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2013 setzte Swen Harder mit seinem Debüt Reiter der Schwarzen Sonne (Rezension) neue Maßstäbe für Spielbücher. Nach langer Verzögerung ist zur RPC 2016 sein neuer Titel Metal Heroes and the Fate of Rock erschienen, der mit 1307 Abschnitten ähnlich umfangreich geraten ist. Schon bei der Geschichte bricht er jedoch in gänzlich neue Gefilde auf.

Handlung

Der Leser schlüpft in die Rolle von Taylor, der sich ganz dem Heavy Metal verschrieben hat und ansonsten ein ziemlicher Versager ist. Nach einem kurzen Prolog bietet sich ihm jedoch eine einmalige Gelegenheit: Der Gott des Rocks ist seiner Pflichten müde und sucht einen Nachfolger. Zwar zeigt Taylor für diese Aufgabe viel Potential, aber eine letzte Prüfung muss er bestehen, indem er eine talentierte Garagenband an die Spitze des Rockolymps führt.

Von nun an folgt der Leser in der Gestalt des (meistens) körperlosen Taylor vier aufstrebenden Musikern, um in den entscheidenden Momenten ihrer Karriere einen Stups in die richtige Richtung zu geben. Besteht der Kern der Band zunächst nur aus dem charismatischen Leader Joey an Gitarre und Mikrofon sowie dem notorischen Weiberheld Brian an der Leadgitarre, so runden später zwei Neuzugänge das Quartett ab. Der russischstämmige Gregori am Schlagzeug ist zwar von Geburt an blind, aber seine scharfzüngigen Kommentare verraten eine ungeahnte Einsicht. Feingeist Leo am Bass brilliert durch eine umfangreiche klassische Musikausbildung. Unter dem Namen Metal Heroes haben sie sich nicht weniger vorgenommen, als alle Stilrichtungen des Metal zu meistern.

Der Weg nach oben erweist sich jedoch als lang und steinig. Zuerst gilt es, einen Talentwettbewerb für eine ordentliche Studioaufnahme zu gewinnen und durch ausgiebiges Touren oder werbewirksame Videoclips die Herzen der Fans zu erobern. Später führt der Weg der Metal Heroes auch an berühmte Orte wie die Playboy Mansion, die Rock’n Roll Hall of Fame oder sogar das Wacken Open Air.

Zum Glück trifft die Band im Lauf ihrer Karriere auch auf diverse Unterstützer, schließt Freundschaften mit anderen Musikern oder trifft auf wahre Rocklegenden. Außerdem taucht auch immer wieder die geheimnisvolle Hexe Jill auf, denn es gibt auch Mächte, die den Metal Heroes nicht wohlgesonnen sind. Schließlich gibt es nicht nur Götter, die ihre schützende Hand über den Rock halten, sondern auch solche mit infernalen Intentionen. Verwundert es da, dass das Finale schließlich auf einer Bühne stattfindet, die nicht von dieser Welt ist…?

Die Geschichte und die Aufgaben darin erweisen sich als abwechslungsreich und fein verzahnt. Neben den Anstrengungen der Metal Heroes, zu den größten Bands dieses Planeten zu gehören und die Bühnen der Welt zu bespielen, erlebt man auch spannende Episoden wie Verfolgungsjagden, heimliche Diebeszüge oder die Vermeidung eines Anschlags durch einen durchgeknallten Fan. Auch steht nicht immer nur die Band als Ganzes im Vordergrund: Wird Womanizer Brian es schaffen, mit seiner Herzensdame Dawna zusammenzukommen? Überwindet Bassist Leo seine Schwäche für ausschweifende Alkoholexzesse?

Immer wieder nutzt das Spielbuch seinen enormen Umfang gekonnt aus, und es kann sich über mehrere Kapitel hinziehen, bis eine nebensächlich anmutende Entscheidung schließlich Früchte trägt. Mitunter führt auch ein zuerst als „schlechter“ anmutender Weg letztlich doch zu einem günstigeren Ergebnis. Vielleicht sollte man doch nicht immer auf den besten fahrbaren Untersatz bestehen, und manchmal kann auch die Flucht Hals über Kopf die richtige Antwort sein…

Bei den mannigfaltigen Rätseln verlässt sich Metal Heroes and the Fate of Rock nicht nur auf die in Spielbüchern üblichen Zahlenrätsel: Die im Comicstil gehaltenen Illustrationen halten auch für Suchbilder oder optische Illusionen her. Auch die beiliegende CD mit diversen Bands des Labels Napalm Records wird immer wieder herangezogen, wenn man den Auftritten anderer Gruppen lauscht: Was genau wird da gerade gesungen? Wie trägt der Sänger diese Textpassage vor?

Nein, in punkto Umfang und Abwechslung muss sich Metal Heroes and the Fate of Rock gewiss nicht verstecken – die wenigsten Leser sollten es auf Anhieb schaffen, alle Bonuskapitel und Geheimnisse zu entdecken.

Regeln

Die Regeln zu Metal Heroes, die in einem separaten Anhang zusammengefasst sind, werden dem Leser Stück für Stück im Lauf der Geschichte erzählt. Immer wieder schaltet sich auch der amtsmüde Gott des Rock persönlich in kurzen Texteinschüben ein, um seinem potentiellen Nachfolger mit Tipps und Erläuterungen zur Seite zu stehen. Dabei muss dieser zwischen drei Schwierigkeitsgraden wählen: Pussy, Rocker oder Freak. Je nach Grad entfällt ein Teil der Gesamtregeln, auch werden einige der Attribute niedriger und somit herausfordernder angesetzt.

Möchtegern-Rockgott Taylor selbst verfügt eigentlich nur über ein wichtiges Attribut: den Einfluss. Immer wieder stellt das Buch den Leser vor die Wahl, einen dieser Punkte auszugeben, um damit direkt auf die Taten seiner Schützlinge oder anderer Personen einzuwirken. Auch kann der Leser so beim Ziehen einer gezogenen Spielkarte, die neben Würfeln als Zufallsgenerator verwendet werden, das Ergebnis wählen. Aber Vorsicht: Zumeist lädt sich diese wertvolle Ressource nur zwischen einzelnen Kapiteln oder bei besonders erfolgreichen Aktionen der Metal Heroes wieder auf.

Diese vier Musiker sind es dann auch, auf die sich die meisten der Regeln beziehen. Jeder von ihnen verfügt über die drei Eigenschaften Skill, Power und Presence. Jede kann einen Wert von 1 bis 5 haben, je höher desto besser. Schon hier zeigen sich die Unterschiede zwischen den Mitgliedern: Während Bandleader Joey mit hoher Presence besticht, verfügt Leadgitarrist über ordentlich Power. Bassist Leo indes verdankt seiner klassischen Ausbildung hingegen seinen hohen Skill.

Für eine Probe darf der Spieler den Eigenschaftswert mit einem W6 nicht überwürfeln. Ist der Wurf genau gleich der Eigenschaft, kann allerdings das Ego des Charakters im Wege stehen. Dazu ist ein zweiter Wurf auf dieses Nebenattribut fällig. Wird auch dieses nicht überwürfelt oder fällt gar eine 6, gilt die Eigenschaftsprobe automatisch als misslungen. Zum Glück beginnen die einzelnen Musiker aber mit Ego-Werten von 0 oder 1. Als letzte Rettung kann der Spieler aber einen Punkt der Bandchemie ausgeben, die sich im Lauf der Geschichte auch öfters ändert. So kann man eine misslungene Probe doch noch als bestanden werten.

Auch an anderer Stelle kann der Stress die vier Musiker übermannen. Jeder verfügt über drei Sicherungen, die an entsprechenden Stellen der Geschichte durchbrennen können – und wehe, wenn einem das dreimal passiert ist.

Zum Glück wachsen aber auch die Metal Heroes mit ihren bestandenen Abenteuern. Neben Steigerungen der Eigenschaften und zurückerlangten Sicherungen kann jeder der vier außerdem ein Special ergattern, das seinem Naturell entspricht und dessen Sonderfertigkeit die Band besonders gut unterstützen kann. Nicht umsonst ist Joey ein geborener Anführer oder hat der blinde Gregori so ein feines Gehör…

Zudem verfügt jeder der vier Metal Heroes über ein eigenes Inventar für den ganzen Krimskrams, der sich im Laufe der Geschichte ansammelt. Ferner können sie jeweils ein Metal-Artefakt ergattern; einen Gegenstand, der durch seine Geschichte besonders stark von der Macht des Rock durchdrungen ist und zum Ende des Spielbuchs noch eine besondere Bedeutung haben wird.

Im Zentrum des Spiels steht aber natürlich die Musik. Die Band verfügt über ein wachsendes Repertoire an Songs, die in sechs verschiedene Genres unterteilt sind. Beherrschen die Metal Heroes zu Beginn nur den Classic Metal, so kann man später etwa durch Bandfreundschaften auch Nu, Power oder Thrash freischalten. Durch inspirierende Momente oder Muße zum Songwriting sammeln die Musiker Songpunkte, die sie an bestimmten Stellen für neue Stücke ausgeben können. Besonders einschneidende Erlebnisse verarbeiten die Metal Heroes allerdings in den sogenannten Glorious Tracks, die nur durch bestimmte Abschnitte im Lauf der Geschichte verfügbar werden und sogar Sondereffekte verleihen.

Jedes Lied hat dabei die beiden Werte Anspruch und Fame: Wie vertrackt ist das Stück, und wie beliebt ist es bei den Fans. Außerdem ist mindestens einer der vier Musiker als Leader angegeben und steht damit bei Auftritt mit diesem Song im Mittelpunkt.

So tragen die Musiker dann auch ihre großen Wettstreite auf der Bühne aus, um ihren Fans ein grandioses Konzert zu bieten, statt in plumper Manowar-Manier Schwert, Axt, Keule und Kriegshammer in die Hand zu nehmen.

Bei jedem Auftritt der Metal Heroes präsentiert das Spielbuch ein Gig-Muster, ein Raster aus Einzelkästchen nicht unähnlich einem Kreuzworträtsel. In jedes dieser Kästchen trägt der Spieler je einen Song aus dem Repertoire der Band ein; anschließend bestimmt die Farbe einer gezogenen Spielkarte, die Lieder welcher Reihe bei diesem Gig die relevanten sind.

Für jeden dieser Songs legt man einen Performance-Check ab: Der Leader macht einen Wurf auf die vom Genre abhängigen Eigenschaften. Sind mehrere Eigenschaften angegeben, so gilt die schlechtere Eigenschaft. Gelingt diese Probe, erhält man Performance-Punkte in Höhe von Anspruch und Fame des Songs, bei Misslingen nur in Höhe des Fame – manchmal kann man das Publikum eben auch nur durch das reine Spielen der Klassiker begeistern.

Bei den Gig-Mustern stößt man auf vielfältige Variationen: Hier erhält man einen Bonus für Songs eines bestimmten Genres, dort sollten man auf Stücke mit besonders viel Fame verzichten, und ein anderes Mal darf es etwa vor einem Kneipenpublikum nicht zu anspruchsvoll sein. Natürlich können auch die Erlebnisse kurz vor der Show den Musikern Abzüge oder Boni auf ihre Gesamtperformance geben. Für ein gutes Konzert winken dann auch Belohnungen: So können die relevanten Songs weitere Fame-Punkte hinzugewinnen, oder es winkt eine Erhöhung der Bandchemie.

Und was ist nun mit dem Zuspruch des Publikums? Dieser wird in Form der Fanbase abgebildet und steigt eben durch gelungene Konzerte, aber auch durch andere PR-Aktionen. Je höher die Fanbase, desto größere Konzertveranstaltungen stehen den Metal Heroes offen, oder es winken kleine Bonustouren.

Diese Vielzahl an Regeldetails und Attributen mag in der Zusammenfassung erdrückend wirken. Tatsächlich aber fangen sie die Atmosphäre der Geschichte perfekt ein und spielen sich nach minimaler Eingewöhnungszeit intuitiv und ohne große Probleme. Es ist schlicht beeindruckend, mit welcher Innovation Autor Swen Harder sich des Genres annimmt und dieses in passende Spielmechanismen umsetzt. Gerade das Gigmuster ist eine erfrischende Alternative zu den waffenklirrenden Scharmützeln anderer Spielbücher und zeigt, welches unangetastete Potential noch in dieser Buchform schlummert.

Schreibstil

Wie es sich für eine Rock’n’Roll-Geschichte gehört, ist der Erzählstil von Metal Heroes and the Fate of Rock angemessen flapsig, strotzt vor englischen Fachbegriffen und liest sich durchweg flüssig. Dadurch, dass der Möchtegern-Gott auch immer nur dann zur Stelle ist, wenn sich wirklich entscheidende Ereignisse für die Band abzeichnen, umgehen die einzelnen Kapitel geschickt den öden Bandalltag und halten den Spannungsbogen kontinuierlich aufrecht.

Die Charaktere sind wunderbar ausgearbeitet, insbesondere die zentralen vier Musiker der Metal Heroes haben ihre erkennbaren Eigenheiten und lassen sich schon anhand ihrer Kommentare und Marotten erkennen. Dies ist in meinen Augen auch das wahre Meisterstück von Metal Heroes and the Fate of Rock: Dadurch, dass der eigentliche Protagonist Taylor für weite Teile helfend in den Hintergrund rückt, spielt man in Wirklichkeit eine ganze Band mit vier Musikern.

Apropos Musik: Hier begibt sich der Leser wirklich in die Welt des Heavy Metal. Schon die Kapiteltitel sind dezente Anspielungen auf bekannte Gitarrenhymnen. Immer wieder sind Referenzen auf die ganz großen des Rock eingestreut, einige von ihnen wie einen berühmten Warzenträger oder den Erfinder des Metal aus Birmingham kann man sogar persönlich treffen. Selbst unter den Unterstützern der Band finden sich tatsächliche Musiker wie die Jill Janus von Huntress nachempfundene Hexe oder Charlotte Wessels, Sängerin von Delain. Und besonders findige Metaller können sich an einem Metalquiz in einem der späteren Kapitel die Zähne ausbeißen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für knapp 20 Euro erhält man mit Metal Heroes and the Fate of Rock nicht nur einen enorm dicken Wälzer mit hohem Wiederspielwert. Die beiliegende CD mit dem passenden Soundtrack zum Spielgeschehen sorgt dafür, dass man wirklich viel für sein Geld bekommt.

Erscheinungsbild

cover-labels-mediumAuch wenn Metal Heroes and the Fate of Rock einen enormen Umfang hat, so ist es dank seiner sehr guten Strukturierung doch gut zu handhaben. Die Geschichte ist in 15 Kapitel eingeteilt, darunter drei Bonussektionen, die man nur mit den richtigen Entscheidungen erreicht. In den großzügigen Anhängen findet der Leser neben den Regeln auch die vier Musiker sowie die Songs und deren Genres erläutert. Die Logbücher für die eigenen Notizen sind der eigentlichen Geschichte vorangestellt.

Die im schwungvollen und flächigen Strich gehaltenen Illustrationen von Fufu Frauenwahl sind nicht nur im Comicstil gehalten, viele davon erzählen auch über einige Panels in genau diesem Format die aktuellen Geschehnisse. Diverse Vignetten mit den Possen der Band oder verschiedenen Instrumenten lockern immer wieder den Textfluss auf. Die vier Musiker und ihre Begleiter sind in ihrer grafischen Darstellung stimmig individuell gestaltet – und ist es eigentlich Zufall, dass mich Basser Leo an einen meiner Lieblingsmusiker, Robert Trujillo von Suicidal Tendencies Metallica, erinnert?

Gar nicht genug loben kann man die Fußzeilen des Spielbuchs. Hier sind sowohl Würfel als auch Spielkarten für Zufallsergebnisse abgebildet, was gerade beim Lesen unterwegs ungeheuer praktisch ist. Warum nur findet man das nicht in jedem Spielbuch?

Die beiliegende CD mit 15 Tracks des Labels Napalm Records liegt in einer schlichten Papphülle bei, dafür wartet ihr Inhalt mit namhaften Bands wie Cavalera Conspiracy, Delain, Huntress oder DevilDriver auf.

Zuletzt ist auch eine Special Edition des Spielbuchs verfügbar. Im passenden Schuber steckt noch ein DVD Case mit einem Pokerdeck, zwei Würfeln sowie zwei Lesezeichen, die wie Eintrittskarten zu einem Konzert der Metal Heroes gestaltet sind.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore Verlag
  • Autor(en): Swen Harder
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Broschur
  • Seitenanzahl: 808
  • ISBN: 978-3-939212-60-7
  • Preis: 19,95 (Taschenbuch) / 24,95 (Special Edition)
  • Bezugsquelle: Amazon, Sphärenmeisters Spiele (Taschenbuch / Special Edition)

 

Bonus/Downloadcontent

Alle nötigen Dokumente stehen auf der Downloadseite der Homepage zum Spielbuch Metal Heroes bereit. Hier finden sich die Regeln gemäß dem gewählten Schwierigkeitsgrad, das Metal-Logbuch und die Gig-Muster.

Fazit

Mit seinem zweiten Spielbuch hat Swen Harder einen weiteren Meilenstein verfasst. Metal Heroes and the Fate of Rock ist in jeder Hinsicht erfrischend anders. Mit der originellen Geschichte um eine aufstrebende Metalband, den stimmigen Regeln für die immer größer werdenden Konzerte und den vielseitigen Rätseln und Aufgaben beschreitet dieses Buch überall neue Wege. Die Illustrationen im Comicstil und die beiliegende CD verknüpfen all dies zu einem vollendeten Gesamtpaket.

Fans des Heavy Metal kommen hier durchweg auf ihre Kosten und können die zahlreichen Anspielungen, Referenzen und Begegnungen mit Berühmtheiten genießen. Aber auch Leser, die dieser Musikrichtung nichts abgewinnen können, sollten durch die gelungene Geschichte vollauf zufrieden gestellt werden.

Während die Metal Heroes noch versuchen, den Olymp des Rock zu erklimmen, hat Swen Harder den der Spielbücher mit diesem Werk endgültig für sich eingenommen. This one goes to eleven!

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Artikelbild: Mantikore Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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