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Nach unserem Ersteindruck konnten wir es kaum erwarten, uns in das erste Abenteuer mit dem Infinity RPG Corebook zu stürzen. Zum Glück liefert das Einsteigerabenteuer „Quantronic Heat“ einen guten Ansatzpunkt. Doch ob wir nach dem Abenteuer genauso überzeugt waren von dem Infinity RPG, erfahrt ihr in unserem Spielbericht.

Nach der ersten Lektüre vom Infinity RPG Corebook war ich hin und weg. Als großer Fan des Infinity Tabletops konnte ich es kaum erwarten, mich mit ein paar weiteren Spielern in die RPG Adaption von Modiphius zu schwingen. Auch wenn ich immer noch nicht hundertprozentig mit allen Regeln fit war, wollte ich unbedingt loslegen. Also schnappte ich mir ein paar Leute und traf mich Online in Roll20 zum ersten Abend und ich muss leider sagen, ich hätte mich besser vorbereiten sollen. Aber der Reihe nach.

Die Spielwelt & Regeln und Charaktererschaffung

Artwork © Modiphius Entertainment
Artwork © Modiphius Entertainment

Wir haben ja in unserem Ersteindruck bereits die Regeln zum Infinity RPG vorgestellt, deshalb hier für alle Lesefaulen nur einmal die Kurzübersicht: Das Infinity RPG basiert auf einem W20 System, welches von Modiphius entwickelt wurde und welches z. B. bereits schon in Star Trek Adventures verwendet worden ist. Bei Proben würfeln die Spieler in der Regel mit 2W20 und versuchen einen Zielwert zu unterschreiten, welcher sich aus den Attributen und den Skills des Charakters zusammensetzt. In bestimmten Fällen können zusätzliche W20 geworfen werden. Zusätzlich gibt es noch sechsseitige Würfel, die sog. Damage Dice, welche z. B. beim Kampf verwendet werden.

Allgemein basiert das Infinity RPG auf dem gleichnamigen Tabletop System von Corvus Belli und ist im Grunde ein Sci-Fi Setting, welches sich aber erfrischenderweise deutlich von z. B. Shadowrun oder anderen eher düsteren Sci-Fi Welten abhebt. Die Zukunftsvision von Infinity ist grundsätzlich deutlich positiver und arbeitet deutlich weniger mit Dystopien. Trotzdem herrschen in der Welt von Infinity Konflikte zwischen unterschiedlichen Fraktionen, Angriffe von Aliens sind keine Seltenheit und im Verborgenen agieren Konzerne und Nationen, um ihren politischen und ökonomischen Gegnern so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Langeweile kommt also definitiv nicht auf.

Die Charaktererschaffung basiert auf einem „Lifepath“-System, bei dem die einzelnen Abschnitte des bisherigen Lebens des Charakters beschrieben werden. Von den Umständen der Geburt, über die Kindheit bis zu den eingeschlagenen Karrieren würfelt man so nach und nach seinen Charakter aus. Damit nicht alles aus Zufallsentscheidungen besteht, hat man die Möglichkeit fünf sog. Livepoints auszugeben, um bestimmte Ergebnisse auszuwählen. Davon haben meine Spieler auch rege Gebrauch gemacht.

Agenten im Dienste von O-12

Für meine Spielrunde wollte ich unbedingt eine gute Mischung aus erfahrenen Rollenspielern und Neulingen finden, um das Infinity RPG gründlich zu testen. Zu meinem Glück habe ich sogar einen Spieler gefunden, der sich bereits bestens mit dem Infinity Tabletop auskannte und sofort Feuer und Flamme von der Idee war, das Infinity Universum als Tabletop RPG zu bespielen. Zwar hatte er noch wenig Erfahrung in Sachen Rollenspiel, aber die anderen beiden Spieler machten dies mit umso mehr Erfahrung wieder wett. So hatte ich die nahezu perfekte Spielergruppe für einen möglichst repräsentativen Spieletest zusammengesammelt. Also machten wir uns an die Charaktererschaffung.

Der Charakterbogen
Der Charakterbogen

Bei der Charaktererschaffung stießen wir gleich auf die ersten Unwägbarkeiten. Zwei vollkommene Neulinge in die doch sehr komplexe Infinity Welt einzuführen war schwieriger als erwartet. Vor allem die Unterschiede der verschiedenen Fraktionen anschaulich darzustellen stellte eine große Herausforderung dar und letztendlich haben wir uns dann dazu entschieden die Fraktionen dem Zufall zu überlassen. Dafür kamen die Lebensereignisse sehr gut an und wir schafften es eine sehr durchmischte Gruppe an Charakteren zu generieren mit denen alle Spieler am Ende sehr zufrieden waren. Als inhaltliche Klammer haben wir alle Charaktere in den Dienst von O-12, dem Infinity Äquivalent zu den Vereinten Nationen, gestellt. So mussten wir nicht zunächst ein Zusammentreffen der Charaktere inszenieren, sondern konnten direkt in das Abenteuer starten. Die Gruppe bestand aus: Viktoria Volkova, exzentrische Hackerin und Medizinerin von dem Nomad Mutterschiff Bakunin, Adrien Blanchart, Agent und Scout aus der Wildnis von Ariadna und Che Flores, Söldner, Kopfgeldjäger und Pilot im Dienste von O-12.

Sabotage auf Neoterra

Um in die fabelhafte Welt von Infinity reinzuschnuppern, bietet Modiphius gleich eine Mini-Kampagne an. In „Quantronic Heat“ untersuchen die Spieler einen Angriff auf eine militärische Forschungseinrichtung und machen sich auf die Suche nach einem verschwundenen Wissenschaftler. Wir haben das erste Kapitel gespielt und jeder, der dies selbst auch noch mal als Spieler erleben möchte, sollte lieber vorsichtig weiterlesen denn es werden ein paar Spoiler folgen.

Die Spieler werden nach Santiago de Neoterra auf dem Planeten Neoterra gerufen, eine fortschrittlich entwickelten Welt, welche unter der Regierung von Panoceania steht und einen Großteil der fortschrittlichsten militärischen Forschungseinrichtungen beherbergt. Als Agenten des sog. Bureau Noir von O-12 werden unsere Spieler zu eben einer solchen Forschungseinrichtung geschickt, wo sich ein Zwischenfall ereignet hat. In der Seite des Hauptquartiers von Thaler Quantronic Systems klafft ein Loch und vor dem Gebäude tummeln sich Forscher, Militär- und Medizinpersonal und versorgen Verletzte bzw. sichern das Gebäude. Der erste Anlaufpunkt für unsere Agenten sollte der Sicherheitschef Bhatia sein, der sie über die genauen Hintergründe aufklären sollte.

Nach der Beschreibung des Sicherheitschefs, wurde ein Anschlag auf eines der „Remote Cognition Labs“ durchgeführt, bei dem ein Großteil des Labors verwüstet wurde, die meisten Wissenschaftler und Mitglieder des Sicherheitsdienstes getötet und zusätzlich sämtliche Computer zerstört wurden. Als wäre dies nicht schon erschreckend genug, so wurde auch einer der leitenden Wissenschaftler, ein Dr. Hart, entführt. Die einzige Überlebende des Anschlags, eine gewisse, Dr. Anju Cooper, wird gerade behandelt und ist seltsamerweise nur leicht verletzt aus dem Labor entkommen. Der Angriff fand anscheinend durch die Glasfenster mit Hilfe eines Flugobjekts statt und zeitgleich wurde zudem das Sicherheitsbüro auf dem Stockwerk attackiert und sämtliche Kameraaufzeichnungen sabotiert. Zudem liefert Bhatia auch direkt einen Verdächtigen: die Konkurrenzfirma Sheshou Defence. Um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen, machten sich die Agenten zunächst auf den Weg in das Labor.

Im zehnten Stock angekommen bestätigte sich sofort die Version des Angriffs des Sicherheitschefs Bhatia. Überall im Labor lagen noch die Leichen des Sicherheitspersonals. Glücklicherweise schaffte unser Kopfgeldjäger Che seinen Würfelwurf auf „Observation“ und konnte so den Angriff rekonstruieren: Die Angreifer waren mit Hilfe eines Quadrokopters an die Außenwand des Gebäudes geflogen, hatten die Glasfront aufgesprengt und waren dann mit Hilfe von Rauchgranaten und Infrarotsichtgeräten über das Sicherheitspersonal hergefallen. Da der Schaden an dem Equipment des Labors sehr willkürlich wirkte, war die Gruppe schnell überzeugt, dass die Entführung das eigentliche Ziel des Angriffs gewesen sein musste. Durch einen besonders gut gelungenen Hacking Wurf unserer Nomadin konnten die Agenten sogar die Flugbahn des Quadrocopters nachvollziehen. Dem ersten Anschein nach kam der Quadrokopter tatsächlich von Sheshou Defence doch bei genauerer Untersuchung konnte die Gruppe diese falsche Fährte ausschließen und der Landepunkt des Quadrokopters bis zu einem Wohnkomplex nachvollziehen. Bevor sich die Agenten allerdings dorthin auf den Weg machten, wollten Sie noch das Sicherheitszentrum untersuchen.

Artwork © Modiphius Entertainment
Artwork © Modiphius Entertainment

Das Sicherheitsbüro wurde zum Glück nicht so stark beschädigt wie das Labor. Das wachhabende Personal wurde kurz vor dem Angriff ausgeschaltet und sämtliche Kameraaufnahmen wurden manipuliert. Der Angreifer muss sehr schnell agiert haben. Nach kurzer Untersuchung finden die Agenten einen Repeater durch den vermutlich ein Hacker Zugriff auf die Sicherheitstechnik hatte. Nach einem kurzen elektronischen Gefecht mit den Sicherheitsroutinen des Hackers schaffte es Viktoria den Herkunftsort des Angriffs zu bestimmen. Dieser kam wahrscheinlich aus einem Netzwerk, welches einem Apartment zugeordnet werden kann, das zufälligerweise genau in dem Apartmentkomplex liegt, zu dem die Agenten auch den Quadrokopter zurückverfolgt hatten. An Zufall dachte an diesem Punkt schon niemand mehr. Durch einen kritischen Misserfolg schafften es die Agenten allerdings nicht das Videomaterial zu rekonstruieren, sondern machten alles sogar noch schlimmer was zur Folge hatte, dass sie aus dem Sicherheitsbüro mit Nachdruck herausgebeten wurden.

Die Spieler hatten in diesem Fall aber eh schon genug gesehen und machten sich direkt auf den Weg zu dem Apartmentkomplex, ohne noch mal mit der überlebenden Assistentin gesprochen zu haben. Vor Ort angekommen, stellt sie mit Verwunderung fest, dass das Apartment wohin Sie den Hackerangriff zurückverfolgt hatten, dem vermissten Dr. Hart zu gehören schien. Hier wurden die Agenten schon stutzig und entschlossen sich erst einmal zu versuchen über das Sicherheitssystem des Apartments sich einen Einblick zu verschaffen. Dabei scheiterte die Hackerin allerdings so kolossal, sodass die im Apartment verbliebenen Attentäter vorgewarnt waren und umgehend durch die Eingangstür feuerten. So entbrannte ein relativ kurzes aber heftiges Gefecht, welches nicht nur mit Schusswaffen, sondern auch mit Hackerprogrammen geführt wurde und am Ende standen die eher leicht verletzten Agenten im Apartment von Dr. Hart inmitten von getöteten Feinden. Leider fehlte von Dr. Hart jede Spur und die Agenten konnten zum Ende des Kapitels lediglich einige Hinweise auf eine Terrororganisation namens „March 21“ sicherstellen.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Ich muss sagen, ich hätte mich wirklich etwas besser auf das Spiel vorbereiten sollen. Eigentlich war ich der Überzeugung alle wichtigen Regeln gelesen zu haben, aber er Erfindungsreichtum meiner Gruppe stellte mich schnell vor viele Fragen was dazu führte, dass ich vieles noch mal nachlesen musste. Hier wäre ein Spielleiterschirm mit allen wichtigen Regeln als Zusammenfassung durchaus hilfreich gewesen. Zusätzlich hat der Aufbau des Regelwerks in der Übersicht auch noch einige Schwächen. Finde ich jetzt die genaue Beschreibung von Hacking Programmen unter Ausrüstung oder unter Hacking? Letztendlich hat zwar dennoch alles mit etwas Improvisation funktioniert aber dies hat bei mir zumindest einen faden Beigeschmack hinterlassen. Abgesehen davon, hat mir das leiten der Spielrunde dennoch sehr viel Spaß gemacht. Das Regelwerk geht bei normalen Proben super von der Hand und man hat viel Freiräume, um einzelne Szenen mit seinen Spielern gemeinsam auszugestalten und das Setting und die Welt von Infinity sind einfach fantastisch. Da nehme ich den etwas höheren Vorbereitungsaufwand gern in Kauf.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Nach dem Kapitel wollten alle am liebsten sofort weiterspielen, um herauszufinden was es mit March 21 auf sich hat, dies war für mich schon mal ein äußerst positives Zeichen. Auch wenn zwei unserer Spieler zunächst Probleme hatten, sich in die Welt von Infinity einzufinden, so verflog dieses Gefühl schnell und wich einer großen Begeisterung für die Spielrunde. Das Abenteuer haben alle als durchaus spannend und empfunden und keiner hatte während des Spiels das Gefühl zu sehr an der Leine durch das Abenteuer geführt zu werden. Die Regeln hatten die Spieler ebenfalls sehr schnell drauf, auch wenn ich Sie hier und da noch mal an die Nutzung von z. B. Momentum erinnern musste. Für unseren Infinity Veteran war das Abenteuer ebenfalls sehr gelungen. Er musste sich zwar erstmal etwas umstellen, da sich das Regelsystem des Tabletops und des RPGs gravierend unterscheiden, aber er hat das auch schnell auf die Reihe bekommen und konnte gleichzeitig mit seiner Erfahrung die anderen Spieler unterstützen und z. B. Rückfragen über die Welt beantworten. Die kleinen Regelunklarheiten haben das Spiel zwar etwas in die Länge gezogen aber dem Spielfluss eigentlichen kaum einen Abbruch getan.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Corvus Belli, Modiphius Entertainment
  • Autor(en): Benn Graybeaton, Nathan Dowdell, Mark Redacted, Justin Alexander, Marc Langworthy
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF, DINA4
  • Seitenanzahl: 529
  • ISBN: 978-1-910132-21-0
  • Preis: 24,99 USD
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG

 

Fazit

Auch nach dem Spieltest bin ich immer noch ein großer Fan des Infinity RPG Corebooks. Allerdings hat sich meine Befürchtung aus dem Ersteindruck bestätigt, die Komplexität und teilweise auch die einzelnen Formulierungen von Regeln führen dazu, dass man vieles nicht auf Anhieb richtig versteht, auch wenn man durchaus des Englischen mächtig ist. Hier sollte man sich als Spielleiter definitiv gut drauf vorbereiten und auch die Spieler sollten sich vorher bereits mit der Welt von Infinity auseinandersetzen. Deshalb kann ich das Grundregelwerk zumindest auf Englisch leider nicht mehr uneingeschränkt jedem empfehlen. Wer aber die Bereitschaft hat sich dort reinzuarbeiten, wird ein fantastisches System mit einer großartigen und einzigartigen Sci-Fi Welt vorfinden welches die Spieler sofort in seinen Bann zieht und sowohl kurze Sessions als auch langfristige Kampagnen ermöglicht.

Artikelbild: © Covus Belli, Modiphius Entertainment, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für eine tolle Bewertung. Wir haben angefangen, Infinity hier in Schweden zu spielen, und wir hatten genau die gleiche Erfahrung wie du.

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