Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Bereits kurz nach der RPC 2012 hatte ich die Freude, das Grundregelwerk von Finsterland zu rezensieren, einem österreichischen Rollenspiel mit Steam Punk-/Steam Fantasy-Thema. Heute liegt das Handbuch der Technologie vor mir. Wer sich vom Titel zu der Überlegung verleiten lässt, es handele sich um seitenweise Listen von neuer Technologie, der irrt gewaltig.

Erscheinungsbild

Bereits beim Grundregelwerk hatte mich beeindruckt, dass ein Herausgeber ohne großen Verlag im Rücken Hardcoverbände herausbringen kann, die mit weit größeren Produkten konkurrieren können. Auch hier ist es nicht anders.

Das Quellenbuch überzeugt mit einem stabilen Hardcovereinband und Papier im Innenleben mit durchaus angenehmer Haptik. Das Cover wird geziert von einer Faustkampfszene auf der oberen Tragfläche eines Doppeldeckers, im Hintergrund erkennt man einen Zeppelin und mehrere andere Flugzeuge.

Eines können die Nachbarn aus dem Süden – Texte interessant aufarbeiten, ohne dass erdrückende Textwände entstehen. Immer wieder lockern gekonnte Illustrationen oder auch andere optische Elemente den Schreibfluss auf, so dass die Informationen gut an den Leser vermittelt werden. Besonders der Stil von Eleonore Eder gefällt mir gut, ist er doch irgendwo zwischen Photoart, Impressionismus und Comic gelagert.

Mit 164 Seiten liegt das Buch nur gering unter dem Umfang des Grundregelwerks. Dies ist bereits das erste Indiz dafür, dass deutlich mehr als nur Technologie beinhaltet ist. Mir sind nur sehr wenige Tippfehler aufgefallen. Drucksatz, Zeilenabstand und gewählte Schriftart unterstützen die Leserlichkeit. Auch Index und Inhaltsangabe sind vorhanden.

Die harten Fakten:

  • Gebundene Ausgabe: 164 Seiten
  • Verlag: Pils, Georg (1. August 2012)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3950327010
  • ISBN-13: 978-3950327014
  • Preis: 25 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon (Klick)

Inhalt

handbuch-der-technologie._cover_neu

Die Menschheit bleibt sich auch in der Welt von Finsterland treu. Technologie entwickelt sich dann sprunghaft, wenn die Bestie Krieg vor der Tür steht. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch das Militär seinen Platz in diesem Quellenbuch findet. Nach der Kurzgeschichte eines Invaliden, der nach Tarimgrad fährt, um dort Ersatz für ein verlorenes Glied zu finden, geht es direkt ans Eingemachte.

Um zu verstehen, welche Entwicklungen zum großen Krieg führten, wird die Geschichte des Finsterlandes unter militärischen Gesichtspunkten neu aufgerollt. Natürlich höre ich hier Unkenrufe – „Wieso’n das? Steht doch im GRW“. Nun, liebe Unken: So wie es hier beschrieben ist, stehen die Informationen nicht im Regelwerk. Die Aufbereitung ist anders deutlich detailreicher. Auch die Verwertbarkeit der mitgelieferten Informationen ist besser, ich würde fast sagen spielfreundlicher. Soll heißen, man kann die Informationen deutlich besser in möglichen Handlungsfäden verweben.

Danach geht es weiter mit einem Exkurs über das Militär des Finsterlandes und dessen benutzte Waffensysteme. Es sei angemerkt, dass Kampfläufer, also übergroße, entfernt humanoide Maschinen, nicht das Ende der Fahnenstange sind. Ich stelle mir gerne vor, wie ein Trägerschiff a la Avengers in einem Steampunk Universum aussehen würde. Und ja, diese Ungetüme existieren. Luftwaffe, Marine, Magie, berühmte Einheiten und vieles mehr – all das wird nicht nur angeschnitten, sondern auch in genügender Tiefe dargeboten, um es als SL in die Handlung oder als Spieler in den Hintergrund einzubringen.

Besonders bei den berühmten Einheiten spielt seit diesem Regelwerk auch die Politik eine wichtige Rolle. Deswegen vergessen die Autoren auch nicht, diesen Bereich erklärend abzudecken. Endlich wird klar, wie Kurfürsten, Kaiser, niedrige Adlige und Geldadel zueinander stehen und wie die Regierung des Finsterlandes funktioniert.

Missfallen hatte mir im Grundregelwerk, dass das technologische Level der Spielwelt nur schwer greifbar war, wenn es um Details ging. Im Kapitel „Technologie“ wird dieser Missstand behoben. Endlich erfahren die Spieler, was möglich ist in vielen Bereichen des finsterländischen Lebens, angefangen von Kommunikationstechnologien wie dem Telephon oder auch der topmodernen Differenzmaschine, über die industriellen Methoden der Produktion – inklusive neuer Materialien, die teils künstlich gefertigt wurden, teils sehr selten sind – bis hin zu Medizin, Gesundheit und Machinae.

Ein Merkmal, das ich an Finsterland sehr schätze, ist, dass zu jedem Abschnitt immer mögliche Handlungsfäden angeboten werden. Ein konkretes Beispiel: Die bekannteren Firmen, die im Abschnitt über Produktion Erwähnung finden.. Das ermöglicht einen guten Zugriff auf die Spielwelt.

Dieses Merkmal findet sich auch in den detailreichen Beschreibungen verschiedener technischer Universitäten mit ihren Burschenschaften, Fachbereichen und Lektoren. So bietet sich oft Stoff für weitere Geschichten. Dies ist kein Quellenbuch für SLs alleine und dafür mag ich es sehr!

Wo wir gerade von Universitäten sprechen – Absolventen wollen natürlich eine gute Stelle haben und so finden sich auch Beschreibungen von wichtigen Unternehmen (nebst allem Dreck, den sie am Stecken haben). Geheimdienste und Geheimorganisationen vervollständigen das Bild.

Wie ich vorhin schrieb: Das Buch ist nicht für Spielleiter alleine, sondern auch maßgeblich für Spieler. Zur einfachen Verdeutlichung der neuen Inhalte dienen Beispielcharaktere. Aber auch die sicherlich stark erwarteten neuen Spezialmanöver und Organisationen, die beide während der Charaktererschaffung gewählt werden können, lassen das (ggf. mechanische) Spielerherz höher schlagen. Apropos mechanisch – natürlich werden auch neue Machinae zum Verbauen in den eigenen Körper vorgestellt, ob dies nun aus militärischen oder (üblicherweise) medizinischen Gründen geschieht. Zudem gesellen sich neue Fahr- und Flugzeuge zum Fuhrpark des Finsterlandes.

Ein Fliuganzug
Ein Fluganzug

Auch Waffen erhalten einen eigenen Abschnitt, hier stolperte ich jedoch über das eine oder andere System, welches einen in meinen Augen zu stark erhöhten Schaden erzeugt. Dies mag realistisch sein, übersteigt aber dem Bauchgefühl nach die im Grundregelwerk übliche Ausprägung von Waffenschaden und ist daher nicht in Balance mit dem Rest der Spielwelt.

Den nächsten Abschnitt empfinde ich als besonders wertvoll, stellt er doch dar, wie man als Spielleitung die Technologie am besten in das Spiel einbringt. Wie gehe ich auf Charaktere mit hoher Technikaffinität ein? Wie nutze ich das Stilmittel des Krieges als Treiber der technologischen Entwicklung, ohne, dass es kriegsverherrlichend wirkt? Wie behalten die Spieler und Spielerinnen ihren Spaß trotz der Gräuel? All das sind komplexe Zusammenhänge, bei denen das Buch hilft, sie in die eigene Spielrunde einzubringen. Ebenso geht das Kapitel auf Orte des Fortschritts ein, also Lokalitäten, die ich im Lauf einer Kampagne einbringen kann, um das Flair des technischen Fortschritts zu unterstreichen. Als langjähriger Spielleiter, der eigentlich nur noch leitet, habe ich hier sehr viel Wertvolles mitgenommen.

Gegner sind immer ein Thema in Rollenspielen. Hier geht das Quellenbuch nicht nur sehr detailliert auf den alten Feind, die Eisenmeister, ein, sondern auch auf eine Vielzahl von Gruppierungen, wie die Geheimorganisation der Aethir und andere, durchaus auch gefährliche Verbindungen. Was ich persönlich sehr an Finsterland liebe, ist, dass immer wieder mathematische Wertebeschreibungen mit Hintergrundinformationen verbunden werden. Jedes Kapitel bleibt spannend! Autonome Minen, ein Erbe des Krieges, habe ich bereits in meine eigene Kampagne eingeflochten.

Abschließend gibt es wieder ein Abenteuer: Die Charaktere begleiten einen Zug, der ein neuartiges Waffensystem transportiert. Erwartungsgemäß gibt es einen unerwarteten Twist und – was ich sehr begrüße – Handlungslinien, die sich abhängig von den Entscheidungen der Charaktere entwickeln.

Ich nehme nicht zu große Worte in den Mund, wenn ich schreibe, dass ich von der schieren Masse der Informationen, wie auch deren Präsentation einfach baff bin. Baff und hin und weg.

Preis-/Leistungsverhältnis

25 EUR für ein Quellenbuch, welches vieles klarstellt, weiterführende Informationen liefert, Ideen für Handlungsfäden und – noch darüber hinaus – echte mathematisch belastbare Entwicklungs- und Ausrüstungungsmöglichkeiten liefert? Na, worauf warte ich noch? Eigentlich kann man nur noch zuschlagen. Wieso „eigentlich“? Weil man Finsterland dafür generell mögen sollte. Das Geld ist absolut nicht falsch angelegt.

Bonus/Downloadcontent

Es existiert kein direkter Downloadcontent, jedoch komme ich nicht umhin, auf die wahrhaft üppige Download-Datenbank von Finsterland hinzuweisen. In dieser finden sich nicht nur gute – wenn auch rudimentäre – Abenteuer, sondern auch eine Vielzahl weiterführender Spielhilfen: Klick

Fazit

Das Handbuch der Technologie versteht es wunderbar, den Anspruch von Finsterland umzusetzen, ein anfängergeeignetes Rollenspiel in einer Steampunkwelt zu liefern und durch weitergehende Informationen zu unterstützen. Der schiere Gehalt an Informationen – ob direkt verwertbar oder auch nur zur persönlichen Freude des Lesers – ist unglaublich hoch und auch die Darbietung ist großartig. Ich kann, auch nach mehrfacher, sehr kritischer Überlegung, nur zu einem Kauf des Quellenbuches raten. Zumindest, wenn man Finsterland spielt und mag.

Daumen5maennlich

Artikelbilder: Georg Pils Verlag 

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein