur hatte die NW echte literarische Ambitionen, was ich Grimdark jetzt nicht nachsagen würde.

      Aber warum Herbert? Dune hat weder was mit der NW zu tun, noch wird der Roman von einer ähnlich düsteren Ästhetik geprägt und die Reihe ist doch am ehesten eine Space Opera.

      Beim letzten Punkt muss ich auch widersprechen. Ich denke, ich hab im Artikel recht ausführlich begründet, dass Hopepunk weder mit Punk noch mit Cyberpunk zusammenhängt. Andere Grundhaltung, andere (bzw. keine) Ästhetik und kein DIY-Moment, das die anderen „Punk-Genres“ von Cyber- bis Steam- zuverlässig ausprägen.

  2. Letztlich lese ich heraus, dass einfach nur der Begriff schlecht gewählt ist. Ehrlich gesagt heißt es wahrscheinlich einfach nur so, weil -punk ähnlich inflationär gebraucht wir, wie man ein -gate an jeden zweiten Skandal hängt.
    Aber irgendwie ist dann doch gegen den Mainstream (also punk-light), dass die Hoffnung zurück in die Phantastik kehrt, entgegen der angesprochenen Dauer-Düsternis. Begrüße ich sehr, denn letzteres hängt mir sehr zum Hals raus.
    Disney halte ich übrigens für ein schlechtes Beispiel, wenn es um Kommerzialisierung von Hopepunk geht. Hoffnung und Optimismus waren immer schon ihr Markenkern. Wie sollen sie etwas vereinnahmen, das sie nie aufgegeben habe.

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