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Wie gefährlich kann es im Auenland werden? Das hängt davon ab, was einem gefährlich vorkommt. Für manch einen Hobbit mag eine Tagesreise abseits der Wege schon unerhört sein. Wie sich drei besondere Exemplare dabei schlagen, finden wir im ersten Abenteuer des englischen The One Ring Starter Sets heraus.

Auch wenn Hobbits im Allgemeinen als bodenständig und besonnen bekannt sind: Es soll neben einem gewissen Herrn Beutlin mit zweifelhaftem Ruf durchaus noch weitere Auenlandbewohner*innen gibt, die einem kleinen Abenteuer nicht abgeneigt sind. Kaum verwundern dürfte aber, dass jene Exemplare meist aus der Tuk-Linie stammen.

Die Spielwelt & Regeln und Charaktererschaffung

Die Regeln wurden bereits im Ersteindruck des Starter Sets und des Grundregelwerks ausführlich vorgestellt. Zur Erinnerung: The One Ring verwendet spezielle W6 („Success Dice“) und W12 („Feat Die“), wobei die 6 mit einer zusätzlichen Tengwar-Rune verziert wurde und die 11 und 12 durch ein Auge Saurons beziehungsweise die Gandalf-Rune ersetzt wurden (so dass man eigentlich von einem W10+2 sprechen könnte).

Gewürfelt wird meist auf Skills, deren Werte sich von den Leitattributen Strength, Heart und Wits ableiten. Der zu erreichende Wert (TN für „Target Number“) ergibt sich aus 20 minus dem Attribut und wird auf dem Charakterbogen für jedes Attribut eingetragen. Der Würfelpool setzt sich zusammen aus einem Feat Die und Success Dice in Anzahl des Skill-Wertes. Für bestimmte Situationen und Zustände kann es zusätzliche oder weniger Würfel geben.

Der Inhalt des Startersets wurde bereits besprochen.

Die Probenmechanik ist schnell gelernt – verwirrend waren dagegen die unterschiedlichen Möglichkeiten, den Wurf zu verändern und die Chancen auf Erfolg zu steigern:

  • Ist ein Skill als „favorisiert“ festgelegt, werden zwei Feat Dice geworfen und der bessere genommen.

  • Durch die Ausgabe von einem Punkt „Hope“ kann man einen zusätzlichen W6 werfen.

  • Wenn das „Distinctive Feature“ des SC zur Probe passt, dann gibt es stattdessen 2W6 durch Hope.

  • Fällt die Tengwar-Rune, kann man einen anderen SC bei einer Gruppenaktion helfen und dessen Misserfolg ausgleichen.

  • Fällt die Gandalf-Rune, zählt dies als automatischer Erfolg.

  • Fällt das Sauron-Auge, gilt dies als 0 auf dem Feat Die.

Das System stellte sich an dieser Stelle aus Sicht der Spieler*innen als intransparenter heraus, als es im Ersteindruck wirkte. So ist es die Wahrscheinlichkeit, eine Probe mit einem bestimmten Skillwert zu schaffen, nicht einmal grob abschätzbar und durch die unterschiedlichen Zielwerte je nach Attribut auch sehr breit gestreut. Mit einem Wert von 2 und nur einem Feat Die hat man also knapp 50% Chance, den sehr niedrigen TN von 11 zu schaffen und ist damit schon angewiesen auf den Einsatz von Hope oder Unterstützung von Gefährt*innen, von denen mindestens eine*r hoffentlich eine Tengwar-Rune würfelt.

Vermutlich soll dieses System dafür sorgen, dass ein Gefühl von Gemeinschaft aufkommt – allerdings ist es fast nicht sinnvoll, eine Aktion mit einem Skillwert von 1 überhaupt zu versuchen.

Leider haben gleich mehrere Charaktere in der Starterbox diesen Wert. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Charaktere sich deutlich in ihrer Kompetenz unterscheiden, wenn man die später freischaltbaren Charaktere aus der Box mit den genannten Beispielen vergleicht. So hat Balin insgesamt 32 Skillpunkte, während Esmeralda mit 22 Punkten deutlich weniger Proben sicher schaffen könnte.

The One Ring will sicher kein besonders taktisches System sein, hält aber durch die Spannbreite der Kompetenzen Frustmomente bereit und es stellt sich die Frage, warum diese Design-Entscheidungen so getroffen wurden.

Der Probenmechanismus und die genannten Sonderregeln sind Teil der Regelübersichten im Inneren der Box, die sich immerhin als sehr hilfreich herausgestellt haben.

Regelübersicht im Inneren des Deckels

Das Starter Set enthält keine Regeln zur Charaktererschaffung, daher wurde auf die vorbereiteten SC zurückgegriffen. Gewählt wurden:

  • Esmeralda Took (auf Deutsch „Tuk“), die zukünftige Mutter von Meriadoc „Merry“ Brandybock

  • Paladin Took II, der jüngere Bruder von Esmeralda und zukünftiger Vater von Peregrin „Pippin“ Tuk

  • Drogo Baggins (auf Deutsch: Beutlin) , zukünftiger Vater von Frodo Beutlin

Gespielt wurde in zwei kurzen Spielsitzungen „A conspiracy most cracked“, das erste der fünf Abenteuer aus dem beiliegenden Heft. Die Abenteuer bauen inhaltlich aufeinander auf, können aber jeweils auch einzeln gespielt werden oder mit wechselnden Spieler*innen.

Spielbericht

Eine Gruppe mutiger Hobbits.

Fast zwanzig Jahre waren vergangen, seitdem Bilbo Beutlin aus der Ferne zurückgekehrt war und immer noch nannte man ihn „Verrückter Beutlin“ und viele mieden seine Nähe. Und sogar im Auenland gab es Geheimnisse, die auf diejenigen Hobbits warteten, denen der Alltag nicht genug war. Vielleicht ließen sich ja ein paar Verwandte dazu bringen, eine altes Familienerbstück aus dem Mathom-Haus (eine Art Hobbit-Heimatmuseum) in Michel Delving zurückzubringen?

Ein konspiratives Treffen in Bag End

Den schriftlichen Einladungen ihres Verwandten folgend fanden sich die beiden Geschwister und ihr Onkel Drogo in Bag End ein und wurden von Bilbo mit einem üppigen Mal begrüßt, wo er ihnen ihre Aufgabe eröffnete. Er appellierte dabei besonders an das Tuk-Blut der Geschwister und die Familienehre – war doch das Erbstück angeblich auf seltsamen Wegen nach Michel Delving gelangt, und Malva Slowfoot, die Inhaberin des Mathom-Haus, hatte bisher keinen seiner Bittbriefe beantwortet.

Während Esmeralda und Paladin nicht lange überlegen mussten, kam Drogo die Sache verdächtig wie ein „Abenteuer“ vor, aber er witterte die Möglichkeit, sich einer Schuld zu entledigen, die er lange mit sich herumgetragen hatte. Im Gegenzug für seine Hilfe forderte er von Bilbo eine förmliche Abtretung der Gegenstände, die er und seine Frau damals aus Bilbos Zuhause während seiner Abwesenheit mitgenommen hatten. Das Ganze wurde per Handschlag vereinbart und nachdem Bilbo seinen Cousin noch einmal zur Seite genommen und gebeten hatte, gut auf die jungen Tuk-Geschwister achtzugeben, machte sich die Gruppe am nächsten Morgen auf den Weg.

Karte mit Abenteuerrouten

Über das Wasser und bis nach Waymeet

Um allzu neugierigen Augen und Ohren in Bywater zu entgehen, wurde der von Bilbo vorgeschlagene Umweg durch die Wildnis und über den Fluss bis zur Great East Road genommen.

Dort stellten die drei erschrocken fest, dass das Wasser deutlich höher stand, als angenommen.

Kurzentschlossen machte sich Drogo daran, Werkzeug aus seinem riesigen Rucksack zu holen, den er vor der Abreise noch von Zuhause abgeholt hatte. Damit bastelte er schnell ein paar Stelzen, mit denen die Hobbits nacheinander und mit gegenseitiger Hilfe den Fluss trockenen Fußes überqueren konnten, um dann zwischen 11-Uhr-Imbiss und dem Mittagessen die Great East Road zu erreichen.

Dort schlossen sie sich einer Gruppe von Landarbeitern an und erreichten Waymeet, wo sich das ganze Dorf und eine große Gruppe reisender Handwerker vor dem Gasthaus zu einer kleinen Feier versammelt hatten. Paladin sorgte für misstrauische Blicke, als er allzu freimütig berichtete, dass er einem kleinen Abenteuer durchaus aufgeschlossen gegenüberstünde. Darauf folgten manche Nachfragen, ob sie vielleicht zu den seltsamen Leuten gehören, die man Gerüchten zufolge wieder mit dem Zauberer umherziehen sehen würde. Die drei erwehrten sich dieser Anschuldigungen erfolgreich mit Beschwichtigungen und Ausflüchten, mussten aber am späteren Abend feststellen, dass alle Schlafplätze belegt waren – nur der alte Baldo Bunce hätte noch ein Plätzchen in seinem Stall.

Dort angekommen, bat dieser sie, sich im Gegenzug um die hartnäckige Eule zu kümmern, die seiner Eselin Gertrude seit längerer Zeit zu schaffen machte. Die drei mussten feststellen, dass diese Aufgabe deutlich schwerer war, als über einen Fluss zu gelangen. Sie versuchten es auf verschiedenen Wegen vom freundlichen Bezirzen bis zur athletischen Kletterei auf einer zu morschen Leiter. Am Ende hatte Esmeralda die rettende Eingebung und löste das Rätsel: Die Eule wollte Gertrude nur vor dem giftigen Graukraut warnen, das von außen in den Stall wuchs. Gemeinsam beseitigte man dies und zufrieden schuhuhend flog die Eule davon.

Ein Museumsbesuch in Michel Delving

Am nächsten Abend kam die Gruppe in Michel Delving an, traf direkt auf die misstrauische Aufseherin Ada Burrows und erregte ihren Argwohn durch den auffälligen Aufzug und die späte Einkehr. Drogo überzeugte sie, dass sie von einer unerwartet anstrengenden Reise geschwächte Hobbits seien, und wurde von ihr zum nächsten Gasthaus verwiesen.

Dort freundete sich Paladin mit einem jungen Hobbit namens Pippin an (der ihn später wohl zu dem Namen für den eigenen Sohn inspirieren sollte) und erfuhr einiges über das Mathom-Haus, die Inhaberin Malva und ihren überaus scharfen Hund „Feuerwerk“. Der von den Tuks beeindruckte Pippin bot direkt eine Privatführung am nächsten Tag an, wo er „nur die spannenden“ Sachen zeigen und die langweiligen Stammbäume, Bücher und Bilder überspringen würde. Man verabredete sich und die beiden Geschwister gingen schlafen – Drogo jedoch hörte man noch bis spät in die Nacht in seiner Kammer an etwas hämmern und nageln.

Diese Etwas sollte sich am nächsten Morgen als eine Art Tisch herausstellen, welcher mit einem Tuch verhüllt war. Mithilfe seiner Gefährt*innen und unter Begleitung aufgeregter Hobbit-Kinder schleppte Drogo den Tisch zum Mathom-Haus, um ihn dort der verdutzten Malva als Geschenk zu überreichen. Er zog das Tuch weg und enthüllte eingearbeitete Glasintarsien in Form des Auenlandes, die mit einer Kerze zum Leuchten gebracht werden konnten. Dies sollte symbolisch als Mahnmal für die „Flamme des Abenteuers“ stehen, die alles in Aufruhr bringen könnte, wenn man ihr nachginge – wie ein gewisser Herr Beutlin es getan hatte! Im Namen der Familie bat Drogo damit um Entschuldigung für die vergangene Aufregung im Auenland und spendete den Tisch an das Mathom-Haus.

Malva war sichtlich gerührt, brauchte aber Beratung mit dem Bürgermeister. Als Aufpasser ließ sie Feuerwerk (der einen Narren an Esmeralda gefressen hatte) als Wache da und ging den Bürgermeister holen.

Die drei Hobbits nutzten die Zeit, um auf Pippins Angebot zurückzukommen. Während dieser Esmeralda und Drogo herumführte, schlich sich Paladin in den Kartenraum, fand die gesuchte Karte und entdeckte, dass der Rahmen seltsame Verzierungen mit fremden Schriftzeichen enthielt. Er tauschte die Karte durch eine Fälschung aus dem Inneren des gespendeten Tisches aus und holte Drogo herbei, der ihm schnell bei der Dekonstruktion des Rahmens half. Danach schafften beide diesen und die echte Karte heraus – gerade noch rechtzeitig, bevor die Prozession des Bürgermeisters von Michel Delving nebst Malva und Schreiber erschienen, um das neue Mathom feierlich in die Sammlung aufzunehmen.

Die Gruppe kehrte erfolgreich mit erbeuteter Karten nach Bag End zurück, wo Bilbo ihnen eröffnete, dass er auch mal wieder Lust auf so ein kleines Abenteuer hätte – womit er als Spielcharakter für folgende Szenarien bereitsteht.

Spielbarkeit aus Spielleitungssicht

Auszug des Abenteuers mit SL-Notizen.

Auch wenn es nicht explizit erwähnt wird: Das Abenteuer ist als Tutorial gedacht, um langsam das System kennenzulernen. So werden explizit Proben vorgeschlagen und auf einen Kampf verzichtet.
Leider zeigt sich das Format als eng bedruckter Fließtext am Spieltisch als wenig geeignet zum Nachschlagen – Notizen sind dringend notwendig, was schade ist, da man zentrale Elemente wie Namen von NSC hervorheben könnte oder Informationen als ergänzende Listen am Seitenrand zusammenfassen.

Auch befindet sich in keinem der Hefte eine Tabelle für Hobbitnamen, was das Improvisieren von NSCs für SL, die nicht so bewandert im Setting sind, holprig macht.

Eine schöne Idee ist die Karte im Inneren der Box, auf die Routen aller Abenteuer eingezeichnet sind.

Spielbarkeit aus Spieler*innensicht

Alle Spielenden waren mindestens mit den Filmen vertraut und hatten daher grundlegende Vorstellungen von der Kultur der Hobbits. Die Kurzbeschreibungen auf den fertigen Charakterblättern halfen beim Ausspielen der unterschiedlichen Figuren – bei dem hohen Stellenwert, den Stammbäume und Familien im Auenland genießen, wurde hier aber die Chance vertan, einen Stammbaum der Spielcharaktere mitzuliefern. So kam nur durch Recherche eines Spielers heraus, dass er als Drogo den Onkel der anderen beiden SC verkörperte, was die Bindung deutlich verstärkte. Dass alle Charaktere Bezug zu Figuren aus den Filmen haben, kam außerdem gut an.

Um einen Einstieg für Settingneulinge zu vereinfachen, wären kurze, stichpunktartige Hinweise zur Hobbitkultur auf den Charakterblättern hilfreich. So bleibt die Aufgabe allein an der SL, den Settinghintergrund zu vermitteln.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Free League
  • Autor*in(nen): James Michael Spahn, Francesco Nepitello, Lorenzo Perassi, Marco Maggi, Jacob Rogers
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Englisch
  • Format: A4
  • Seitenanzahl: 108 (in drei Heften)
  • ISBN: 9789189143487 (EAN)
  • Preis: 45,95 EUR (Box); 19,99 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG (PDF), Sphärenmeister, idealo, Amazon, Fachhandel

 

Fazit

Das kurze Szenario ist stimmungsvoll aufgebaut und greift mit dem Auftrag die klischeehafte „Diebeshaftigkeit“ der Hobbits wieder auf, thematisiert aber gleichzeitig die kulturellen Eigenheiten der Hobbits und führt damit sehr bodenständig ins Setting. Der Aufhänger wirkt allerdings recht plump – besonders weil Hobbits gerade als Verächter aller Art von Abenteuern berühmt sind, wären hier stärkere Motivationen nötig. Die Aufbereitung des Abenteuerbuches mit zweispaltigem Fließtext ist nicht mehr zeitgemäß und macht eine zusätzliche Überarbeitung durch die SL notwendig. Hier wären weniger Text, mehr Übersichten und eine pragmatischere Struktur hilfreicher.

Die Regeln sind gut nutzbar, wirken aber im Detail ein wenig intransparent und unnötig verspielt.

Damit sind einige Punkte aufgefallen, die das Gesamtbild gegenüber dem Ersteindruck leider deutlich schmälern und daher zu einer Abwertung führen.

  • Abenteuer fängt Setting und Hobbitkultur ein
  • Bezüge zu bekannten Charakteren hergestellt
 

  • Schwache Abenteuermotivation der SC
  • Unübersichtliches Layout des Abenteuers
  • Intransparentes Würfelsystem

 

Artikelbilder: © Free League Publishing
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Maximilian Düngen
Fotografien: Benjamin Dose
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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