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In Sentient – Kinder der K.I. präsentiert Autor Jeff Lemire eine knifflige Situation, in der ein Bordcomputer über seine ursprüngliche Programmierung hinauswachsen muss. Das Ergebnis ist eine überraschend emotionale Graphic Novel, die aus einer simplen Ausgangslage eine packende Erzählung strickt. Alle Details findet ihr in unserem Kurzcheck!

Was ist eure Einstellung zu Künstlicher Intelligenz (K.I.)? Selbst bei den Giganten des Internets herrscht Uneinigkeit, wohin die Reise führen wird. Auf der einen Seite stehen Skeptiker wie Elon Musk. Deren Sorge ist, dass Künstliche Intelligenz schnell die Fähigkeiten der Menschheit übertreffen und im schlimmsten Fall für unseren Untergang verantwortlich sein wird. Befürworter, auf der anderen Seite, betonen die Vorteile durch die technischen Neuerungen, wie die Optimierung von Prozessen, mehr Freiheit für die Menschen und die Unterstützung bei komplexen Themen und Problemfeldern.

Im Bereich Science-Fiction findet man Varianten in beide Extreme. Skynet aus der Terminator-Reihe ist das Paradebeispiel für eine außer Kontrolle geratene K.I. und steht sinnbildlich für deren Bedrohungspotential. Androiden, Cyborgs und Roboter übernehmen in einer Vielzahl von Geschichte die Rollen von Gegenspielern, Dienern oder Verbündeten.

Doch welche Rolle könnte K.I. bei der Besiedelung des Weltraums spielen? Diese Frage ist die Grundlage für die neueste Graphic Novel von Autor Jeff Lemire, unter anderem bekannt durch Black Hammer, Ascender und Gideon Falls. Das Resultat ist eine geniale Geschichte, in der man interessanterweise die allzu menschlich wirkenden Probleme einer Künstlichen Intelligenz erlebt.

Handlung & Charaktere

Die U.S.S. Montgomery befindet sich mitsamt ihrer Besatzung auf dem Weg in eine weit entfernt gelegene Kolonie der Erde. Unterstützt wird das Vorhaben von VALARIE, ihres Zeichens Künstliche Intelligenz und Bordcomputer des Raumschiffs. Neben täglichen Routineaufgaben berät sie die Crew bei ihrer fordernden Reise.

Ein unvorhergesehenes Ereignis bringt die K.I. jedoch selbst an die Grenze ihrer Fertigkeiten. Durch eine tragische Begebenheit werden alle Erwachsenen an Bord der U.S.S. Montgomery getötet und hinterlassen das Schiff unter der Kontrolle ihrer Kinder und von VALARIE. Diese muss nun neben ihren Hauptaufgaben die Fürsorge für die Waisen des Raumschiffes übernehmen und die Limitationen ihrer eigenen Programmierung sprengen.

Auszug - Sentient: Kinder der K.I.© Panini Comics
Auszug – Sentient: Kinder der K.I.© Panini Comics

Sentient – Kinder der K.I. erzählt eine simple Geschichte und begeistert doch mit Tiefgang. Im Fokus der Handlung stehen neben VALARIE zwei der überlebenden Kinder, die komplett gegensätzlich mit dem Verlust der Eltern umgehen. Die daraus resultierenden Interaktionen zwischen den emotional mitgenommenen Waisen und der überforderten K.I. wirken authentisch, gefühlsecht und spannend. Der Star dieser Graphic Novel ist definitiv VALARIE. Seit GlaDOS aus Portal habe ich keine Künstliche Intelligenz mit einer solchen Charakterentwicklung gesehen, die mich mit ihrem Schicksal mitfiebern lässt.

Neben den zwischenmenschlichen (oder zwischenmenschlich-maschinellen) Beziehungen liefert auch die Reise selbst Herausforderungen. Die Kinder müssen lernen, die Arbeit ihrer Eltern zu übernehmen, da VALARIE die Expedition nicht zu 100 Prozent allein übernehmen kann. Darüber hinaus warten in den dunklen Weiten des Weltalls weitere Gefahren, wie die Überlebenden im Laufe der Graphic Novel leidvoll erfahren müssen. Diese Vorbereitung auf den Umgang mit ihrer neuen Lebenssituation liefert einen Großteil der Motivation für VALARIEs Verhalten und Entwicklung.

Das Resultat ist eine einfühlsame Geschichte, die in ihrer Schlichtheit zu fesseln versteht. Als Leser*in schwankt man zwischen hoffnungsvollem Optimismus, Mitleid und Sorge um die Überlebenden der U.S.S. Montgomery. Gleichzeitig kann man sich ein paar Schmunzler nicht verkneifen, wenn sich die K.I. mit dem herausfordernden Verhalten der Kinder im Teenager-Alter herumschlagen muss. Dank solcher Momente entsteht eine Verbundenheit zu den Charakteren, die zum Weiterlesen motiviert.

Zeichnungen & Kolorierung

Auszug - Sentient: Kinder der K.I.© Panini Comics
Auszug – Sentient: Kinder der K.I.© Panini Comics

Die farbigen Zeichnungen von Gabriel Walta erzählen die Story in gedeckten, trüben Farben und fangen die Tristesse des einsamen Raumschiffes stimmungsvoll ein. Der Stil erinnert mit seiner starken Lineart, dem skizzenhaften Eindruck und reduziertem Detailgrad an Buntstiftzeichnungen. Die emotionale Inszenierung der Geschichte und der Protagonisten gelingt Walta dennoch problemlos, besonders bei den Kindern. Die Präsenz von VALARIE wird gekonnt durch die Verwendung der blauen Farbe ihrer Monitore in die Panels eingebettet.

Den Höhepunkt erreicht die stimmungsvolle Inszenierung nach einer Entdeckung der Besatzung in den Weiten des Alls. In den darauffolgenden Panels fühlte ich mich an den ersten Alien-Film erinnert, dessen bedrückende und nervenzerfetzende Spannung bis heute Eindruck hinterlässt. Allgemein ist faszinierend zu beobachten, wie Walta mit wenigen Strichen eine Menge Gefühle vermittelt.

Die harten Fakten

  • Verlag: Panini
  • Autor*in: Jeff Lemire
  • Zeichner*in: Gabriel Walta
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 172
  • Preis: 27,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Panini Comics, Amazon, idealo

 

Fazit

Sentient – Kinder der K.I. begeistert gerade aufgrund der Einfachheit seiner erzählten Geschichte, die den Fokus auf die Charaktere und deren Entwicklung legt. Der Werdegang der Kinder und ihrer „Mutter“ VALARIE fesselt und treibt zum stetigen Lesen an. Der vielschichtigste Charakter ist dabei überraschend die Künstliche Intelligenz, die zu Beginn der Handlung vor eine scheinbar unlösbare Herausforderung gestellt wird. All diese Aspekte werden von Jeff Lemire gekonnt in einer emotional packenden Graphic Novel verpackt, die sich trotz einer abgeschlossenen Geschichte die Option zu einer Fortsetzung offenlässt.

Freude bereiten auch die von Gabriel Walta kreierten Zeichnungen. Auf der einen Seite fangen sie gekonnt die Tristesse des einsamen Raumschiffs auf, auf der anderen Seite erzählen sie melancholisch schön die schwierige Lage der Schiffsbesatzung. All diese Gründe haben dazu geführt, dass ich Sentient – Kinder der K.I. nicht zur Seite legen könnte. Ein wundervolles Beispiel dafür, dass auch Einzelbände grandiose Geschichten erzählen können.

  • Spannende und emotionale Geschichte mit einer K.I. als starke Protagonistin
  • Reduzierte, doch emotional packende Visualisierung
  • Gelungener Spagat einer abgeschlossenen Geschichte, die einen Nachfolger offen lässt
 

  • keine nennenswerten Schwächen

 

Artikelbilder: © Panini Comics
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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