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Pünktlich zu Halloween erschien der zweite der Teil der Horrorspiel-Anthologie The Dark Pictures namens Little Hope. Diesmal begleiten wir einen Professor und vier seiner Studierenden in eine unheimliche Geisterstadt. Schaffen es Supermassive Games, auch mit der dritten Auflage der altbewährten Formel zu überzeugen?

2015 brachten Supermassive Games mit Until Dawn ihren ersten Multiperspektiven-Horror-Slasher raus (mehr dazu erfahrt ihr in unserem Artikel über Singleplayer-Spiele, die auch zu zweit Spaß machen). Dieser war damals noch als Singleplayer-Spiel konzipiert, aber per Controller-Weitergabe ebenso gut im Team spielbar. Darin begleiteten wir eine Gruppe Jugendlicher, die gemeinsam Urlaub in einer einsamen Hütte im Gebirge machen, wo ein Mörder sein Unwesen treibt. Das Spiel überzeugte, indem es das Horror-Genre neu dachte. Statt Horden von Ungeheuern und Zombies mit schweren Geschützen und begrenzter Munition den Garaus zu machen, geht es hier um das nackte Überleben – und um unsere Entscheidungen im Drama zwischen den Charakteren.

Vier Jahre später knüpfte die Spieleschmiede mit dem Auftakt der The Dark Pictures-Anthologie an den Erfolg an. Das Versprechen der Reihe: Jedes Spiel eine völlig neue Geschichte. In Man of Medan verschlägt es uns auf ein Geisterschiff aus dem zweiten Weltkrieg. Die Formel der Spiele ist so simpel wie effektiv: Ein klassisches Horror-Setting mit einer Truppe spielbarer Charaktere, deren Entscheidungen und Beziehungen Auswirkungen auf das Spielerlebnis und letztlich auf das Endergebnis haben. Der Clou: Alle können sterben, alle können leben – es liegt in unserer Hand.

Die Atmosphäre in der Stadt lässt Schlüsse darauf zu, ob ihr Name „Kleine Hoffnung“ oder „Wenig Hoffnung“ bedeutet.

Bereits am Ende von Man of Medan wurden wir mit einem Teaser für den nächsten Teil der Reihe belohnt. Und zu Halloween 2020 kam die nächste Iteration des bewährten Spielprinzips. Wie viel Angst kann The Dark Pictures: Little Hope uns einjagen – und noch viel wichtiger: Wie groß ist der Gruselspaß?

Little Hope: Zwischen Salem und Silent Hill

Wie bereits im ersten Teil gibt es bei The Dark Pictures: Little Hope einen Prolog, der zwar mit der restlichen Geschichte zusammenhängt, sich aber erst einmal losgelöst vom eigentlichen Spielgeschehen ereignet. Darin betrachten wir kurz eine dysfunktionale Familie aus den Siebzigern, bevor wir uns der eigentlichen Geschichte widmen.

Wir springen in die heutige Zeit und schlüpfen in die Rollen eines Professors und vier seiner Studierenden, die auf einer Exkursion einen Umweg durch die namensgebende Kleinstadt Little Hope machen müssen. Natürlich läuft dabei nicht alles nach Plan, wir stranden in der verlassenen Stadt und ein übernatürlicher Nebel hindert uns daran, sie zu verlassen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als tiefer in die Stadt zu dringen.

Während wir uns durch Little Hope schlagen, begegnen wir allerlei unheimlichen Phänomenen. So werden unsere Charaktere immer wieder in düstere Visionen aus der Zeit der Hexenverfolgung gesogen. Doch damit nicht genug: Groteske Dämonen verfolgen uns durch die neblige Nacht und wollen uns an den Kragen.

Im Menü können wir uns wichtige Handlungsverläufe in Erinnerung rufen.

Nach und nach erfahren wir mehr über die düstere Vergangenheit von Little Hope und lernen dabei auch die Hauptcharaktere näher kennen. Mehr noch: Durch die Entscheidungen, die wir treffen, und die Dialoge, die wir führen, formen wir ihre Charakterzüge und Beziehungen untereinander. Damit beeinflussen wir teilweise das unmittelbare Spielgeschehen und teilweise das Endergebnis.

Die Atmosphäre und Schreck-Momente ziehen uns in das Geschehen.

Die Atmosphäre des Spiels erinnert stark an Silent Hill: Ängstlich wandern wir durch die neblige Stadt, steigen in verlassene Gebäude ein und stellen uns unseren Ängsten, um einen Weg aus diesem Horror zu finden. Oft sind die Taschenlampen an unseren Handys die einzige Lichtquelle, während wir unseren Weg durch finstere Räume und den unheilvoll raschelnden und knackenden Wald bahnen.

Horror-Adventure trifft auf interaktiven Film

Das Spiel ist in Szenen aufgeteilt, die wir aus den Augen der unterschiedlichen Charaktere miterleben. Dabei schlüpfen wir bei jedem Szenenwechsel in einen anderen Charakter und spielen aus dessen Perspektive. Das Gameplay steht dabei auf drei grundlegenden Säulen: Dialoge, Action-Sequenzen und Erkundung.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?

Während der Gespräche können wir uns für verschiedene Dialogoptionen entscheiden. So wird gleich zu Beginn die Frage aufgeworfen, ob sich die Gruppe aufteilen soll. Nicht alle Entscheidungen sind unmittelbar spielverändernd – die getroffenen Aussagen haben aber meist eine Auswirkung auf die Beziehungen der Charaktere untereinander oder wirken sich auf die Ausprägung der Charaktereigenschaften aus.

Momentan ist Taylor noch hoffnungsvoll – doch das kann sich schnell ändern.

Diese können wiederum beeinflussen, wie die Charaktere sich verhalten, wenn wir sie gerade nicht steuern. Die Dialoge sind insgesamt gut gelungen; an einigen Stellen fällt jedoch auf, dass sie merkwürdig abgehackt sind. Beispielsweise wechseln die Charaktere an einigen Stellen abrupt das Thema, obwohl es nicht in den Gesprächsverlauf passt. Das ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass sich das Spielgeschehen auf Basis der Entscheidungen verändert und Charaktere früher im Spiel bereits ausgeschieden sein können.

Ob wir uns richtig entscheiden, sehen wir manchmal erst, wenn es bereits zu spät ist.

Eingefleischte Rollenspieler*innen werden ihren Spaß dabei haben, Entscheidungen zu treffen, die zu den Eigenschaften der Charaktere passen. Leider steht das mitunter in direktem Widerspruch zum eigentlichen Ziel – nämlich, dass alle Charaktere überleben. Wir müssen uns also entscheiden: Spielen wir für die beste Geschichte oder für das optimale Ende? Wichtig zu betonen ist noch, dass es auch stets eine Option ist, nichts zu tun oder zu sagen, sei es während einer Action-Sequenz oder im Dialog.

Action: Kreative Steuermöglichkeiten

Während der Action-Sequenzen wirft uns das Spiel unterschiedliche Hindernisse in den Weg. So gibt es Quick-Time-Events, bei denen es gilt, zur richtigen Zeit die richtigen Knöpfe zu drücken. Das geschieht vor allem bei Verfolgungsjagden. In Kampfsituationen kommt es auch dazu, dass wir zielen müssen, um dem Gegner einen Schlag oder einen Tritt zu verpassen. An anderen Stellen ist es außerdem notwendig, sich zu verstecken – dazu müssen bestimmte Tasten in einem vorgegebenen Rhythmus gedrückt werden, damit der Charakter stillhält.

Zusätzlich zur Pulskurve hören wir noch den schneller werdenden Herzschlag als Hinweis, wann wir die Knöpfe drücken müssen.

Die Spannung der Action-Sequenzen überträgt sich ausgezeichnet vom Bildschirm auf die Spielenden. Auch hier gibt es an einigen Stellen die Möglichkeit, bewusste Entscheidungen zu treffen: Mal müssen wir auswählen, welchem von zwei Charakteren wir helfen, an anderen Stellen haben wir sogar die Wahl zwischen heldenhafter Aufopferung und dem Flehen um Hilfe.

Erkunden: Die Geschichte in Puzzleteilen

Zuletzt gibt es noch die Möglichkeit der Erkundung. In diesen Phasen steuert man die Charaktere durch unheimliche Wälder und Gebäude. Kleine Leuchtpunkte zeigen uns hier Möglichkeiten der Interaktion an. Dabei gibt es Hinweise in Form von Büchern, Zeitungsartikeln und Flyern zu finden. Diese tragen zum Verständnis der Geschichte oder der Atmosphäre bei. Anders als bei vielen Spielen mit vergleichbaren Aspekten macht es tatsächlich Spaß, über den Hinweisen zu rätseln und daraus Theorien über die Hintergründe der Geschichte abzuleiten.

Manchmal erschließt sich uns die Bedeutung der Hinweise erst später.

Darüber hinaus gibt es auch an vielen Orten Postkarten. Diese geben uns anhand kurzer Szenen Einblicke in die mögliche Zukunft und sollen dabei helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Leider sind diese meist nur wenig hilfreich, da nur mögliche Ergebnisse gezeigt werden, nicht aber die Entscheidungen, die dazu führen. An einigen Orten gibt es auch Gegenstände, die mitgenommen werden können. Diese können im weiteren Verlauf des Spiels Hinweise zur Spielgeschichte liefern oder als Waffen dienen. Manchmal können die mitgenommenen Gegenstände aber auch zu unerwarteten Konsequenzen führen.

Features und Performance

The Dark Pictures: Little Hope kann von bis zu fünf Personen gespielt werden – dazu werden die Charaktere auf die Mitspielenden aufgeteilt. Die „Geteilte Geschichte“ ist dabei die Online-Variante, während im „Filmabend“-Modus lokal gespielt und der Controller beim Charakterwechsel weitergegeben wird. Das funktioniert im Großen und Ganzen sehr gut. Eine interessante Entscheidung ist jedoch, dass während der Action-Sequenzen teilweise häufiger zwischen zwei Charakteren gewechselt wird. Das ermöglicht zwar spannende Szenen, die sich auf diese Weise noch dynamischer anfühlen, im Multiplayer-Modus wirft das allerdings auch gegebenenfalls das Problem auf, dass Spielende zeitweise für die Charaktere anderer verantwortlich sind. Das erhöht den Druck und könnte dazu führen, dass jemand für den Tod eines Charakters verantwortlich ist, der eigentlich von einer anderen Person gespielt wurde.

Während einige Mechaniken der vorigen Spiele überarbeitet oder erweitert wurden, bleibt die Steuerung unkompliziert und leicht zu erlernen. Die unterschiedlichen Eingaben werden stressfrei in unkritischen Situationen vermittelt, sodass auch Neueinsteiger*innen keine Probleme haben sollten, ins Spiel zu kommen.

Da die Geschichte viele bewegliche Teile hat und sich allerlei kleine und große Entscheidungen auf den Verlauf der Geschichte auswirken, kann es sich lohnen, das Spiel mehrfach zu spielen. Nach dem Durchspielen haben Spielende alternativ die Möglichkeit, an eine bestimmte Stelle der Geschichte zurückzukehren und von dort an einen neuen Spielstand zu bespielen. Dies ermöglicht, auf alternative Enden hinzuarbeiten, ohne das gesamte Spiel noch einmal spielen zu müssen.

Auf der PlayStation 4 lief das Spiel flüssig und sah ordentlich aus. Darüber hinaus konnten wir keine Performance-Einbuße oder Bugs feststellen.

Der bessere Horrorfilm

Optisch macht The Dark Pictures: Little Hope einiges her. Zwar wirken die Bewegungen und Gesichtsausdrücke manchmal etwas unnatürlich, dennoch macht das Spiel den Eindruck einer hochwertigen Produktion. Einzig die Feuer-Animationen, die an mehreren Stellen vorkommen, sehen wirklich absurd schlecht aus.

Die wahre Stärke des Spiels liegt aber ohnehin in der Inszenierung. Action-Sequenzen sorgen buchstäblich für Herzrasen und der Spannungsbogen baut sich unterstützt von Vertonung und Szenenwahl hervorragend auf. Es ist Supermassive Games erneut gelungen, ein Spiel mit packend gruseliger Atmosphäre und einem hohen Immersionsgrad zu schaffen. Zweckdienlich sind auch die Jumpscares, von denen es einige gibt. Doch bei allem Grusel ist klar, dass die mitreißende Geschichte und die schwierigen Entscheidungen im Mittelpunkt stehen.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Supermassive Games
  • Publisher: BANDAI NAMCO
  • Plattform: PC, Xbox One, PlayStation 4
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Spanisch, Arabisch
  • Mindestanforderungen: Windows 10 64bit, Intel Core i5-3470 oder AMD FX-8350, 8 GB RAM, NVIDIA GeForce GTX 750 Ti oder AMD Radeon HD 8570, DirectX: Version 12, 80 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Releasedatum: 30.2020
  • Spielstunden: 6+ abhängig vom Spielstil und der Anzahl der Durchläufe
  • Spieler*innenanzahl: 1-5
  • Altersfreigabe: 18 Jahre
  • Preis: 29,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Mit The Dark Pictures: Little Hope haben Supermassive Games auf Prinzipien und Konzepten der Spiele Until Dawn und The Dark Pictures: Man of Medan aufgebaut. Wir erleben darin eine völlig neue Geschichte mit bekannten, leicht überarbeiteten Mechaniken. Abwechselnd schlüpfen wir in unterschiedliche Charaktere und erkunden die Geisterstadt Little Hope, in der Monster ihr Unwesen treiben und uns Visionen einer vergangenen Zeit plagen.

Unsere Entscheidungen wirken sich auf das Spielgeschehen aus und formen damit auch das Ende der Geschichte. Supermassive Games haben es auch diesmal wieder geschafft, eine packende Story mit unerwarteten Wendungen zu kreieren.

Alles in Allem ist das Spiel äußerst gelungen. Die Atmosphäre reißt Spielende ins Geschehen und erzeugt echten Nervenkitzel. Die vielschichtige Story mit zahlreichen Verzweigungen zeugt von einer Menge Hirnschmalz, der in die Entwicklung gesteckt wurde. Nach dem Durchspielen haben wir uns noch einige Zeit über die Geschichte und die unterschiedlichen Entscheidungen unterhalten.

Für rund dreißig Euro ist das Spiel im Hinblick auf die Spieldauer von etwa sechs Stunden kein Schnäppchen. Spielende, die alle möglichen Varianten erkunden wollen, kommen hier eher auf ihre Kosten. Auf der anderen Seite ist das Spiel nicht wesentlich teurer als ein guter Escape Room, in dem man auch nur sechzig Minuten verbringt, und macht dabei mindestens genauso viel Spaß. Während Little Hope sicher nichts für zarte Gemüter ist, können wir allen anderen einen Besuch ausdrücklich empfehlen.

Artikelbilder: © Supermassive Games
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Susanne Stark
Screenshots: Milanko Doroski
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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