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Jedes Jahr gibt es Themen und Spielemechaniken, die auf der Spielemesse in Essen besonders stark vertreten sind. Die Spiele-Erfinder und -Verlage schaffen Trends oder erkennen sie und versuchen noch darauf aufzuspringen. So entwickelt sich der Markt weiter. Was hält das Jahr 2018 an Innovationen und Trends bereit?

Die SPIEL 2018 liegt hinter uns. Auf ihr konnten 190.000 Besucher die über 1.400 Spieleneuheiten und -premieren bestaunen, austesten und oft kaufen, manchmal solange der Vorrat reichte. Kurz vor Jahresende und Weihnachten wird es also Zeit für eine erste Rückschau. Was gibt es für thematische oder formale Schwerpunkte auf dem diesjährigen Spielemarkt?

Das Brettspiel wird erwachsen – Krieg und Koma

Wer mit der Catan-Welle als Jugendlicher geschwommen ist, steht heute fest im Berufsleben und hat in vielen Fällen bereits seine eigene Familie. Und mit der ersten Generation Eurogamer hat man das Gefühl, wird auch das Brettspiel erwachsener. So gibt es auch ernstere Themen oder klassische Themen werden reifer und differenzierter bearbeitet.

Statt nur Plastikfiguren in Länder zu ziehen, und dadurch andere Plastikfiguren zu verdrängen oder vernichten, zeigt auch die Brettspielumsetzung des Computerspiels This War of Mine von 2017 ausgiebig mal die wahrere, schreckliche Seite des Krieges und ist damit ein Riesenerfolg. Hierzu ist dieses Jahr mit Tales from the Ruined City die erste Erweiterung erschienen. Auch Le Poilus, in dem man als Soldatengruppe versucht den ersten Weltkrieg zu überleben, hat dieses Jahr eine neue Edition erhalten.

© Hub Games

Ein ganz eigenes und ungewöhnliches Thema dieses Jahres sind Koma-Spiele. Die ernste Materie wird gleich in mehreren Spielen unterschiedlich aufgegriffen. In Escape Tales: The Awakening will ein Vater seine Tochter mit Hilfe eines Rituals erwecken. Das Spiel bewegt sich dabei irgendwo zwischen der Exit-Reihe, T.I.M.E. Stories und Sherlock Holmes Consulting Detective und fühlt sich ein wenig an wie die Computerspiele von Silent Hill. In Holding On: Das bewegte Leben des Billy Kerr spielt man das Pflegepersonal, das vor allem erst mal versuchen muss, mit begrenzten Ressourcen, den Komapatienten am Leben zu halten und fast schon nebenbei aus Äußerungen die Lebensgeschichte des schlafenden Protagonisten zu ergründen. Ebenfalls angekündigt ist bereits Comanauts von Plaid Hat Games. Hier wird das Konzept Abenteuerbuch von Der Herr der Träume aufgegriffen, nur erlebt man nicht als Stofftier Abenteuer rund um das Erwachsenwerden eines kleinen Mädchens, sondern als Helden, die in die Traumwelt des Komapatienten Dr. Strobal eintauchen, um wichtige Informationen zur Rettung der Welt zu finden.

Zurück zu den Klassikern

© Schwerkraft Verlag

Beim Gang durch die Messehallen blickte man immer wieder auf eins: Klassische Eurogames, dabei vor allem Worker-Placement-Spiele. Architekten des Westfrankenreichs mutet dabei zum Beispiel sehr klassisch an: Das Brett sieht ein wenig aus wie Stone Age oder Säulen der Erde. Der Clou hierbei ist, dass die während des Spieles zu treffenden moralischen Entscheidungen zwischen lukrativeren und rechtschaffeneren Optionen am Ende entscheiden, ob es für die zu weit vom Pfad Abgekommenen am Ende satte Minuspunkte von der Kirche hagelt. In Uwe Rosenbergs neuem Spiel Reykholt geht es um Landwirte in Island, welche die geothermale Energie nutzen, um im sonst frostigen Klima Gemüse zu züchten und damit Touristen anzulocken.

Neben all den Zug um Zug-Varianten, gibt es auch endlich wieder ein neues Spiel von Days of Wonder. The River kombiniert Worker-Placement mit dem Legen von Plättchen, während jeder seine Pionier-Siedlung entlang eines Flusses baut. Bei Tudor setzt jeder seine Diener-Arbeiter in Audienzzimmer für bestimmte Aktionen, danach setzt man seinen Lord, und nur die Aktionen dort können gewählt werden. Beim niedlichen Everdell – zu dem ihr unsere Rezension lesen könnt – bauen Waldbewohner eine kleine Siedlung aus Gebäuden und anderen Waldbewohnern. Auch der durchgehende BoardGameGeek-Hotness-Anführer Teotihuacan benutzt unter anderem Worker-Placement-Elemente.

Eine knifflige Angelegenheit

© Schmidt Spiele
© Schmidt Spiele

Spätestens seit Qwixx hat das alte Kniffel-Prinzip ein Revival erlebt, aber dieses Jahr gab es Roll and Write-Spiele, wohin das Auge fiel. Einen Nachfolger von Qwixx in Layout und Erfolg könnte man in Ganz schön clever sehen. Hier erhalten die Mitspieler die niedrigeren, nicht genutzten Würfel. Man kann das Ganze aber auch noch weiter drehen, und statt Zahlen, Tiere auf die Würfel aufbringen, denn bei Rolling Ranch, geht es darum nach einem Hurrikan entlaufenen Schweine, Kühe und Hühner wieder ins Trockene zu bringen. Railroad Ink lässt einen Straßen und Bahntrassen (Geraden und Kurven auf den Würfeln) auf einem Gitternetz zeichnen, und Punkte gibt es für funktionierende Verbindungen. Bei Kokoro: Avenue of the Kodama würfelt man nicht, sondern zieht Karten, auf denen ebenfalls Wegeabschnitte abgebildet sind; diese muss man dann in seinem Wald auftragen, um Zufluchten zu verbinden. Ebenfalls Karten, dafür aber wieder mit Zahlen drauf, nutzt das aufwendiger gestaltete Welcome to … In einem 50er-Jahre-Look bauen Architekten hier nach dem Qwixx-Prinzip Häuser in aufsteigender Reihenfolge aneinander. Aber es gibt auch spezielle Ziele/Projekte und Aktionen, wie Zäune, mit denen man Distrikte errichten kann für Extrapunkte. Aktuell läuft der Kickstarter für Welcome to Dino World bis zum 22.11.2018 – allein schon für seinen zungenbrecherischen Claim Draw, Roar, Score einen Blick wert.

Umweltbewusstsein wird verspielt

Das Ozonloch schließt sich, aber die Behandlung des Klimawandels erfährt gerade aus Amerika herbe Rückschläge. Grund genug, auch mit dem Medium Spiel das Bewusstsein zu schärfen. Manche Spiele gehen sehr konkret mit dem Thema um, andere setzen schlicht darauf, die Natur selbst zu spielen oder erfahrbar werden zu lassen, statt – wie meist üblich – die kulturellen Errungenschaften oder Abgründe des Menschen.

© Pegasus Spiele
© Pegasus Spiele

In CO2: Second Chance spielt jeder Spieler den Geschäftsführer eines Energiekonzerns, der von der Regierung den Auftrag bekommen hat, möglichst viel Energie aus nachhaltigen Quellen zu generieren; gleichzeitig muss man jedoch aufpassen, dass die Nachfrage nach Strom jederzeit erfüllt werden kann. Bei Spirit Island verkörpern die SpielerInnen Naturgeister einer Insel, die mit den indigenen Völkern im Einklang leben und man muss kooperativ versuchen, die fremden Eroberer abzuwehren. Bei Petrichor bewegt man Wolken und lässt es regnen, um bestimmte Getreidesorten zu bewässern und wachsen zu lassen.

In Eco-Links muss man aus ihrem Habitat vertriebene Tiere schneller verbinden, als es den Mitspielern gelingt nach dem Ubongo-Prinzip. Ebenfalls um Habitate für Tiere geht es in Planet – jeder Planet wird durch den armen vernachlässigten, magnetischen W12 dargestellt, auf den in zwölf Runden Landschaften aufgebracht werden wollen. Tiere und somit Punkte gibt es dann zum Beispiel für die meisten Wälder oder die größte Wüste, die nicht an Wasser grenzt.

Spiele in der dritten Dimension

Flache Spielbretter sind von gestern. Wie auch schon beim oben genannten Planet, wachsen Spiele immer mehr über sich hinaus und werden anfassbar. Dexterity-Games sind hier natürlich stets vertreten: Das beliebte Tokyo Highway, bei dem es darum geht, Autos und Straßen über oder untereinander auf unterschiedlichen Ebenen zu platzieren, erhält eine Vier-Spieler-Edition. Bei Men at Work versucht man auf einer Baustelle einen Turm zu bauen und dabei möglichst wenige Unfälle mit seinen Bauarbeiter-Meeplen zu verursachen. Und bei Menara wird ein geheimnisvoller Dschungel-Tempel in die Höhe gebaut.

©Noris

Aber auch darüber hinaus wird alles etwas haptischer: Der Erfolg des Spiels des Jahres 2017 Azul hat mit Sicherheit auch mit seinem optisch herausragenden und hochwertigen Spielmaterial zu tun. Natürlich gibt es mit Azul: Die Buntglasfenster von Sintra einen Nachfolger, der etwas mehr strategische Komplexität verspricht bei einem ähnlich gearteten Spielprinzip. Ebenfalls von Next Move Games gibt es mit Reef ein Spiel, bei dem jeder sein eigenes Korallenriff in die Höhe baut. Wizkids bringt uns mit Bumúntú auch ein Spiel mit Legesteinen, bei dem wir als Stammeshäuptling die Gunst von Tieren erlangen möchten. Bei Trollfjord wird mit einem Hammer gegen einen Würfelturm geschlagen, um damit an Klötzchen zu gelangen. Und bei Cool Runnings versucht man seinen echten Eiswürfel vor den anderen ins Ziel zu bringen, während die anderen ihn mit Wasser, Wärme und Salz malträtieren.

Von einzigartigen Geschichten, Dieben und Tand

© Fantasy Flight Games
© Fantasy Flight Games

Bei weit über 1.000 Spielen gibt es natürlich noch weit mehr Innovationen und auch Trends zu beobachten. Mit Chronicles of Crime und Detective: A Modern Crime Board Game gibt es gleich zwei hochkarätige Investigativspiele. Mit Werewolf Legacy und Escape from House on the Hill Legacy wird der Trend fortlaufender Geschichtenerzählung in aufeinander aufbauenden Spielesessions fortgeführt, und Asmodee hat mit den Unique-Games bereits den nächsten Trend nach Legacy-Games ausgerufen: das neue Kartenspiel KeyForge von Richard Garfield (dem Erfinder von Magic), bei dem jedes Deck einzigartig ist sowie das Erkundungsspiel Discover, bei dem in jeder Box die Spielkomponenten unterschiedlich zusammengesetzt sind.

Und was kommt danach? Auf jeden Fall jede Menge Kickstarter-Kampagnen, die auf der Messe mehr und mehr angeteasert werden, auch wenn sie erst kurz danach oder auch erst viel später im nächsten Jahr realisiert werden sollen. Die günstigsten Preise hat die Messe dank des Onlinehandels meist sowieso schon nicht mehr, aber neben vielen trotzdem schon am ersten Tag ausverkauften Spielen, kann man so vieles Spannende eben noch gar nicht kaufen. Ein Wermutstropfen für den einen oder anderen. Dafür konnte man sich mit reichlich Spieletischen, -inserts und vor allem auch ‑matten und anderen Accessoires zum Sortieren und Aufhübschen des eigenen Spieleabends eindecken. Was da alles so möglich ist, zeigt unser Pimp-my-Boardgame-Artikel.

Leider endete die Messe gerade für einige kleine Verlage etwas bitter, da es dieses Jahr des Nachts wohl im größeren Umfang zu Diebstählen der Ladenkassen gekommen ist. Mehr Informationen und die Möglichkeit den stark betroffenen Artipia-Verlag durch den Kauf von thematisch passenden Promos zu unterstützen, gibt es bei einer Kickstarter-Kampagne.

Da wird sicherlich am Sicherheitskonzept künftig etwas verändert werden müssen. Aber vor allem sind wir gespannt, wie sich die hier genannten und andere Trends behaupten und wozu sie sich weiterentwickeln werden und sehen uns auf der SPIEL 2019.

Artikelbild: Karsten Zingsheim, Bearbeitet von Verena Bach
Coverillustrationen: Genannte Verlage

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