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Frisch zur kalten Jahreszeit ziehen wir mit unserem Stamm durchs ewige Eis auf der Suche nach Stammesmitgliedern, Tieren, die uns auch als Futter dienen können, aber vor allem einem frostigen Mix unterschiedlichster Spielmechaniken. Ob diese auch zusammenpassen oder gar mehr sind als die Summe ihrer Teile, erfahrt ihr bei uns.

Ist es ein Bollwerk gegen die globale Erwärmung oder sollen wir einfach nur einen kühlen Kopf bewahren nach all den Diskussionen mit quermeinenden Menschen? Die Brettspielewelt beschert uns aktuell allerhand frostigen Zeitvertreib: Bei Frostpunk müssen wir in einer zukünftigen Eiszeit schwere Entscheidungen treffen und bei Revive, das ebenfalls verschiedene Mechaniken verzahnt, streifen wir mit unserem Stamm durchs postapokalyptische ewige Eis, um alte Technologien wiederzuentdecken. Hier befinden wir uns knapp 10.000 Jahre vor unserer Zeit, wollen mit dem Jagen-und-Sammeln-Dasein brechen und endlich sesshaft werden.

Spielablauf

Die beiden grundlegenden Spielelemente verbinden Deckbuilding, also das Ausspielen von Handkarten aus dem eigenen wachsenden Nachziehstapel, mit Worker Placement, also das Einsetzen der eigenen drei Stammesmitglieder.

Tableau: Das Start-Tableau bietet Platz zum Be- und Freispielen von Boni.

Wir platzieren unseren Häuptling (mit Sonderfunktion) und die beiden anderen Meeple reihum auf bestimmten Aktionsfeldern. Hier erhalten wir Einkommen und Handlungsmöglichkeiten – das meiste davon müssen wir jedoch bezahlen. Entweder mit Arbeitskraft, die jede Stammesmitgliedskarte bietet, oder mit den Ressourcen Nahrung und Werkzeug, die wir auf unserem Tableau abtragen. Alle der vier Grundaktionen sind immer nutzbar, doch nur die erste Person, die eine wählt, erhält noch einen zusätzlichen Bonus, so dass gerade die erste Aktion gut gewählt sein will. Nachdem wir alle drei davon genutzt haben, gehen wir in eine Sonnenfinsternis-Phase, in der die Zugreihenfolge der nächsten Runde bestimmt und durch freigespielte Passiv-Effekte Einkommen wie Nahrung, Siegpunkte oder weitere Effekte abgehandelt werden. Nach der vierten Sonnenfinsternis also vier mal drei Zügen endet das Spiel und die Person mit den meisten Siegpunkten gewinnt.

Startkarten: Deckbuilder-typisch starten wir mit schwächeren Standard-Karten.

Vom Jagen und Sammeln

Die vier Aktionsbereiche (jeweils mit mehreren Unteraktionen) bilden dabei das Herzstück des Spiels und korrespondieren jeweils mit unterschiedlichen Sub-Mechaniken:

  • Einweihen: Um unser Start-Deck aufzubessern, erhalten wir hiermit neue spezialisierte Karten aus einer offenen Auslage. Diese hält fünf verschiedene Stammesmitglieder bereit, die jeweils in den Aktionen besser sind. Da wir sie auf unseren Nachziehstapel legen, können wir so unsere nächste Runde vorbereiten. Zudem können wir auch Karten aus unserem Deck ablegen (Stammesmitglieder auf den Friedhof befördern). Damit generieren wir Siegpunkte, sind sie aber auch aus unserem Deck los.

  • Entwickeln: Neben den Stammesmitgliedern gibt es auch Fortschrittskarten. Diese können wir zu Beginn einer Runde für ihre oft mächtigen einmaligen Effekte ausspielen. Zudem kaufen wir hier Heilige Steine, die uns für das Erreichen bestimmter Ziele in jeder Sonnenfinsternis zusätzliche Siegpunkte bescheren.

  • Weiterziehen: Im Spiel begleiten wir unseren Stamm auf dem Weg vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit und das tun wir hier. Wir bauen Zelte mit Werkzeugen, können sie mit Arbeitskraft weiter über eine stets neu gemischte Auslage an hexagonalen Landschaftsplättchen bewegen und aus je drei umliegenden Zelten eine Siedlung bauen, wenn wir genug Nahrung zur Verfügung haben. Mit diesen Zelten und Siedlungen wird in der Sonnenfinsternis-Phase auf jedem Feld geschaut, wer die Mehrheit besitzt und all jene erhalten die darauf gezeigte Nahrung.

  • Jagen: In der wohl einfachsten Aktion nehmen wir uns aus einer Auslage eine Tierkarte, die wir auch auffrischen können. Diese Tiere können wir zu Sets von bis zu vier Karten für Siegpunkte sammeln oder wir können sie essen, um vor allem Nahrung, aber auch andere Ressourcen zu gewinnen.

  • Wenn wir nichts Besseres anzufangen wissen, können wir unseren Worker auch auf das Ruhefeld setzen, um eine Karte zu ziehen, ein Tier in Nahrung zu verwandeln und einen Bonus bei der Ermittlung der Zugreihenfolge für die nächste Runde zu generieren.

Die vier komplexen Aktionen: Einweihen, Entwickeln, Weiterziehen, Jagen.

Und sonst so am Lagerfeuer?

In der Sonnenfinsternis-Phase und auf einigen Fortschrittskarten begegnet uns noch eine weitere Spielebene: Der Bau von Megalithen. Auf einem separaten Tableau platzieren wir Steine, die auf der unteren Ebene Effekte generieren (vor allem Ressourcen) und auf höheren Ebenen Siegpunkte. Freigespielte Siedlungen und Megalithenstein-Plätze auf dem eigenen Tableau gewähren ebenfalls Einkommen sowie die Mehrheiten auf der Zeltlandschaft.

Wiederspielbarkeit durch variablen Megalithenaufbau.

Wie viele Siegpunkte es am Ende für übrig gebliebene Ressourcen und den Stapel der auf dem Friedhof befindlichen Karten gibt, wird zudem noch über zwei Opfergabenleisten geregelt.

Klingt nach einer Menge? Ist es auch. Aber sobald einmal der Dreh raus ist, spielt es sich erstaunlich fluffig so wie viele vergleichbare Punktesalat-Spiele. Zusätzliche Variabilität wird durch zufälligen Aufbau der diversen Auslagen und Spielfelder, wie auch wechselnde Start-Ressourcen und Ziele gegeben.

Ausstattung

Das Spielmaterial ist sehr ansprechend – alles in frostigem Eisweiß-Blau gehalten. Der distinktive künstlerische Stil von The Mico, der eigentlich Mihajlo Dimitrievski heißt, dürfte vielen von den Valeria, Nordsee- und Westfrankenreich-Spielen bekannt vorkommen oder auch von Merchants Cove.

Einfach schön: Der Blick in die Schachtel.

Die Stammes-Tableaus sind zweischichtig, so dass keine Marker und Token verrutschen, die Miniaturen hübsch-hässlich, entsprechend des etwas grobschlächtigen Stils, aber vor allem das vorbildlich aufgeräumte Insert verdient eine besondere Hervorhebung. Jede Spielendenfarbe hat ein eigenes handliches Paket mit allem persönlichen Material. Daneben finden die allgemeinen Karten, Token und Figuren Platz in einem weiteren großen Sortierkasten. So wünschen wir uns das.

Die knuffigen Stammes-Oberhäupter.

Das Regelwerk ist gut strukturiert und bietet uns neben Aufbau, Rundenablauf und einer detaillierten Übersicht der Aktionen auch eine gute Übersicht über wichtige allgemeine Regeln. Auf der Rückseite des Regelhefts findet sich eine Übersicht aller Symbole. Der von uns nicht getestete Solo-Modus wird in einem eigenen Regelheft behandelt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Frosted Games, Pegasus Spiele
  • Autor*in(nen): Stan Kordonsky
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Spieldauer: 60-120 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Alter: 12+
  • Preis: ca. 65 Euro
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Die Spielanleitungen sind bei Pegasus zum Download verfügbar.

Neben dem Grundspiel sind bereits drei Erweiterungen direkt mit erschienen:

Mit Höhlenmalerei erhalten alle ein ihrem Totem-/Stammestier entsprechendes Tableau, um als weitere Aktionen dieses als Höhlenmalerei zu zeichnen, was natürlich das neue Stammesmitglied, die Malerin, am besten beherrscht.

Die drei Erweiterungen für noch mehr Abwechslung.

Flüsse und Flöße bietet ein alternatives Landschaftslayout, das nicht von einem zentralen Feld, sondern an einem Fluss entlang aufgebaut wird. Zudem begegnen uns Naturwunder als neues Spielelement.

Die Ahnen-Erweiterung bietet vor allem jede Menge neues Kartenmaterial in Form von neuen Stammesmitgliedern, Tieren und Fortschrittskarten.

Fazit

Der Bison macht Muh und viele Büffel machen Mühe oder so ähnlich heißt es. Hier liegt das zentrale Problem eines Spiels, das viele stimmige Spielelemente vereint. Man hat bei den ersten Partien schnell das Gefühl, dass man vieles will, aber eigentlich schon am Anfang auf eine bestimmte Strategie hätte hinspielen müssen, so dass es für ein Punktesalat-Spiel zu ungewöhnlich eklatanten und entsprechend demotivierenden Punkteunterschieden in der Endauswertung kommen kann.

Bis dahin jedoch fühlen sich die eigenen Züge sehr befriedigend an. Man kommt stets voran und macht etwas Sinnvolles, Produktives und wenn die Ressourcen genau reichen, um die neue Siedlung auch noch diese Runde fertigzustellen, sorgt das schon für ein kleines Erfolgserlebnis. Aktionen gibt es ja gar nicht so viele, aber die sind in sich, verzahnt mit den Handkarten, derart komplex, dass schnell der Gedanke kommt, dass vielleicht doch noch mehr drin ist. Somit ist das Spiel leider sehr anfällig für Analyse Paralyse und wenn die Züge der Mitspielenden auch schon mal fünf bis zehn Minuten dauern, führt das entsprechend zu langer eigener Downtime.

Zum Sammeln oder Essen, die Tiere des ausgehenden Paleolithikums.

Wen es nicht abschreckt hier einen letztlich gut planbaren, aber dann irgendwie doch nicht vollends strategischen Eisbrocken vor sich zu haben, ist aber sicher gut aufgehoben in dem Spiel, das sich allein aufgrund des Zeichenstils nicht zu ernst nimmt.

Von uns also für ein eisig-bunt zusammengewürfeltes Spiel, das vieles richtig macht, aufgrund der langen Downtime 4 von 5 Mastodons.

  • Komplexe Aktionen…
  • Hochwertiges, stimmiges Spielmaterial
  • Große Wiederspielbarkeit
 

  • … schaffen Potential für große Downtime

 

Artikelbilder: © Pegasus Spiele, ©  zlikovec |depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Denise Hollas
Fotografien: Kaddy Arendt, Daniel Hoffmann
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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