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„Ich nahm all meinen Mut zusammen und griff erneut an. +3 Luck und +2 vom Barden, das musste einfach hinhauen. Ha! Kritischer Treffer! …“ – das klingt eher nach Live-Bericht einer Rollenspielrunde als nach Roman. Was hat es mit dem Genre „LitRPG“ auf sich, und wie neu ist dieses wirklich?

„LitRPG“ ist die Abkürzung für „Literary Role Playing Game“, was soviel bedeutet wie „textliches Rollenspiel“. Die Bezeichnung steht für Fantasy- oder Science-Fiction-Romane, welche den Konventionen von (Computer-)Rollenspielen folgen. Die „Stats“ („Eigenschaften“) der Hauptfigur(en) werden in diesem Genre genauso selbstverständlich beschrieben wie der Einsatz und die Verbesserung von Fähigkeiten oder die Auswirkungen von Stufenanstiegen.

Stilprägende Merkmale

Wichtigstes Merkmal von LitRPG-Erzählungen sind Hauptfiguren, die sich darüber bewusst sind, innerhalb eines Spieles zu handeln.

Das zweite wichtige Merkmal ist die Verwendung der Stats, also der Werte der Spielfiguren, sowie die Beschreibung der Auswirkungen ihrer Handlungen in Spielbegriffen. Es wird also nicht beschrieben, dass ein Schlag den Gegner am Arm verletzte. Stattdessen wird beispielsweise konkret gesagt, dass ein Treffer am Arm 26 Schadenspunkte verursacht hat, der Gegner aber 6 Rüstungspunkte abziehen konnte und so nur 20 Lebenspunkte verloren hat.

Es gibt zwei Hauptströmungen. In vielen Erzählungen leben die Hauptcharaktere in einer normalen Welt und tauchen regelmäßig in eine Spielwelt ein, um dort ihre Spielfigur zu verbessern und Ziele zu erreichen. Andere Erzählungen lassen die normale Welt außen vor und erzählen nur die Handlungen in der Spielwelt, jedoch ist den Hauptfiguren klar, dass sie in der Spielwelt handeln.

Einige neuere Werke lassen die Außenwelt völlig weg und konzentrieren sich nur auf die Spielwelt. Hier kann man streiten, ob den Hauptfigur(en) noch bewusst ist, dass sie in einem Spiel handeln. Die Erwähnung von Stats und der Stufenaufstieg sind jedoch weiterhin vorhanden.

In MMORPG gibt es oft langwierige Quests, bei denen viele Einzelstücke erledigt werden müssen, oder aber wiederholbare „Tagesquesten“, mit denen man Erfahrung sammelt. Ziel ist meist, den Charakter weiter „aufzuleveln“ und stärker zu machen. In der literarischen Umsetzung sind ebenfalls einige Anstrengungen notwendig, um auf das nächste Level aufzusteigen. Die Figuren in den Romanen wissen bereits, welche Belohnungen sie dort erwarten und wie lange sie noch brauchen, um diese zu erreichen.

Was ist kein LitRPG?

Es gibt einige Arten von Erzählungen, die gerne mit LitRPG verwechselt werden, diesem aber nicht zugeschrieben werden. Fantasy- oder Science-Fiction-Romane, die auf bekannten Welten basieren, beispielsweise die Drachenlanze-Reihe für (A)D&D oder die Phileasson-Saga für DSA, werden Rollenspiel-Romane genannt. Hier fehlen aber die konkreten Angaben von Spielwerten und spieltechnischen Auswirkungen. Bei Romanen zum Rollenspiel Shadowrun verwischt die Grenze etwas stärker, da kybernetische Einbauten der Charaktere benannt werden, allerdings wird auch hier eine Geschichte in der Welt erzählt, ohne Regel-Termini zu verwenden. Zur Abgrenzung von LitRPG wird diese Art Romane in LitRPG-Kreisen gerne als „GameLit“ bezeichnet.

Der Hexenmeister vom Flammenden Berg, ein archetypisches Abenteuer-Spielbuch © Goldmann
Der Hexenmeister vom Flammenden Berg, ein archetypisches Abenteuer-Spielbuch © Goldmann

Ein weiteres Genre, welches mit LitRPG verwechselt werden könnte, sind interaktive Spielbücher wie beispielsweise die Fighting Fantasy-Reihe oder auch sogenannte Solo-Abenteuer bekannter Rollenspiele. Hier ist die Geschichte nicht linear erzählt, sondern wird durch Entscheidungen des Lesers oder das Ergebnis von Würfelwürfen beeinflusst. Diesen Büchern fehlt zum einen der Romancharakter, und zum anderen ist zwar dem Leser bewusst, dass die Geschichte in einer Rollenspielwelt spielt, dem Protagonisten ist dies jedoch nicht klar. Die gängige Genre-Bezeichnung ist hier „Interactive Fiction“.

Geschichtliche Entwicklung

Für die meisten Leser scheint LitRPG ein neues Genre, welches sich gerade am Markt zu etablieren scheint. Doch das trügt.

Frühe Werke

Erzählungen, in denen die Welten von Rollen- oder Computerspielen betreten werden, gibt es bereits seit den 80ern. Dream Park beispielsweise versetzt die Charaktere in eine Reality-Show, die einem Liverollenspiel gleicht. Allerdings fehlt hier noch die Beschreibung der Stats.

Filme wie Tron oder Jumanji folgen dem gleichen Schema. Die beiden aktuellen Nachfolger Jumanji: Willkommen im Dschungel und Jumanji: The Next Level lassen sich sogar fast dem Genre LitRPG zuordnen, da den Charakteren nicht nur bewusst ist, dass sie sich in einem Spiel befinden, sondern sie mit diesem interagieren: Die Charaktere greifen beispielsweise auf ihre Charakterbögen zu und haben eine Anzeige verbleibender Leben.

Textadventure, MUD und MMORPG

Bereits in den 70ern etablierten sich sogenannte Textadventures. Dies sind Computerspiele, bei denen lange Lesetexte die Situation beschreiben, auf die der Spieler dann durch die Eingabe von Kommandos („Gehe nach Norden“) reagieren kann. Diese Spiele waren auf einzelne Spieler ausgelegt.

Nightfall, ein seit 1990 aktives Multi User Dungeon (MUD) © Nightfall-WebTeam
Nightfall, ein seit 1990 aktives Multi User Dungeon (MUD) © Nightfall-WebTeam

Anfang der 80er begann die Verbreitung von Computer-Netzwerken und kurz danach auch die Verbreitung von Mehrspieler-Textadventures, genannt MUD (Multi User Dungeon). Das grundlegende Spielprinzip ist das gleiche, man steuert seine Figur durch die Eingabe von Befehlen und erhält die geänderte Situationsbeschreibung als Text. In einem MUD können jedoch mehrere Menschen zusammen spielen.

Die nächste Stufe der Online-Spiele stellten die MMORPG (Massively Multiplayer online Role-Playing Game) dar. Diese Beschreibung würde zwar auch auf MUD zutreffen, allerdings bezeichnet sie grafisch umgesetzte Computerspiele, bei denen ein sichtbarer Charakter direkt gesteuert wird und mit der Welt interagiert. Bekanntester Vertreter dieses Genres ist World of Warcraft von Blizzard Entertainment. Vorreiter waren unter anderem Ultima Online und Meridian 59.

Die Hersteller der MMORPG haben ein Interesse daran, die Spieler möglichst lange in ihren Spielwelten zu halten. Dafür ist es wichtig, den Spielern genug zu tun zu geben.

Während es bei MUD noch üblich war, dass Spieler ab einer bestimmten Stufe selbst weitere Geschichten für die Welt schreiben durften, war dies bei modernen grafischen MMORPG schon aus technischen Gründen nicht mehr möglich. Die bei anderen Computerspielen üblichen Durchspiel-Zeiten von 20 bis 60 Stunden sind hier wenig erstrebenswert. Stattdessen werden von den Herstellern regelmäßig neue Spielinhalte bereitgestellt, die das bestehende Spiel erweitern.

Um die Spieler zwischen den in großen Patches bereitgestellten neuen Inhalten bei der Stange zu halten wurden wiederholbare Quests, extrem hohe Erfahrungspunkt-Ziele oder schwierige Voraussetzungen für besondere Ausrüstung eingeführt – der dadurch provozierte Grind soll die Zeit zwischen den Patches füllen und die Spieler im Spiel halten.

Eine typische Quest in Elder Scrolls Online © Zenimax Online Studios
Eine typische Quest in Elder Scrolls Online © Zenimax Online Studios

Der LitRPG-Durchbruch: Sword Art Online

Einem breiten Publikum zugänglich wurde das Genre hauptsächlich durch die Reihe Sword Art Online von Reki Kawahara um das gleichnamige VR-MMORPG (Virtual Reality MMORPG). Die erfolgreiche Buchreihe wurde schnell auch als Anime-Serie umgesetzt. Die Figuren der Reihe tauchen in eine mittelalterliche Welt ein und sammeln hier durch das Töten von Monstern Erfahrung, durch die sie wiederum in Stufen aufsteigen und mächtiger werden.

Der Begriff „LitRPG“

Sowohl der sehr Stats-lastige Stil als auch der Name LitRPG etablierten sich zuerst in Russland. Die ersten Erzählungen in diesem Stil erschienen bereits 2012 auf der russischen Selbstverlags-Webseite samizdat.ru.

Der Name LitRPG war ursprünglich der Titel eines Multi-Autoren-Projektes des größten russischen Verlagshauses EKSMO. Er entstand im Jahr 2013 in einer Brainstorming-Session zwischen den Autoren Vasily Mahanenko und Alex Bobl, sowie dem verantwortlichen Herausgeber für Science-Fiction bei EKSMO, Dmitry Malkin. Seitdem veranstaltet EKSMO jährliche LitRPG-Wettbewerbe und veröffentlicht die Gewinner-Erzählungen.

Einstiegslektüre

Zum Abschluss möchte ich ein paar Bücher vorstellen, die einen guten Überblick über das Genre geben können. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Sword Art Online – Novel 01 (Reki Kawahara)

© TOKYOPOP
© TOKYOPOP

Sword Art Online ist, wie oben beschrieben, ein Vorreiter des Genres. Die Light Novels glänzen mit vielen Zeichnungen zusätzlich zum Text. Beschrieben wird ein Virtual-Reality-Spiel, bei dem der Entwickler sagt, man könne sich erst dann sicher ausloggen, wenn man das höchste Level erreicht hat. Die Geschichte folgt einem der Betatester des Spiels, der große Teile der Spielwelt bereits kennt.

 

  • Preis: 9,95 EUR
  • Verlag: TOKYOPOP
  • ISBN: 978-3842011144
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Dungeon Born (The Divine Dungeon Book 1) (Dakota Krout)

© Mountaindale Press
© Mountaindale Press

Dungeonborn erzählt die Geschichte eines Dungeon Core (Verlieskern), der sich im Laufe der Geschichte zu einem Dungeon entwickelt, mächtiger wird und regelmäßige Besuche von Helden überstehen muss. Dabei wird nebenbei auch erklärt, wo die ganzen Monster und die Beute herkommen. Das Buch liest sich, wie sich Dungeon Keeper spielt: schnell und kurzweilig. Leider gibt es noch keine deutsche Übersetzung.

  • Preis: 15,74 EUR
  • Verlag: Mountaindale Press
  • ISBN: 978-1950914050
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fluchbrecher: Die Eisraben-Chroniken 1 (Richard Schwartz)

© Piper
© Piper

Das Bewusstsein der bei einem Unfall schwerverletzten Special-Forces-Pilotin Alexandra McInnes wird durch kybernetische Implantate in das VR-Spiel Vorena versetzt. Hier erfüllt sie Aufgaben, verbessert ihren Charakter und erobert mit verbündeten Spielern andere Reiche. Doch die Fantasy-Welt scheint realer zu sein, als man anfangs geahnt hat.

 

 

 

  • Preis: 17,00 EUR
  • Verlag: Piper
  • ISBN: 978-3492705196
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Alterworld: Play To Live. A LitRPG Series (Book 1) (Dmitry Rus)

© D.Rus
© D.Rus

Max hat Krebs im Endstadium und möchte sich ein virtuelles Leben nach dem Tod sichern. In der virtuellen Realität beginnt er ein Leben als hochelfischer Hexenmeister in einer Fantasy-Welt und steigt durch einige geschickte Entscheidungen sehr schnell auf.

Dieses Buch ist definitiv für Erwachsene und teilweise sehr düster und drastisch geschrieben. Leider ist der Rest der Serie nur bedingt empfehlenswert, da der Autor in späteren Werken sehr konservative Werte vertritt (Homophobie, Sexismus etc) und dadurch seine Charaktere kaputtschreibt. Ich habe lange überlegt, ob ich das Buch hier aufnehmen sollte, allerdings ist es eines der stilprägenden Werke des Genres. Dmitry Rus gehört zu den Leuten, die den Namen des Genres miterfunden haben.

Die Alterworld-Reihe ist bisher noch nicht auf Deutsch erschienen.

  • Preis: 20,27 EUR
  • Verlag: D.Rus
  • ISBN: 978-0990707905
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Ready Player One (Ernest Cline)

© Penhaligon Verlag
© Penhaligon Verlag

Einer der bekanntesten Romane des Genres ist spätestens seit der gleichnamigen Verfilmung der Roman Ready Player One von Ernest Cline.

Ready Player One ist eine Hommage an die Nerd-Kultur der 80er. In einer nahen Zukunft spielt sich ein Großteil des Lebens in einer virtuellen Welt namens OASIS ab. Hier geht man zur Schule, hier arbeiten viele, und hier verbringt man seine Freizeit. Als der Gründer der Welt stirbt, geht eine virtuelle Jagd um sein Vermächtnis los: um die Macht über die Welt selbst.

Da bei Ready Player One keine Rollenspiel-Mechaniken beschrieben werden, ist die Zuordnung des Romans zum Genre LitRPG nicht unumstritten.

  • Preis: 32,90 EUR
  • Verlag: Penhaligon Verlag
  • ISBN: 978-3764530907
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Abschluss

LitRPG ist ein spannendes Genre, gerade für Nerds und Rollenspiel-Fans. Der Leser erfährt viel über die Spielmechaniken innerhalb der jeweiligen Welten. Manchmal findet man auch literarische Erklärungen für gängige Mechaniken in Tisch- oder Online-Rollenspielen. Das ständige Nennen von Spielwerten ist hier Teil der Immersion, statt diese zu stören. Trotzdem werden lineare Geschichten erzählt, im Gegensatz zu Spielbüchern sind keine Entscheidungen vom Leser gefordert. Es lohnt sich, sich einmal auf dieses Genre einzulassen.

Titelbild: © vukkostic91 | depositphotos
Artikelbilder: © wie gekennzeichnet

Screenshots: Henning Lechner
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids

1 Kommentar

  1. Hi, bin über Dungeon Crawler Carl von Mat Dinniman gestolpert… unglaublich empfehlenswert (vor allem das englische Audiobook).
    LG
    Boris

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