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Mit der erfolgreichen Vorbestellaktion durch System Matters ist Ironsworn auch auf Deutsch erhältlich. Was aber passierte danach im Hintergrund und welche Steine müssen auf dem Weg zu einem übersetzten Rollenspiel aus dem Weg geräumt werden? Dies und noch einiges mehr beantwortet uns der verantwortliche Redakteur Stefan Droste im Werkstattbericht.

Stefan Droste, Redakteur für Ironsworn
Stefan Droste, Redakteur für Ironsworn

Als Redakteur für Dungeon World und durch seine Mitarbeit bei So tief die schwere See hat Stefan Droste bei System Matters schon Erfahrung mit der Übersetzung von PbtA-Regelwerken gesammelt. Vor seiner Zeit bei System Matters hat er als Redakteur an Cthulhus Ruf mitgearbeitet. Damit ging es gut gerüstet als verantwortlicher Redakteur an die Übersetzung von Ironsworn, welches wir in der englischen Fassung im März besprochen haben. Die erfolgreiche Vorfinanzierungsaktion deutet auf ein hohes Interesse an diesem eher in einer Nische zu verortenden System – Grund genug für uns, einmal hinter die Kulissen zu schauen.

Eine erfolgreiche Vorbestellung

Teilzeithelden: Hallo Stefan und vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Ich möchte die erfolgreiche Vorfinanzierung eurer Ironsworn-Übersetzung einmal zum Anlass nehmen, unseren Leser*innen einen Einblick in eure Übersetzungs-Schmiede zu geben. Bevor wir ins Detail gehen, möchte ich gern wissen: Warum habt ihr euch für Ironsworn entschieden? Oder anders gefragt: Warum „mattert“ dieses System so sehr, dass ihr es probieren wolltet?

Stefan: Mir war Ironsworn schon in der frühen Entwicklungsphase auf RPG.net aufgefallen, als Shawn Tomkin dort die ersten Entwürfe vorgestellt hat. Damals hat mich der robuste Regelkern und das saubere Layout schon in der frühen Phase sehr beeindruckt. Als es dann ein paar Jahre später herauskam, ist es dann ja auch schnell zum Bestseller bei DriveThruRPG aufgestiegen – trotz freier „Pay what you want“-Preisgestaltung beziehungsweise als PDF-Version sogar kostenlos.  Aus meiner Sicht ist es das derzeit hochwertigste Gratisrollenspiel und als Erzählspiel mit PbtA-Regeln fügt es sich gut in unsere Produktlinie ein.

Teilzeithelden: Die Vorfinanzierung war nach neun Tagen schnell erreicht. Habt ihr mit diesem Erfolg gerechnet? Und kannst du verraten, wie viele Besteller*innen es gibt und was hauptsächlich bestellt wurde?

Stefan: Ich war mir schon sehr sicher, dass das was wird. Daniel (Daniel Neugebauer, operativer Geschäftsführer von System Matters, Anm. d. Red.) war eher skeptisch, weil er das System nicht kannte und ich da ein bisschen Überzeugungsarbeit geleistet habe. Mit der Anzahl der Vorbesteller*innen bewegen wir uns mit etwas über 320 schon im Bereich von Mythos World, das ist dann schon ganz ordentlich für so ein kleines System. Am meisten bestellt wurde tatsächlich das Bundle (Buch, PDF, gedrucktes Kartenset, Mappe mit Spielmaterial). Durch das Paket konnten wir günstiger anbieten, als es dann im Handel einzeln verkauft werden muss.

Teilzeithelden: Wie erklärst du dir das Interesse?

Stefan: Ich denke, da spielt mit rein, dass Ironsworn eine sehr aktive Community hat, mit Podcasts und Let’s Plays auf YouTube. Dadurch ist es auch einigen deutschsprachigen Spieler*innen aufgefallen. 

Ironsworn – Vorbestellungs-Bundle
Ironsworn – Vorbestellungs-Bundle

Warum Ironsworn?

Teilzeithelden: Und was macht es für dich spielerisch besonders interessant, wodurch hebt sich Ironsworn von den anderen PbtA-Systemen ab?

Stefan: Erzählspiele gibt es eine ganze Menge und oft war früher dabei der Ansatz, dass man dafür gar keine expliziten Regeln braucht. Interessanter für mich sind da Systeme mit klaren Regeln, welche die Narrative gezielt vorantreiben. Die aktuelle Generation von Erzählspielen wie zum Beispiel Blades in the Dark oder So tief die schwere See macht das gut vor. Ironsworn steht da ganz in der Tradition dieser Spiele und ist laut Shawn auch hauptsächlich von PbtA und Fate inspiriert, verändert aber einige Kernelemente auf eine für mich spannende Weise. Die modulare Charaktererschaffung mit Ressourcen zusammen mit der großen Zahl von Spielzügen bietet Spieler*innen viel mehr Freiheiten als die klassischen Playbooks, aber das alles zusammenfassende Kernelement bleiben die Schwüre, die der*die Protagonist*in leistet. Darüber hinaus ist es auf drei Arten spielbar: auf klassische Weise mit SL, kooperativ und sogar als Solo-RPG.

Teilzeithelden: Die erwähnten Ressourcen (engl. assets) sind in der Übersetzung durch den später auf Englisch als Download erschienen Zusatzkatalog von euch ergänzt worden. Ansonsten sieht die deutsche Version genauso aus wie das Original. Warum habt ihr euch dieses Mal gegen weitere Überarbeitungen entschieden?

Stefan: Wir haben uns in beiden Fällen vorher in der Community umgehört und geschaut, was es an Anmerkungen und möglichen Verbesserungen gibt und wie wir das integrieren können. So haben wir auch den Leitfaden zum Spiel von Dungeon World in die Übersetzung integriert.

Bei Ironsworn war dagegen das Stimmungsbild eher „Alles gut, wie es ist“. Im Gegensatz zu Dungeon World wurde es aber vom Autor über die Jahre stetig erweitert und verbessert, so dass wir da ein in sich sehr rundes Produkt als Vorlage haben.

Teilzeithelden: Bei euren anderen Übersetzungen nutzt ihr oft Zeichnungen als Illustrationen, die den Werken noch einen eigenen Stil mitgeben. Hier habt ihr die lizenzfreien Stockbilder des Originals übernommen. Gab es keine Überlegung, diese zu ersetzen? Ich finde sie in der Gesamtheit sehr gelungen ausgewählt, aber es ist eine eher untypische Art der Illustration, oder?

Stefan: Untypisch vielleicht, aber darum nicht weniger passend! Aus unserer Sicht stützen die Bilder das aufgeräumte Layout und den übersichtlichen Satz der Texte sehr gut. Außerdem sind die Bilder ja zum Teil sehr stark bearbeitet und konstruiert worden und mitnichten „nur Stockfotos“. Shawn hatte auf Twitter gezeigt, wie das Cover entstanden ist. Da ist also schon Aufwand reingeflossen und das Ergebnis spricht ja auch für sich.

Trotzdem hatten wir überlegt, andere Grafiken zu nehmen, wie es ja auch in der geplanten, spanischen Version gemacht wird. Man darf aber nicht vergessen, dass Illustrationen ja auch beauftragt werden müssen und Geld kosten. Bei der Seitenzahl wären wir dann schnell bei 50-60 EUR und damit über dem angepeilten Preis und würden damit mit der englischen, kostenlos herunterladbaren Version konkurrieren. Da haben wir uns in der Abwägung lieber dafür entschieden, den deutschen Käufer*innen einen fairen Preis anzubieten und ich finde, das haben wir mit 35 EUR für das Buch geschafft.

Die Arbeit hinter der Übersetzung

Teilzeithelden: Gab es denn besondere Hürden oder Herausforderungen bei der Umsetzung?

Stefan: Ja, tatsächlich war es gar nicht so einfach, unsere Ausgabe eben möglichst deckungsgleich zu layouten. Bis auf die zusätzlichen Ressourcenkarten, die natürlich die Seitenzahlen danach verändern, kann man die beiden Ausgaben nebeneinanderhalten und vergleichen. Da aber der gleiche Text auf Deutsch deutlich mehr Wörter hat, konnten wir das nur über den Trick erreichen, das Format anzupassen – vom englischen (6×9“, ca. 230×150 mm) auf B5 (176 x 250 mm) für die Übersetzung.

Ansonsten sind wir sehr dankbar, dass Shawn uns die originalen Layout-Dateien zur Verfügung gestellt hat, das hat die Arbeit natürlich enorm vereinfach.

Teilzeithelden: Das kann ich mir vorstellen! Wieviel Arbeit macht denn so eine Übersetzung, hast du eine ungefähre Zahl, wie viele Stunden da hineinfließen?

Stefan: Das ist wirklich schwer zu beziffern. Wir haben uns die Arbeit ja aufgeteilt, ich habe mich als Redakteur um Satz und Layout gekümmert und die Übersetzung hat Lukas (Lukas Feinweber, Übersetzer bei System Matters, Anm. d. Red.) dann gemacht. Wir schreiben jetzt keine Zeiten mit, aber ich glaube, ich spreche da für viele in der Branche, wenn ich sage: Man kann so ein Projekt nur mit viel Eigenmotivation und Überzeugung machen. Wenn wir alle Stunden aufschreiben würden und nach Mindestlohn gehen, müssten die Bücher sicher zwei- bis dreimal so teuer sein – das kann einfach kein Hobbyverlag mit den winzigen Auflagenzahlen auf dem sehr übersichtlichen, deutschen Markt leisten und das würden wohl auch nur Wenige bezahlen. Trotzdem versuchen wir, branchenübliche Preise zu zahlen.

Teilzeithelden: Ihr habt die titelgebenden Iron Vows mit „Eiserne Eide“ übersetzt, eine schöne Alliteration. Ich hätte selbst aber eher „Schwur“ genommen. Was spielt bei der Klärung der Begriffe mit hinein, speziell bei diesem Beispiel?

Stefan: Ja, die Alliteration ist ein schöner Nebeneffekt. Aber da spielen noch einige andere Faktoren mit rein. Zuerst steht so ein Begriff ja selten für sich alleine. Es gibt da den Spielzug „Swear an Iron Vow“ – da klingt „Eid schwören“ schon besser als „Schwur schwören“. Dazu muss man sich auch vorstellen, wie die Begriffe am Spieltisch funktionieren, wenn sie wieder und wieder gesagt werden. Da fallen sperrige Begriffe schnell raus, auch wenn sie formal vielleicht besser passen.
Und nicht zuletzt müssen die Wörter ja auch auf den Charakterbogen in die vorgesehenen Felder passen. Denn am Ende ist ein Regelbuch in erster Linie eine Spielanleitung und kein Roman. Das merkt man ja auch der Vorlage an, die der Autor immer wieder selbst beim Spielen benutzt und für die Anwendung am Spieltisch verfeinert hat.

Teilzeithelden: Wie sieht es mit Begriffen aus, die in Bezug auf marginalisierte Gruppen problematisch sein könnten? Ist „Sensivity Reading“ ein Thema bei euch und falls ja, wie setzt ihr das um?

Stefan: Daniel und Patrick (Patrick Jedamzik, operativer Geschäftsführer von System Matters, Anm. d. Red) haben prinzipiell ein wachsames Auge auf potenziell problematische Themen. Wir haben aber ansonsten keine expliziten „Sensivity Reader“, da wir selbst keine eigenen Spiele entwickeln. Trotzdem muss man auch bei Übersetzungen aufpassen. Am Beispiel von Ironsworn haben wir uns zum Beispiel für „Geflüchtete“, statt dem etwas aufgeladeneren „Flüchtlinge“ entschieden, auch wenn Shawn Tomkins sich grundsätzlich viel Mühe für Inklusivität gegeben hat.

Im Fall von Mythos World war es etwas kniffliger, weil dort das Thema psychische Erkrankungen viel Raum einnimmt, in einer Weise, die sehr nah an der echten Welt ist. Das haben wir dann von Externen mit entsprechenden fachlichen Hintergründen gegenlesen lassen. Die haben uns auch geholfen, das durch die Lovecraft-Vorlage inhärente Thema Rassismus in Form von Kommentaren im Buch zu erläutern und zu entschärfen.

Teilzeithelden: Das heißt, ihr macht sozusagen fallbezogenes Sensivity Reading?

Stefan: Ja, wir haben grundsätzlich ein Auge darauf, wie sehr bestimmte Begriffe und Themen sich in der echten Welt wiederfinden und schauen dann, wie wir damit umgehen. Je nach Welt und Spielthema ist das bei Fantasywelten eher seltener und je mehr das Setting an unserer Welt angelegt ist, desto genauer muss man da üblicherweise hinschauen.

Teilzeithelden: Hast du vielleicht noch ein Beispiel für typische Fallstricke?

Stefan: Bei Ironsworn hatten wir viele Regelerklärungen, die sich mit „you…“ an die Leser*innen wenden. In manchen Fällen war nicht allein durchs Lesen klar ersichtlich, ob das im Singular oder Plural gemeint ist, das hat sich dann erst beim Ausprobieren geklärt.

Teilzeithelden: Das heißt, ihr macht auch Testrunden als Redakteur*innen, bei denen ihr dann eure Übersetzungen ausprobiert?

Stefan: Nicht so oft, wie wir gerne würden. Mittlerweile haben wir so viele Systeme im Programm, dass wir gar nicht mehr dazu kommen, alles auszuprobieren. Meistens testen die Redakteur*innen aber zumindest „ihre“ Systeme in den Hausrunden und schauen, wie die Begriffe so ankommen. Für mehr fehlt bei dem Umfang einfach die Zeit.

Blick in die Zukunft

Hier ist Stefan das Orakel.
Hier ist Stefan das Orakel.

Teilzeithelden: Wie sieht es mit weiteren Veröffentlichungen aus? Auf Englisch ist schon die Dungeon-Erweiterung Ironsworn: Delve erschienen. Werdet ihr das auch noch angehen?

Stefan: Wir haben es auf dem Schirm, aber ich kann da aktuell leider noch keinen Termin nennen. Man bekommt aber schon das erste deutsche Fanzine Tales from the Ironlands, was gar nicht von uns ist, sondern von zwei Fans, die über Discord mit uns Kontakt aufgenommen haben.

Teilzeithelden: Wird es irgendwann eigene Veröffentlichungen von euch geben?

Stefan: Ein paar Ideen für Ironsworn-Ableger gibt es zwar, aber ich bezweifle, ob wir die bei den ganzen anderen Projekten jemals realisiert bekommen. Da sind wir auf Fans angewiesen, die ihre Kreativität einbringen und wenn dabei etwas wie das genannte Fanzine entsteht, schauen wir gern, ob und wie wir das unterstützen können.

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Teilzeithelden: Shawn ist weiterhin produktiv und arbeitet schon selbst an einem Science-Fiction-Ableger, Ironsworn: Starforged, wofür gerade ein Kickstarter läuft. Wie sieht es da aus, wird das für euch ein Thema?

Stefan: Da werden wir erstmal abwarten, wie Delve läuft und ob sich da größeres Interesse entwickelt. Dabei muss man aber sagen: Science-Fiction ist immer schwieriger als Fantasy. Hier wird die Community zeigen, ob und wie groß die Nachfrage da wird und wie sich Ironsworn in den nächsten ein, zwei Jahren in Deutschland entwickelt.

Teilzeithelden: Ich hoffe gut und wünsche euch viel Erfolg mit diesen und anderen Projekten!

 

Artikelbilder: © System Matters
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Jessica Albert
Fotografien: Benjamin Dose

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