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Seit 2016 ist Dead by Daylight ein Videospiel-Phänomen. Durch die immer populärer werdenden Streams auf Twitch und Let’s Plays auf YouTube entwickelte das Spiel eine riesige Fangemeinde. Per Kickstarter wurde dann folgerichtig die analoge Variante finanziert. Ist der Übergang gelungen, oder gibt es einen Haken?

Dass Video- und Brettspiele immer mehr zueinander finden, ist in den letzten Jahren immer häufiger zu beobachten Waren es in den düsteren Windows XP-Zeiten vielleicht noch Exoten, als Catan oder Monopoly auch digitale Varianten erhielten, ist das heute eher die Norm. Von Munchkin über Everdell bis Gloomhaven finden Brettspiele aller Couleur mittlerweile eine digitale Heimat. Doch auch der umgekehrte Weg wird immer beliebter. Auch wenn mein Wunsch eines vernünftigen The Legend of Zelda-Brettspiels noch unerfüllt ist, zeigen sehr junge Beispiele wie Dorfromantik, dass eine gute Videospielvorlage auch auf dem Brett funktionieren kann. Selbst Brettspielumsetzungen von Mobile Games wie Kingdom Rush und Vikings Gone Wild haben überzeugen können. Nun schickt sich Dead by Daylight an in diese Riege vorzustoßen. Wir haben unsere Generatoren angeschmissen und versuchen in unserer Betrachtung nicht zu sehr in Furcht vor dem Killer zu erstarren.

Triggerwarnungen

Tod, Mord, Gewalt, Verstümmelung, Entstellungen, Drogen

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Spielablauf

Um eine Partie im One versus many-Spiel Dead by Daylight zu gewinnen, müssen die Überlebenden vier Generatoren reparieren und anschließend einen Ausgang öffnen. Als Killer müssen acht Marker auf der Opfergabenleiste liegen.

Eine Spielrunde besteht immer aus den identischen vier Phasen: Planung, Zug der Überlebenden, Zug des Killers und Aufräumen.

In der Planungsphase legen die Spielenden ihre Bewegungskarten. Die Überlebenden spielen jeweils eine Karte, der Killer zwei. Absprachen zwischen den Überlebenden sind erlaubt und auch notwendig, um den eigenen Zug zu planen, ermöglichen es dem Killer aber auf die Pläne zu reagieren. Geheime Absprachen sind zu keinem Zeitpunkt erlaubt. Alles, was gesagt wird, muss laut ausgesprochen werden.

Ist die Planung abgeschlossen, beginnen die Überlebenden im Uhrzeigersinn mit ihrer Bewegung. Sie decken ihre Bewegungskarte auf und bewegen sich nun entsprechend des Symbols, beziehungsweise der Farbe, über das Spielfeld. Ist mit der Karte keine Bewegung möglich, endet der eigene Zug und die nächste Person ist an der Reihe. Wurde die Bewegung ausgeführt, kann mit einem der offenen Marker auf dem neuen Feld interagiert werden. Sind noch nicht alle Marker auf diesem Feld aufgedeckt, darf einer nach Wahl enthüllt werden. Unter blauen Markern können Kisten für Items durchsucht werden oder man kann sich in einem Spind verstecken, um sich vor dem Killer zu schützen. Grüne Marker können Krähen oder Paletten enthalten.

Die Krähen geben der aktiven Person einen Bonuszug, im Ausgleich erhält der Killer dafür einen Blutpunkt, die Währung im Spiel für beiden Parteien, um charakterspezifische Fähigkeiten zu aktivieren. Eine Palette kann auf einen der angrenzenden Wege platziert werden um dem Killer den Weg zu erschweren. Überlebende können sich frei über Paletten bewegen. Die lebensrettenden Generatoren und der Ausgang befinden sich unter den gelben Markern. Um diese zu reparieren, benötigt es drei Fortschrittsmarker, die durch drei erfolgreiche Würfe mit dem Probenwürfel hinzugefügt werden. Bei den Zahlen eins bis vier liegt ein einfacher Erfolg vor, der einen Marker ins Spiel bringt, bei einer fünf ein außerordentlicher Erfolg, der zwei Marker bringt. Lediglich eine sechs, beziehungsweise das Geistersymbol sind ein Fehlschlag und liefern keinen Fortschritt. Nach dem dritten Erfolg wird der Generator auf die Leiste des Spielfelds gelegt.

Die Interaktionsmarker
Die Interaktionsmarker

Wurde ein Ausgang erfolgreich auf die identische Art geöffnet, haben die Überlebenden gesiegt. Die bedrohlichen roten Marker können in den Händen der Überlebenden die Gefahr etwas mindern. Bei einem Haken können entweder aufgespießte Überlebende gerettet werden oder der Haken kann sabotiert werden, damit der Killer ihn in diesem Zug nicht nutzen kann. Für die Rettung gibt es einen Blutpunkt. Auf Feldern mit dem Totemmarker können diese mit einem erfolgreichen Würfelwurf entfernt werden. Hierfür gibt es wiederum zwei Blutpunkte. Die letzte mögliche Interaktion ist nicht mit einem Marker sondern mit anderen Überlebenden auf dem eigenen Feld. Sind diese verwundet können sie mit einer erfolgreichen Würfelprobe geheilt werden. Waren reihum alle an der Reihe, geht es nun an den Zug des Killers.

Diese Phase funktioniert ähnlich der Phase der Überlebenden. Für jede der beiden Bewegungskarten hat der Killer die Kombination aus Bewegung und Interaktion. Die Ablage-Reihenfolge der Bewegungskarten muss eingehalten werden. Anders als die Überlebenden gibt es für die Killer eine Warten-Karte mit der stehengeblieben werden darf und trotzdem eine Interaktion stattfindet. Die Interaktionen des Killers unterscheiden sich von denen der Überlebenden und es gibt grundsätzlich eher weniger Aktionsmöglichkeiten. So kann mit Kisten und dem Ausgang gar nicht interagiert werden und nur bereits platzierte Paletten können zerstört werden, wenn sie im Weg liegen, dann verliert man auf dem neuen Feld jedoch seine Interaktionsmöglichkeit.

Auf einem Feld mit einem belegten Spind kann der Killer die Person darin zu einem Würfelwurf zwingen. Bei einem Fehlschlag wird sie gefangen genommen, bei einem Erfolg wird lediglich der Spind entfernt. Krähen können entfernt werden und dafür ein Blutpunkt gewonnen werden. Generatoren können beschädigt werden. Daraufhin müssen alle Fortschrittsmarker entfernt werden. Und ein Totem kann verehrt werden um zwei Blutpunkte zu erhalten. Neben den Interaktionen mit den Markern sind die charakterspezifischen Fähigkeiten der Killer einsetzbar. Der Fallensteller beispielsweise kann seine Fallen platzieren, um die Überlebenden in ihrer Bewegung zu verwunden und das Gespenst kann sich mit seiner Jammerglocke blitzschnell über die Karte bewegen.

Auf einem Feld mit Überlebenden gibt es zwei Möglichkeiten. Ist der Charakter unverletzt, fügt der Killer dieser Person eine Wunde zu. Ist sie bereits verwundet, wird sie ebenfalls gefangen genommen. Nun wird geschaut, ob ein freier Haken in der Nähe ist. Wenn ein solcher auf dem aktuellen Feld ist, wird der Charakter aufgespießt. Wenn es keinen Haken auf dem aktuellen Feld gibt, wählt der Killer eine Zahl zwischen eins und vier. Die aufgenommenen Überlebenden würfeln nun exakt so oft den Würfel. Ist einer der Würfe ein außerordentlicher Erfolg, ist man dem Killer entkommen. Hat man keinen solchen Erfolg erzielt, darf sich der Killer mit der Figur der aufgenommenen Person so viele Felder fortbewegen wie angesagt wurde. Findet man nun hierdurch einen Haken, wird die Person ebenfalls aufgespießt. Aufgespießte Überlebende legen in ihrer Planungsphase keine Karte und können keine Fähigkeiten nutzen. Sie können erst wieder handeln, wenn sie gerettet wurden.

Die Würfel
Die Würfel

Die letzte Phase ist das Aufräumen. Für alle aufgespießten Überlebenden wandert die Opfergabenleiste ein Feld weiter. Mögliche Token, die Marker oder Interaktionsobjekte gesperrt haben, kommen zurück in den Vorrat und der Startmarker wandert im Uhrzeigersinn weiter. Zuletzt nehmen nun alle ihre Bewegungskarten wieder auf die Hand und eine neue Runde beginnt.

Ausstattung

Für den Test wurde uns die Standard-Variante des Spiels zur Verfügung gestellt. In dieser stehen sieben Überlebende und sechs Killer mit ihren Boards und Miniaturen zur Verfügung Zudem gibt es noch einen doppelseitigen Spielplan mit zwei unterschiedlichen Karten. In der Deluxe-Variante gibt es ganze 17 Überlebende und 16 Killer. Zudem gibt es statt einfacher Marker für die Haken und Generatoren ebenfalls Miniaturen. An die Haken können dann die Überlebenden wortwörtlich aufgehangen werden und bei den Generatoren zeigen kleine Stecker den Fortschritt an. Ebenfalls gibt es zwei weitere Ortschaften als Spielfeld.

Eine Seite des Spielfelds
Eine Seite des Spielfelds

Die beiliegenden Miniaturen sehen sehr hübsch aus und helfen beim Ambiente. Dieses wird wiederum nicht sonderlich aussagekräftig von den Spielfeldern eingefangen. Wir bewegen uns auf einer sehr nüchtern gehaltenen Karte, die lediglich mit kleinen Abbildungen der Schauplätze etwas Flair schafft. Doch im Laufe des Spiels werden die Bilder nicht mehr wahrgenommen und man hätte, überspitzt gesagt, die Figuren auch über eine dunkle Excel-Tabelle laufen lassen können. Für die Funktionalität sind die Spielfelder perfekt, aber für ein Franchise, das von seiner Atmosphäre lebt, ist hier Potential verschenkt worden.

Das restliche Spielmaterial ist in sehr guter Qualität. Würfel und Marker haben eine schöne Haptik und die Karten lassen sich durch ihr Finish gut handhaben und mischen, und nutzen sich nicht so schnell ab. Besonders hervorzuheben ist die Idee, für beide Parteien einen Fähigkeitskartenstapel zu integrieren, um in einem optionalen Modus selbst über die eigenen Fähigkeiten zu entscheiden, statt die vorgefertigten zu verwenden. Das sorgt für einen akzeptablen Wiederspielwert.

Das innere der Schachtel
Das innere der Schachtel

Die Ikonografie der Karten wurde zu großen Teilen aus der Videospielvorlage genommen und das ist auch gut. Denn die Symbolik ist sehr eindeutig und stimmungsvoll. Man findet sich sehr gut zurecht und durch die Silhouetten auf dem Spielfeld und den Bewegungskarten ist auch bei Farbenfehlsichtigkeit ein problemloses Spielen möglich.

Die Box ist aufgeräumt und das Inlay praktikabel. Etwas mehr Raum zum Sortieren der Marker wäre praktisch gewesen, ist aber kein Beinbruch.

Die Anleitung macht sehr viel richtig und lässt keine großen Fragen offen. Die Gliederung ist sehr gut nachvollziehbar und alle Interaktionen sind detailgenau beschrieben. Die FAQ am Ende beantwortet sehr gezielt Sonderfälle.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Level 99 Games
  • Autor*in(nen): D. Brad Talton Jr.
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch
  • Spieldauer: 30 – 60 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 3 4 5
  • Alter: ab 17 Jahren (laut Verlag)
  • Preis: ca. 55 EUR (Standard), ca. 150 EUR (Deluxe)
  • Bezugsquelle: Fachhandel

 

Fazit

Ich hätte gerne mehr Spaß gehabt mit Dead by Daylight, da das Spiel wenig falsch macht. In seinen Grundzügen ist es ein hochsolides Spiel mit eingängigen Mechaniken und dem immer wieder sehr wünschenswerten „schnell gelernt – schwer gemeistert“-Gefühl. Doch für den vom Material definitiv gegebenen Wiederspielwert fehlt einiges. Versprechen die Grafik auf dem Spielmaterial (außer auf dem Spielbrett), die liebgewonnenen Charaktere und das bekannte Spielprinzip eine Atmosphäre wie die Welterfolg-Vorlage, reißen zwei Dinge dieses Konstrukt ein: Zum einen sind die Spielfelder für die Immersion ungefähr so hilfreich, wie die bereits erwähnte Excel-Tabelle.

Zum anderen fühlt sich das Spiel nicht sehr gut ausbalanciert an. In jeder Konstellation hatten wir in den Testrunden das Gefühl, dass die Überlebenden einen klaren Vorteil haben und man als Killer nur mit einer perfekten Strategie und dem Würfelpech der anderen eine Chance hat. Zumindest das Würfelpech können ein paar Killer mit Fähigkeiten beeinflussen, aber so richtig ausgegoren war das nicht. Zudem sind die Unterschiede zwischen der Standard- und der Deluxe-Version sehr massiv. Natürlich ist dies durch den Preis gerechtfertigt, aber selten hatte ich so sehr das Gefühl, das mir ganze Teile des Spiels entgehen, weil ich „nur“ die Standard-Variante auf dem Tisch habe.

Abschließend kann man festhalten, dass Dead by Daylight die Videospiel-Vorlage im Spielprinzip hervorragend wiedergibt und das Spiel einwandfrei funktioniert. Doch die Immersions-Killer und das suboptimale Balancing hinterlassen, ebenso wie die Versionsunterschiede, einen faden Beigeschmack. Wer hierüber hinwegsehen kann, den erwartet, von den reinen Mechaniken, ein grundsolides Spiel, dem ich bedenkenlos drei von fünf reparierten Generatoren spendieren kann.

  • Gefühl der Vorlage wird gut eingefangen
  • Gute Ikonografie
  • Schnell gelernt, dank guter Anleitung
 

  • Wirkt nicht gut ausbalanciert
  • Spielfelder lassen Atmosphäre vermissen
  • Die Unterschiede zwischen den Versionen schaden der Standard-Variante

 

 

Artikelbilder: © Level 99 Games
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Fotografien: Tim Billen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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