Der Betrachter Xanathar lässt uns einen Blick in seine Schatzkiste werfen. Was werden angehende Abenteurer*innen in diesem Band entdeckten? Und zu welchen Kosten? Welch neue Karrieren und Lebenswege tun sich für Held*innen auf? Und welchen Preis haben Goldfischgläser in Waterdeep? In diesem Band finden wir es vielleicht heraus.
Xanathars Ratgeber für Alles ist kein neues Buch. Dieser grundlegende Ergänzungsband kam bereits in den Frühzeiten der derzeitigen fünften Edition von Dungeons & Dragons heraus: in den grauen Tagen der hohen Altvorderen, dem November 2017. Ganze vier Jahre später, im November 2021, erschien nun die überarbeitete Auflage in deutscher Sprache direkt von Wizards of the Coast. Die erste Übersetzung war von Ulisses Spiele. Besonders Spieler*innen, die sich mit der englischen Sprache schwertun (oder ganz einfach lieber auf Deutsch lesen), wird das freuen.
Was findet man in diesem Ergänzungsband zu Dungeons & Dragons? In jedem Falle Optionalregeln, darauf weisen die Autor*innen ganz zu Beginn hin: „Es handelt sich hierbei nicht um ein viertes Grundregelwerk“. Dennoch ist allein die Fülle an Spielmaterial einen (oder acht) Blicke wert.
Inhaltsverzeichnis
Die zehn Grundregeln von Dungeons & Dragons
Der Band startet mit zehn grundlegenden Faustregeln für Dungeons & Dragons, welche das Spiel wesentlich flüssiger gestalten sollen, wie beispielsweise die Wahl des rechten Zeitpunkts für Bonusaktionen und Reaktionen, die korrekte Handhabung von Konzentration, die Tatsache, dass immer abgerundet wird, Ausnahmen schlagen Allgemeingültiges. Das meiste wird für Veteran*innen des Spieles nichts Neues mehr sein, aber es ist ganz gut (und besonders für Neulinge nützlich), wenn man das noch einmal besprochen hat.
Neue Klassenoptionen
Hier greift Xanathars Ratgeber für Alles ziemlich in die Vollen. Für die zwölf Grundklassen aus dem Spielerhandbuch gibt es insgesamt ganze 31 neue Unterklassen zum Ausprobieren. Leider wurden diese neuen Optionen nicht gleichmäßig unter den grundlegenden Klassen aufgeteilt. Während die armen Magier*innen lediglich mit der neuen Kriegsmagie vorliebnehmen müssen, können beispielsweise Schurk*innen aus den neuen Unterkategorien Draufgänger*in, Ermittler*in, Späher*in und Strippenzieher*in auswählen. Die anderen Klassen liegen mit zwei bis drei neuen Optionen dazwischen. Es wäre schön gewesen, wenn jede Klasse drei weitere Optionen bekommen hätte, aber das Ungleichgewicht in der Verteilung ist verschmerzbar.
Die neuen Auswahlmöglichkeiten bestechen durch ihre große Bandbreite. Egal, ob man eine*n eher hochmagisch, druidisch oder klassisch kämpferisch orientierte*n Barbaren*in spielen möchte: Man wird eine Zeitlang zu tun haben, ehe alle für eine*n Spieler*in interessanten Optionen durchgespielt sind. Ganz genau wie in Tashas Cauldron of Everything kommentiert der namensgebende Schurke Xanathar auch hier die unterschiedlichen Einträge im Band. Anfangs sind seine Einträge durchaus unterhaltsam zu lesen (denn wer möchte sich nicht in die Perspektive eines größenwahnsinnigen Betrachters versetzen?), aber nach einiger Zeit werden sie eher mühsam – wenn man eine Charakterklasse spielen möchte, möchte man eigentlich keine herablassenden Kommentare als Einleitung zur Klassenbeschreibung lesen. Das macht die Klasse, die man spielen möchte, etwas weniger heroisch. Etwas weniger moderne Dekonstruktion der Held*innen wäre hier vielleicht mehr gewesen.
Die Vergangenheit des Charakters
„Also, woher kommst du?“ – Xanathar
Wer war der Charakter, bevor er ein*e Held*in wurde? Warum wurde er dazu? Was hat sie*ihn angetrieben, als er*sie ein Kind war? Gibt es vielleicht noch eine Familie oder Freund*innen aus der Zeit, bevor er auf Abenteuer auszog?
Xanathars Ratgeber für Alles beinhaltet in diesem Kapitel umfangreiche Tabellen für Fragen dieser Art. Neben dem familiären Werdegang gibt es für die unterschiedlichen Klassen Optionen, warum man eigentlich beispielsweise ein*e Kämpfer*in wurde. Diese kann man auswürfeln oder selbst auswählen und sind rein optional. Durch ihre generischen Möglichkeiten können auch Spieler*innen anderer Systeme Anregungen für die Herkunft ihrer Charaktere finden. Spielleiter*innen hingegen bekommen einen netten Baukasten für ihre NSC.
Außergewöhnliche Lebensereignisse runden dieses Kapitel ab. Das kann etwas Außergewöhnliches wie die Begegnung mit einem Halbgott oder etwas Alltägliches wie ein Mord sein. Die vorgeschlagenen Ereignisse sind zum größten Teil interessant und bereichern den Hintergrund eines Charakters – lediglich das Ereignis Du hast dich von einem Teufel in Versuchung führen lassen. Du rutscht eine Stufe auf der Gesinnungsschablone nach unten (wenn du nicht schon böse bist) und bekommst etwas Gold extra kann ein Charakterkonzept ziemlich schnell ruinieren, wenn der*die Spieler*in nicht darauf vorbereitet ist. Speziell Paladin*innen dürften das gar nicht gut verkraften.
Werkzeuge der Spielleitung
Welchen Schaden nimmt eine stürzende Kreatur? Wie weckt man eine schlafende Kreatur? Wie bindet man Knoten? Das Kapitel Handwerkszeug des Spielleiters beginnt mit einem Abschnitt, der eher an Das Schwarze Auge 4.1 mit seinem wachen Auge für detaillierte Regelphexerei denn an das ansonsten etwas zugänglichere Dungeons & Dragons mit seinem Ameritrash-Charme erinnert.
Doch diese ausführliche Regelbetrachtung von Details des Abenteurer*innenlebens ist eher kurzgehalten. Ergänzt wird das Kapitel durch die detaillierte Aufschlüsselung diversem Handwerkszeuge der Charaktere wie Alchemielabore, Brauereivorräte, Kochutensilien, Schreinereiwerkzeuge und weitere. Besonders schön ist, dass auch mundane und nicht nur phantastische Werkzugsets betrachtet werden. Der Fokus liegt bei diesen Beschreibungen auf den unterschiedlichen Werten, die erwürfelt werden müssen, um bestimmte Dinge zu erreichen. Bei komplexeren Unternehmungen können diese Schwellenwerte, die nach Art des Werkzeuges und Ziel variieren, auch mal etwas fordernder werden. Möglicherweise wäre der Verweis auf das Spielerhandbuch ausreichend gewesen, welches besagt, dass Werte von 14 für einfachere und 18 für herausfordernde Unternehmungen auszuwürfeln sind.
Die passende Herausforderung für Held*innen
Ein besonders spannender Ansatz findet sich gleich im Anschluss. Xanathars Ratgeber für Alles bietet einen recht komplexen Baukasten für die Gestaltung fairer Monsterbegegnungen, also Kämpfe. Durch die unglaubliche Menge an potenziellen Monstern in Dungeons & Dragons ist das natürlich nur als Annäherung möglich, aber man versucht hier, anhand der Monster- und Gruppenlevel eine herausfordernde, aber schaffbare Konfrontation zu ermöglichen. Indem die Level der Charaktere mit dem Level der Monster gegengerechnet werden (mit Abstufungen, wenn es etwas knackiger oder leichter werden soll), möchte man hier Fairness schaffen.
Ergänzt wird dieses Kapitel durch weitere Tabellen. In welcher Beziehung stehen die Monster zu den Held*innen? Welche Persönlichkeit haben sie eigentlich (nicht jede Begegnung mit einem Monster muss unbedingt mit einem Kampf enden)?
Abgestuft nach Umgebung (Arktis, Berge, Grasland, Hügel, Küste, Stadt, Sumpf, Underdark, Unterwasser, Wald und Wüste) und Level der Charaktere (insgesamt vier unterschiedliche Machtstufen werden hier angeboten) kann man eine Unzahl an potenziellen Begegnungen auswürfeln. In den Listen sind nicht nur zu bekämpfende Monster, sondern auch neue NSC oder geheimnisvolle, zu erkundende Orte aufgelistet. Die Listen versprühen ein wenig den Charme von Advanced Dungeons & Dragons mit seinen wandernden Monstern. Aber wie schon zu Beginn gesagt, versteht sich der gesamte Band lediglich als eine Auflistung von Vorschlägen, um das Spiel etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Und Abwechslung bieten diese Listen sehr wohl.
Im Fall des Falles – Fallen für jeden Fall
Wie stellt man seinen Spieler*innen eine interessante Falle? Sie an den Spieltisch zu locken war nur der erste Schritt, aber im Spiel müssen ihren Charakteren spannende und überwindbare Hindernisse gestellt werden. Simple Fangeisen, Nadelwalzen, Säurespucker und wandernde Schwiegermütter (diese sind leider nicht enthalten) sind nur eine kleine Auswahl der todbringenden Fallen eines ordentlichen Dungeons. Hier unterscheidet der Band in einfache und komplexere Fallen. Dungeons & Dragons hat nicht umsonst den Ruf, manche der fiesesten Dungeons des Hobbys Pen-and-Paper in petto zu haben.
Und zwischen den Abenteuern?
Natürlich haben Abenteurer*innen auch zwischen dem Einsatz im Dungeon und anderen Wagnissen viel zu tun. Im Abschnitt Aktivitäten zwischen den Abenteuern finden sich Vorschläge, was die Charaktere zwischen einzelnen Expeditionen unternehmen können – einer regelmäßigen Arbeit nachgehen, Gegenstände herstellen, magische Gegenstände erwerben, einen Grubenkampf absolvieren oder einen Gottesdienst besuchen seien hier beispielhaft angeführt. Das alles sind Tätigkeiten, die man zwar ausspielen, aber auch mittels Würfelwurf schneller abhandeln kann, wenn man nicht jeden einzelnen Schritt ausspielen möchte (oder ein wenig die Zeit straffen will, um wieder schnell ins Abenteuer zu finden).
Zwei eigene, umfangreiche Kapitel sind neuen magischen Gegenständen und Zaubern gewidmet. Jede Charakterklasse erhält neue Zauber, allerdings sind diese auch hier leider nicht gerecht verteilt. Während Kleriker*innen lediglich sieben neue Zauber erhalten, sind es bei den Druid*innen immerhin vierzig. Paladin*innen müssen sich mit ganzen drei neuen Zaubern zufriedengeben. Die von Haus aus hochmagischen Klassen haben hier definitiv eine bevorzugte Behandlung erfahren. Die insgesamt 95 neuen Zauber werden in aller Ausführlichkeit beschrieben. Auch hier wird man einiges an Spielzeit aufwenden müssen, um nur ein paar der interessantesten Optionen ausprobieren zu können.
Das Buch endet mit mehreren Namenslisten (männlich, weiblich und Familiennamen) für mehrere Fantasy-Völker und irdische Kulturen aus aller Welt. Hier liegt der Fokus eher auf gegenwärtigen Kulturen, es ist aber auch möglich, lateinische oder (alt-)ägyptische Namen zu wählen.
- Verlag: Wizards of the Coast
- Autor(en): Leitende Entwickler Jeremy Crawford, Mike Mearls
- Erscheinungsjahr: November 2021 (deutsche Version)
- Sprache: Deutsch
- Format: Hardcover
- Seitenanzahl: 192
- ISBN: 978-0-7869-6781-0
- Preis: ca. 40 EUR
- Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, Sphärenmeister
Fazit
Xanathars Ratgeber für Alles ist trotz seines schmalen Umfanges sehr dicht mit hilfreichen Informationen für eine Runde Dungeons & Dragons gepackt. Sowohl Spieler*innen als auch Spielleiter*innen werden in diesem Buch eine ganze Fülle an Spielmaterial, Optionen und Ideen finden. Es ist eine tolle Ergänzung zu den drei grundlegenden Büchern von Dungeons & Dragons, auch für Veteran*innen des Hobbys.
Wirklich notwendig sind die darin enthaltenen Informationen jedoch keineswegs. Wer die meisten Situationen bereits mit einem einfachen Würfelwurf löst, mit Improvisieren kein Problem hat, sein Auslangen mit dem im Spielerhandbuch enthaltenen Zaubern findet und Listen zum Auswürfeln für Namen und Hintergründe nicht mag, wird mit Xanathars Ratgeber für Alles vielleicht nicht ganz so viel Freude haben. Es bleibt ein Bonus, den man sich leisten kann, aber nicht muss.
- Sehr viele Informationen auf engem Raum
- Für Spielleiter*innen und Spieler*innen gleichermaßen sinnvoll
- Für Neulinge und alte Hasen finden sich neue Ideen und Anregungen
- Nicht für alle Klassen gleich viel drin
- Für Veteran*innen und Improvisationstalente zu viel zum Auswürfeln
Artikelbilder: © Wizards of the Coast
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Jessica Albert
Das Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.