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Seit 2009 ist Pathfinder ein Name, der aus dem Rollenspielsektor nicht wegzudenken ist. Doch nach acht Jahren ist kaum noch Platz für neue Ideen in diesem System. Statt eine Version 2 als Neustart zu wagen, fliegt das System nun mit Starfinder ins Weltall. Gelingt der Sprung von Fantasy zu Science-Fiction?

Fantasy und Science-Fiction. Das sind die beiden Hauptpfeiler der Phantastik. Und Welten wie die von Star Wars zeigen deutlich, dass beide mehr Parallelen haben, als es vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Doch nur selten ist es gelungen, ein Fantasy-System ohne massive Anpassungen auch für eine Science-Fiction-Welt zu verwenden.

Vor Jahrzehnten gab es mit Spelljammer bereits einmal einen Versuch, Dungeons & Dragons, worauf Pathfinder ja letztendlich beruht, in den interplanetaren Raum zu bringen. Aber wirklich erfolgreich war das nicht gewesen. Die Raumfahrt wurde damals mehr schlecht als recht an das bestehende System angepasst, eine Überarbeitung des Grundsystems blieb aus. Und der Science-Teil fehlte fast vollständig.

Starfinder hat zumindest diese beiden Umstände besser gelöst. Wie es sich insgesamt schlagen kann? Gehen wir doch einmal die einzelnen Bereiche durch:

Die Spielwelt

In der Welt von Pathfinder gab es schon seit Erfindung des Settings Hinweise auf technologische Möglichkeiten. Ein abgestürztes Raumschiff und Roboter in Numeria sowie Schwarzpulverwaffen und Uhrwerksautomaten in der Manawüste finden sich sehr früh in den Beschreibungen der Welt wieder. Später kam dann mit Iron Gods eine komplette Kampagne um das Raumschiff heraus, und in den begleitend erscheinenden Werken gab es Regeln für Laserwaffen, Cyberware und Nanoinjektoren. Auch gab es mit Distant Worlds Beschreibungen der anderen Planeten des Sonnensystems, inklusive Erzählungen von deren Bewohnern.

Für Starfinder musste also nicht eine komplett neue Kosmologie erfunden werden. Es konnte auf dem aufgebaut werden, was bereits beschrieben war, und genau so ist es auch geschehen. Starfinder spielt viele Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende nach den Geschehnissen in Pathfinder. Irgendwann haben die Völker Golarions gelernt, mit Schiffen zu den benachbarten Planeten zu fliegen und sind dort auf andere intelligente Spezies gestoßen. Wann oder wie genau das passiert ist, ist bisher nicht beschrieben.

Vor etwa 300 Jahren jedoch geschah etwas sehr Sonderbares. Der Planet Golarion verschwand. Wie genau oder wann genau weiß kein sterbliches Wesen. Denn in allen Erinnerungen klafft eine Lücke unbekannter Länge. „The Gap“ wird diese nur genannt. Alle Zeiten sind in AG angegeben (After Gap), da niemand weiß, welches Jahr es eigentlich sein müsste. Klar ist lediglich, dass Golarion zwar verschwunden ist, aber immer noch irgendwo existiert. Unerreichbar sowohl für magische als auch technologische Mittel. So sagen es zumindest die Götter und andere hohe Externare. Keiner von ihnen ist jedoch gewillt, mehr dazu zu sagen. Vielleicht wissen sie es selbst nicht, vielleicht haben sie einen anderen Grund für ihr Schweigen. Diese Frage wird komplett offengelassen und bietet so Spielern wie Spielleitern viel Raum für eigene Ideen.

In dem solaren Orbit, der einst von Golarion eingenommen wurde, schwebt nun die gigantische Raumstation „Absalom Station“ und bietet eine Heimat für die meisten der noch existenten Menschen des Systems.

Die brennende Mutter – Die Sonne

Drei Jahre nach dem Gap, als die Völker des Systems noch dabei waren, sich von dem Schock zu erholen, ihre Erinnerungen verloren zu haben, setzte das nächste große Ereignis ein. Über die unterschiedlichsten Wege erreichte die Völker das „Signal“. Eine Nachricht der Entität Triune, die Informationen enthielt, mit deren Hilfe sogenannte Drift-Triebwerke gebaut werden konnten. Diese erlaubten es Raumschiffen, in den Drift einzutauchen und damit erstmalig interstellare Distanzen zu überbrücken. Doch sowohl der Drift als auch die benachbarten Systeme waren gefährlich. Es kam zur Begegnung mit dem Veskarium, einem Sternenreich eines nahegelegenen Systems. Aus der Begegnung wurde ein Krieg, der mehr als zweihundert Jahre währen sollte.

Auch Kontakte zu anderen, neuen Spezies gab es. Sowohl im System selbst als auch von außerhalb kamen neue Völker hinzu, die sich alle in einem Pakt zusammenschlossen – dem Pakt von Absalom. Dieser ist der Grund, warum die Welten des Sonnensystems meist nur als die Pact Worlds, also Paktwelten, bezeichnet werden.

Dann, 291 Jahre nach dem Gap, gab es einen massiven Angriff des Schwarms. Sowohl die Paktwelten als auch das Veskarium wurden von insektoiden Feinden massiv angegriffen und schlossen zögerlich erst Frieden und dann sogar eine Allianz, um sich diesem Feind endlich erfolgreich entgegenstellen zu können.

Diese Ereignisse liegen nun ein paar Jahre zurück – 317 AG setzt das Spiel ein – und der Frieden zwischen den Paktwelten und dem Veskarium hält bisher. Zum ersten Mal seit Entdeckung der Drift-Triebwerke gibt es keinen großen Krieg, so dass nun der richtige Zeitpunkt ist, aufzubrechen und fremde Welten zu entdecken, unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen zu finden. Und vielleicht sogar, in Galaxien vorzudringen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

Die Regeln

Die grundlegenden Regeln von Starfinder sind in vielen Punkten identisch mit denen von Pathfinder. Attribute, Grundangriffsbonus, Rettungswürfe, Zaubergrade, Talente und Fertigkeiten existieren wie gehabt. Bei den Fertigkeiten wurde etwas umsortiert und es sind ein paar weggefallen und andere hinzugekommen, die Talente funktionieren teilweise etwas anders, als sie es in Pathfinder taten. Aber der Kern des Systems ist eindeutig noch der gleiche.

An anderen Stellen, wie den Lebenspunkten, wurde etwas mehr geschraubt. Es gibt nun zwei verschiedene Arten: Trefferpunkte und Stamina. Beide steigen mit der Zeit an, aber nur die Stamina ist von der Konstitution abhängig. Lebenspunkte hängen maßgeblich von der Klasse ab, sowie in geringem Maße von der Rasse. Stamina sind hierbei so etwas wie Erschöpfungspunkte. Jeder Schaden kostet erst einmal Stamina und erst, wenn diese aufgebraucht ist, gehen Trefferpunkte verloren. Da Stamina erheblich einfacher zurückzugewinnen ist als Trefferpunkte, sind leichte Kämpfe nun öfter am Tag möglich, ohne direkt einen Heiler in der Gruppe zu benötigen.

Einer der wichtigsten Unterschiede zu Pathfinder ist die Art und Weise, wie Handlungen funktionieren. Jeder hat nun drei Aktionen, die er pro Runde durchführen kann: Eine Standardaktion, eine Bewegungsaktion und eine schnelle Aktion. Dabei kann jede dieser Aktionen eingetauscht werden für eine entsprechend kleinere Aktion. Man kann also, wenn man will, drei schnelle Aktionen durchführen. Außerdem gibt es viele Dinge, die eine volle Aktion erfordern. Diese kostet dann alle drei Aktionen, erlaubt also nicht einmal mehr eine schnelle Aktion nebenher. Auch der berüchtigte 1,5m-Schritt ist nicht mehr so einfach möglich. Es gibt ihn noch als Guarded Step, aber dieser ist eine Bewegungsaktion und somit nicht kombinierbar mit einem vollen Angriff. Überhaupt ist der volle Angriff ganz anders als zuvor, denn er steht nun ab Stufe 1 zur Verfügung, erlaubt es als volle Aktion zwei Mal anzugreifen, gibt jedoch einen Abzug von 4 auf beide Angriffe. Das ist erheblich unattraktiver als die vollen Angriffe aus Pathfinder, was insgesamt dafür sorgt, dass mehr Bewegung auf dem Schlachtfeld passiert, wodurch der Kampf dynamischer und spannender wird.

Settingbedingt ist der Kampf nun stärker auf Fernkampf ausgelegt, aber Nahkampf bleibt weiterhin eine brauchbare Option.

Nur ein Beispiel zum großartigen Artwork

Auch an vielen anderen Stellen finden sich kleinere oder größere Unterschiede zu Pathfinder. Defensives Zaubern existiert nicht mehr, Sturmangriffe geben einen Malus auf den Angriff statt eines Bonus, Ausrüstung hat nun ebenfalls eine Stufe und ist somit auf eine einfache Art und Weise limitierbar. Viele der „Must Have“-Gegenstände existieren nicht mehr oder nur noch in stark abgewandelter Form. Viele dieser Änderungen lösten bei mir beim Lesen einen „na endlich!“-Effekt aus. Es waren Änderungen, die man sich seit Jahren bei Pathfinder gewünscht hätte und die so oder so ähnlich auch in ein paar meiner Runden als Hausregeln Einzug gehalten hatten. Im Großen und Ganzen kann man also durchaus sagen, dass dieser Teil von Starfinder eine willkommene und größtenteils gelungene Entschlackung des Pathfinder-Systems darstellt, mit entsprechenden Anpassungen an ein technologischeres Setting.

Varianten des Technikers

Aber natürlich enthält Science-Fiction auch Elemente, die komplett neu sind und daher nicht über die Anpassung von bekannten Pathfinder-Mechanismen funktionieren können. Ein solches Element ist der Raumkampf. Und Starfinder hat hier ein komplett eigenes System aufgestellt. Wie viele Tabletops aus dem Bereich wird Raumschiffkampf auf einer Hexkarte durchgeführt und im Gegensatz zum Bodenkampf haben die Schiffe hier eine Ausrichtung, Schildquadranten und Feuerwinkel für ihre Waffen.

Das System bietet für die Besatzungen der Schiffe fünf Positionen, von denen zwei jeweils nur einmal besetzt werden können: Captain und Pilot. Die anderen drei Funktionen Ingenieur, Wissenschaftler und Bordschütze können mehrfach besetzt sein.

Raumkampf findet in Runden statt und jede Runde besteht aus drei Phasen. In der Ingenieursphase können die Ingenieure Hilfsenergie umleiten, um Schilde zu regenerieren oder Waffensystem zu verstärken, oder aber sie können beschädigte Systeme flicken oder direkt reparieren. In der Steuerphase werden vergleichende Pilotenwürfe aller Schiffe gemacht und der Verlierer muss immer zuerst ziehen. Beim Ziehen gibt es dann noch Unterschiede in Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit, so dass es gerade am Anfang schwierig sein kann, so zu fliegen, dass man das Beste für seine eigene Seite dabei herausholt. Auch die Wissenschaftler handeln in dieser Phase und können Schildenergie umverteilen, Gegner scannen, oder spezielle Systeme des Gegners anpeilen, wodurch kritische Treffer wahrscheinlicher werden.

Nach der Steuerphase kommt es dann zum Beschuss. Dieser wird zwar auch in Reihenfolge der Initiative ausgewürfelt, hat aber erst zum Ende der Phase einen Effekt, so dass alle Schiffe feuern können, selbst wenn sie in dieser Phase zerstört werden.

Die verschiedenen Rollen sorgen dafür, dass für die meisten Spieler zumeist irgendetwas Sinnvolles an Bord eines Schiffes zu tun ist. Das ist gut gelöst und sorgt dafür, dass alle Spieler am Geschehen beteiligt bleiben. Weniger gut ist, dass das Kampfsystem noch mechanischer und tabletop-lastiger ist als der Bodenkampf. Rollenspiel ist hier so gut wie gar nicht mehr möglich. Auch ist das System so unterschiedlich zum Rest von Starfinder, dass es sich wie ein Fremdkörper anfühlt.

Erscheinungsbild

Da ich lediglich die PDF-Variante des Regelwerkes besitze, kann ich zur Qualität von Druck und Papier keine Aussage treffen.

Das Layout ist übersichtlich und bietet den üblichen zweispaltigen Text. Das Buch ist strukturiert aufgebaut und bietet einen guten Index, um die Regeln, die man sucht, schnell zu finden. Was leider fehlt, sind Verlinkungen innerhalb des Buches. Die Lesezeichen helfen aber ein wenig, diese nicht zu sehr zu vermissen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Paizo Publishing
  • Autor(en): James L. Sutter, Rob McCreary, Owen K. C. Stephens, Jason Keeley, Amanda Hamon-Kunz
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Englisch
  • Format: 21,6 x 5,1 x 27,9 cm / PDF
  • Seitenanzahl: 528
  • ISBN: 978-1-60125-956-1
  • Preis: 54,99 EUR / 9,99 USD
  • Bezugsquelle: Amazon, PDF direkt von Paizo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Produktseite bei Paizo gibt es einen Charakterbogen sowie den Schiffsbogen zum Herunterladen und Ausdrucken.

Wie auch schon für Pathfinder wird es auch eine Onlineversion der Regeln geben, aber die entsprechende Seite sagt bisher nur, dass dies im Herbst diesen Jahres der Fall sein wird.

Für Kenner von Pathfinder gibt es im Paizo Blog eine einseitige Übersicht über die größten Unterschiede der beiden Systeme.

Fazit

Starfinder ist regeltechnisch größtenteils sehr gelungen. Man merkt bei den Regelteilen, die aus Pathfinder übertragen wurden, dass die Fehler der Vergangenheit erkannt und verbessert wurden. Lediglich der Raumschiffkampf ist etwas zu trocken, mechanisch und nahezu komplett losgelöst vom restlichen System. Es gelingt zwar, alle Spieler am Geschehen teilhaben zu lassen, aber insgesamt wirkt dieser Teil eher wie ein Brettspiel.

Der Hintergrund allerdings ist momentan noch etwas dürftig und wirkt wenig inspirierend. Den Teil mit dem dürftig kann ich bei einem Grundregelwerk durchaus verzeihen – Das Buch ist mit 528 Seiten schon ein ziemlicher Brocken. Aber ein wenig mehr Inspiration für interessante Kampagnen hätte ich mir dann doch erhofft. Diese Punkte können in Zukunft sicherlich noch verbessert werden, was die Tendenz nach Oben in der Wertung verursacht. Mit mehr Hintergrund und guten Kampagnen kann Starfinder ein tolles System werden und vielleicht mit seinen Änderungen auch positiven Einfluss auf Pathfinder nehmen, das eine derartige Frischzellenkur mehr als nötig hätte.

Der Preis ist für ein Buch dieser Seitenanzahl kein Schnäppchen, aber auch nicht unangemessen hoch. Und wem der Preis zu hoch ist, der kann für knappe zehn Dollar zum PDF greifen. Sobald das Referenzdokument online verfügbar wird, braucht man das Buch dann auch nicht mehr so dringend zum Blättern.

In den kommenden Tagen könnt ihr an dieser Stelle auch einen weiteren Artikel über die Spielbarkeit aus Spieler- und Spielleitersicht finden, in dem dann auch die Rassen und Klassen kurz besprochen werden.

Lest morgen den zweiten Teil der Besprechung von Starfinder mit einem Spieltest.

Mit Tendenz nach Oben

Artikelbilder: Paizo LLC
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

 

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