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Erst vor kurzem wurde Geisterland von meiner Kollegin Julia vorgestellt, eine Anthologie, die den aktuellen Stand der deutschen Phantastik abbildet. Blutroter Stahl vereint erneut namhafte und neuere Autoren zwischen zwei Buchdeckeln, doch kommt diese Sammlung von Kurzgeschichten bei der Bewertung besser weg?

Wirft man einen Blick auf unsere Rezensionen, so fällt auf, dass es in letzter Zeit gehäuft Anthologien der einen oder anderen Art gab: Geisterland und Trigger Warning sind nur zwei Beispiele. Während letztere Texte von einem einzigen Autor versammelt, finden sich in Geisterland verschiedenste Autoren mit ihren jeweils eigenen Zugängen zur Welt der Seelenfänger. Die Kurzgeschichten in Blutroter Stahl eint lediglich das Thema der Sword and Sorcery, eine Art der Phantastik, die eben durch Schwerter und Magie gekennzeichnet ist und sich oft am europäischen Mittelalter orientiert.

Story

Die neunzehn Kurzgeschichten erzählen von den Leben und Abenteuern der überwiegend männlichen Protagonisten, die in den meisten Fällen dem Klischee des Helden entsprechen: muskulös, mutig, kampferprobt und selbstsicher. Ausreißer gibt es nur selten. Da wäre zum Beispiel Xeroan, der Protagonist aus Kay Noas Kurzgeschichte Treue, der durchaus mit der Atmosphäre in der Höhle und seiner Angst zu kämpfen hat.

Oder Groll der Gnom, der dem alternden Helden Witor Kropka in Mike Krzywik-Groß‘ Der Krähenkönig mit Witz und Verstand zum wiederholten Male den Hintern rettet. Nicht zu vergessen Tulmir aus Jörg Bennes Tulmirs Dämonen, der lediglich durch die Geschichten seines Freundes zum Helden wird und nachts unter seinen vergangenen Taten leidet.

Wenig Neues, wenig Überraschendes

Die Plots der Geschichten selbst dürften niemanden überraschen, der nicht schon einmal einen phantastischen Roman oder eine solche Kurzgeschichte in der Hand hatte. Helden, die rätselhafte oder fremdartige Wesen bekämpfen, um Menschen zu beschützen oder sich aus einer Situation zu retten, in die sie selbstverschuldet hineingeraten sind. Helden, die andere Menschen aus Rache oder Habgier töten. Bösewichte, die mit Hilfe von Magie und Zaubern entweder die Macht an sich reißen, andere unterjochen oder Rache nehmen wollen.

Leider sind es nur wenige dieser Geschichten, die einen ungewöhnlichen Plot oder zumindest eine überraschende Wendung vorweisen können. Eines dieser lobenswerten Beispiele ist Marc Geigers Die träumende Stadt. Während man dem Verlauf der Geschichte gut folgen kann und alles klar zu sein scheint, wirft das Ende die Frage auf, ob man dem Erzähler trauen kann und ob man wirklich alle Informationen hat, die man als Leser bekommen sollte.

Treue ist ein ebensolches Beispiel. Während es in den meisten Geschichten wie bereits erwähnt um Schlachten, Rache und Macht geht, dreht sich der Höhepunkt dieser Geschichte um die Beziehung zwischen den drei Figuren und insbesondere ihre Loyalität zueinander. Es war die einzige Geschichte, die meinetwegen noch hätte weiter gehen können, da die Charaktere mir ungemein sympathisch waren; ein Aspekt, den leider nur die wenigsten Geschichten aufweisen. Das mag auch mit der Menge an (sinnloser) Gewalt zusammenhängen, die teilweise wirklich übertrieben scheint.

Frauen können keine Helden sein?

Was interessant und definitiv schade zu beobachten ist, ist die Tatsache, dass die Protagonistinnen nicht die gleiche heldenhafte Darstellung erfahren wie ihre männlichen Kollegen. Es gibt keine Heldinnen, denen man gemeinsam mit dem Erzähler in Schlachten folgt, die verwunschene Orte erkunden und für diejenigen einstehen, die sich selbst nicht helfen können. Ja, es gibt Frauen in den Geschichten. Aber bis auf wenige Ausnahmen sind sie lediglich Opfer von Gewalt oder Objekte sexueller Begierden. Elinor aus Karl-Heinz Zapfs Im bleichen Licht des Mondes ist eine solche Frau, die mehr ist als ein schönes Gesicht. Königin Anchares, zu finden in Die Nadel von Mario Steinmetz, führt ihr Heer selbst in die Schlacht und ist fähig, sich mit ihrem Gegner zu verbünden, um gemeinsam gegen den Nekromanten vorzugehen. Warum dieser Sieg allerdings noch in der Krypta mit Sex gefeiert werden muss, erschließt sich mir nicht ganz.

Nur Schwarz und Weiß?

Dass phantastische Romane oft klar zwischen Gut und Böse unterscheiden, ist an sich nichts Neues. Umso schöner und spannender ist es dann, wenn es diese klare Verteilung nicht gibt. Ein solches Beispiel aus der vorliegenden Anthologie ist B. C. Bolts Die Rosine im Kuchen. Die Charaktere und auch deren Gegner bewegen sich in einer erfrischenden Grauzone, die die Welt direkt interessanter wirken lässt.

Schreibstil

Die Stile variieren innerhalb der Anthologie, aber wenn man so viele Autoren innerhalb eines Bandes versammelt, ist das auch wünschenswert. Die meisten lassen sich gut lesen, aber es gibt auch Exemplare, durch die man sich ein wenig quält. Das letzte Lied von Anja Bagus besteht aus merkwürdig gestelzten Dialogen und versucht, dem Leser mit dem Holzhammer zu vermitteln, dass es sich um eine emotionale Situation für alle beteiligten Charaktere handelt.

Thorsten Küpers Beitrag Finde Frieden unter den geborstenen Monden scheint Mysterium und Geheimnis um jeden Preis kreieren und aufrecht erhalten zu wollen, aber auf Dauer wirkt der Stil leider sehr ermüdend. Judith und Christian Vogt schaffen es, in Das Geheimnis des Stahls eine poetische, märchenhafte Atmosphäre aufzubauen. Allerdings wirkt die künstlich altmodische Sprache schnell sperrig.

Zudem ist die Einteilung in kleinere „Kapitel“ nicht immer sinnvoll. Wiedergeburt von Florian Wehner ist ein solches Beispiel, denn das folgende Kapitel setzt oftmals direkt dort an, wo das vorhergehende aufgehört hat, ohne eine Veränderung in irgendeiner Art, die einen solchen Bruch rechtfertigen würde. Christel Schejas Der Weg einer Königin versucht auf diese Art Spannung zu erzeugen, indem manche der Kapitel mit Cliffhangern und den obligatorischen drei Punkten enden; ein Effekt, der an dieser Stelle beinahe lächerlich wirkt.

Die Autoren

Zwanzig Autoren haben Beiträge zu Blutroter Stahl beigesteuert. Diejenigen der Leser, die in der Buchhandlung öfter zu Autoren der deutschen Phantastik greifen, dürften einige dieser Namen bekannt vorkommen, während andere Autoren noch nicht ganz denselben Wirkkreis aufgebaut haben. Folgende Autoren sind mit ihren Geschichten vertreten: Christian Günther, Anja Bagus, Judith und Christian Vogt, Thorsten Küper, B. C. Bolt, Marc Geiger, Kay Noa, Tom Daut, Gloria H. Manderfeld, Daniel Isberner, Christel Scheja, Florian Wehner, Mike Krzywik-Groß, Peter Hohmann, Torsten Exter, Dominik Schmeller, Mario Steinmetz, Jörg Benne und Karl-Heinz Zapf.

Erscheinungsbild

Das Cover zeigt das Gesicht eines bärtigen Mannes, dessen eine Gesichtshälfte von einem blutigen, mit Runen verzierten Schwert bedeckt wird. Damit wird direkt das Thema des Buches klar gemacht. Das Papier ist dick und fühlt sich wertig an. Jede Geschichte beginnt auf der rechten Seite einer Doppelseite, deren linke die Zeichnung eines Schwertes ziert, das auf Fliesen in einer Blutlache liegt. Leider wird dieselbe Zeichnung für alle Geschichten verwendet; hier hätte ich mir gewünscht, dass jede Geschichte ein für sie passendes Bild bekommt, das den Inhalt schon anteast.

Das Lektorat enttäuscht allerdings gewaltig. Fehlende Leerzeichen oder ganze Worte. Namen, die innerhalb einer Geschichte unterschiedlich geschrieben werden. Autorennamen, die fehlerhaft geschrieben sind. Die Liste ist lang. Leider sind es allesamt Fehler, die den Anschein erwecken, als wäre nur flüchtig über den Text gelesen worden, anstatt sich fünf Minuten mehr Zeit zu nehmen und den Rotstift anzusetzen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore-Verlag
  • Herausgeber: Michael Quay, Ingo Schulze und André Skora
  • Erscheinungsdatum: 09. Juli 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover
  • Seitenanzahl: 380
  • ISBN: 978-3-96188-046-1
  • Preis: 14,95 EUR
  • Bezugsquelle Amazon

 

Fazit

Ich bin an die Anthologie sehr unbefangen herangegangen, da ich in den letzten Jahren vorwiegend englischsprachige Autoren lese, und mir einen Überblick über die deutsche Szene erhoffte. Mit Sword and Sorcery im Untertitel ist deutlich klar, worauf man sich thematisch einlässt, und generell habe ich mit diesem Zweig der Phantastik kein Problem. Die Anthologie enttäuschte allerdings. Nicht nur, dass das Lektorat teilweise wirklich eine Frechheit ist, sondern die Geschichten selbst sind oftmals nicht gut. Es gab sie, die Geschichten, die mich mit den Charakteren mitfiebern ließen, die mich neugierig machten auf die Welt, in der sie spielten. Aber das war leider nur ein kleiner Anteil. Versteht mich nicht falsch, ich erwarte keinen Heiligen Gral an Plot und Charakteren, an Wendungen und Höhepunkten. Aber ich möchte unterhalten werden und nicht das Gefühl haben, mich durch eine Geschichte kämpfen zu müssen.

Dazu kommt die Tatsache, dass diese Anthologie eine von männlichen Protagonisten dominierte ist. Ich erwarte nicht, dass jede Geschichte mit einer starken Frau aufwartet, aber ich hätte mir ein etwas ausgeglicheneres Verhältnis gewünscht.

 

Artikelbild: © Mantikore-Verlag, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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