Spieltest: Wylde Flowers – Zauberhaft diverser Farming Sim (Studio Drydock)

In Wylde Flowers ist die Welt noch in Ordnung – hier herrscht Kleinstadtidyll mit Bauernhof, diversen Bewohner*innen, veganen Essensoptionen und … Hexen? Der Farming Sim sticht schon auf den ersten Blick zwischen den Genre-Geschwistern hervor. Doch wie viel Spaß macht das linksliberale Spiel von Studio Drydock?

Das gibt’s doch nicht: Ein Farming Sim mit Charakteren unterschiedlicher Gender-Identitäten, sexueller Ausrichtungen sowie Religionen, Herkünfte und Hautfarben? Doch, das gibt es, und zwar seit September 2022: Das liebevoll gestaltete Spiel von Studio Drydock nennt sich Wylde Flowers und vereint Farming-Sim-Mechaniken mit einer linksliberalen Weltanschauung und Hexen.

Nicht nur die Charakterbesetzung ist erfreulich divers, auch an anderen Stellen punktet das Spiel mit progressiven Inhalten – so lassen sich beispielsweise Gerichte mit Tofu oder Seitan statt mit Fleisch kochen und erhalten daraufhin ein Veggie- oder sogar Vegan-Icon. Ob sich hinter dem politisch korrekt anmutenden Farming Sim auch ein gutes Spiel verbirgt, erfahrt ihr hier.

Willkommen in Fairhaven

Zu Beginn des Spiels verschlägt es unseren Hauptcharakter Tara nach Fairhaven, eine gemütliche Kleinstadt, in der jede*r jede*n kennt. Als Kind war sie oft zu Besuch bei ihrer Großmutter Hazel, doch nachdem diese und Taras Vater sich zerstritten hatten, wurden die Besuche eingestellt und die Jahre zogen ins Land. Nun, nach langer Zeit, kehrt Tara zurück, um sich um die kranke Hazel zu kümmern und auf der Farm auszuhelfen.

Doch Tara erkennt die Farm kaum wieder: Vom Gemüsebeet ist kaum noch etwas übrig, die Scheune und der Hühnerstall sind zerstört. Mit zunehmendem Alter fiel es Hazel immer schwerer, die Farm instand zu halten, sodass nun nicht mehr viel davon übrig ist. Aber nun ist Tara da, um den Hof wieder in seiner einstigen Pracht erstrahlen zu lassen.

Zu Beginn müssen wir uns noch damit begnügen, eine Handvoll Samen zu sähen und zu bewässern, doch jede verdiente Münze können wir in zukünftige Erträge investieren und somit schneller mehr Geld verdienen. Haben wir einmal genug angespart, können wir es ausgeben, um die Farm auszubauen.

Doch auch andere Teile von Fairhaven können eine Instandsetzung gebrauchen. So müssen wir zunächst den Eingang zur Mine reparieren lassen, um an wertvolle Erze zu kommen, mit denen wir unsere Werkzeuge verbessern können. Wollen wir Tiere großziehen, müssen wir zunächst die Ranch wiederherstellen, wo wir Jungtiere erstehen können. Manche Bereiche sind überdies noch nicht zugänglich und können erst durch Storyfortschritt oder Reparaturen erreicht werden – es gibt also genug zu tun.

Unter Menschen

Wie es sich für einen niedlichen Farming Sim gehört, gilt es außerdem, unsere Beziehung zu den übrigen Bewohner*innen von Fairhaven zu pflegen. Jeder der insgesamt 30 Charaktere hat eine Hintergrundgeschichte sowie eigene Interessen und Probleme. Die Dialoge sind äußerst abwechslungsreich, sodass es lange dauert, bis sich Aussagen wiederholen.

Dabei gefällt uns besonders gut, dass Wylde Flowers – ähnlich wie das zuvor von uns gelobte Spiritfarer – nicht vor komplexen Themen zurückschreckt. Mehrere Charaktere erzählen von ihren persönlichen Schwierigkeiten, beispielsweise aufgrund ihrer Gender-Identität und dem Umgang der Familie oder Gesellschaft damit. Zwar steigt das Spiel nicht allzu tief in diese Themen ein, dennoch ist es erfreulich, dass sie zumindest zur Sprache gebracht werden. Auch die Ausbeutung von Tieren wird, anders als in anderen Farming Sims, nicht totgeschwiegen – wir haben sogar die Möglichkeit, unsere Tiere zu verkaufen, um an Fleisch und andere tierische Ressourcen zu gelangen (Wir haben es jedoch nicht übers Herz gebracht, unsere putzigen Hühner, Kühe und Schafe schlachten zu lassen).

Darüber hinaus nehmen Charaktere des Öfteren Bezug auf Geschehnisse in Fairhaven. Dabei kommentieren sie nicht nur die aktuelle Jahreszeit und Ereignisse der übergreifenden Story, sondern auch kleine Nebenquests, die wir für sie oder andere Charaktere erfüllt haben. Dadurch fühlt sich das Leben in der verzauberten Kleinstadt besonders immersiv und realistisch an.

Pflegen wir unsere Beziehungen mit Aufmerksamkeit und Geschenken, schließen wir nach und nach Freundschaft mit den Charakteren. Dadurch erhalten wir die Möglichkeit, Cutscenes mit den Charakteren zu erleben, bei denen wir mehr über ihre Hintergründe und Interessen herausfinden. Darüber hinaus können wir eine feste Beziehung mit einem Charakter eingehen und ihn heiraten. Ist die Ehe einmal geschlossen, können wir die Beziehung weiter pflegen und schalten damit Dates frei, die wir gemeinsam erleben können. Bisher gibt es allerdings in Wylde Flowers keine Möglichkeit, Kinder zu kriegen.

Farming Simsalabim

Ein weiterer Aspekt, der immer öfter in Farming Sims vertreten ist und auch in Wylde Flowers eine große Rolle spielt, ist Magie – im Laufe des ersten Frühlings erfährt Tara nämlich, dass es einen Hexenzirkel in Fairhaven gibt, der im Verborgenen die Geschicke der Natur in und um Fairhaven lenkt. Großmutter Hazel ist Mitglied dieses Zirkels und auch Tara hat das Potenzial zur Hexe. Im Rahmen der Story schließen wir uns dem Hexenzirkel an und lernen, die Magie zu unseren Gunsten zu nutzen.

Mithilfe von Tränken und Zaubersprüchen können wir nützliche Effekte erzielen: So können wir das Wachstum unserer Pflanzen beschleunigen oder ihren Ertrag maximieren, unsere Laufgeschwindigkeit erhöhen oder herumliegende Gegenstände magnetisch anziehen und so im Vorbeigehen einsammeln. Die dazu benötigten Tränke und Zaubersprüche müssen wir immer wieder aufs Neue herstellen, sodass wir immer etwas zu tun haben.

Außerdem ist es unsere Verantwortung als Hexen, das Gleichgewicht der Magie zu wahren. Dazu müssen wir immer wieder Opfergaben beitragen und füllen so unsere magischen Reserven auf. Darüber hinaus wechseln die Jahreszeiten in Fairhaven nicht von selbst – um die Jahreszeit zu wechseln, müssen wir einen mächtigen Zauberspruch wirken. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Story-Element, es macht das Spiel auch entspannter, da wir in Ruhe unsere Pflanzen ernten können, bevor wir die Jahreszeit wechseln.

Viele Storys, eine Geschichte

Doch Wylde Flowers bietet noch mehr. Die meisten Farming Sims haben zwar eine Ausgangsstory, doch dann geht es vorrangig um das Gameplay und die losen Storyfäden der Charaktere. Wylde Flowers hingegen bettet das in den Rahmen einer zusammenhängenden Geschichte ein.

Während die Charaktere lange Zeit nichts mitbekommen, erfahren die Spielenden früh, dass eine hinterlistige Hexe versucht, sich Zugang zum magischen Wald zu verschaffen, der von unserem Hexenzirkel beschützt wird. Dies bringt das Gleichgewicht der Magie ins Wanken, wodurch die Hexen unseres Zirkels umso härter arbeiten müssen, es wiederherzustellen.

Außerdem kriegen die Bewohner*innen von Fairhaven Wind von maskierten Gestalten, die sich nachts heimlich im Wald treffen. Es stehen harte Zeiten bevor und der Zirkel befürchtet eine Hexenjagd.

Features

In Wylde Flowers gehen wir den üblichen Tätigkeiten eines Farming Sims nach. Wir sähen Pflanzen, gießen und ernten sie. Wir bauen Erze in der Mine ab, um damit unsere Werkzeuge zu verbessern. Wir kaufen Tiere, ziehen sie groß und können die resultierenden Ressourcen weiterverarbeiten oder verkaufen. Wir kochen, angeln und sparen Geld, um die Farm zu erweitern.

Gemütlich und entspannt

Die meisten Tätigkeiten kosten Energie, die wir durch Zaubertränke und Mahlzeiten wieder auffüllen können. Tage sind außerdem zeitlich begrenzt: In etwa fünf Sekunden Echtzeit vergehen zehn Minuten im Spiel. Sind wir nicht um spätestens 2:00 morgens im Bett, wachen wir am nächsten Morgen krank und übermüdet auf und müssen erst zur Ärztin, bevor wir weiterarbeiten können.

Zwar sind die einzelnen Tage zeitlich begrenzt, allerdings kommt dabei nie Stress auf. Da wir entscheiden, wann die Jahreszeiten wechseln, können wir in Ruhe alles angebaute Gemüse ernten, ohne befürchten zu müssen, Erträge zu verlieren. Zwar gibt es im Rahmen der Story einige Aufgaben, die innerhalb einer gewissen Zeit erfüllt werden müssen, allerdings ist stets genug Puffer da, um alles in Ruhe zu erledigen.

Wer es dennoch entspannter – oder aber spannender – haben will, kann in den Einstellungen die Länge der Tage verändern. Wir haben die ersten Tage mit verlängerter Tagesdauer gespielt, diese Einstellung aber bald wieder zurückgesetzt, da einige der verfügbaren Zauber an spieltechnischer Bedeutung verlieren, wenn die Tage so lang sind.

Automatisierung

Ab einer bestimmten Stelle im Spiel erhalten wir die Möglichkeit, verschiedene unserer Farm-Tätigkeiten zu automatisieren. Das ist nützlich, um sich auf andere Aspekte des Spiels konzentrieren zu können, entzieht dem Spiel jedoch auch eine Menge des eigentlichen Inhalts. Zwar haben wir dann mehr Zeit für Gespräche mit den Charakteren, haben aber auch nach einem halben Tag bereits nichts mehr zu tun und gehen mit vollem Energiebalken ins Bett, um das Spiel voranzutreiben.

Besonders problematisch ist das automatisierte Angeln. Während Geld die meiste Zeit des Spiels über eine kostbare Ressource darstellt, hat man mit automatisiertem Angeln schnell mehr angesammelt als man im gesamten restlichen Spiel ausgeben kann. Dadurch verlieren fast alle anderen Tätigkeiten an spieltechnischer Bedeutung, denen wir bis dahin nachgehen mussten, um Geld zu verdienen. Die letzten Spielstunden von Wylde Flowers haben wir nur noch damit verbracht, die Story zu Ende zu spielen und uns gar nicht mehr um die Farm gekümmert, weil es keinen spieltechnischen Zweck mehr erfüllte.

Zauberhaft schön

Wylde Flowers setzt grafisch auf eine verspielte und magische Optik. Charaktere haben kleine Körper, große Augen und große Hände; die Charakterdesigns sind dabei allesamt hübsch bis niedlich ausgefallen. Elemente der Umgebung und Natur muten spielzeugartig an, was zum kindlichen Charme beiträgt. Der Stil ist dabei geschickt gewählt, indem er hübsch aussieht, aber auch keine großen technischen Anforderungen an Endgeräte mit sich bringt.

Der Soundtrack rundet das Spiel ab, ist dabei aber sehr zurückhaltend. Oft gibt es gar keine Hintergrundmusik, stattdessen wird sie gezielt eingesetzt, um atmosphärische Szenen zu untermalen, wo es der Stimmung zuträglich ist. Soundeffekte ergänzen das Spielerlebnis und dienen der Orientierung in Menüs. Der Sound ist insgesamt gelungen.

Für kleine und große Bildschirme

Wylde Flowers ist so gebaut, dass es sowohl auf dem Computer mit Maus und Tastatur als auch mit einem Controller oder sogar auf einem Touchscreen gut gespielt werden kann. Zwischendurch kommt es dadurch mit dem Controller zu Ungenauigkeiten bei der Auswahl des Elements, mit denen wir interagieren wollen. Mit Maus oder Touchscreen geht das einfacher, weil wir das Element direkt antippen oder anklicken, während wir mit dem Controller zwischen den Auswahlmöglichkeiten navigieren müssen. Das tut dem Spielspaß aber keinen Abbruch und ansonsten funktioniert die Steuerung komplett problemlos.

Wir haben Wylde Flowers auf dem iPhone 13 Pro Max und dem Apple TV 4k getestet und auf beiden Geräten lief das Spiel flüssig und fast ohne grafische Fehler. Der gröbste optische Makel ist lediglich, dass die Tiere im Stall häufig durcheinanderlaufen und sich dabei auch grafisch überschneiden.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Am 23. Dezember wurde bereits das 1.3-Update veröffentlicht, das zusätzliche Inhalte bietet, die nach der Hauptstory gespielt werden können. Leider wurde mit diesem auch ein Fehler eingebaut, der den Storyfortschritt ab einem gewissen Punkt unmöglich macht. Glücklicherweise wurde dieser Bug aber bereits sechs Tage später mit dem 1.3.2-Update behoben. Seitdem gab es im Test keine Probleme mehr bis zum Ende des Spiels.

Die harten Fakten:

• Entwicklerstudio: Studio Drydock
• Publisher: Studio Drydock
• Plattform: Nintendo Switch, Apple Arcade (iPhone, iPad, Apple TV, Mac), PC
• Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Niederländisch, Portugiesisch, Russisch, Türkisch, Arabisch, Chinesisch, Koeranisch, Japanisch
• Mindestanforderungen: Windows 7 (SP1+), 64Bit-Prozessor, 4 GB RAM, DX10-fähige Grafikkarte, DirectX: Version 10, 4 GB verfügbarer Speicherplatz
• Genre: Farming Sim
• Releasedatum: 20.09.2022
• Spielstunden: 50 Stunden
• Spieler*innen-Anzahl: 1
• Altersfreigabe: 12+
• Preis: 20,99 EUR
• Bezugsquelle: Fachhandel

Fast perfektes Kleinstadtidyll

Wylde Flowers ist ein großartiger Farming Sim, der dem in die Jahre gekommenen Genre frischen – und progressiven – Atem einhaucht. Das Spiel glänzt nicht nur mit diversen Charakteren und ihren Geschichten. Die Dialoge sind erstaunlich abwechslungsreich für einen Farming Sim und nehmen stellenweise Bezug auf aktuelle Ereignisse, wodurch sich das Spiel umso realistischer anfühlt. Darüber hinaus machen Gespräche mit den Bewohner*innen tatsächlich Spaß, statt nur ein To-Do zum Zweck der Sympathiesteigerung zu sein.

Die übergreifende Geschichte ist zwar nicht bahnbrechend, aber die einzelnen Charakterstorys und die Möglichkeiten der Interaktion fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen, bei dem uns wiederholt das Herz aufgegangen ist.

Die klassischen Farming-Sim-Tätigkeiten wie Gemüse anbauen, Tiere pflegen, Crafting und Minenarbeit schöpfen auch hier ihr Suchtpotenzial aus. Taras magische Fähigkeiten ergänzen die üblichen Mechaniken, indem sie nützliche Features wie das Beschleunigen des Pflanzenwachstums und eine schnellere Fortbewegung ermöglichen.

Im Laufe des Spiels erhalten wir die Möglichkeit, die klassischen Farm-Tätigkeiten zu automatisieren. Dadurch haben wir mehr Zeit, uns auf Charaktere und die übrige Story zu konzentrieren. Allerdings bleibt zum Ende hin auch nicht mehr viel Gameplay übrig, da in vielen Bereichen keine Fortschritte mehr möglich sind: Mehrmals sind wir bereits zur Mittagszeit ins Bett gehüpft, nur um die Story voranzutreiben.

Dennoch ist Wylde Flowers rundum zauberhaft und nimmt in unseren Herzen einen Ehrenplatz direkt neben Stardew Valley ein. Wer sich an linksliberalen Ansichten stört, sollte es lieber liegen lassen – allen anderen Fans von Farming Sims können wir es hingegen gar nicht genug empfehlen. Wylde Flowers erhält von uns fünf von fünf goldenen Tofu-Eiern.

• Gameplay macht süchtig …

• Progressives Weltbild

• Abwechslungsreiche Dialoge

 

• … wird zum Ende hin jedoch dünn

Artikelbilder: © Studio Drydock
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Maximilian Düngen
Dieses Produkt wurde privat finanziert.