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Das Leben als Pen&Paper-Charakter ist verbunden mit viel Anstrengung und Gefahr bei ungewissem Ausgang. Deshalb ist es wichtig, dass alle Mitstreiter*innen zusammenhalten und die gleichen Ziele verfolgen. Was passiert aber, wenn Differenzen diese Übereinkunft behindern? So sehr, dass ein Charakter aus der Gruppe ausscheiden muss?

Einer für alle, alle für einen: Die unzertrennliche Gruppe von Held*innen ist nicht erst seit dem Erscheinen von Alexandre Dumas‘ pére Die drei Musketiere ein Klischee. In den meisten Abenteuern im Pen&Paper besteht die Handlung darin, dass die Charaktere zusammen eine Aufgabe bekommen, die es zu bewältigen gilt. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle Charaktere von Anfang bis Ende mit dabei sein müssen. Neben dem finalen Ableben können andere Gründe dafür sorgen, dass ein Charakter die Gruppe für kurze Zeit oder sogar endgültig verlässt.

Die drei Musketiere – das klassische Bild der unzertrennlichen Gruppe. © Depositphotos | kuco

Die Motivation hinter dem Abgang

Die Gründe, weshalb ein Charakter sich zum Ausstieg aus der Gruppe entscheidet, müssen nicht zwangsläufig negativ sein oder aus einer ablehnenden Haltung anderer Spieler*innen heraus erfolgen. Manchmal kann der Abgang eines Charakters auch aus freien Stücken geschehen und sich positiv auf das Spielerlebnis auswirken. Zur Übersicht ist der Artikel entsprechend aufgeteilt. Zuerst findet ihr ein paar der typischen Gründe im realen Leben, die dazu führen können, dass ein Charakter aus der Gruppe aussteigen muss. Im Anschluss werden euch ein paar mögliche Beweggründe aus Sicht des Charakters vorgestellt, die ihn dazu veranlassen könnten, dem Leben als Abenteurer*in und damit der Gruppe den Rücken zu kehren. Einzelne Beispiele beziehen sich auf klassische Fantasy-Systeme, gelten aber eher universell für andere Genres.

Allgemein noch zwei kurze, aber wichtige Vorbemerkungen:

  1. Kommuniziert miteinander! Eure Mitspieler*innen sind in den meisten Fällen auch Freund*innen von euch und sollten mit Kritik am eigenen Charakter umgehen können. Unstimmigkeiten können sich schnell ansammeln und das Spielklima langfristig zerstören. Daher ist es wichtig, Probleme nach einer Runde ruhig und konstruktiv anzusprechen, um einen Kompromiss zu finden. Sollte dieser trotz allem nicht erreicht werden können, gilt:
  2. Keine*r wird gezwungen zu spielen! Das bedeutet, dass Spieler*innen und die Spielleitung sowohl andere problematische Spieler*innen ausladen können als auch Gruppen wieder verlassen können, wenn der Konflikt nicht gelöst werden kann. Die Suche nach einer Gruppe, in der alle harmonieren, ist lohnender als in einer unpassenden Gruppe zu verweilen.

„Ich dachte, wir wollten ernster sein“ – Charaktere im falschen Kontext

Die Spielleitung plant eine neue Kampagne und alle sind dabei: Der aufrichtige Paladin, die mitfühlende Klerikerin, der heroische Krieger und… Aufdi Plahnke, der Pirat mit zwei Holzbeinen, welcher sich in einem ständigen Rausch befindet und keine Chance für einen zotigen Witz vergehen lässt. Dieses überspitzte Beispiel soll verdeutlichen, dass es für längere Kampagnen ratsam ist, gemeinsam über Stil und Setting zu sprechen. Wenn alle am Tisch Spaß an lustigen Charakterkonzepten haben, spricht nichts dagegen, auch unkonventionelle Konzepte auszuprobieren. Problematisch wird es erst, wenn eine Person mit dem Charakter in ein Extrem rutscht, sei es ein bierernster Charakter in einer humorvollen Gruppe oder andersherum. Hier gilt: Entweder findet sich ein vernünftiges Mittelmaß für alle am Tisch – oder der entsprechende Charakter wird schnell von den anderen zurückgelassen…

„They are taking the hobbits to Isengard“ – Metahumor an den falschen Stellen

Memes sind witzig, können aber auch die Immersion schädigen. © Depositphotos | Milesthone

Apropos humorvolle Charaktere: Natürlich ist die heimelige Spielrunde kein freier Ort von Humor, Situationskomik und aktuellen Memes. Eher im Gegenteil, denn hier können Spieler*innen und Spielleitung nach einem anstrengenden Tag oder einer anstrengenden Woche für einen Moment abschalten und in eine andere Welt abtauchen. Dabei sollte aber immer auf die allgemeine Immersion geachtet werden, damit das Spielgefühl nicht alle fünf Minuten neu aufgebaut werden muss. Besonders Charaktere, die Bezug auf reale wie aktuelle Geschehnisse nehmen, welche in der Handlung nicht vorgesehen sind, können hier viel Spannung herausnehmen. Daher sollte bei viel comic relief immer darauf geachtet werden, dass alle am Tisch damit einverstanden sind. Sonst kann es passieren, dass der Witzbold lieber in der Taverne sitzen gelassen wird. Wer reist als Gruppe denn gern mit einer Person herum, die ständig unlogische Bezüge macht, um dann lauthals darüber zu lachen?

„Ich will nicht mehr mit dieser Person spielen“ – Wenn Konflikte sich vermischen

Konflikte, die von außerhalb des Spieltisches kommen, können das Gruppenklima ebenso nachträglich schädigen wie rollenspielerische Konflikte, die auf die Realität abfärben. Das kann von harmlosen Unstimmigkeiten bis hin zu toxischem Verhalten viele unterschiedliche Stufen beinhalten. Wie in einer solchen Situation gehandelt werden kann, wurde bereits in einem früheren Artikel von uns aufgegriffen. Sollte ein*e Spieler*in auch nach regelmäßigen Ermahnungen den Spielfluss und -spaß anderer Personen stören, kann es dazu kommen, dass diese Person im realen Leben aus der Gruppe ausscheiden muss. Meist erleidet der entsprechende Charakter hier ein ähnliches Schicksal, wenn sein Verhalten ähnliche Übergriffigkeiten widerspiegelt.

„Wir haben unterschiedliche Spielstile“ – Zwischen Railroading und Sandbox

Ein gängiges Problem ist die differenzierte Meinung und Bewertung gewisser Elemente in einer Geschichte, die bei Spieler*innen und Spielleitung unterschiedlich ausfallen können. Wo die einen freie Entscheidungen im Spielverlauf schätzen, wollen die anderen lieber eine feste, aber dafür garantiert spannende Geschichte erleben. Auch der Anteil, wie häufig und mit welcher Komplexität im bespielten System gekämpft werden kann, ist von Person zu Person unterschiedlich. Dementsprechend sollten Spieler*innen und Spielleitung offen über Ideen und Wünsche diesbezüglich sprechen und notfalls Anpassungen annehmen, damit der gemeinsame Spielspaß erhalten bleibt. Sollte keine Einigung gefunden werden, bedeutet das sehr wahrscheinlich auch den Ausstieg von Charakter wie Spieler*in aus der Gruppe.

„Mir ist da was dazwischen gekommen…“ – Das ewige Problem mit der Zeit

Natürlich kann und wird es passieren, dass der geplante Termin verschoben werden muss, weil einer Person in der Runde unverhofft etwas dazwischenkommt und sie deshalb absagen muss. Wenn aus der Ausnahme aber eine Regel wird, kann die Frage aufkommen, inwiefern mit Spieler*in und Charakter verfahren werden muss. Bei einem absehbaren Ende der Durststrecke könnte der entsprechende Charakter beispielsweise zu einer Einzelmission aufbrechen, um in naher Zukunft wiederzukehren. Sollte eine Rückkehr des*der Spieler*in dagegen sehr unwahrscheinlich sein, droht dem Charakter ein Leben als NPC – wenn ihn nicht in einer der kommenden Runden ein Heroentod ereilt…

„Ich gehe dort allein lang!“ – Lieber solo als in der Gruppe

Im Pen&Paper folgen alle Spieler*innen gemeinsam einer Geschichte, meist in einer Gruppe, um gegen die Gefahren gewappnet zu sein und einander zu ergänzen. Das bedeutet nicht, dass im Verlauf eines Abenteuers keine Aufteilungen stattfinden dürfen. Je nach Aufgabe kann es sogar sinnvoll sein, sich kurzzeitig aufzuteilen und parallel mehrere Dinge zu erledigen. Letztlich sollte das Ziel aber wieder die Zusammenführung der Gruppe sein. Charaktere, die in jeder Situation als Einzelgänger*in agieren möchten, können dieses Ziel erschweren. Wie im echten Leben stellt sich die Frage: Wieso sollte die Gruppe eine Person mitnehmen, die permanent versucht, sich abzukapseln und Dinge allein zu erledigen? Hier können aktiv Verknüpfungen und Gruppenmomente in die Geschichte eingebaut werden, damit die Motivation zusammenzuhalten bestehen bleibt. Geht das isolierende Verhalten eher von dem*der Spieler*in aus, sollte dies ebenfalls außerhalb der Runde angesprochen werden.

„Und wieso sollte ich da mithelfen?“ – Über fehlende Charakter-Motivation

Uneinigkeiten am Tisch können die Gruppe entzweien, wenn die Probleme nicht angesprochen werden. © Depositphotos | kondrabak

Abenteuer gehen klassischerweise davon aus, dass die Protagonist*innen ein Interesse daran haben, die Handlung voranzutreiben und ein Ziel zu erreichen. Problematisch wird es, wenn einer der Charaktere bereits zu Beginn der Reise oder in deren Verlauf die eigene Motivation hinterfragt. Weshalb sollte die Gruppe ihr Leben riskieren, um das Dorf zu retten? Welche Konsequenzen drohen, wenn die Gruppe sich neutral verhält? Wenn diese Fragen unbeantwortet bleiben, kann es schnell passieren, dass ein oder mehrere Charaktere von der geplanten Handlung abweichen und keinen Sinn dahinter sehen, diese mit den anderen Charakteren zu verfolgen.

In solchen Fällen gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gibt die Spielleitung eine zusätzliche Motivation, wie beispielsweise eine höhere Belohnung oder negative Konsequenzen bei unterlassener Hilfeleistung. Oder aber sie lässt die Charaktere ziehen. Für die entsprechenden Spieler*innen bedeutet dies, dass sie neue Charaktere benötigen, die tatsächlich ein Interesse an der Handlung besitzen. Um solche Brüche in Zukunft vermeiden zu können, sollte außerdem eine Besprechungsrunde vor Beginn einer längeren Kampagne geplant werden.

„Das würde mein Charakter niemals tun!“ – Moralfragen im Rollenspiel

Rollenspiele präsentieren den Spieler*innen Probleme, die oftmals moralische Entscheidungsfragen mit sich ziehen. Ist mein Charakter bereit, eine unschuldige Person zu töten, um dafür zehn andere Unschuldige zu retten? Gibt es Grenzen der Moral, die dem Charakter verbieten, etwas zu tun? Pen&Paper-Rollenspiele potenzieren diese Fragen, da hier mehrere Charaktere gleichwertig agieren können. Das kann spielfördernd sein, wenn alle Spaß an solchen Diskussionen haben. Problematisch wird es erst, wenn sich deutliche Uneinigkeiten auftun, die ständig zu ungewollten Konflikten führen. Hier sollte außerhalb des Spiels das Gespräch zwischen den Spieler*innen gesucht werden, um eine Lösung zu finden. Eventuell muss der ordnungstreue Krieger für die Ziele der Gruppe ein Auge zudrücken oder der opportunistische Dieb die Finger bei sich behalten. Wenn das nicht hilft, muss einer der Charaktere aus der Gruppe ausscheiden, sofern es nicht zur direkten Kampfsituation zwischen den Streitenden oder vorzeitigem Ende der Kampagne kommen soll. Für die jeweiligen Spieler*innen muss das Ausscheiden des Charakters aber nicht ebenfalls das Ende der Runde bedeuten, wenn ein neuer Charakter zur Geschichte hinzugefügt werden kann.

Nach vielen Abenteuern sehnen sich die Charaktere danach, endlich heimzukehren. © Depositphotos | stevanovicigor

„Ich vermisse meine Heimat/Familie!“ – Rückkehr nach dem Abenteuer

Auch wenn es ein gern gewähltes Klischee ist, müssen nicht alle Charaktere ihre Familie bei einem Ork-Angriff verloren haben. Dementsprechend kann es sehr gut sein, dass ein Charakter sich dazu entscheidet, heimzukehren und dort von seinen spannenden Geschichten zu berichten. Womöglich hat er nach ein paar geplünderten Höhlen und Verliesen nun genügend Geld, um den kleinen Laden aufzubauen, den er sich seit Kindheitstagen wünscht. Das Leben als Abenteurer*in ist hart. Wer kann es den Charakteren entsprechend verübeln, wenn sie irgendwann die Ruhe eines geregelten Lebens als Zivilisten herbeisehnen?

„Ich hätte da eine Idee für einen Charakter…“ – Neue Idee, gleiche Gruppe

Gerade große Systeme mit vielen unterschiedlichen Charakterklassen und Hintergründen laden dazu ein, sich interessante und abwechslungsreiche Konzepte für mögliche Charaktere zu überlegen. Damit diese Konzepte Wirklichkeit werden können, wird jedoch eine passende Runde benötigt. Bevor aber komplett neue Gruppen erdacht und bespielt werden müssen, bietet es sich an, den neuen Charakter vorher in der bestehenden Runde auszutesten. Das kann, natürlich in Absprache mit der Spielleitung, mit Vorlauf organisiert werden, indem der alte Charakter beispielsweise die Gruppe für eine kurze eigene Reise verlässt. Den Nerven der Spielleitung zuliebe sollte dies aber nicht jede zweite Runde passieren – andernfalls drohen individuell angepasste Geschichten für einzelne Charaktere ihre Anknüpfungspunkte zu verlieren.

Zusammenfassung

Wie ihr anhand dieser Aufzählung seht, gibt es viele unterschiedliche Gründe dafür, warum ein Charakter aus der Gruppe ausscheiden kann. Letztlich ist Pen&Paper als Hobby nicht frei von äußeren Einflüssen, die sich deutlich auf den Spielverlauf auswirken können. Aber auch innerhalb der Geschichte können viele Umstände dazu führen, dass ein*e Spieler*in die weitere Teilnahme am Geschehen hinterfragen kann. Der Austritt aus der Gruppe muss nicht zwangsweise negativ sein, sondern kann sich nachträglich positiv auf das Spielgeschehen auswirken. Sofern Spieler*innen und Spielleitung offen und konstruktiv über Optionen reden, bieten sich hier Ansätze für viele großartige Szenen und Geschichten, die lange im Gedächtnis bleiben. Daher abschließend der Appell: Als Gruppe solltet ihr immer sichergehen, dass alle Spaß am gemeinsamen Spiel haben!

 

Artikelbilder: © Depositphotos | kikkerdirk
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Rick Davids

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