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Dunkle, leere Fensterhöhlen starren auf die vorbeiziehenden Menschen. Die flackernde Straßenlaterne taucht alles in schwere Düsterheit. Und trotzdem zieht es uns in seinen magischen Bann. Bis zum ersten Schritt über die Türschwelle. Willkommen bei der dritten Edition von Betrayal at House on the Hill. Aller guten Dinge sind drei?

Es ist ein wenig wie Lovecraft, ein bisschen wie Stephen Kings Es, nur im realen Leben. Wer kennt sie nicht aus der eigenen Kindheit? Diese Häuser oder Wohnungen, deren Gardinen vor den Fenstern immer zugezogen sind. Nie sieht man jemanden aus der Tür kommen. Nie kommt jemand zu Besuch. Verwilderte Gärten oder vertrocknete Pflanzen auf der Fensterbank. Und doch will das vermeintliche Geheimnis erforscht werden. Und kaum eine Versuchung scheint größer.

Mitte der 90er-Jahre war eine Hochzeit dieser ganzen Teenie-Horrorfilme um Filme wie Scream, Ich weiß, was Du letzten Sommer getan hast, Düstere Legenden oder Final Destination. 1999 war für mich das Jahr der Hill House-Filme. Da gab es Das Geisterschloss mit Liam Neeson oder Haunted Hill mit Famke Janssen. Beide Titel spielen in einem Schloss, das sich Hill House nennt. Mit Betrayal at House on the Hill können nun bis zu sechs wagemutige Charaktere ihr eigenes Horror-Szenario erleben. Im Gegensatz zu Szenarien aus der Pen-and-Paper-Ecke oder vergleichbaren Brettspielen kommt Betrayal at House on the Hill gänzlich ohne Lovecraft-Hintergrund aus.

Betrayal at House on the Hill lebt vom gemeinsamen Entdecken und Erkunden der Räume und natürlich den verräterischen Geschichten. Damit die Vorfreude des Erkundens erhalten bleibt, werden wir, abgesehen vom Startaufbau, keine expliziten Vorderseiten von Karten oder Räumen zeigen. Der Artikel und die Bilder können also spoilerfrei genossen werden.

Spielablauf

Betrayal at House on the House (im Nachfolgenden als Betrayal abgekürzt) beginnt im Spielaufbau überschaubar. Alle Spielenden befinden sich mit ihren Miniaturen in der Eingangshalle von House on the Hill. Das Obergeschoss und der Keller liegen getrennt von der Eingangshalle auf dem Spieltisch aus. Jede Person hat eines von sechs Charakter-Tableaus vor sich liegen. Damit ist der Spielaufbau schon abgeschlossen.

Mit dem Tempowert vom Tableau wird die Anzahl Felder (= Räume), die betreten werden können, festgelegt. Türen in den Räumen können geöffnet werden. Sollte sich dahinter noch kein Plättchen befinden, wird aus einem Nachziehstapel ein neuer Raum gezogen und eventuelle Raum-Effekte abgehandelt. Dieser grundlegende Ablauf erinnert an das Konzept vom Kinderspiel Karak.

Der überschaubare Spielaufbau zum Beginn wird sich im Laufe des Abends noch sehr verändern.
Der überschaubare Spielaufbau zum Beginn wird sich im Laufe des Abends noch sehr verändern.

Auf den Rückseiten der Raumplättchen lässt sich bereits erkennen, für welches Geschoss dieser verwendet werden kann. Jeder neue Raum kann eine Besonderheit offenbaren. So führt das Entdecken des Wäscheschachtes unter anderem direkt in den Keller. Vorerst ohne Weg zurück. Die meisten Räume erlauben das Ziehen eines bestimmten Kartentypen. Es gibt drei mögliche Typen: Gegenstände, Ereignisse oder Omen. Gegenstände sind oft Waffen oder andere nützliche Dinge, die zum späteren Zeitpunkt von entscheidender Bedeutung sein können. Ereignisse sind Würfelproben – dazu später mehr – die abhängig vom Ergebnis einen Wert auf dem Charakter-Tableau positiv oder negativ verändern. Den Omen-Karten kommt eine besondere Bedeutung zu. Dahinter stecken in der Regel ebenfalls Gegenstände, die einen dauerhaften Bonus auf eins der Charakterattribute vergeben. Oft mit einer besonderen Bedingung verknüpft. Zum anderen leiten sie die zweite Phase des Spiels Der Spuk beginnt ein. In der ersten Phase werden munter Räume entdeckt, Gegenstände aufgesammelt und gelegentlich mal ein paar Schrammen einkassiert. Mit jeder gezogenen Omen-Karte steigt die Chance, dass die gemeinsame Erkundungstour stoppt. In Abhängigkeit der gezogenen Anzahl Omen-Karten werden entsprechend viele Würfel gewürfelt. Wird eine bestimmte Schwelle übertroffen, beginnt der Spuk und damit die zweite Phase.

Die drei möglichen Kartenarten: Gegenstände, Ereignisse oder Omen.
Die drei möglichen Kartenarten: Gegenstände, Ereignisse oder Omen.

Anders als andere Social Deduction-Spiele werden zu Spielbeginn nicht unterschiedliche Rollen, wie beispielweise Mörder*in, Kultmitglied, Opfer oder ähnliche verteilt. Betrayal ist gerade in der ersten Phase ein kooperatives Spiel und keiner weiß, ob oder wer in der zweiten Phase auf der Seite des Bösen stehen wird. Sobald Der Spuk beginnt wird abhängig von der zuletzt gezogenen Omen-Karte eines von 50 Spuk-Szenarien ausgewählt. Bei drei Szenarien versuchen die Spielenden gemeinsam aus dem Haus zu fliehen. In drei weiteren Szenarien kämpfen alle gegen alle um das blanke Überleben im Haus. Im Großteil der 44 Szenarien verrät eine Person die anderen Spielenden. Diese müssen Aufgaben lösen oder das Haus verlassen. Betrayal zählt somit zur Gattung der semi-kooperativen Spiele.

Jede Partei bekommt ein eigenes Heft mit einer dedizierten Szenario-Beschreibung. Im Foliant des Verräters finden sich die Hinweise, was nun zusätzlich in den Räumlichkeiten platziert werden darf: Von Monstern über Lichtschalter, ominösen Zahlentoken, Runen oder Videokassetten. Jedes der 50 Spuk-Szenarien präsentiert sich in einem neuen Gewand und mit einer neuen Geschichte.

Jede Partei bekommt ihr eigenes Spuk-Buch und ganz viel neues Material.
Jede Partei bekommt ihr eigenes Spuk-Buch und ganz viel neues Material.

Die sechs Charakter-Tableaus bieten den Spielenden mithilfe der Vorder- und Rückseite zwölf verschiedene Charaktere zur Auswahl an. Da diese je Tableau eine starke äußerliche Ähnlichkeit aufweisen, kommt das Spiel mit sechs Miniaturen aus. Die Charaktere haben vier Attribute wie Tempo, Stärke, Wissen und Verstand mit eigenen Startwerten. Die Attribute werden in der Regel für Proben verwendet. Dabei gilt die abgedruckte Zahl als Anzahl der zu nutzenden Würfel. Dieser Würfelpool muss gegen einen Schwellenwert auf der Karte oder in konkurrierenden Würfen gegen Monster herhalten. Die sechsseitigen Würfel haben in je gleicher Anzahl einen Punktwert von 1, 2 oder 0 Punkten. Sobald ein Attribut auf das Totenkopf-Symbol sinkt, ist der Charakter gestorben und scheidet sofort aus.

Die Vorder- und Rückseite eines Tableaus.
Die Vorder- und Rückseite eines Tableaus.

Das Spiel ist im Prinzip für drei bis sechs Spielende ausgelegt. Betrayal skaliert die Monster oder zu findende Hinweise. In der konkreten Szenario-Beschreibung erfolgt entsprechend der Personenanzahl ein unterschiedlicher Aufbau.

Zusätzlich kommt das Spiel mit ein paar Glücksfaktoren einher, so dass selbst manches Szenario zum Start der zweiten Phase kaum lösbar wirkt. In der ersten Phase ist es für die Hausbesucher*innen enorm wichtig, sich entsprechend auszurüsten. Mehrere Faktoren beeinflussen das Einsammeln von nützlichen Gegenständen. Es beginnt bereits beim Ziehen der Räume: Manchmal zieht eine Person nur Räume mit Omen- oder Ereigniskarten, dann wird es Zeit, später mit anderen Charakteren dringend Waffen auszutauschen. Eventuell ist das Kartenglück dabei aber nicht hold und es finden sich Kopfhörer oder Schmuckstücke darunter. Letztlich wird die zweite Phase ebenfalls per Würfelwurf ausgelöst. Mit etwas Pech kann dies bereits passieren, wenn erst wenig Räume des zu erforschenden Hauses aufgedeckt sind.

Spezielle Würfel sind für erfolgreiche Proben verantwortlich.
Spezielle Würfel sind für erfolgreiche Proben verantwortlich.

Dass die Proben ebenfalls glücksabhängig sind, lässt sich dabei noch verschmerzen. In den Testrunden wurde eine verpatzte Probe eher als Grausamkeit des Szenarios empfunden. Allerdings können wenige verpatzte Proben auch zu dem frühen Ausscheiden einer*s Spielenden führen. Dies kann zwar erst in der zweiten Spielphase passieren, aber es gibt keinen Weg zurück in das Spiel. In der Regel wird mit dem Tod des ersten Charakters das Ungleichgewicht zugunsten der Verräter*innen weiter verschoben. Das Spiel dürfte in weniger als 15 Minuten vorbei sein.

Für genügend Abwechslung bei den Szenarien wird durch das umfangreiche Material gesorgt.
Für genügend Abwechslung bei den Szenarien wird durch das umfangreiche Material gesorgt.

Das Balancing im Spiel ist insgesamt etwas zugunsten der bösen Seite unausgewogen. In den ersten Testrunden gewannen stets die Verräter*innen. Beim Stöbern in den Boardgamegeek-Foren fällt ein Thread auf, der sich eben genau mit dieser Thematik beschäftigt. Hier gibt es gemischte Erfahrungen, welche Partei wie oft gewinnt. In Summe gewinnt die Verräter*innen-Partei ebenfalls in weiteren Testrunden häufiger als die Überlebenswilligen. Tatsächlich ist der Reiz Verräter*in zu sein deutlich größer.

Ausstattung

Die quadratische Spielebox enthält bereits eine vollwertige Sortierhilfe aus gegossenem Plastik. Etwas überraschend, dass in dem größten Fach dick gestanzt „Made in China“ statt der Name des Spiels auftaucht. Die hochwertigen, detaillierten und filigranen Plastik-Miniaturen haben alle ihren individuellen und sehr festsitzenden Platz.

Die sechs Miniaturen warten auf den Start des Abenteuers.
Die sechs Miniaturen warten auf den Start des Abenteuers.

Die Charakter-Tableaus sind in Pentagon-Format gefertigt. Die Attributswerte werden mit kleinen verschiebbaren Schwert-Markern markiert. Diese werden dazu über eine ausgestanzte, rifflige Aussparung geschoben. Irgendwie wirkt es innovativ, aber in der Hektik oder bei dickeren Fingern, verrutscht manchmal der Marker oder landet zwischen zwei Werten. Nicht ganz ideal gelöst.

Die Marker auf den Charakter-Tableaus können leicht verrutschen.
Die Marker auf den Charakter-Tableaus können leicht verrutschen.

Die Raumplättchen sind in atmosphärischer, dichter Stimmung gehalten. Viele kleine Details laden zum Erkunden der Räume ein. Das gesamte andere Material besteht aus stabilem Karton respektive hochwertigen Karten. In Summe ist das Material hervorragend und lässt kaum Wünsche offen.

Avalon Hill hat das Spiel 2004 herausgebracht und es hat in dem Jahr den Preis Origins Award Gamers Choice Award 2004 als bestes Brettspiel gewonnen. Der Firmenname existiert mittlerweile ausschließlich als Marke des Spielwarenherstellers Hasbro.

Das gesamte Material lässt sich perfekt in den Sortiereinsatz einordnen.
Das gesamte Material lässt sich perfekt in den Sortiereinsatz einordnen.

Für alle, die bereits frühere Versionen gespielt haben, sind wichtige Änderungen auf einer Regelseite zusammengefasst und im weiteren Regelverlauf mit einem auffälligen Ausrufezeichen zusätzlich hervorgehoben. Damit sollten sich in erster Linie Fans der ersten Stunde schnell zurechtfinden. Die eingesetzte Ikonografie ist erkennbar und konsequent im Material und Regelheft umgesetzt. Das Regelheft erklärt alles gut strukturiert.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Hasbro
  • Autor*in(nen): Bruce Glassco
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 60 bis 90 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 3 4 5 6
  • Alter: ab 12 Jahren
  • Preis: 45 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Hasbro-Webseite zu dem Spiel befindet sich die Anleitung zum Download. Neben den Regeln sind in dem PDF die anderen beiden Hefte „Wenn der Spuk beginnt“ und „Foliant des Verräters“ enthalten.

Betrayal ist kein Spiel mit einer notwendigen App-Unterstützung. Wem seine Finger beim Verschieben der Eigenschaftsmarker im Weg sind, kann auf die offizielle App von Hasbro zurückgreifen (iOS, Android). Die App unterstützt außerdem bei dem Management der Omen- und Gegenstandskarten. Auf Wunsch untermalt sie mit Soundeffekten und Hintergrundmusik das weitere Spielgeschehen.

Beim Schreiben des Artikels gab es weitere vielversprechende Apps anderer Entwickler, aber diese hatten die 3. Edition noch nicht berücksichtigt.

Fazit

Das semi-kooperative Horror-Szenario hinter Betrayal at House on the Hill bietet keine ausgefeilten Mechaniken oder größere strategische Möglichkeiten. Die Glückselemente bei dem Spiel sind in mannigfaltiger Art durch Karten, Würfel, Plättchen und weiteres vorherrschendes Element. Das frühzeitige Ausscheiden eines Charakters gehört bei einem Horror-Setting dazu, trübt aber den Spielspaß der betroffenen Person. Dabei tröstet es nur bedingt, dass die Abwärtsspirale nun so richtig in Gang kommt und das Ende des Spiels in der Regel in den nächsten 10 bis 15 Minuten eintritt. Für die Spielenden besteht ein großer Spielanreiz, auch einmal Verräter*in sein zu dürfen. Meist können diese Spieler*innen den Überlebenskampf aufgrund des Balancings eher für sich entscheiden.

Die vielen abwechslungsreichen Szenarien, die 42 Räume und die über 40 Ereigniskarten machen jede Runde annähernd einmalig. Die in den Testrunden gespielten Szenarien waren allesamt komplett verschieden und wurden immer mit neuen Token, Monstern und anderen Dingen oder Regeln versehen. An einem Abend lädt das Spiel mindestens zu zwei Partien ein. Zu groß ist die Versuchung, selbst mal der Verräter zu sein oder eben ein ganz anderes Szenario zu erleben.

Dank Artwork, Story und Flavour-Texten auf den Karten werden die Spielenden hervorragend in das gruslige Setting von Betrayal versetzt. Das Spiel ist in weniger als fünf Minuten aufgebaut und lässt sich während des Spielens zu Ende erklären. Unter dem Strich ist Betrayal ein tolles Story-Spiel und gehört in eine Spiele-Sammlung, wenn man (semi-)kooperative Story-Spiele mag.

An wen richtet sich letztlich das Spiel? Es dient mehr der Unterhaltung als der taktischen Finesse und strategischen Vorausplanung. Sofern man am Ende eines Spiels nicht verbissen die Siegpunkte durchzählen möchte, bietet Betrayal vielfältige Popcorn-Unterhaltung an. So manche Filmemacher*innen könnten hier eine bessere Inspiration für den neusten Teenie-Horror-Streifen finden. Film ab.

  • Sehr kurze Aufbauzeit
  • Tolles Artwork und überwiegend tolles Material
  • Immersives Horror-Spielerlebnis
 

  • Balancing zugunsten Verräter*in
  • Frühzeitiger Charakter-Tod führt zu Downtime
  • Markierungen am Charakter-Tableau ungenau

 

Artikelbilder: © Hasbro
Layout und Satz: Milanko Doroski
Lektorat: Denise Hollas
Fotografien: Horst Brückner
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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