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Mit Im Sagenwald von Brocéliande hat der Verlag Zauberfeder eine rollenspiellastige Variante eines Escapegames auf den Markt gebracht. Das Spiel kombiniert klassische Escapegamemechanismen mit traditionellem Rollenspielabenteuer. Das ist eine vielversprechende Kombination, und ob diese gelungen ist, haben wir hier untersucht.

Das Konzept eines Escapegames besteht darin, dass eine Gruppe gemeinsam an einem Ort festsitzt und diesen innerhalb möglichst kurzer Zeit verlassen muss. Um dies zu erreichen, muss sie gemeinsam eine Abfolge von Rätseln lösen, die am Ende den Weg zum Ausgang weisen oder den Schlüssel zur Tür freigeben. Escapegames gibt es in zahlreichen Varianten und Szenarien. Das klassische Escapegame wird in echt in einem oder mehreren Räumen gespielt, aus denen man innerhalb einer vorgegebenen Zeit entkommen muss. Auch die Karten- oder Brettspielvariante erfreut sich großer Beliebtheit. Hier erleben alle gemeinsam ihr Abenteuer am Tisch. Die Szenarien, in denen solche Spiele stattfinden, reichen von düsteren Verliesen und Kerkern über versunkene Städte bin hin zu dunklen Wäldern oder Piratenschiffen. Das Grundkonzept aber ist bei allen gleich: Gemeinsam den Ausgang finden und dabei zusammen Spaß haben, während man an kniffligen Rätseln verzweifelt.

Im Sagenwald von Brocéliande vom Verlag Zauberfeder spielt, wie der Titel schon andeutet, in einem rätselhaften und verzauberten Wald. In ihn müssen wir hinein, um den Hilferuf einer Dame in Not zu erhören. Besagte Dame, die Lady Cordeila, bittet um Rettung für ihren Verlobten. Dieser wurde von der Morgana, der Herrscherin über Brocéliande, fälschlicherweise der Untreue bezichtigt und in das Tal ohne Wiederkehr verbannt. Um diese arme Seele zu retten, indem wir den Zauberwald erkunden und seine Bewohner und Rätsel überwinden, bleibt uns nun eine Nacht Zeit.

Hier erhalten wir unseren Auftrag.

Spielmaterialien

Als Hilfe auf unserem schweren Weg steht uns dabei ein Buch zu Verfügung, das Regelwerk, Rätselsammlung, Inventar und Erzähler in Einem ist. Weitere Zusatzmaterialien sind nicht vorhanden. Da es bei anderen Escapegames häufig diese Zusatzmaterialien sind, die beim Spiel zerrissen, beschriftet oder auf ähnliche Art zerstört werden und so dafür sorgen, dass jedes Spiel nur einmal gespielt werden kann, ist dies hier ein großer Vorteil. Zwar gibt es auch hier Teile des Buches, die intensiver bearbeitet werden, aber dies kann theoretisch umgangen werden. Eine Inventarliste und die Sammlung mit Fähigkeiten etwa kann statt im Buch auch auf separatem Papier festgehalten werden. Im Sagenwald von Brocéliande ist mit ein bisschen Vorsicht und Umsicht also mehrfach spielbar, zumindest von unterschiedlichen Personen, die die Handlung noch nicht kennen. Wer beim ersten Versuch scheitert, kann es ebenfalls nochmal versuchen.

Das Buch besteht aus drei Abschnitten. Am Anfang finden wir die Anleitung, unser Inventar und eine Karte, danach folgt der Hauptteil, in dem sich unser Abenteuer abspielt, und am Ende stehen Hinweise und Lösungen zu den einzelnen Rätseln.

Spielablauf

Nachdem wir von der holden Lady Cordeila (die übrigens eher unbeherrscht, aufbrausend und wankelmütig zu sein scheint, aber welch edler Recke hinterfragt schon die Wünsche der Damen) unseren Auftrag erhalten haben, machen wir uns auf den Weg. Natürlich arbeiten wir dabei das Buch nicht einfach von vorne nach hinten durch, das wäre viel zu einfach. Vielmehr müssen wir uns mit Hilfe einer Karte unseren Weg durch den Zauberwald bahnen.

Die Karte des Sagenwalds dient als Spielfeld.

Die Karte zeigt uns einen Überblick über den Zauberwald und den Standort von wichtigen Dingen und anderen Rätseln. Zu jeder Markierung auf der Landkarte gibt es weiter hinten im Buch eine Doppelseite, auf der wir uns mit den Rätseln oder Wesen beschäftigen dürfen, die dort vorhanden sind.

Bei unserer Erkundung des Waldes können wir auch nicht einfach von jedem beliebigen Ort zu jedem anderen Ort teleportieren. Vielmehr müssen wir uns entlang der Karte vorarbeiten. Wollen wir also von Punkt A zu Punkt C, müssen wir vorher am dazwischenliegenden Punkt B vorbei und die dortigen Rätsel lösen. Auf diese Weise arbeiten wir uns langsam immer tiefer in die Düsternis des Waldes vor. Im Zuge unserer Erkundung gelangen wir auch in den Besitz von Artefakten, Hinweisen und anderen Gegenständen. Diese werden in unser Inventar in der vorderen Buchklappe eingetragen und stehen uns von da an zur Verfügung. Während wir uns vom Licht und den Geräuschen der Außenwelt zunehmend entfernen, werden die Rätsel fordernder und die Wesen, denen wir begegnen zwielichtiger und mysteriöser. Nur wenn wir sie alle überwinden, sei es durch Wagemut und List oder durch Freundlichkeit und Charme, werden wir unser Ziel erreichen.

An Orten ohne Dialogoptionen müssen wir Rätsel in Gedichtform lösen, bei denen uns das richtige Lösungswort voran bringt. Andere Herausforderungen sind das Suchen und Kombinieren versteckter Hinweise im Bild oder Lückentexte, die durch genaues Untersuchen der Umgebung zu vervollständigen sind.

Spielregeln

Wenn wir meinen, ein Rätsel gelöst zu haben, können wir auf der letzten Seite des Buchs unser Ergebnis prüfen. Ist das Ergebnis richtig, führt die Lösung zum nächsten Rätsel weiter. Neben reinen Rätselaufgaben gibt es auch Interaktionsaufgaben. Wie bei „Du-entscheidest-selbst“-Büchern steht es uns hier offen, wie wir mit dem Wesen vor uns umgehen. Flucht oder Kampf können etwa unsere beiden Alternativen sein und je nachdem, wie wir uns entscheiden, geht die Geschichte anders weiter.

Entscheiden wir uns weder für Mord und Totschlag noch für Fahnenflucht, bietet sich uns auch die Möglichkeit eines einfachen Gesprächs. Dafür gibt es verschiedene generische Standardsätze, die wir verwenden können. Jedem Satz ist dabei mittels Code bei jeder Person eine bestimmte Antwort zugeordnet, die wir bei den Lösungen nachlesen können.

Mit fortschreitender Spieldauer lernen wir die Wesen im Wald besser kennen und können daher auch zunehmend mehr Fragen stellen, so dass wir am Ende nicht mehr nur auf die vier Anfangssätze beschränkt sind. Die zusätzlichen Sätze und ihr zugehöriger Code können auf einer Fähigkeitenliste in der vorderen Buchklappe festgehalten werden.

Grundsätzlich erfolgt die Fortbewegung auf der Karte klassisch zu Fuß von A nach B. Wie bereits erwähnt, können wir dabei keine Orte überspringen. Jede ortszugehörige Seite muss mindestens beim ersten Mal, an dem wir den entsprechenden Ort erreichen, aufgeschlagen werden. Auch wenn es im weiteren Spielverlauf vereinzelt zu besonderen Arten der Fortbewegung kommen kann, so ist und bleibt dies durchgehend der Standard.

Die Fortbewegung ist nicht nur durch die Rätsel und Gefahren, denen wir begegnen, eine Herausforderung. Auch der Faktor Zeit an sich ist wichtig. Ab Spielbeginn steht nur eine begrenzte Menge an Inspielzeit zur Verfügung. Jede Reise kostet Zeit, wie viel, ist von bereistem Ort zu Ort unterschiedlich. Reisen wir also unnötig oder umständlich, dann vergeuden wir wertvolle Zeit, die am Ende fehlen kann. Ist die Zeit abgelaufen, sind wir gescheitert und alles ist vergebens. Jeder Ort ist mit einer Sanduhr markiert, die angibt, wie viel Zeit hier für die Reise verwendet wird. Verletzt sich unser Abenteurer, erhöht sich die Zeitdauer pro Zug um eine Zeiteinheit. Verletzt reisen kann also eine schlechte Idee sein. Die vergangene Zeit wird auf einem Stundenglas in der hinteren Buchklappe festgehalten. Haben wir hingegen alle Rätsel erfolgreich gelöst und alle Gefahren überwunden, dann können wir am Ende triumphierend aus dem Wald zurückkehren.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Zauberfeder Verlag
  • Text: Éric Nieudan
  • Illustrationen: Margot Briquet
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 90+ Minuten
  • Seitenzahl: 82
  • Spieler*innenanzahl: 1+
  • Preis: 14,90 Euro
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo, Amazon

 

Fazit

Im Sagenwald von Brocéliande ist eine gelungene Variante eines Escapegames im Fantasybereich. Basierend auf dem Standardkonzept, bei dem ein Rätsel zum nächsten führt, entfaltet sich hier eine fast schon klassische Rollenspielabenteuergeschichte. Im Laufe der Geschichte steigen Fähigkeiten und Ausrüstung zunehmend an und erweitern unsere Möglichkeiten, den Herausforderungen des Spiels zu begegnen. Der Faktor Zeit, der bei anderen Escapegames im Brettspielformat lediglich in einer laufenden Stoppuhr besteht oder nicht wirklich relevant ist, wird hier elegant in das Spiel eingeflochten. Jeder Zug will gut überlegt sein, denn er kostet wertvolle Zeit.

Die verschiedenen Dialogoptionen bieten unterschiedliche Herangehensweisen und animieren zu wiederholtem Spielen, falls ein falsches Wort zur falschen Zeit die Sache scheitern ließ. Das Hin- und Herspringen zwischen Karte und Rätselseiten an sich wäre umständlich, doch auch hier wurde mitgedacht. Das Buch ist unterteilt gebunden. Dadurch kann die Karte, obwohl sie ganz am Anfang zu finden ist, problemlos herausgetrennt werden, während das restliche Buch intakt bleibt. Das ermöglicht es uns, jederzeit Handlungsort und Karte nebeneinander zu haben. Diese und andere Möglichkeiten zeigen: Bei Im Sagenwald von Brocéliande bietet es sich an, mit dem Buch zu arbeiten. Das erschwert zwar mehrmaliges Spielen, vereinfacht aber vieles. Ansonsten gilt hier wie bei den meisten anderen Escapegamespielen: Wer es mehrfach bespielen will, muss umsichtig vorausplanen und gegebenenfalls Kopien oder Abschriften verwenden.

Das Szenario des Rettungsauftrags an sich ist nicht sonderlich originell, dafür aber bewährt und geradezu klassisch. Für uns zählt das nicht als Negativpunkt, zumal das Buch wesentlich mehr Geschichte erzählt, als konventionelle Kokurrenzprodukte. Uns hat das Konzept auf jeden Fall überzeugt. Es bietet schöne und kurzweilige Unterhaltung für einen gemütlichen Abend.

Artikelbilder: © Zauberfeder GmbH
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Simon Burandt

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