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Horror vor dem Hintergrund des zweiten Weltkrieges: Das Setting von Achtung!Cthulhu 2D20 ist düster und actionreich. Wir haben das System getestet und dafür das Abenteuer Under the Gun gespielt, in dem es tapfere Charaktere in die von deutschen Fliegerangriffen gebeutelte Hafenstadt Dover verschlägt.

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Achtung!Cthulhu 2D20 auf dem internationalen Markt. Wann es eine deutsche Übersetzung geben wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Wir haben das System schon mal für euch angespielt – mit dem Abenteuer Under the Gun.

Die Spielwelt & Regeln und Charaktererschaffung

Szenarios aus einer klassischen Cthulhu-Mythos-Welt, aber statt in den 1920er Jahren in den 1940ern und an den verschiedenen Fronten des Zweiten Weltkriegs – so lässt sich die Spielwelt von Achtung!Cthulhu zusammenfassen. Ihre Charaktere kämpfen einen „Geheimen Krieg“, der unter der Oberfläche des menschlichen Konfliktes mit irdischen wie außerirdischen Mythoskreaturen, Kultist*innen, Alten Göttern und verrückten Naziwissenschaftler*innen ausgetragen wird. Sie gehören alliierten Spezialeinheiten an, die sich aus Menschen mit den unterschiedlichsten, nicht immer unbedingt klassisch militärischen Fähigkeiten rekrutieren.

Das System, das zuvor schon mit den Regelwerken von FATE und Cthulhu 6. Edition veröffentlicht wurde, kam 2021 mit dem Modiphius-hauseigenen 2D20-Regelwerk auf den Markt. Die Regeln sind zuvor schon auf diverse Rollenspielwelten adaptiert worden und passen in ihrem semi-narrativen Stil gut ins Pulp-Genre, da die Würfel tendenziell außergewöhnliche Taten belohnen. Das zweiteilige Grundregelwerk von Achtung!Chthulhu2D20 gibt auf insgesamt an die 500 Seiten eine sehr dichte Beschreibung einer düsteren, wenn auch nicht vollkommen hoffnungslosen Spielwelt, in der bisweilen schwere Entscheidungen getroffen werden müssen, um das ultimative Böse zu bekämpfen.

Die Charaktererschaffung in Achtung!Cthulhu 2D20 läuft schrittweise ab und kann damit quasi beim Lesen des Player’s Guide geschehen. Da das Einzelabenteuer Under the Gun keine vorgefertigten Charaktere enthält und auch keine Vorschläge gemacht werden, welche Archetypen sich dafür eignen, haben die Spielenden vom Abenteuer unabhängig Charaktere erstellt. Für eine ganze Gruppe sollte auf jeden Fall ein ganzer Abend zur Charaktererschaffung eingeplant werden, ein einzelner Charakter lässt sich aber in weniger als zwei Stunden generieren.

Spielbericht

Teilzeitheld*innen Norbert, Ena, Marie und Alexa erstellten vier „Investigator*innen“ (wie die Charaktere in guter Cthulhu-Manier auch hier genannt werden), ohne viel Informationen über das kommende Abenteuer zu erhalten. Am Ende bestand die Gruppe aus einer magisch versierten Okkultistin aus Australien, einer Infiltratorin mit krimineller Vergangenheit, die sich als junger Soldat tarnt, einem irischen Militärsanitäter und einem Offizier mit Hintergrund als Archäologe. Na gut, zumindest Letzteres wurde von der Spielleitung, sagen wir, empfohlen, um besser in die Handlung zu passen. Es ließen sich jedoch alle vier problemlos in das Setting einbauen und funktionierten spontan gut als Gruppe. Das schrittweise System eignet sich gut, um schon bei Erschaffung ein gewisses Gefühl für den eigenen Charakter zu bekommen. Da das nur 15-seitige Kurzabenteuer Under the Gun sich beim ersten Lesen als ideales Einstiegsabenteuer präsentierte, wurde entschieden, dass die Charaktere bisher noch nicht Teil der britischen „Mythos-Bekämpfungs-Fraktion“ Section M sind, sondern bei Überleben des Erstkontakts (und Wunsch der Gruppe, die Kampagne weiterzuspielen) von dieser rekrutiert werden.

Das Abenteuer eignet sich, um die Charaktere für Section M zu rekrutieren.
Das Abenteuer eignet sich, um die Charaktere für Section M zu rekrutieren.

Die Handlung von Under the Gun beginnt irgendwann im Juni 1940, kurz nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht und der dramatischen Evakuierung alliierter Soldaten aus der französischen Hafenstadt Dunkerque (Dünkirchen), die als „Operation Dynamo“ in die britische Militärgeschichte einging. So weit zu den historisch verbrieften Ereignissen.

Nun zum Plot: Während des Baus von Luftschutzbunkern und Flugabwehranlagen in den berühmten weißen Klippen von Dover sind britische Militärangehörige auf uralte Strukturen gestoßen, die tief in den Kalkstein eingegraben schienen. Mit Hilfe eines rasch hinzugezogenen Archäologen sollten diese identifiziert, dokumentiert und abtransportiert werden, damit der Bau der dringend benötigten Verteidigungsanlagen schnell weitergehen kann. Doch es kommt anders: Bereits nach wenigen Tagen der Ausgrabung liegen der Archäologe und die ihn unterstützenden Soldaten mit Wahnvorstellungen und teilweise katatonisch in einem nahen Militärhospital. Unter dem Deckel höchster Geheimhaltung wird eine Gruppe von „Expert*innen“ – gemeint sind die Spieler*innencharaktere – hinzugezogen, um der Sache vor Ort auf den Grund zu gehen.

Es stellt sich im Verlauf heraus, dass die im Kalkstein entdeckten Säulen älter sind als die Felsen selbst. Eine unlesbare Schrift bedeckt sie und ihre allzu andersartige, nichteuklidische Form fügt allen, die sie zu lange ansehen, schweren mentalen Schaden zu.

Was im Hintergrund lauert

Die Struktur wurde vor Urzeiten von den Deep Ones errichtet, die den Alten Gott Cthulhu anbeten. Ihre Nachkommen, Hybridwesen, die im nahen Dörfchen St. Andrews leben, sind entschlossen, alle, die ihre heilige Stätte entweiht haben, zu töten. Zugleich will eine Einheit der Schwarzen Sonne, die Wind von dem seltsamen Fund bekommen hat, die Ausgrabungsstätte zerstören.

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Noch bevor die Gruppe der SC die Gelegenheit bekommt, durch dauerhafte Nähe zu den seltsamen Säulen auf die gleiche Art zu enden wie ihre Vorgängerexpedition, werden sie des Nachts von zwei Seiten angegriffen und das Abenteuer endet in einer Drei-Parteien-Schlacht.

Abgesehen von der Einbettung in die geschichtlichen Ereignisse um die Evakuierung Dünkirchens und der Vorbereitung Südenglands auf den Angriff durch Nazideutschland im Sommer 1940 ist Under the Gun ein klassisches Cthulhu-Einstiegsabenteuer. Dabei dürfen Elemente wie ein unerklärliches archäologisches Rätsel und beginnender Wahnsinn nicht fehlen. Ohne schon zu viel über die Welt preiszugeben, bekommen Startcharaktere so einen Eindruck davon, dass seltsame Dinge vorgehen und werden damit, wenn die Spielenden weitermachen wollen, zu idealen Rekrut*innen für Section M, die „Mythos-Abteilung“ der britischen Armee.

Ohne Bosskampf geht es wohl nicht.
Ohne Bosskampf geht es wohl nicht.

Die Gruppe bekommt derweil nicht allzu viele Möglichkeiten, den Plotpfad zu verlassen und das Rätsel auf andere Arten zu lösen als vorgesehen. Das muss nichts Schlechtes sein, wenn man das einfach gestrickte Abenteuer eher als Vorgeschmack auf eine größere Kampagne sieht. Enttäuschend ist dagegen das Ende, in dem etwas uninspiriert ein Kampf mit Mythoswesen und Kultist*innen ausbricht, der auch ohne die SC hätte stattfinden können und der durch das vorgegebene Timing jede Möglichkeit zunichtemacht, irgendetwas herauszufinden, was der Charakter vorher noch nicht wusste. Es bleibt der Eindruck, dass hier mühsam ein „pulpiges“ Ende konstruiert wurde, um den Teil des Publikums zufriedenzustellen, der ohne einen heroischen Bosskampf nicht nach Hause gehen will.

Spielbarkeit aus Spielleitungssicht

Schon bei der Charaktererschaffung fiel auf, dass für die verschiedenen Talente und Fähigkeiten, die der Startcharakter besitzt, eine Menge im Text gesprungen werden muss. Allein vom einmaligen Lesen des Grundregelwerks kann auch die Spielleitung nicht immer mit Tipps zur Seite stehen, welches Talent und welche Ausrüstung sich für den gewünschten Charakter am besten eignet. Noch komplizierter wird es – wie in jedem System – für Charaktere, die Magie beherrschen, denn der Player’s Guide besitzt ein ganzes Kapitel mit Traditionen und Ritualen, denen ein Charakter folgen kann. Es darf dazu allerdings erwähnt werden, dass der betreffende Charakter seine magischen Fähigkeiten trotz des kurzen Abenteuers im Spiel zumindest einmal gewinnbringend einsetzen konnte.

Die Geschichte selbst lässt sich verhältnismäßig leicht „vom Blatt herunter“ spielen und erzielt grundsätzlich die Effekte, die ein Einstiegsabenteuer in einer Mystery-Welt haben sollte: Vorstellung der Charaktere, Gruppenzusammenführung und die Andeutung größerer Geheimnisse, welche idealerweise Lust auf mehr macht. Der größere Teil des Abends machte vor allem deswegen Spaß, weil das Abenteuer nicht zu viel Focus auf NSC legt und stattdessen den Spielenden die Möglichkeit gab, ihre Charaktere auszuspielen.

Des Nachts greifen die Deep Ones an.
Des Nachts greifen die Deep Ones an.

Enttäuschend war hingegen die Endschlacht, die zu einem festgelegten Zeitpunkt im Spiel beginnt und im Grunde auch ohne die SC hätte stattfinden können. Die verschiedenen gegnerischen Fraktionen und ihre Motive sind nur sehr oberflächlich beschrieben, was es für die Spielleitung schwierig macht, den Kampf spannend zu halten. Auch gibt es keine Vorschläge für mögliche Konsequenzen aus den verschiedenen möglichen Ausgängen des Kampfes. So blieb die epische Schlacht eine eher unmotivierte Würfelorgie mit vielen noch aufkommenden Regelfragen für alle, die keine Expert*innen in 2D20 sind, am viel zu späten Samstagabend. Zurück bleibt die Frage, ob es trotz Kriegskulisse hier nicht angemessener gewesen wäre, auch die Möglichkeit zu einer gewaltfreien Lösung des Rätsels zu geben, in dem die Charaktere ihre neu gefundenen Informationen dafür nutzen, den Angriff auf die Fundstätte – und damit auf die britischen Verteidigungsanlagen – zu verhindern.

Spielbarkeit aus Spieler*innensicht

Auch die Spielenden waren von der Spielwelt überzeugter als vom Regelwerk bzw. der Präsentation der Regeln. Während ganz grundsätzliche Regeln, etwa für einfache Würfelproben, schnell verstanden und gemerkt sind, muss beim Einsatz der verschiedenen Talente und in Kampfsituationen doch immer wieder nachgeschaut werden, wie sie genau funktionieren.

Das frisst Zeit und Spaß, wiederum vor allem in der Endschlacht. Auch das Buchführen über „Fortune“ und „Momentum“ war eher anstrengend. Andere 2D20-Rollenspiele schlagen hierbei vor, nicht verwendete Würfel, bunte Steine, Münzen, Süßigkeiten oder Ähnliches als Tokens zu verwenden, was natürlich dann am sinnvollsten ist, wenn alle in einem Raum zusammensitzen und jede*r die verbleibende Anzahl überblicken kann. Wir spielten pandemiegerecht über Discord und die Gruppe wachte online über den gemeinsamen Momentum-Pool. In den Worten von Teilzeitheldin Marie: „So gut die Idee mit Momentum ist, ist man in der Praxis ständig mit Buchhaltung beschäftigt.“

Es steht zu hoffen, dass mit größerer Gewöhnung an das Regelsystem weniger Blättern und Scrollen notwendig sein wird, aber für den Moment bleibt das Spiel noch recht anstrengend.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Modiphius
  • Autor*in(nen): Graeme Davis
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 15
  • ISBN: 978-1-912743-67-4
  • Preis: 6 USD
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG

 

Fazit

Das nur 15-seitige Einstiegsabenteuer Under the Gun gibt Achtung!Cthulhu 2D20-Anfänger*innen einen ersten Eindruck von der Welt, in der hier gespielt wird. Es beginnt mit einem Trip in ein Militärhospital, in dem die Beteiligten an einer archäologischen Ausgrabung unter den Klippen von Dover liegen, und führt im weiteren Verlauf an ebendiese Ausgrabungsstätte, wo die Charaktere nach dem Grund für deren Unpässlichkeit suchen. Nach diesem interessanten investigativen Aufbau endet es allerdings recht abrupt mit einer großen Schlacht, in die die Gruppe ohne viel eigenes Zutun hineingezogen wird.

Im Grunde ist das Abenteuer eine klassische Cthulhu-Geschichte mit uralten Ruinen, fanatischen Kultist*innen und Anblicken, die nicht für das menschliche Auge bestimmt waren. Es weckt Interesse und gibt Spielenden die Gelegenheit, ihre Charaktere miteinander und der Welt bekannt zu machen. Geschichtsfans werden die Einbettung in historische Ereignisse schätzen. Trotz klarer Ansiedlung im Pulp-Genre sind Welt und NSC selbst in diesem kurzen Abenteuer nicht zu zweidimensional ausgearbeitet, sondern durchaus vielgestaltig. Die unterkomplexe Lösung des Abenteuers schmälert die Freude daran allerdings etwas.

Ein deutliches Problem ist nach wie vor das Blättern im Regelwerk, welches auf den zweiten Blick doch ziemlich schlecht sortiert wirkt. Fans des beliebten 2D20-Regelwerks, die vielleicht schon anderes damit gespielt haben, können sich in Achtung!Cthulhu 2D20 leichter einfinden. Wer die Regeln allerdings nicht schon vorher gut kennt, muss im Spiel viel blättern und nachlesen, was den Spielabend besonders im Kampf in die Länge gezogen hat. Das ist in diesem Abenteuer besonders deshalb ärgerlich, weil der Endkampf ohnehin schon unnötig wirkt. Im Vergleich zu längeren und vermutlich detailreicheren Abenteuern, die auf DriveThruRPG in einer ähnlichen Preisklasse angeboten werden, erscheinen die $6 für das Kurzabenteuer zudem nicht ganz angemessen. Am ehesten lohnt es sich wohl im Bundle mit einigen anderen Szenarios.

Während die Spielwelt wie im Ersteindruck immer noch überzeugt, führt die Unsortiertheit des Regelsystems im Spiel zu Frust. Damit ergibt sich mit Hinblick auf Spielbarkeit und inklusive der Bewertung des Abenteuers Under the Gun ein Urteil von:

  • Einstiegsabenteuer
  • Historisch eingebettet
  • Cthulhu-„Klassiker“
 

  • Viel Blättern
  • Genaue Regelkenntnis benötigt
  • Unnötiger Endkampf

 

Artikelbilder: © Modiphius 
Titelbild: Wikipedia Commons CC BY 2.0 CGPGrey, © Modiphius
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Saskia Harendt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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