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Mit Woodcraft stellt Pegasus Spiele den neusten Gehirn-Zwirbler in das wurmige Holzregal. Der Aufbau der eigenen Tischlerei bei stark verzahnter Mechanik lässt uns dreimal auf Holz klopfen, wenn Spielmechaniken ineinandergreifen und uns zwischenzeitlich mit Boni belohnen. Da droht Kunde bereits mit nächstem Auftrag. Weiter geht’s!

„Der Song beginnt und er bekommt ein Thema – ich und mein Holz“ beginnt das Lied der 257ers Ulkband. Mit Wortwitz und eindringlichem Refrain persiflieren sie die Sinnlosigkeit von Liedtexten im Musikbusiness. Streng genommen erwarten wir Brettspielenden bei einem Eurogame meist nicht viel mehr. Bei Woodcraft heißt das Thema nun also Holz, aber steckt noch mehr dahinter?

Woodcraft ist von dem Autorenduo Ross Arnold und Vladimír Suchý Während Woodcraft für Arnold noch ein Erstlingswerk darstellt, hat Suchý bereits einige Expertentitel wie Pulsar 2849, Underwater Cities, Praga Caput Regni und Messina 1347 publiziert. Seine Spiele gelten als verzahnt und bieten sich aufgrund der Einarbeitung wie auch der Komplexität eher für geübte Brettspiel-Fans an.

Spielablauf

In Woodcraft gilt es, mittels Siegpunkten nach 13 bis 14 Runden die angesehenste Tischlerei zu besitzen. Die Punkte werden von bis zu vier Spielenden in Form von Haselnüssen gesammelt. Als Geldeinheit werden übrigens Blaubeeren verwendet. Haselnüsse und Blaubeeren wirken nicht gerade wie ein thematisches Spielerlebnis für Holzarbeiten – doch dazu an später mehr.

Viel los auf dem Tisch.

Der Spielaufbau besteht aus drei zentralen Spielbrett-Elementen mit einer Menge ausgelegter Karten. Selbst auf großzügigen Tischen werden die üblichen Getränke und Naschberge an die Seitenränder verdrängt. Ein Brett wird ausschließlich für die Siegpunkt-Anzeige verwendet. Das zweite Element stellt die Dokumentation des Einkommensstandes/Rundenleiste dar und das letzte die Aktionsmechanismen.

Kern des Spieles sind allerdings die vor jedem Spielenden liegenden, großen Tableaus. Die Tableaus stellen den Ausbau der eigenen Tischlerei dar. Es können Bäume gepflanzt werden, die dann später als Holz geerntet werden können, um dann zu Kunden-Aufträgen verarbeitet zu werden. Je länger man übrigens für die Aufträge benötigt, desto weniger Boni bringen diese ein. Werden Aufträge bis Spielende gar nicht abgearbeitet, bekommt man sogar Strafabzüge, die einen in der Endabrechnung ziemlich weit zurückfallen lassen.

Das eigene Tableau hat die Ausmaße von manchem Brettspiel.

Das Tableau bietet darüber hinaus Platz für zu erwerbende Helfer, die mit Sonderfertigkeiten allerlei Veränderungen in Form von Boni, Mini-Aktionen und ähnlichem generieren. Außerdem lässt sich fast alles vom Dach bis zur Kreissäge in der Tischlerei mit Erweiterungen ausbauen. Mit den Ausbauten kann man einmalige Boni, dauerhafte Vergünstigungen, Voranschreiten auf der Einkommensleiste oder Nebenaktionen freischalten.

Holz wird im Spiel durch Würfel dargestellt. Die drei unterschiedlichen Farben stellen unterschiedliche Holzarten dar und die Würfelwerte die Größe der Holzstücke. So ist es tatsächlich wichtig, mit Sägen, Kleben oder Verbesserungen den Würfelwert nach oben oder unten zu verändern. Unterschiedliche Würfel inklusive unterschiedlicher Würfelwerte und Rohmaterialen sind notwendig, um die Aufträge zu erledigen. Würfel werden nur für den Holzmarkt gewürfelt, sonst bleiben die Werte in der Regel bestehen – können aber durch die beschriebenen Effekte verändert werden.

Mit Würfeln werden unterschiedliche Holzarten und -größen dargestellt.

Das große Aktionsrad mit seinen sieben unterschiedlichen Aktionsplättchen springt deutlich ins Auge. Vier Aktionen erlauben es, Dinge wie Holz vom Markt (Würfel), Helfer, Tischlerei-Verbesserungen oder Rohmaterialen für Geld (Blaubeeren) zu erwerben. Mittels der fünften Aktion lassen sich Würfel verkaufen und wenn man möchte, ein Holz einer anderen Farbe kaufen. Dann bleibt noch eine Aktion für Aufträge aus der Auslage nehmen (kostenfrei) und die letzte Aktion für das Pflanzen von Bäumen aus dem eigenen Holzvorrat.

Eine von sieben Aktionen kann man im eigenen Zug nutzen.

Das Spiel verläuft in Runden, bei denen drei Schritte nacheinander ablaufen. Hat man in seiner Tischlerei bereits Bäume gepflanzt, wachsen diese um zwei Würfelwerte. Bei einer Zahl von sechs müssen diese direkt in das begrenzt große Holzlager wandern. Der zweite Schritt ist das Auswählen und Versetzen eines Aktionsplättchens. Wer eine Aktion nutzt, die lange Zeit nicht verwendet wurde, kann Boni, Rohstoffe, Hölzer oder sogar Siegpunkte bekommen. Danach gibt es die Möglichkeit Geld in Siegpunkte zu wandeln und die nächste Person ist an der Reihe.

Zusätzlich gibt es im eigenen Zug eine Reihe an freien Aktionen wie in etwa Aufträge zu erledigen, Bäume zu fällen oder Holz zu zersägen. Insbesondere die handwerklichen Nebenaktionen, wie sägen oder kleben benötigen Ausbauten in der eigenen Tischlerei, die nach der Aktion bis zur nächsten Einkommensphase – eventuell für bis zu drei Runden – gesperrt sind.

Die zu fertigenden Aufträge: unten die notwendigen Materialien, links die Belohnungen.

Nach jeweils vier (später drei) Runden findet eine Einkommensphase und das Auffrischen der genutzten Tableau-Elemente statt. Außerdem werden Helfer und Aufträge ausgetauscht, sodass die Spielenden kaum Gefahr laufen, nicht genügend Auswahl zu haben.

Bei geübten Personen läuft ein Zug recht schnell ab, aber gerade in den ersten Partien wird es etwas länger dauern. Trotzdem wird keiner zwischendurch gelangweilt das Handy zücken, da zu viel für die nächsten Züge zu durchdenken ist. Der Interaktionsanteil ist recht gering, da alle Spielenden mit dem Ausbau und der Verwaltung des eigenen Tableaus beschäftigt sind. Es kommt natürlich vor, dass jemand einen Helfer oder ein Stück Holz vor der Nase wegkauft. Dies schmerzt nur in den seltensten Fällen und kann auch nicht als geplante Methodik zum Ärgern der anderen eingesetzt werden.

Es gibt eine ganze Reihe Möglichkeiten kleine Engines zu starten, die es einem dann ermöglichen, auf vielen Leisten nach vorn zu springen und/oder eine ganze Kette an Ausbauten am Dach für einmalige Boni zu erlangen. Auf diese Engine muss allerdings konzentriert und mit ein bisschen Auftragsglück hingearbeitet werden. Die meisten Aktionen – insbesondere in der ersten Spielhälfte – fühlen sich wenig belohnend an.

Auch das Dach lockt mit Belohnungen, wenn es ordentlich ausgebaut wird.

Die erste Runde zu dritt hat zweieinhalb Stunden gedauert. Später schafft man es in knapp zwei Stunden. Die Regelerklärung hat in unterschiedlichen Konstellationen knapp 30 Minuten in Anspruch genommen.

Spiele auf dem Niveau für Expert*innen glänzen mehrheitlich nicht mit einem zugänglichen Solo-Modus. Oftmals verwaltet man für eine virtuelle Person ein komplettes Tableau mit allem, was dazugehört und muss sich ebenso in diese Züge hineinversetzen, wie in die eigenen. Umso überraschender wirkt der extrem einfach gehaltene Solo-Modus von Woodcraft. Es gibt zwar einen Automa, aber ohne eigenes Tableau und eigenes Management von irgendetwas. Er dient fast ausschließlich dazu, dass alle Aktionsplättchen verwendet werden. Für einen selbst hat man trotzdem ein vollwertiges Spiel, dass man in knapp 45 Minuten mit der ein oder anderen Taktik durchzocken kann. Hier kommt dem Spiel sicherlich die geringe Interaktion mit den Mitspielenden zu Gute. Trotzdem hat es in einsamen Testrunden sehr viel Spaß gemacht, sich dem komplexen Titel zu widmen.

Ausstattung

Woodcraft bedeutet übersetzt Holzhandwerk und dies beschreibt das vorherrschende Thema. Bereits auf dem Karton feilen grünhaarige Menschen – für Elfen haben sie zu runde Ohren – an einem sechsseitigen Würfel herum. Ein Dachs liest im Hintergrund ein kleines Buch, Haselnüsse und Blaubeeren stellen Siegpunkte respektive Geldmittel dar. Das Setting mutet an, in einer phantastischen Welt angesiedelt zu sein. Tatsächlich gibt es im gesamten Regelheft keinen Hinweis auf das Thema oder die Welt. Willkommen in einem Eurogame, wo es eher auf die Mechanik als auf die Geschichte ankommt. Tatsächlich etwas schade, denn die Aktionen haben doch sehr viel mit dem Holzhandwerk zu tun. Man hätte statt Blaubeeren daher wirklich Münzen wählen können und statt Haselnüsse hätten es Sieg- oder Ruhmpunkte getan. Vielleicht verkauft sich ein Fantasy-Setting einfach besser … zumindest im Falle von Teilzeithelden werfen wir allein aufgrund dessen einen näheren Blick auf das Spiel.

Honig zum Leimen, Sägeblätter und Holzstücke sind weitere Ressourcen im Spiel.

Historische Echtheit oder Realismus beim Holzhandwerk darf man bei Woodcraft nicht direkt erwarten, trotzdem werden die Holzarbeiten glaubwürdig in die Mechaniken integriert.

Das Spiel besteht aus einem bunten Materialmix von Plastik (der Honig), Holz und Pappe. Bei einem so naturnahen Thema wäre eine Fokussierung auf Naturmaterialien deutlich schöner – nicht zuletzt unter nachhaltigen Gesichtspunkten. Hierbei ist es nicht wie in etwa bei Spirit Island, dass es als bewusstes Stilmittel verwendet wird, um „das Gute“ vom „Bösen“ zu unterscheiden.

Neben dem Tableau wird noch Platz für die Ablage weitere Spielelemente benötigt.

Das eigene Spiel-Tableau hat bereits Auswüchse mancher Brettspiele, aber es wird eben zur Verwaltung etlicher Karten und Ressourcen benötigt. Schade, dass ausgerechnet für das Geld (Blaubeeren) und zusätzliche Aufwertungsplättchen, kein Platz vorgesehen ist und diese neben dem Tableau gesammelt werden müssen.

Letztlich ist dies alles Nörgeln auf hohem Niveau. Das Artwork ist wirklich schön anzusehen und in Summe sind die Materialien von guter haptischer Qualität. Selbst das Regelstudium fällt für geübte Eurogame-Interessierte recht gut aus. Auch wenn man es zweimal lesen muss, um die Querbeziehungen zu verstehen. Die Ikonographie ist oft zu kleinteilig. Man merkt, dass das Spiel unbedingt sprachneutral sein möchte. Das führt dazu, dass manche Symbole fast nie vorkommen und damit immer nachgeschlagen werden müssen. Manchmal ist es aber auch die Abfolge der Symbole, die den Spielenden etwas sagen möchte und daher ebenfalls verwirrend wirkt. Hier wäre Text vielleicht doch besser gewesen.

© Pegasus Spiele

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor*in(nen): Vladimír Suchý, Ross Arnold
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 80 bis 150 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Alter: ab 12 Jahren
  • Preis: ca. 54 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Pegasus Spiele publiziert wie gewohnt die Spielregeln zum Download auf ihrer Homepage. Wer lieber die englische Version lesen möchte, muss auf die Seite von Delicious Games wechseln und kann dort die entsprechende Datei herunterladen.

Auf Boardgamegeek gibt es eine sehr übersichtliche Spielhilfe. In der momentanen Version 1.0 hat sich noch ein kleiner Fehler bei einer verbesserten Aktion eingeschliffen (siehe dortigen Kommentar).

Das Spiel ist zum Stand Februar out-of-print bei Pegasus Spiele und wird voraussichtlich im März 2023 wieder erhältlich sein.

Fazit

Woodcraft ist ein Suchý-typisches, knallhartes Eurogame, dessen größter Reiz die Verzahnung der unterschiedlichen Spielmechaniken ausmacht. Sind die konkurrierenden Spielenden auf Zack, werden Strategiewechsel oder kurzzeitiges Ressourcen-Missmanagement unverzeihlich zur Niederlage führen. Die Interaktionsmöglichkeiten fallen dabei sehr gering aus. Daher sollte man sich vorher gut überlegen, welcher Spiel-Typus man selbst ist.

Die Helfer können einmalige, dauerhafte oder rundenbasierte Boni geben.

Bei Spielen wie in etwa Skymines wird man bei fast jedem Zug belohnt, wohingegen man bei Woodcraft deutlich stringenter auf eine Engine hinarbeiten muss. Das wirkt gerade in den ersten Partien sehr ungnädig. Vor allem Spielenden, die es bereits mehrere Male gespielt haben, werden gegenüber Neulingen eine gute Pinocchio-Nasenlänge voraus sein.

Für einen Titel auf Expertenniveau kommt das Thema erfreulicherweise zum Tragen. Den Fantasy-Anklang (unter anderem Blaubeeren als Geld) hätte man getrost weglassen können, da sich wirklich das gesamte Spiel um das Holzhandwerk dreht. Es ist alles dabei: Sägen, Kleben, Bäume einpflanzen, abernten und natürlich liebevoll gestalte Aufträge für die zahlenden Kund*innen fertigen.

Auch allein ein tolles Spiel, um unterschiedliche Taktiken zu erproben.

Überraschend gut ist der Solo-Modus gelungen. Es wird keine komplexe Ressourcenverwaltung für eine virtuelle Person abverlangt. Vielmehr verschiebt der Automa die Aktionsmöglichkeiten und klaut eher Siegpunkte, wenn man selbst zu langsam ist. Kurzweilige Solo-Abende mit der eigenen Tischlerei lassen sich uneingeschränkt empfehlen.

Kurz um: Vielspielende mit Komplexitätsanspruch sollten einen tieferen Blick für das Holzhandwerk erübrigen. Vor allem, sofern ihr mit Gleichgesinnten spielt. Als Einstieg für Expert*innen ist es weniger zu empfehlen, da Woodcraft falsche Entscheidungen gegenüber sehr ungnädig ist und die Aktionen zu wenig Belohnungen offerieren.

  • Thematisches Eurogame

  • Viele gut verzahnte Spielmechaniken

  • Gelungener Solo-Modus

 

  • Verzeiht keine Fehler

  • Fantasy-Setting hätte nicht sein müssen

 

 

 

 

Artikelbilder: © Pegasus Spiele
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Nina Horbelt
Fotografien: Horst Brückner
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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