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Der Dezember ist da, und wie jedes Jahr überlegen wir uns, welche Geschenke wir den lieben Menschen in unserem Leben unter den Baum legen. Im Rollenspielbereich ist die Auswahl groß, da fällt es oft schwer, sich festzulegen. Wir helfen mit einigen persönlichen Empfehlungen für strahlende Gesichter an Heiligabend.

Im Laufe des Jahres sehen wir uns bei den Teilzeithelden viele Rollenspielsysteme an – viel mehr, als eine einzelne Person finanziell und zeitlich stemmen könnte. Die Eindrücke und Erkenntnisse teilen wir immer gerne untereinander, indem wir One-shots spielen oder uns auf realen wie virtuellen Treffen austauschen.

Angestoßen durch die liebe Kollegin Marie, die schon viele Jahre Empfehlungen sammelt und ausspricht, wollen wir euch auch im Bereich Tischrollenspiel unsere Jahreshits präsentieren. Die Empfehlungen sind nicht nach Wertigkeit gestaffelt, sondern stehen gleichberechtigt in dieser Liste.

Felix empfiehlt: Die Mutant: Jahr Null-Reihe

Eine Welt in Ruinen, zerschmettert von einer apokalyptischen Katastrophe. Erbarmungsloser Kampf um die verbliebenen Ressourcen. Die letzten Menschen verschanzen sich in Bunkerenklaven, die Erdoberfläche wird bevölkert von Mutanten und Robotern. Willkommen in der Welt von Mutant, meinem Rollenspielhighlight 2019!

Mutant: Jahr Null Grundregelwerk ©Uhrwerk Verlag/Modiphius
Mutant: Jahr Null Grundregelwerk ©Uhrwerk Verlag/Modiphius

Zugegeben, das eigentliche Grundregelwerk, Mutant: Jahr Null, ist schon vor einiger Zeit erschienen, aber die Mutant-Reihe geht einen ungewöhnlichen Weg. 2019 erschien das vierte autark nutzbare Regelwerk, Mutant: Elysium, das es nach den Mensch- und Tiermutanten sowie selbstbewussten Robotern jetzt ermöglicht, die Bunkerbewohner aus dem Erdinneren zu verkörpern. All diese Regelbücher sind allein nutzbar, lassen sich aber auch von Beginn an oder im Lauf einer Kampagne miteinander kombinieren.

Das Ergebnis sind verschiedenste Spielmodi, die es ermöglichen, ein ganz persönliches Ödland zu erschaffen und zu bespielen. Ob Ausbruch aus dem Reservat, Einsatzteam der Bunker-Exekutive oder Agenten einer künstlichen Intelligenz – wer das postapokalyptische Genre mag, wird in der Rollenspielreihe von Fria Ligan bestens bedient. Selbst eine eigene Siedlung bietet das Grundregelwerk, die nach eigenen Regeln ausgebaut und entwickelt werden kann.

Die vier Regelwerke und diversen Zusatzbände enthalten spielbereite Kampagnen und zahlreiche Einzelszenarien sowie einen Metaplot, der von Buch zu Buch erweitert wird, aber auf Wunsch auch gänzlich ignoriert werden kann. Die Geschichten in der Welt von Mutant werden stets von den Entscheidungen der Spieler*innen vorangetrieben. Ein simples Regelsystem, das die Härte der Postapokalypse hervorragend abbildet, ergänzt das stimmungsvolle Setting optimal.

Eine atmosphärische Spielwelt, ein tolles Regelsystem, Unmengen an sinnvollem Spielmaterial und nicht zuletzt endzeitliche Härte mit einem Hang zum schwarzen Humor machen Mutant zu einem Muss für alle Endzeit-Fans!

Luise empfiehlt: John Carter of Mars

Eine fremdartige Welt, bevölkert von phantastisch anmutenden Wesen, mit anderen Naturgesetzen und einer faszinierenden Geschichte: Das ist der Mars in Edgar Rice Burroughs’ Geschichten über einen Südstaatengentleman, den es auf mysteriöse Weise auf den Roten Planeten verschlägt.

Die Welt von John Carter of Mars begeistert Fans des Pulp-Genres seit mehr als einem Jahrhundert.

Es ist fast schon überraschend, dass das Setting erst dieses Jahr in ein Rollenspielsystem umgesetzt wurde. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Geschrieben von Burroughs-Fan Jack Norris und basierend auf Modiphius’ 2D20-System ist John Carter of Mars ein gut durchdachtes und detailreiches Grundregelwerk geworden, das eine breite Palette an Spielmöglichkeiten gibt. Das Regelsystem besitzt viele narrative Elemente und ist intuitiv zu verstehen.

John Carter of Mars Core Rulebook ©Modiphius

Für mich ist John Carter vor allem deswegen das Jahreshighlight, weil es die Welt von Barsoom – wie der Mars von seinen Bewohnern genannt wird – sowohl für Rice-Burroughs-Expert*innen als auch für Neulinge wie mich zugänglich macht. Das liegt sicher zu guten Teilen an Jack Norris’ gut lesbarem Schreibstil.

Ein weiterer Pluspunkt ist, dass das System keine plumpen Gut/Böse-Dichotomien vorgibt: Mehrere menschenähnliche Völker kämpfen auf Barsoom um Ressourcen, die politische Vorherrschaft oder Ruhm und Ehre, aber das Rollenspiel zielt explizit nicht darauf ab, hier eine Seite zu beziehen und sich in den Kampf zu werfen. Viel eher sieht es vor, dass Charaktere die verschiedenen Kulturen von Barsoom kennenlernen, gemeinsam Abenteuer erleben und das Richtige tun. Die Details sind dabei frei zu gestalten und lassen der Spielleitung viel Raum zur Entfaltung der eigenen Kreativität. Absolute Geschenkempfehlung für Pulp-Rollenspiel-Freund*innen und die, die es noch werden könnten.

Marc empfiehlt: So tief die schwere See

So tief die schwere See erschien dieses Jahr in deutscher Sprache bei System Matters. Passend zum Herbst entführte dieses erzähllastige Rollenspiel die Spieler*innen ins karge Nordbritannien, wo vor 200 Jahren einfache Seeleute und Bauern mit den Auswirkungen der Industrialisierung zu kämpfen hatten.

So tief die schwere See ©System Matters

Das Rollenspiel mischt diesen historischen Hintergrund mit mythischer Folklore, was subtile übernatürliche Elemente im Spiel erlaubt. Dass aber selbst diese angesichts des Überlebenskampfes verblassen, der sowohl in früh-kapitalistischen Strukturen als auch in der rauen Natur stattfindet, verstärkt die melancholische Note von So tief die schwere See noch mehr. Es entsteht der Eindruck, dass etwas unwiderruflich verloren gegangen ist und selbst noble Heldentaten die triste Stimmung nicht vertreiben mögen.

Die Spielcharaktere können aber in kleinen Erfolgen Trost finden. Sie übernehmen verschiedene Rollen einer Schiffsbesatzung, von Kapitän und Bootsmann bis zum Blinden Passagier und Schiffsarzt. Frei wählbare Motive geben dem Charakter mehr Tiefe, lassen ihn Fromm oder Geächtet sein. Die Spieler*innen gestalten die Details der Spielwelt mit und lassen sie mit jeder Aktion ein bisschen mehr zum Leben erwachen.

Auf Basis der unkomplizierten PbtA-Regeln entsteht somit die Möglichkeit, einer bewusst trostlos gegebenen Spielwelt intensives Leben und gar eine spirituelle, katharische Note zu geben. Gerade in der Abgeschiedenheit der dunklen Feiertagsnächte können mit So tief die schwere See dadurch unvergessliche Spielrunden entstehen. Also los die Leinen und auf ins Unbekannte.

Norbert empfiehlt: Die Verbotenen Lande

Das Crowdfunding von Die Verbotenen Lande ist noch nicht lange ausgeliefert, und ob es noch rechtzeitig in den Läden liegen wird, bevor der Weihnachtsmann durch den Kamin rutscht, ist fraglich. Doch mich hat seit langem kein Fantasy-Setting so gepackt wie dieses – deswegen empfehle ich es mit Nachdruck.

Die Verbotenen Lande Basisbox ©Uhrwerk Verlag/Fria Ligan

Eine Low-Fantasy-Welt mit interessanter Geschichte und tödlichen Gegnern erwartet Rollenspieler*innen in der Basisbox der Verbotenen Lande. Die Völker waren lange in ihren Dörfern und Städten gefangen, denn der Blutnebel, der 300 Jahre lang jede Nacht aufzog, fraß all jene, die nicht an ihrer Heimstatt weilten – mit wenigen Ausnahmen. Die Rostbrüder zum Beispiel, die dem Gott Rost und der Göttin Häma huldigen, kamen immer unbeschadet hindurch und erlangten auf diese Weise großen Einfluss.

Nachdem sich der Nebel aber jüngst verzogen hat, ziehen all jene aus, die es nicht mehr in der Beengtheit der heimischen Dorfgemeinde aushalten können, und suchen als Abenteurer ihr Glück. Ob Zwerge, Menschen, Goblins oder Elfen, Jägerinnen, Reiter, Händlerinnen oder Zauberer, alle haben ihre eigenen Gründe.

Der Fokus des Spiels liegt auf der Erforschung eines Landes, in dem die Bevölkerung hunderte von Jahren in isolierten Gemeinden lebten, denn weiter als einen halben Tag konnte man nicht reisen, ehe man zur Umkehr gezwungen war.

Das Spiel ermutigt Spieler*innen, eigene Ideen einzubringen, mutig zu sein und intensives Charakterspiel zu betreiben, stellt sie aber auch vor die Herausforderung, das eigene Überleben gewährleisten zu müssen. Es drohen, Hunger, Kälte, Räuber und noch schlimmere Gefahren.

Basierend auf dem MY0-System von Fria Ligan ist das OSR-Spiel Die Verbotenen Lande einfach großartig geworden. Mit intelligenten Ideen werden alte Probleme des Genres angegangen und aufgelöst, die Atmosphäre ist dicht und lebhaft, und die abwechslungsreiche Spielwelt nimmt einen ganz in Beschlag. Fantasy wie früher – nur besser!

Norbert empfiehlt: Roll Inclusive

Kein Rollenspielsystem, sondern Theorie: Roll Inclusive – Diversity und Repräsentation im Rollenspiel. Seitdem es auf dem Markt ist, wurde darüber unfassbar viel geschrieben. Dabei gehen die Meinungen von „Wer braucht denn sowas?“ bis zu „Wer nicht alles berücksichtigt, was in den Essays steht, ist ein Unmensch.“ Wie so oft liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.

Roll Inclusive – Diversity und Repräsentation im Rollenspiel ©Feder & Schwert

In der Essaysammlung aus dem Hause Feder & Schwert geht es den Herausgeber*innen und Autor*innen nicht darum, allumfassende Lösungen zu geben, sondern das Thema Diversität und Repräsentation im Rollenspiel anzusprechen und Licht ins Dunkel zu bringen. Damit beginnt der Wandel in der Gesellschaft.

Sind wir mal ehrlich: Vor einigen Jahren haben sich nur wenige darüber Gedanken gemacht, ob und wie sich jede*r Spieler*in in einer Spielwelt wiederfinden kann. Erst seit Kurzem beschäftigen wir uns mehr und mehr mit Kultursensibilität, Barrierefreiheit, gerechter Darstellung geschlechtlicher Vielfalt und all den anderen Dingen, die für so viele Menschen nie ein Problem darstellten.

Als ich die Essays das erste Mal las, habe ich unfassbar viel mitgenommen und sofort angefangen, meine bestehenden Runden und erschaffenen Welten zu verändern. Ich habe, wie auch viele andere, begonnen, bewusster darauf zu achten, jeder Person die Möglichkeit der Repräsentation in diesen Welten zu geben.

Egal, was man von dem Thema hält: Im Sinne des gemeinschaftlichen Miteinanders und der Akzeptanz ist diese Essaysammlung eine Bereicherung für das Bücherregal und vor allem für unser Denken und Handeln.

 

Artikelbilder: genannte Verlage, Depositphotos | © jeka2009

 

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