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Egozentrisch, kontrollierend, willkürlich: Horrorgeschichten über schlechte Spielleitungen existieren zuhauf. In diesen sind neben unterschiedlichen Stilen und Erwartungen oft kommunikative Fehler der Grund für schlechte Stimmung. Dabei gibt es einfache Lösungen für „besseres Leiten“. Wie ihr mit häufigen Konfliktpunkten umgehen könnt, erfahrt ihr hier.

Vermutlich schon seit Beginn des Hobbys gibt es sie – die Geschichte über die eine, wirklich schreckliche Spielleitung. Ob selbst erlebt oder aus zweiter Hand, füllen Horror-Erzählungen von Spielrunden ganze Foren im Internet. Gründe für die Beliebtheit solcher Posts gibt es viele. Neben der Hilfe für die betroffene Person, sich ihren Frust von der Seele zu schreiben, spielt häufig Schadenfreude bei den Lesenden eine große Rolle. Sie können sich ohne Nachteile über die Unfähigkeit einer Spielleitung auslassen. Im Grunde genommen ist es das gleiche Prinzip, welches Menschen an Reality-TV-Formaten reizt: gemütlich beim Scheitern zugucken und anschließend auf andere Personen herabschauen.

Natürlich heißt das nicht, dass die Schuld immer bei der Spielleitung liegen muss. Spieler*innen können ebenso unangenehm sein und den Spaß für andere verderben. Ein Unterschied besteht jedoch in der Verteilung, weil es in der Regel mehr Spielende als SLs gibt. Das sorgt, zusammen mit der Verantwortung der Spielleitung für die Geschichte, für ein Machtgefälle. Anstrengende Spieler*innen können aus der Gruppe geworfen werden, ohne SL sind viele Systeme dagegen nicht spielbar.

Bevor es mit dem eigentlichen Inhalt losgeht, noch ein paar wichtige und allgemeine Anmerkungen zum Thema.

  • Menschen machen Fehler, keine Spielleitung ist perfekt. Ziel des Artikels ist es, mit Denkanstößen bei dem nächsten Konflikt zu helfen.
  • Die Spielleitung hat nicht immer allein Schuld. Auch wenn einige Spielende das gerne so darstellen.
  • Bevor ihr euren Frust in euch hineinfresst, sucht ein klärendes Gespräch. Bei Differenzen könnt ihr später immer noch wütend sein.
  • Wenn nichts hilft, dann sucht euch Alternativen. Es gibt genügend Angebote, keine*r muss für Pen-and-Paper leiden.
Bevor es handgreiflich wird, versucht lieber miteinander zu reden. © VitalikRadko
Bevor es handgreiflich wird, versucht lieber miteinander zu reden. © VitalikRadko

Spielen mit einer Horror-SL – Ein Erlebnisbericht

Die Idee für den Artikel kam nach einem längeren Gespräch mit einem befreundeten Spielleiter, der ebenfalls schon ein Spieler in meinen eigenen Runden war. Dabei erzählte er mir von einer katastrophalen Sitzung mit einer anderen Spielleitung, die er wortwörtlich hatte durchleiden müssen. Aus Gründen des Personenschutzes ist die folgende Nacherzählung mit der Horror-SL anonymisiert worden. Wer im Folgenden Ähnlichkeiten zu sich selbst mit der beschriebenen SL entdecken sollte, darf sich gerne die Tipps für besseres Leiten im weiteren Artikel durchlesen.

Mehr Point-and-Click als Pen-and-Paper

Gespielt wurde online in einer eigenen Welt mit den aktuellen Dungeons & Dragons 5e-Regeln. Neben einigen Neulingen waren auch ein paar erfahrene Personen dabei, darunter meine Bekanntschaft. Schon in den vergangenen Runden war es immer wieder zu Konflikten gekommen, beispielsweise durch Railroading in Form von unausweichlichen Kämpfen. Dabei wurden Absprachen in jedweder Form kritisch gesehen. Allgemein waren die Charaktere sehr selten die Protagonist*innen der Handlung. Vielmehr bewegten sich die Spielenden als Zuschauende in einer selbstablaufenden Geschichte. Regelmäßig durften sie Anmerkungen und Aussagen tätigen, sofern diese sich nicht zu weit von den Vorgaben der SL entfernten. Es war wie ein Telltale-Spiel, getarnt als Pen-and-Paper-Abenteuer.

Die Spielenden konnten fast nur zuschauen anstatt selbst zu entscheiden. © nejron
Die Spielenden konnten fast nur zuschauen anstatt selbst zu entscheiden. © nejron
Die Selbstüberschätzung dieser Spielleitung war besonders schlimm. © Prazisss
Die Selbstüberschätzung dieser Spielleitung war besonders schlimm. © Prazisss

Das wäre eventuell verschmerzbar gewesen, wenn es wenigstens eine spannende Erzählung gegeben hätte. Die war jedoch ein klischeehafter Fantasy-Abklatsch, in dem kreative Ideen wenig Platz fanden. Hinzu kamen rassistische Aussagen der NSC sowie die Abwertung von weiblichen Figuren allgemein. Dabei wurde auch nicht davor zurückgeschreckt, Vergewaltigungen der SC anzudeuten. Die Kirsche auf diesem Unterbau waren wiederholte Aussagen der SL ähnlich wie „An mir ist schon ein*e tolle Schriftsteller*in verloren gegangen“.

Mehrere Dramen in einer Sitzung

In der geschilderten Sitzung wurde die Gruppe in gewohnter Form in den Ring einer Arena hineinerzählt. Eigentlich war ihr Ziel gewesen, die große Bibliothek in der Stadt zu besuchen und mehr zur Quest zu erfahren. Allerdings wurde ihnen vor der Tür freundlich erklärt, dass dies nur mit der Bezahlung einer Gebühr von 10.000 Gold möglich sei. Glücklicherweise konnten sie dieses bei einem Gefecht auf Leben und Tod in besagter Arena gewinnen. Bevor jemand etwas einwenden konnte, standen sie bereits kurze Zeit später alle im Ring. Im Todeskampf mit dabei waren die körperlich schwachen Charaktere, die sich sonst aus solchen Situationen hatten heraushalten können. Anmerkungen darüber, ob noch genug Zeit für eine taktische Aufstellung sei, wurden aus Gründen der „Dramatik“ ignoriert.

Es folgte ein Kampf gegen drei übernatürliche Bestien, die sich auf die Gruppe stürzten. Durch etwas Glück gelang es der Gruppe, sich in der ersten Runde gut zu positionieren. Das veranlasste einen der unerfahrenen Neulinge zu dem folgenschweren Satz: „Das schaffen wir, so schwer ist der Kampf nicht.“ Die Spielleitung, die das ebenfalls gehört hatte, griff daraufhin fokussiert den Frontkämpfer und Charakter meines Bekannten an. Da ein einzelnes dieser Monster für das Level der Gruppe schon eine Herausforderung darstellte, wurde er von der Mehrzahl innerhalb einer Runde schwer verletzt und ging zu Boden.

Süffisant fragte die SL, ob der Kampf immer noch nicht so schwer sei, wie der Spieler eben behauptet hätte. Als dieser erwiderte, dass er den Satz nicht ausgesprochen hätte, sondern jemand anderes, war nur ein unzufriedenes Gemurmel in der Leitung zu hören. Mit Müh und Not schafften es die restlichen Charaktere, die Monster in einem zähen Kampf doch zu töten. Der Spieler freute sich nach dieser Anstrengung, die er zum Großteil bewusstlos verbracht hatte, endlich mehr zur Quest in der Bibliothek zu erfahren.

Nach einer halbstündigen Pause, in der er hastig sein Essen zubereitet und verspeist hatte, wurde die Sitzung aber kurzfristig beendet. Die SL erklärte, dass der Kampf für alle anstrengend gewesen sei und es besser wäre, beim nächsten Mal frisch zu starten. Kurz zeigte sich ein Hauch von Reflexion bei der SL, als um Feedback von jedem gebeten wurde. Nach eher üblichen Aussagen wie „Ja, war ganz gut heute“ durfte auch mein Bekannter sich äußern. Er versuchte, zunächst positive Dinge zur Atmosphäre zu sagen, um danach vorsichtig Kritik am Kampfverlauf zu üben.

The SL was not amused. Schnell wurden die Argumente persönlich, Worte wurden dem Spieler im Mund umgedreht. Die SL wendete sich an die restliche Gruppe und fragte, ob sie das Spiel ebenfalls als so „schlecht“ empfunden hätte. Darauf gab es nur schweigende Zustimmung. Die Feedback-Runde wurde anschließend rasch beendet, bevor etwas erwidert werden konnte. Zurückgelassen mit seiner Wut erlebte der Spieler einen verdorbenen Restabend und erzählte mir kurz darauf diese Geschichte.

Todsünden der Spielleitung – aus Fehlern lernen

In der Nacherzählung sollte deutlich geworden sein, dass bei der SL gleich mehrere unangenehme Eigenschaften und Auffassungen über Rollenspiel zusammenfallen. Am deutlichsten ist das Desinteresse an Kommunikation in der Runde sowie konstruktiver Kritik außerhalb. Deshalb lautet der wichtigste Rat für besseres Leiten: Sprecht miteinander! Entwicklung ist nur dann möglich, wenn Themen offen angesprochen und diskutiert werden können. An dieser Stelle folgen weitere häufige Fettnäpfchen und Alternativen, wie eine gute SL besser damit umgehen kann.

Versucht aus euren Fehlern zu lernen anstatt sie zu wiederholen. © artursz
Versucht aus euren Fehlern zu lernen anstatt sie zu wiederholen. © artursz

„Nein“ sagen ist auch keine Lösung

„Vergiss es, das geht nicht!“ – Die Handlung im Rollenspiel basiert auf gemeinsamen Regeln, an die sich alle Personen am Tisch halten müssen, damit die Geschichte sich entwickeln kann. Dabei kommt es regelmäßig zu Konflikten, etwa bei Vorstellungen oder Regelauffassungen. Das ist völlig in Ordnung. Problematisch kann die Art und Weise sein, wie die Spielleitung auf Ideen der Spielenden reagiert. Eine deutlich ablehnende Haltung sorgt schnell für Frust auf beiden Seiten.

Stattdessen ist es ratsam, die Vorschläge der Person in den richtigen Kontext zu setzen. Sollten die Handlungen der Charaktere drohen, den Rahmen der Geschichte zu sprengen (beispielsweise die Ermordung eines wichtigen NSC), ist ein klärendes Gespräch über die weiteren Ziele der Geschichte angebracht. Es sei noch kurz erwähnt, dass immer „Ja und Amen“ zu allen Handlungen der Charaktere zu sagen genauso problematisch sein kann. Zumindest dann, wenn das Abenteuer kein zufällig gestaltetes Erzählspiel ist, das genau darauf abzielt.

Peitsche statt Zuckerbrot – Bestrafungen aus Frust

Rollenspiel lebt von Konflikt, dieser sollte sich jedoch nur in der Geschichte abspielen. Egal wie gefrustet ihr seid, lasst es nicht an euren Spieler*innen aus. Der kurze Moment an Macht und Genugtuung ist schnell verflogen, die Wut über den verletzten oder gar toten Charakter beim Gegenüber bleibt. Geht lieber auf die Gruppe zu und sprecht an, welches OT-Verhalten euch stört und arbeitet zusammen Kompromisse oder Alternativen aus. Seid außerdem bereit, offen über Fehler zu sprechen. Es hilft keinem, wenn ihr auf konstruktive Kritik mit Ablehnung reagiert.

Aus Frust den SC umbringen löst das Problem auch nicht. © breakermaximus
Aus Frust den SC umbringen löst das Problem auch nicht. © breakermaximus

Willkür bei den Regeln

Regeln sollten für alle Charaktere gleich gelten. Nur weil jemand Schwerkraft oder das Grundgesetz blöd findet, hören diese Dinge nicht plötzlich auf zu existieren. Gleiches gilt für die Welten in Tischrollenspielen, zumindest wenn diese um Realismus bemüht sind. Da die Spielleitung die Welt repräsentiert, muss sie auch ihre Regeln konsequent umsetzen – und zwar unabhängig von der Person. Wenn beispielsweise in einer Situation wie einer Raumdurchsuchung für das Finden von Hinweisen gewürfelt wird, darf das im nächsten Raum nicht ohne Erklärung würfelfrei gelingen. Insbesondere eine Bevorzugung von Spielenden, etwa weil sie der*die eigene Partner*in sind, birgt viel Konfliktpotenzial mit den anderen Personen am Tisch. Ähnlich sieht es bei Bestechungsversuchen mit Essen aus. Achtet daher auf Konsistenz in euren Vorgaben und passt bei entsprechenden Anmerkungen eventuell eure Regeln an.

Das Spiel mit Konfliktthemen

Rollenspiel und Erotik werden gerne von der Allgemeinheit in einen Topf geworfen. An sich ist dagegen nichts zu sagen, schließlich kann Sexualität in einer Runde bespielt werden. Allerdings nur, wenn die Regeln vorher für alle klar sind. Besonders extreme Themen wie Vergewaltigungen dürfen nicht einfach so heruntergespielt werden. Auch die Beschreibung nach Geschlechter-Stereotypen sind unangebracht. Eine Spielleitung, die nur Heilige oder Huren bei weiblichen NSC beschreibt, lässt tief in das eigene Verständnis blicken.

Was, noch ein weißer hetero-cis Mann in der Handlung? Wie überaus originell.© konstantynov
Was, noch ein weißer hetero-cis Mann in der Handlung? Wie überaus originell.© konstantynov

In eine ähnliche Kerbe schlagen unterschwellig rassistische Vorstellungen, die nicht immer absichtlich weitergegeben werden. In selbst ausgedachten Welten sind alle Formen, Farben und Herkünfte möglich. Überlegt euch daher, welche Gesellschaft ihr abbilden wollt. Sofern es sich nicht um eine Klon-Armee handelt, sind Orte voll mit weißen hetero-cis Männern als NSC eher altbacken und fad.

Fazit

Angesichts der vielen SL-Horrorgeschichten im Netz scheint es ein Wunder, dass sich überhaupt noch neugierige Menschen ins Hobby verirren. An dieser Stelle deshalb ein Lob an alle Spielleitungen, die sich durch offenes und kommunikatives Leiten auszeichnen. Durch euch ist die Welt ein besserer Ort. Wer sich beim Lesen an der ein oder anderen Stelle vielleicht an eigene Fehler erinnert gefühlt hat, sollte deswegen nicht den Kopf hängen lassen. Keine*r von uns kann sich davon freisprechen, immer perfekt auf Situationen zu reagieren. Schließlich sind wir alle keine göttlichen Wesen.

Der Unterschied liegt im Umgang mit der Kritik am eigenen Stil. Anstatt sich wie die Horror-SL in der Erzählung für unantastbar zu halten, solltet ihr ein Ohr für Rückmeldungen haben und Interesse euch weiterzuentwickeln. So kommt besseres Leiten ganz von allein. Und abschließend noch einmal die fast schon banale Erkenntnis: Wenn euch das Spiel mehr frustet als Spaß macht und ein Kompromiss nicht möglich ist, dann verlasst die Gruppe. Das Leben ist zu kurz für toxische Spielrunden.

Artikelbilder: depositphotos © wie gekennzeichnet
Titelbild: depositphotos © igorr1
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids

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