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Die Mini-Serie Primordial des Star-Autoren Jeff Lemire beschäftigt sich mit einer ganz besonderen Frage: Was wäre, wenn ins All geschickte Tiere gar nicht umgekommen sind, sondern einen unbekannten Weg eingeschlagen haben? Das Ergebnis ist eine Mystery-Geschichte, die in ihrem Kern überraschend viel Emotionen und Herz beinhaltet.

Die Werke des kanadischen Comic-Autoren Jeff Lemire konnten in der Regel einen guten Eindruck bei Teilzeithelden hinterlassen und haben ihren Weg in unsere liebsten Graphic Novels und Bestenlisten Dabei überzeugen die Geschichten nicht nur in Form epischer Reihen, wie Black Hammer oder Gideon Falls, sondern auch als Einzelbände, wie Sentient – Kinder der K.I. oder Berserker Unbound.

Mit Primordial kommt nun eine weitere Erzählung zu Lemires Bibliografie hinzu, welche in einem einzelnen Sammelband abgeschlossen ist. Wir prüfen, ob der Mystery-Thriller vor der Kulisse des Kalten Krieges ebenso einen positiven Eindruck hinterlässt.

Inhalt

Bei der Ausschlachtung in Folge einer Raumfahrtmission stößt Doktor Donald Pembrook auf seltsame Unterlagen. Diese zeigen, dass die beiden Affen Able und Baker länger am Leben gewesen sind, als sie es nach Versagen ihrer Rakete bei der Jupiter-Mission hätten sein sollen. (Wichtiger Hinweis: In der Realität haben Able und Baker den Raumflug überlebt.) Doch seine Hinweise werden ignoriert und auf einmal soll er sogar von weiteren Recherchen abgehalten werden.

Schließlich kommt er auf Umwege in Kontakt mit Yelena Nostrovic. Die junge Frau war die Betreuerin der Hündin Laika, welche im Jahr 1957 als erstes Lebewesen von der Sowjetunion gezielt in den Weltraum geschickt wurde. Leider starb das Tier während der Mission, vermutlich an einem Hitzschlag. In Primordial glaubt Yelena jedoch, dass sowohl Laika als auch die Primaten nicht tot sind. Vielmehr ist sie davon überzeugt, dass sie von einer unbekannten Kraft entführt (oder gerettet?) wurden und versucht nun mit Hilfe von Doktor Pembrook Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Beide ahnen jedoch noch nicht, in welche Gefahr sie sich begeben.

Die Handlung von Primordial kann nicht einfach in eine bestimmte Schublade gesteckt werden. Auf der einen Seite handelt es sich definitiv um einen Mystery-Thriller, der sich um das Schicksal der verschwundenen Tiere dreht. Gleichzeitig enthält die Geschichte auch geopolitische Elemente vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und interessante Ansätze zur alternativen Geschichtsschreibung. Wer mit der Erzählweise von Lemire in Gideon Falls vertraut ist, wird einige Stilmittel zur Darstellung alternativer Realitäten wiedererkennen.

Tief im Herzen ist Primordial jedoch eine Geschichte über Heimkehr und das tiefe Band zwischen zweier Lebewesen, in diesem Fall Yelena und Laika. Sämtliche Handlungen haben das Zusammenfinden der beiden als Ziel und all die fantastischen und dramatischen Ereignisse verblassen zu stillem Beiwerk. Die Abschlussszene dürfte außerdem zu einer der emotional stärksten der letzten Monate gehören. Besonders wenn man selbst Haustiere besitzt, kann man die Bedeutung des Gezeigten verstehen.

Dennoch muss man bei all den positiven Aspekten zugeben, dass die Handlung in vielerlei Hinsicht oberflächlich ist. Wer nach detaillierten Antworten auf alle Mysterien und Andeutungen, sowie dramatischen Enthüllungen sucht, wird nach der Lektüre enttäuscht sein.

Zeichnungen

Mit Andrea Sorrentino als Zeichner und Dave Stewart als Kolorist kann Jeff Lemire auf das etablierte Team setzen, das bereits bei Gideon Falls seine Geschichte eindrucksvoll auf Seiten gebannt hat. Wie gewohnt sind Mimik und Gestik der Figuren ausdrucksstark, wenngleich die Panels oftmals reduziert wirken. Jedoch sorgt dies für keinerlei Verlust an Atmosphäre und Detailreichtum. Abermals beweist das Künstler-Duo, wie man mit scheinbarem Minimalismus viel vermitteln kann.

Wer Gideon Falls kennt, wird andere vertraute, visuelle Erzählmethoden vorfinden. Dave Stewart nutzt seine Farbpalette gelungen zur Untermalung der Stimmung. Szenerien zu den Nachforschungen von Yelena und Doktor Donald Pembrook sind tendenziell dunkel gehalten und verkörpern die angespannte Stimmung vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und seiner Machtspiele. Stehen dagegen die Tiere und ihre Erlebnisse im Vordergrund, wirkt die Farbpalette beinahe grell und steril. Dieser deutliche Kontrast betont die unterschiedlichen Kernelemente der Handlung zusätzlich visuell.

Zudem bedienen sich Sorrentino und Stewart ähnlicher, visueller Kniffe zur Darstellung übernatürlicher Elemente, wie sie es bereits bei der prämierten Horror-Reihe angewandt haben. Primordial beschäftigt sich mit Themen wie Reisen durch Raum und Zeit, Erweiterung des Bewusstseins und weiteren Mysterien. Deren künstlerische Umsetzungen sind einfallsreich, interessant und vermitteln gelungen die übernatürliche Stimmung. Unzweifelhaft gehören diese, teilweise seitenfüllenden Szenen, zu den visuellen Höhepunkte dieser Graphic Novel.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor*in: Jeff Lemire
  • Zeichner*innen: Andrea Sorrentino, Dave Stewart
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 176
  • Preis: 25,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Wenngleich Primordial als Mystery-Thriller vor dem Hintergrund des Kalten Krieges beworben wird, ist es vielmehr die Geschichte um die enge Bindung zwischen Mensch und Tier. Als Yelena Nostrovic Hinweise erhält, dass die von ihr betreute Hündin Laika ihre Weltraum-Mission überlebt haben könnte, setzt sie alles in die Wege für eine Kontaktaufnahme. Auch aus Sichtweise der tierischen Charaktere wird deutlich, dass die Gedanken um Heimkehr im Vordergrund stehen. Die übernatürlichen Elemente dienen bestenfalls als Erklärungsmöglichkeit, sowie zur Aufwertung des Spannungsbogens. Dies macht sich unglücklicherweise dadurch bemerkbar, dass viele von ihnen nur oberflächlich beleuchtet werden.

Oberflächlichkeit zeigt sich leider auch bei den meisten menschlichen Akteur*innen. Dadurch wirken überraschenderweise die beiden Primaten Able und Baker, sowie die Hündin Laika in dieser Graphic Novel am interessantesten. Per se ist dies kein Problem, jedoch ist ein deutlicher Abfall am Interesse spürbar, sobald sich die Handlung wieder auf menschliche Figuren fokussiert.

Mit Andrea Sorrentino und Dave Stewart wird Autor Jeff Lemire abermals von jenem Künstler-Duo unterstützt, welches mit ihm bereits Gideon Falls zu einer hervorragenden Graphic Novel gemacht hat. Die Qualität der Zeichnung ist dementsprechend auf hohem Niveau und besticht durch hervorragende Mimik und Gestik, stimmungsvolle Kolorierung und interessante Darstellungen übernatürlicher Elemente.

Primordial ist mit Sicherheit nicht Lemires beste Geschichte. Allerdings sorgt der gewählte Hintergrund, sowie die Reise der tierischen Protagonisten für eine interessante Erfahrung, die besonders bei Besitzer*innen von Haustieren starke Emotionen auslösen dürfte. Denn ehrlicherweise dürfte es vielen so gehen, wie Protagonistin Yelena: Die geliebten Vierbeiner werden schnell zu Familienmitgliedern.

  • Gelungene Geschichte über die Bindung zwischen Tier und Mensch
  • Mystery-Elemente sorgen für Spannung und Interesse
  • Visuell eindrucksvoll gestaltet
 

  • Oberflächliche, menschliche Charaktere
  • Viele Fragen und Anspielungen bleiben am Ende offen

 

Artikelbilder: © Splitter
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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